2024-05-02T16:12:49.858Z

Querpass

Arminias Abstieg als Abschiedsgeschenk

Kamila Kmiecik - kleine Frau - großes Kämpfer-Herz

Als am 13. Mai 2018 um 16.20 Uhr Schiedsrichterin Janna Poppen die Partie zwischen dem FSV Gütersloh und dem Lokalrivalen Herforder SV abpfiff, waren die FSV-Akteurinnen auf dem Tönniesrasen kaum zu halten. Ekstatisch schrien sie ihre Freude aus dem Leib, tanzten wie die Wilden im Kreis und skandierten den Satz rhythmisch, um den sich die Frauen-Fußballwelt Ostwestfalens zankt, stolz aus voller Kehle:

„Die Nummer 1. Die Nummer 1. Die Nummer 1 in OWL sind wir.“

Dem FSV Gütersloh war der ersehnte Klassenerhalt geglückt. In sprichwörtlich allerletzter Sekunde. Ein kleines OWL-Frühlingsmärchen wurde Wirklichkeit. Und dies war nur möglich, weil ausgerechnet parallel der Erzrivale und ostwestfälische Nachbar DSC Arminia Bielefeld gepatzt hatte. Im entscheidenden letzten Spiel. In einer an Dramatik kaum zu überbietenden Partie musste die Arminia in den letzten verbleibenden drei Spielminuten vom USV Jena zwei Gegentreffer hinnehmen.

„Das war das schönste Abschiedsgeschenk, das der DSC mir machen konnte“, bekannte die quirlige Mittelfeldspielerin Kamila Kmiecik freimütig, die selbst jahrelang im DSC-Dress aufgelaufen war. Da Schadenfreude eigentlich gar nicht zu ihrem Wesen passt, muss man ein wenig die Zeit zurückdrehen, um eine solche offene Gefühlsregung zu verstehen. Pikantes Detail: Ausgerechnet Isabelle Knipp, ehemalige Weggefährtin Kmieciks (Herforder SV), verpasste der Arminia mit ihrem fulminanten Distanzschuss in der 91. Minute zum 3:1 den sportlichen Todesstoß zurück in die Regionalliga. So kann sich manchmal der Kreis schließen. Und Kmiecik wurde auf diese Weise ein bewegender Abschluss zuteil, wie es ihrer eigenen Karriere, die viele Höhen, aber auch Tiefen hatte, nur würdig sein konnte.

Gekommen, um (unverhofft) zu bleiben

Die gebürtige Polin entdeckte die Fußballlandschaft Deutschlands für sich im Sommer 2013. Zu dem Zeitpunkt konnte selbst sie noch nicht wissen, dass das Wahrnehmen des Semesterferienjob in Hessisch-Oldendorf folgenschwere Konsequenzen haben sollte - und es so nicht bei einem Kurztrip bleiben sollte. Ihr Spielerberater Michael Kuncer-Jaroszewski konnte die Verantwortlichen des Zweitligisten Herforder SV Borussia Friedensthal überzeugen, seinem Schützling die Chance zu geben, ihr Können bei zwei Probe-Trainingseinheiten unter Beweis zu stellen. Er vertraute dem Potential seiner Spielerin, denn in der polnischen Frauenfußballlandschaft war sie zu einer etablierten Größe geworden.

13 Jahre lang schnürte sie ihre Fußballschuhe für den polnischen Verein ISD AJD Gol Czestochowa, mit dem sie ihre ersten großen sportlichen Erfolge feiern konnte. Schon in jungen Jahren wurde der polnische Fußballverband auf ihr Talent aufmerksam und berief sie in die U16-Juniorinnen-Nationalmannschaft, wo sie es sogar bis in die A-Nationalmannschaft schaffte. Bei ihrer Premiere gegen Belgien ist ihr gleich ein Tor geglückt. Doch ein Durchbruch blieb ihr verwehrt.

Kamila verletzte sich am Knie schwer und musste eine sportliche Zwangspause von zwei Jahren hinnehmen. Dass sie aber nahtlos an ihre vorherigen Leistungen anknüpfen konnte, war ihrem ausgeprägten Ehrgeiz und der eisernen Trainings-Disziplin geschuldet. Es folgten erfolgreiche Jahre in der polnischen zweiten und ersten Liga. Sie feierte außerdem zahlreiche Meisterschaften und Vizemeisterschaften in der Futsal-Liga, an dem ihr Team zusätzlich noch außerhalb der „normalen Saison“ teilnahm.

Ein hoher Preis für die Fußball - Leidenschaft

Kein Wunder also, dass die gelernte Sportwissenschaftlerin, deren Traum es schon immer mal war, in Deutschlands Leistungsklasse Fuß zu fassen, mit ihrer herausragenden Fitness, einer ausgeprägten Passschärfe und einer enormen körperlichen Präsenz gute Vorraussetzungen mitbrachte. Und in der Tat. Der Herforder SV engagierte sie. Um ihren sportlichen Traum leben zu können, nahm sie große Entbehrungen in Kauf.

