Notgedrungen schnappe ich mir die Kugel, die am Mittelpunkt zum Anstoß bereitliegt. An der Kasse hat sich eine lange Schlange gebildet. Das Interesse am Relegationsspiel zur A-Klasse zwischen dem Wettringer SV und der SG Lenkersheim/Bad Windsheim II ist überraschend groß. Weit über 300 Zuschauer sind es letztlich. Schiri Fabian Bauer entscheidet: "Wir warten noch ein paar Minuten." Also spiele ich den Ball meinen Kollegen zu. Warm halten. Wach bleiben. Wir denken nicht daran, was aus diesem Abend noch werden würde. "Fangt an! Wenn’s Verlängerung gibt, dann wird’s zu dunkel", sagen einige Zuschauer.
Um 18.43 Uhr geht es endlich los. 13 Minuten später als vorgesehen. Einige Fans haben das erste Bierfläschchen schon geleert. Es werden mehr folgen, als sie geplant haben. Nicht nur, weil das Spiel ziemlich schlecht ist und sie Ablenkung brauchen. Als ich nach etwa 70 Minuten ausgewechselt werden muss – Krämpfe – und mich auf der Ersatzbank niederlasse, sehe ich das Unheil das erste Mal: ein schweres Gewitter naht heran. Über Burgbernheim, vielleicht ist es auch weiter weg, blitzt es die ganze Zeit.
Mit 0:0 – aus unserer Sicht ein sehr schmeichelhaftes Ergebnis – geht die reguläre Spielzeit zu Ende. "Wie geht’s jetzt weiter?", fragen Zuschauer wie Spieler und Betreuer. Verlängerung. Ein Wort, das keiner hören will. Wir Lenkersheimer und Bad Windsheimer sind schon stehend k.o. Und es wird immer dunkler. Die schwarzen Gewitterwolken hängen greifend nahe über dem Sportplatz am Fuße des Petersberges. Schiri Bauer erkennt die Lage und pfeift schnell wieder an. Doch die Natur ist zu stark. Regen. Wind. Und diese Blitze. Sie kommen immer näher. "Das wird heute nichts mehr", sage ich auf der Ersatzbank. "Der muss abbrechen. Das ist viel zu gefährlich", sagt mein Kamerad Patrick Beck. Er hat völlig Recht.
Es muss etwa die 115. Minute sein, als Dietmar Horn Gehör findet. Dem Wettringer Torhüter fliegen die Servietten um die Ohren, die am Bier- und Würstchen-Stand 50 Meter weiter, am Spielfeldrand, deponiert sind. Es gießt. Ich rechne jede Sekunde mit einem Blitzeinschlag. "Hört auf! Hört auf!", bettelt Horn. Der Keeper läuft aus seinem Strafraum heraus, obwohl das Spiel normal läuft. Schiri Bauer pfeift ab. Endlich. Unterbrechung. Die Zuschauer flüchten. Doch das Drama nimmt erst seinen Lauf.
Bauer und seine beiden Assistenten laufen zum Beobachter des Verbandes am Spielfeldrand. Sie beratschlagen. Ich humple quer übers Feld. Von uns ist da keiner dabei. Ich will aber wissen, was los ist. Der Beobachter hat keine Idee. Die Schiris auch nicht. "Spielen wir halt morgen weiter", sage ich. Wettringer Fans werfen plötzlich einen Bengalo aufs Feld. Schiri-Assistent Manfred Hegwein schreitet ein. Dann kommt Bernd Schuh dazu, einer der Organisatoren des Relegationsspiels von Ausrichter TSV Marktbergel. Er ist auch schon lange Schiedsrichter, kennt seine Kollegen. "Ich würde euch vorschlagen, wir ziehen die fünf Minuten irgendwie durch. Und das Elfmeterschießen machen wir unten am B-Platz. Da haben wir Flutlicht", sagt Schuh. Achselzucken. Okay. "Die spinnen", denke ich.
Ich pfeife meine Kameraden zurück, die ihre sieben Sachen gepackt haben und in die Kabine marschieren. Es schüttet. Mir ist mulmig. Aber es geht weiter. Ein paar Minuten. Dann unterbricht Schiri Bauer erneut. Keine Ahnung, in welcher Spielminute. Wir rennen einfach los. Nur noch in die Kabine. Vorbei an Zuschauern, die sich unter Bäumen verstecken. Die meisten denken, es wurde abgebrochen. Einige Zuschauer gehen einfach heim. Aber wir sitzen da. Handtuch im Gesicht. Fragende Blicke. Draußen das Gewitter. Dann kommt unser Betreuer Werner Koch: "Wer will schießen?" Elfmeterschießen! Es finden sich fünf Mutige. Aber sie müssen warten. Keine Ahnung, wie lange. Ich gehe nach draußen. Und wieder rein. Immer wieder. Die vielen Bekannten, die ich auf dem Weg treffe, schütteln alle den Kopf.
Irgendwann lassen Blitz und Donner nach. Nur noch Regen. Die ziehen das wirklich durch. Wir gehen langsam raus. Das Flutlicht am B-Platz, der direkt am Sportheim liegt, ist bereits an. Die TSV'ler räumen die Absperrung im Fünfmeterraum vor dem Tor weg. Dort wurde frisch angesät. Der Platzwart ist stinksauer. Alles egal. Elfmeterpunkt und Torlinie werden noch einmal markiert. Der Regen wäscht die frische weiße Farbe gleich wieder weg.
Wir verlieren. Traurig ist aber keiner. 21.43 Uhr. Drei Stunden für ein Fußballspiel. Wir schütteln artig die Hände der jubelnden Wettringer und gehen wieder rein in die Kabine. Die Stimmung dort ist kaum zu beschreiben. Gelöst sprechen wir über einen unfassbaren Abend. "Das ist Fußball", sage ich, weiß aber, dass das Schwachsinn ist.