2024-05-08T14:46:11.570Z

Interview
Klare Worte bei der Ansprache, klare Worte im Interview: Rekordnationalspieler Lothar Matthäus als Trainer der SG Niederbiel und Gesprächspartner für diese Zeitung. 	Foto: André Bethke
Klare Worte bei der Ansprache, klare Worte im Interview: Rekordnationalspieler Lothar Matthäus als Trainer der SG Niederbiel und Gesprächspartner für diese Zeitung. Foto: André Bethke

Immer gemacht, worauf er Lust hatte

INTERVIEW: +++ Lothar Matthäus im Gespräch über Trainerjobs, Schlagzeilen, Sprüche und seine Mutter +++

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Solms-Niederbiel. Zugegeben. Fragen für ein Interview schüttelt sich der Redakteur nicht mal eben so aus dem Ärmel, auch nicht nach fast 25 Berufsjahren. Es ist wie im Sport, Vorbereitung ist alles.

Die Erfahrung hat gelehrt: Wenn das Gegenüber lacht, ist das Eis schneller gebrochen. Doch welchen Humor hat er, worüber lacht er? Ein bisschen Risiko ist immer dabei. Auch bei der Strategie, sich die Fragen im Vorfeld nicht zu notieren; höchstens ein paar Stichwörter vielleicht. Auf dem Block stehen zunächst: Kovac, Kahn, Sprüche, Ziele, Meistertipp. Durchgestrichen. Neuer Plan: sich einfach mit dem Interviewten durch das Gespräch treiben zu lassen.

Seine Laune spielt in die Karten. „Du hast Glück, er ist gut drauf.“ Und er hat Zeit. Zwei Stunden früher als gedacht. Nur die Ruhe. Lothar Matthäus steht in der Kabine der SG Niederbiel, hat seine Jungs gerade zum Aufwärmen auf den Platz geschickt. Er tippt in sein Smartphone, schaut kurz auf und schüttelt die Hand, als der Redakteur vorgestellt wird: „Freut mich.“ Und mich erst, denkt sich sein Gegenüber. Der hat ihm in den 80er Jahren auf dem Bökelberg zugejubelt. Auch das freut Lothar Matthäus. Dass der Junge von damals ihn nach seinem Wechsel zu den Bayern „Judas“ tituliert hat, würde ihn sicher nicht freuen.

Doch genug des Vorgeplänkels, denn aus dem Hintergrund kommt die Ansage „fünf Minuten“. Es werden genau 8:27 Minuten, weil sich Lothar Matthäus treiben lässt, weil er viel zu sagen hat. Und das ziemlich schnell.

Herr Matthäus, eigentlich wollte ich das Gespräch mit einer anderen Frage beginnen, aber die Aktualität hat uns am Wochenende eingeholt. Überraschend kam die Entlassung von Nico Kovac bei den Bayern für Sie sicher nicht, oder?

Überraschend war es aufgrund der Vorfälle in den letzten Wochen und Monaten nicht. Vorfälle heißt nicht nur seine Aussagen. Vorfälle heißt auch Ergebnisse, Vorfälle heißt auch Leistung der Mannschaft. Vorfälle heißt aber auch gerade beim letzten Spiel in Frankfurt, dass die Aufstellung nicht so war, wie sich das viele vorgestellt hatten. Von den Namen her und auch von den Positionen. Und wenn das dann nicht funktioniert, geht der Trainer ein hohes Risiko. Und es hat nicht funktioniert, weil Spieler auf Positionen spielen, die sie nicht unbedingt gewohnt sind.

An welche Namen und Positionen denken Sie da?

Ich denke da an Pavard, der zentral hätte spielen können, an Alaba als linken Verteidiger, Kimmich dann auf rechts und Martinez Innen. Später hat er ja dann Coman und Martinez auch gebracht. Hätte er die von Anfang an gebracht, wäre auch mehr Ordnung im Spiel gewesen, denn die Spieler kennen sich ja.