Denn um in der zweiten Liga spielen und ihren Lebensunterhalt zu einem großen Teil bestreiten zu können, heuerte sie bei einem Clean-Service an. Fern ab ihrer eigentlichen Qualifikation. Denn ihr polnisches Hochschulstudium wurde aufgrund ihrer noch unzureichenden deutschen Sprachkenntnisse nicht anerkannt. Es folgte ein eisernes Mammutprogramm.

Während andere noch friedlich schlummerten, befand sie sich schon um 4.30 Uhr morgens auf Ostwestfalens Straßen und hatte während ihres achtstündigen Arbeitstages phasenweise Strecken bis zu 300 bis 400 Kilometer im Auto hinter sich gebracht, ehe es abends zum Training nach Herford ging. Und das fünfmal die Woche! Zusätzlich waren noch mindestens zwei mal die Woche Sprachschule angesagt.

Man kann sich bildlich vorstellen, wie schwer die Kommunikation und somit die Integration für sie im Herforder Team gewesen sein muss. Da sie während ihrer Schulzeit kein Englisch gelernt hatte, funktionierte die anfängliche Kommunikation mit Trainern und Spielerinnen nur mit Händen und Füßen. Darunter litt auch ihr persönliches Spiel.

Sie konnte weder ihre eigenen Vorstellungen mitteilen, noch umfassend den Ausführungen des Trainers wirklich folgen, so sehr sie auch wollte. Ein eiserner Wille kann eben nur bedingt Sprach-Berge versetzen. Also musste sie schon nach kurzer Zeit auf der Bank Platz nehmen. Eine undankbare Situation, in der sie sich sehr auf sich allein gestellt und unzureichend unterstützt fühlte.

Da kam der Anruf zur Winterpause aus Bielefeld gerade recht. Die Landsfrau Sandra Szopiray war auf sie und ihre Situation aufmerksam geworden und versuchte sie für ihr Team, DSC Arminia Bielefeld, zu gewinnen, auch wenn sie sich derzeit nur in der Westfalenliga befanden.

„Am Anfang hatte ich große Bedenken, denn ich wollte den Kampf annehmen und es Jürgen Prüfer beweisen“, schildert Kamila rückblickend ihre ersten Gedanken bei diesem Angebot. „Je mehr ich aber darüber nachdachte, desto mehr gefiel mir die Idee, denn ich hatte nichts zu verlieren. Meine Arbeit war außerdem in Bielefeld“ , erläutert sie ihre Beweggründe für ihren Entschluss, den Klassen-Rückschritt zu wagen. Ihr Mut sollte sich auszahlen und sich langfristig als Fortschritt erweisen.

Da sich der Herforder SV im Sinne eines sportlichen Fairnessgedanken bei den Wechselmodalitäten sehr kooperativ verhielt, konnte sie schon im Januar 2014 auf Torejagd für die Arminia gehen. Zu dem Zeitpunkt dümpelte der DSC im unteren Drittel der vierten Liga, bot eine negative Tordifferenz auf. Schon seit einem halben Jahrzehnt bewegten sie sich in der fußballerischen Bedeutungslosigkeit.

„Trotzdem hatte ich von Anfang an das Gefühl, dass mit diesem Team der Aufstieg in die Regionalliga möglich ist“, schildert Kmiecik ihre persönliche Erwartungshaltung. „Natürlich haben mich alle für verrückt erklärt“, schildert sie lachend die Reaktion der meisten Verantwortlichen. Doch sie sollte mit ihrer visionären Kraft und ihrem analytischem Geschick recht behalten. Kamila fügte sich in das Team, auch dank der Unterstützung der beiden polnischen Landfrauen Sandra Szopiray und Symela Ciesielska, hervorragend in das Arminiagefüge ein.

Schon zum Ende der laufenden Saison konnte Kamila mit acht Toren und zahlreichen Vorlagen neues Selbstbewusstsein tanken und zu alter Stärke zurückkehren. Der DSC beendete die Saison auf dem dritten Platz und von nun an ging es bergauf. Eine Ära begann, in der sie in den darauffolgenden zweieinhalb Jahren mit Maxine Birker und Romina Burgheim, die sie schon aus Herforder Tagen kannte, ein magisches und torhungriges Dreieck bildete.

