2024-05-02T16:12:49.858Z

Interview
Gerne hätte Bo Svensson (2. v. re.) den Einzug in die Endrunde gefeiert: „Wir hätten uns vor niemandem verstecken müssen“.  F: Mainz 05
Gerne hätte Bo Svensson (2. v. re.) den Einzug in die Endrunde gefeiert: „Wir hätten uns vor niemandem verstecken müssen“. F: Mainz 05

"Kindern erlauben, anders zu sein"

2020 geht 05-Coach Svensson nach Österreich – der Däne im Interview über das zweitbeste U 19-Jahr, Riesentalent Eyibil und Individualität

Mainz. 54 Punkte reichten 2008/09 unter Thomas Tuchel zum ersten und bislang einzigen A-Junioren-Meistertitel für den FSV Mainz 05. Nur einen Punkt weniger fuhr die 05-U 19 in der zurückliegenden Spielzeit unter Coach Bo Svensson ein. Für die Endrunde reichte dies allerdings nicht, der VfB Stuttgart wurde Erster in der Mainzer Staffel Süd/Südwest. Unbestritten ist dennoch: Svensson hat gute Arbeit geleistet. Und auch in Österreich wurde dies registriert. Denn nun bestätigte der Däne, dass es ihn 2020 nach Österreich zieht: zum Zweitligisten FC Liefering, Ausbildungsverein des Topklubs RB Salzburg. Svensson ist damit der Nächste aus der Mainzer Trainer-Schmiede, der den Sprung in den Profifußball schafft. Mit dem Schritt zum FC Liefering hat Svensson zwar dann auch einen Fuß in der Tür des RB-Verbunds. Höhere Karriereziele äußert der Däne aber nicht. „Ich bin froh über die drei Jahre, die ich dort habe.“ Der FC Liefering habe eine „sehr klare Philosophie.“ Und: „Dort arbeite ich mit den besten Talenten aus ganz Europa zusammen“, sagt Svensson. Mit Spielern, die nicht viel älter als seine aktuelle U 19-Kicker seien, in der österreichischen Zweiten Liga gegen „erwachsene Mannschaften“ bestehen zu müssen, sei „sehr reizvoll“.

Was den Trainer, gerade im Umgang mit jungen Juwelen, wie bei 05 Jonathan Burkardt, Leandro Barreiro oder dem schon als „neuen Mesut Özil“ betitelten Erkan Eyibil, so besonders macht, geht aus dem Interview hervor, das unsere Zeitung mit ihm geführt hat.

Herr Svensson, wie sehr ärgert es, dass es nur der zweite Platz in der Bundesliga Süd/Südwest wurde?

Ärger ist das falsche Wort. Aber es nagt an einem, dass wir nach dem Sieg im Spitzenspiel beim VfB Stuttgart danach aus vier Spielen gegen die Stuttgarter Kickers, Augsburg, Heidenheim und Karlsruhe nur zwei Punkte holen. Da war mehr drin, weil wir gerade in den Spielen gegen Stuttgart gesehen haben, dass wir besser waren. Aber Stuttgart war eben konstanter als wir.

Hätten Sie in der Endrunde (im Halbfinale standen außerdem Wolfsburg, Schalke und Dortmund, Anm. d. Red.) bestehen können?

Ich sage selbstbewusst, dass wir uns dieses Jahr in Deutschland vor keiner Mannschaft hätten verstecken müssen.

Aus dem Meisterteam 2009 hat eine Reihe Spieler den Sprung zu den Profis geschafft: Mathenia, Schürrle, Bell, Kirchhoff, um ein paar Namen zu nennen. Wem von Ihren Spielern trauen Sie zu, den Sprung zu schaffen?

Zwei haben es mit Jonny und Leandro (Burkardt und Barreiro, Anm. d. Red.) ja schon geschafft. Ich will insgesamt aber nicht von Schaffen oder Nichtschaffen reden. Denn auch die Zwei, die nächstes Jahr für unser Regionalliga-Team spielen, gehören ja zu den Top 0,5 Prozent der Jugendspieler in Deutschland.

Sie wollen nicht mehr Namen nennen?

Nein.

Wie erwähnt, haben Barreiro und Burkardt bereits während der Saison Bundesliga-Luft geschnuppert, sollten dann aber wieder für die U 19 spielen. Wie sind die beiden mit diesem „Schritt zurück“ umgegangen?

„Schritt zurück“ würde ich es nicht nennen. Wer hätte vor zwei Jahren gedacht, dass bei Mainz 05 zwei A-Jugend-Spieler in der Bundesliga zum Einsatz kommen? Das ist mehr, als bei den meisten anderen. Es gab einen Grund, warum ich empfohlen habe, die beiden schon bei den Profis dazu zu nehmen. Und das war vor allem, dass die beiden charakterlich schon sehr weit sind.

Wie haben sich die beiden verhalten, wenn sie in der U19 spielten?