Sie hatten als Sky-Experte schon damit gerechnet, dass es nach dem 1:5 in Frankfurt für Kovac eng werden könnte. Dass Sie damit Recht behalten haben, wird Sie aber nicht unbedingt gefreut haben, oder?

Nein, gefreut hat mich das sicher nicht. Gerade bei Niko Kovac nicht. Niko war mein Spieler bei RB Salzburg. Wie Hansi Flick dort auch mein Co-Trainer war. Die habe ich 2006 beide mitgebracht. Und Niko war als Spieler schon ein Leader. Ich habe mit ihm einen super Kontakt. Wir telefonieren regelmäßig. Letzte Woche hatten wir noch ein Gespräch miteinander. Es tut mir nicht nur für Niko leid, sondern für jeden Trainer, der alles gibt, aber dann gehen muss. Wenn es nicht so läuft, dann wird eben die Schuld als erstes beim Trainer gesucht.

Hört sich fast so an, als hätten Sie ein wenig Mitleid ...

Nein! Niko kennt das Geschäft. Mitleid ist da nicht angebracht. Es geht weiter. Und Niko ist selbstbewusst, hat hohe Qualitäten als Trainer und als Mensch und wird nach einer für mich erfolgreichen Zeit bei Bayern München andere Clubs finden, mit denen er erfolgreich arbeiten kann.

Sie selbst arbeiten nun schon seit rund sieben Jahren als Experte bei Sky. Haben Sie dort Ihre Berufung gefunden?

Ich habe immer das gemacht, worauf ich Lust hatte und wo ich dahinter stehen kann. Und das 100-prozentig. Deshalb habe ich in den letzten beiden Jahren auch immer wiederholt, dass ein Trainerjob für mich nicht mehr in Frage kommt.

Warum eigentlich?

Dann müsste ich mein Leben total umstellen. Das ist es mir nicht wert. Dieser Druck, dieser Stress. Und man sieht ja auch, wie schnell es gehen kann. Du gibst alles auf, veränderst dein Leben und bist dann wieder weg vom Fenster, weil deine Spieler das leere Tor nicht treffen. Ich bin mit meinem Job zufrieden, habe ein gutes Umfeld, kann über Fußball sprechen. Ich glaube, das ist das, was ich am besten kann.

Neben Ihrer Fernseh-Arbeit bei Sky haben Sie aber auch noch andere Aufgaben, wie wir an Ihrem Auftritt in Niederbiel sehen können.

Ja, ich bin als Botschafter der Deutschen Fußball-Liga weltweit unterwegs genauso wie als Botschafter der Bayern, bin überall, in Südamerika, Nordamerika und Asien. Dann habe ich natürlich auch noch ein paar Sponsorenverträge wie eben den mit LeoVegas.

Warum ausgerechnet ein Wettanbieter?

Anfang 2018 suchte LeoVegas nach einem Repräsentanten für ihr deutsches Produkt und kam auf mich zu. Schon in den ersten Gesprächen wurde mir klar, dass mir hier die Möglichkeit für eine perfekte Partnerschaft angeboten wurde, und ich habe mich entschlossen, als Markenbotschafter zu fungieren. Ich finde es auch gut, einen Partner an meiner Seite zu haben, der mir solche Aktionen wie diese bei der SG Niederbiel ermöglicht.

Sind Sie denn mit Ihren 58 Jahren beruflich im Reinen oder hätte es da eine Schlagzeile gegeben, die Sie gerne über sich gelesen hätten oder noch lesen würden?

Ich habe so viele Schlagzeilen gelesen, da gibt es fast keine mehr. Man kann nicht alles haben. Natürlich hätte ich gerne jedes Spiel und jeden Titel gewonnen. Das geht aber nicht. Es waren auch Niederlagen dabei. Das gehört dazu. Wenn man dann am Boden liegt, dann wieder aufzustehen, ist das eine persönliche und menschliche Stärke, die wichtig ist. Nein! Meiner Meinung nach waren schon zu viele Schlagzeilen über mich in den Zeitungen.