Sowohl als Passgeberin, aber auch als sichere Torschützin wirbelte und delegierte Kamila ihre Mitspielerinnen souverän auf ihrer Lieblingsposition: dem 6er. Die Westfalenliga beherrschten die Armininnen nach Belieben, und es folgte der nie gefährdete Aufstieg in die Regionalliga. Als Lohn für ihren beispiellosen Einsatz und ihrem Trainingseifer und vorbildlicher Moral beförderte Markus Wuckel sie zur Kapitänin und band sie neben der Spieler-Trainerin Maxine Birker gemeinsam in viele Entscheidungsprozesse rund um die Mannschaft ein.

Das ausgesprochene Vertrauen dankte Kamila in jeder Trainings- und Spieleinheit und zahlte es mit Toren und Vorlagen zurück. Wer dachte, der wundersame Siegeszug sei nun in der Regionalliga beendet, sah sich eines Besseren belehrt. Es kam eine weitere Polin hinzu, Karolina Bochra, die eine Vollblutstürmerin ganz im Stile des Trainers und Ex- Profis Markus Wuckel, war. Mit viel Leidenschaft, einer unermüdlichen Laufarbeit gelang Arminia unter der Regie von Kamila der Durchmarsch in die 2. Bundesliga. Keine andere Spielerin konnte ihre kongeniale Partnerin Maxine Birker uneigennützig so gut in Szene setzen und selbst so erfolgreich sein.

Das Sprichwort: „Neue Liga, neues Glück“ sollte aber nicht für jede Akteurin gelten. Denn diese Liga brachte viele Veränderungen mit sich, die sich nicht nur in struktureller Hinsicht zu erkennen gaben. Mit den Neuzugängen musste Kamila ihren geliebten Posten auf der 6 aufgeben und sie wurde aus taktischen Gründen in die Abwehr befördert. Eine Maßnahme, mit der sie sich nicht vollständig identifizieren und im Laufe der Saison immer weniger arrangieren konnte.

„Ich gebe zu, ich war sauer, auch wenn ich es verstand. Aber ich verlor meinen Offensivdrang und konnte meine eigenen Stärken dort nicht mehr voll ausspielen. Ich wurde persönlich unglücklicher, obwohl es sportlich als Mannschaft gut lief.“ Dieses Gefühl steigerte sich soweit, dass sie zur Winterpause 2016 nach ihrem letzten Spiel gegen den Herforder SV beschloss, zu wechseln. Doch ihr damaliger Trainer Markus Wuckel redete mit Engelszungen auf sie ein und stimmte sie erfolgreich um.

Zwei Monate später folgte dann der Schock. Die intensive Wintervorbereitung hatte Kamila gerade erfolgreich absolviert, das erste Rückrundenspiel war gegen SV Werder Bremen gespielt, als sie der Trainer um 8 Uhr montagmorgens anrief und mitteilte, dass er sich gezwungen sehe, eine Entscheidung zu treffen, die bedeute, dass sie nicht mehr zu kommen brauche.

„Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Das großzügige Angebot für die zweite Mannschaft zu spielen, habe ich dankbar abgelehnt“, schildert sie den weiteren Verlauf des Gesprächs. Auch der Versuch, sich im Kooperationsstudio Fitnessloft fit zu halten, sei gescheitert mit dem Hinweis, dass sie kein Teil der 1. Mannschaft mehr sei.

„Das war schon alles sehr hart und schwer zu verstehen für mich.“, schildert sie ihre Reaktion auf das jähe undankbare Ende und führt weiter aus: „Ich hätte mir gewünscht, Markus hätte die Aufrichtigkeit besessen mir das persönlich ins Gesicht zu sagen nach allem, was ich für den Verein geleistet hatte.“

Die offizielle Suspendierung Kmieciks bliebt natürlich der Frauenfußballszene nicht verborgen, und Britta Hainke, damalige Trainerin beim Konkurrenten FSV Gütersloh witterte ihre Chance und bot Kamila an, mit ihrem Zweitligateam trainieren zu dürfen und in Ruhe über ein Engagement nachzudenken. Drei, vier Monate hat Kamila gebraucht, um sich von dieser herben Enttäuschung zu erholen. Dann war sie bereit für einen letzten sportlichen Neuanfang.

Denn dass sie ein großes Kämpferherz besitzt, davon kann jeder ein Lied singen, der jemals das Vergnügen hatte, mit ihr auf dem Platz zu stehen. Und es zeugt von Charakter, aber auch Cleverness, dem Lockruf Güterslohs gefolgt zu sein und allen, aber vor allem sich selbst, zu beweisen, dass ihr Hunger nach gewonnen Zweikämpfen und Toren noch nicht gestillt war. Aufgeben war keine Option. Ist es noch nie für „Kama“ gewesen. Wozu auch? Und das Schicksal hat es letzten Endes doch gut mit ihr gemeint. Denn wer zuletzt lacht, lacht am besten.

Aufrufe: 031.5.2018, 18:43 Uhr
Nicu BurgheimAutor