Vorbildlich. Jonny spielt in einer Woche vor 55 000 Zuschauern in Gladbach und in der nächsten vor 70 bei uns gegen die Stuttgarter Kickers, ist trotzdem voll bei der Sache, freut sich mit der Mannschaft und übernimmt Verantwortung. Das macht kein normaler 18-Jähriger. Das Gleiche gilt für Leandro. Auch bei ihm brennt das Feuer von innen, egal ob er im Stadion spielt oder bei uns auf dem Kunstrasen.

Ein weiterer Spieler im Fokus ist Erkan Eyibil. Zuletzt gab es Schlagzeilen über ihn wie „der nächste Mesut Özil“. Was macht das mit einem jungen Spieler?

Ich denke, es ist kein Geheimnis, dass Erkan ein sehr großes Talent ist. Das weiß er auch selbst, und er weiß auch, dass ich das denke. Aber was bringt ihm das? Die Schlagzeilen sind schön. Aber er hat noch einen weiten Weg vor sich, den ich ihm zutraue. Den bisherigen Erfolg, die vielen Tore, hat er sich verdient. Aber er muss an den Sachen dranbleiben, die ihn dahingeführt haben. Jetzt sein Verhalten zu ändern, weil irgendjemand, den er nicht kennt, so etwas schreibt, das wäre Blödsinn.

Versuchen Sie, Spieler, die solche positiven Schlagzeilen bekommen, zu erden?

Nein, ich finde es total ok, wenn Spieler wissen, dass sie gut sind. Noch wichtiger ist es für einen Spieler allerdings, zu wissen, warum er gut ist. Und zwar nicht, weil er überheblich auf den Platz geht, weil er in der Zeitung stand. Erkan war der beste Spieler in unserer Liga, finde ich. Aber wenn ich auch nur im Ansatz sehe, dass er von dem Weg, der ihn dahingebracht hat, abweicht, werde ich ihm das ganz klar sagen.

Besteht die Gefahr?

Ausgeschlossen ist das nie. Wir reden über junge Kerle, die so vielen Einflüssen von außen ausgesetzt sind. Wenn jemand über sich selbst Dinge liest wie „Europas nächstes Toptalent“ und dann seine ganzen Freunde schreiben, ob er das schon gelesen hat, beeinflusst ihn das natürlich. Darin liegt auch eine Herausforderung für mich in der täglichen Arbeit: Ich muss Erkan als Menschen kennen und mit ihm über genau solche Dinge sprechen.

Wie hat sich insgesamt die junge Spielergeneration entwickelt, auch im Vergleich zu der Zeit, als Sie noch aktiv waren?

Es gibt große Unterschiede, weil sich die Gesellschaft verändert hat. Die grundsätzlichen Anreize sind trotzdem die gleichen: Spiele gewinnen wollen. Zeigen, dass man besser ist. Oder: Anerkennung bekommen. Aber natürlich sind sie beeinflusst von ihren Smartphones, einem beschleunigteren Leben oder der Beraterwelt. Du wirst von allen Seiten viel häufiger mit deinem eigenen Schicksal konfrontiert. Früher hattest du eher mal Zeit, dir Gedanken zu machen und zu reflektieren.

Wie wirkt sich das aus?

Das ist sehr individuell und abhängig davon, wie gefestigt man schon ist, ob man um seine Identität weiß oder nicht. Wenn Letzteres der Fall ist, können Eltern oder Berater ihre Prioritäten eher durchsetzen. Das ist das große Thema heutzutage. Leandro und Jonny sind zwei Spieler, die genau das nicht waren. Sie haben eigenständig und bewusst Entscheidungen getroffen.

Heißt das im Umkehrschluss, dass Talente, die vor zehn Jahren den Sprung schafften, es unter den heutigen Einflüssen nicht zwangsläufig zum Profi bringen würden?

Ja, genau das heißt es.

Der größte Vorwurf gegenüber jungen Spielern ist der der Unselbstständigkeit. Wie sehen Sie das?

Ich finde, der Vorwurf ist nicht angebracht. Man sollte nicht alle über einen Kamm scheren. Ich denke, dass die jungen Spieler größtenteils sehr klar darüber sind, was sie wollen. Den Vorwurf „die Jugend ist scheiße“ gab es doch schon immer. Das habe ich als 18-Jähriger auch schon gehört.

Wie versuchen Sie, Selbstständigkeit zu ermöglichen?

Wir geben den Kindern Raum dafür, sie selbst zu sein. Wir sagen auch, dass es ok ist, aus der Reihe zu tanzen, wenn das im Rahmen bleibt. Es soll erlaubt sein, anders zu sein, als die anderen. Und genau das ist, finde ich, ein gesamtgesellschaftliches Problem: Es wird nicht akzeptiert, wenn jemand nicht der Norm entspricht. Das fängt schon in der Schule an. Alle sollen gleich behandelt werden, alle sollen das und das können. Davon müssen wir weg. Wenn du die Menschen nicht individuell betreust, bekommst du auch keine individuellen Menschen.

Aufrufe: 014.6.2019, 10:00 Uhr
Nils SaleckerAutor