Über den Fußballer oder die Privatperson?

Über beide. Mehr über den Fußballer als über die Privatperson. Die Privatperson ist ja erst nach seiner Karriere für die Yellow Press ein bisschen interessanter geworden. Aber auch das gehört dazu, wenn man so in der Öffentlichkeit steht wie ich.

Und der haben Sie viele Sprüche und Zitate geliefert. Mich hat einer beeindruckt ...

Es gibt auch Sprüche, die geschrieben wurden, die ich nicht gesagt habe. Deswegen bin ich jetzt gespannt, welchen Sie meinen.

Ich denke da an ein Zitat, in dem es darum ging, dass Sie gar nicht erst versuchen, Ihrer Mutter zu erklären, in welcher Welt Sie leben, denn sie würde es eh nicht verstehen.

Jetzt bin ich aber überrascht. Es ist schwierig für eine Frau wie meine Mutter, die immer in Herzogenaurach gelebt hat, nie aus einem, in Anführungszeichen, Dorf herausgekommen ist, mein Leben zu verstehen. Tagtäglich dreimal in den Flieger zu steigen. Das kann sie sich nicht vorstellen. Und auch nicht den öffentlichen Druck und das öffentliche Interesse. Das ist meiner Mutter fremd. Wenn ich ihr das erkläre, hört sie sich das gerne an. Und sie hört sich das auch zwei-, dreimal an, aber sie wird es trotzdem nicht verstehen. Genau so, wie ich das Leben meiner Mutter nicht verstehen würde, sich den ganzen Tag seit 20 Jahren nur im eigenen Haus und in der eigenen Straße zu bewegen.

Gibt es denn einen Spruch von Ihnen, wo Sie heute denken, hätte ich doch bloß meinen Mund gehalten?

Nö, ich stehe zu allem, was ich gesagt habe. Keiner ist perfekt. Alles was passiert, gehört dazu zu mir. Auch ich bin nicht perfekt. Deswegen habe ich häufig mal was gesagt und manchmal auch ein Wort zu viel, was ich lieber nicht gesagt hätte. Aber es gehört dazu. Und dazu stehe ich.

Das Interview führte André Bethke.



Zur Person

Der 1961 in Erlangen geborene Lothar Matthäus nahm während seiner Karriere an fünf Weltmeisterschaften teil (1982, 1986, 1990, 1994, 1998) und ist mit 150 Länderspielen deutscher Rekordnationalspieler und mit 75 PartienRekordspielführer der Nationalmannschaft- Als Kapitän führte er Deutschland 1990 zum dritten WM-Titel. Er ist einer von sechs Ehrenspielführern. Zu Beginn seiner Karriere wurde er 1980 auch Europameister. Er war 1990 Europas Fußballer des Jahres und im Jahr darauf der erste Weltfußballer des Jahres überhaupt. Als Vereinsspieler war er beim 1. FC Herzogenaurach und während seiner Profikarriere für Borussia Mönchengladbach, den FC Bayern München und Inter Mailand aktiv.

Seine Trainerstationen führten ihn zwischen 2001 und 2012 zu SK Rapid Wien, FK Partizan Belgrad, Athletico Paranaense, FC Red Bull Salzburg, Maccabi Netanja sowie den Nationalmannschaften von Ungarn und zuletzt Bulgarien.

Mit der 27 Jahre jüngeren Russin Anastasia Klimko ist Matthäus in der fünften Ehe verheiratet und hat insgesamt vier Kinder.

Seit 2012 ist Matthäus vor allem als Experte für den Pay-TV-Sender Sky aktiv und arbeitet als Markenbotschafter für Unternehmen wie den Wettanbieter Leo Vegas. (bk)

Aufrufe: 06.11.2019, 23:00 Uhr
WNZAutor