2024-05-02T16:12:49.858Z

Interview
Kamy Niroumand, hier im Hintergrund, beobachtet nicht nur die Spiele der Zehlendorfer Oberligamannschaft kritisch.
Kamy Niroumand, hier im Hintergrund, beobachtet nicht nur die Spiele der Zehlendorfer Oberligamannschaft kritisch. – Foto: Kerstin Kellner

"Wir müssen eine Extremhaltung einnehmen"

Zweiteiliges Inerview mit Hertha 03 Zehlendorf Präsident Kamy Niroumand: Im ersten Teil spricht er über die Coronafolgen im Verein und den DFB-Masterplan.

Ein Interview von Marcel Peters - https://www.facebook.com/AmateurberichterstattungMarcelPeters/ - regelmäßig Berichte über Berliner und Brandenburger Amateurfußballer oder Vereine. Gesprächspartner: Kamy Niroumand
Hallo Kamy, ich hoffe du und die Mitglieder von Hertha 03 sind bisher unbeschadet durch die Corona-Pandemie gekommen. Von vielen Seiten ist zu hören, dass die Vereine durch den erneuten Lockdown in Schwierigkeiten, vor allem finanziell, kommen. Wie siehst du die Lage als Vereinspräsident eines der größten Berliner Vereine?
Finanziell werden wir wohl vorerst keine Schwierigkeiten bekommen, wir stehen auf gesunden Füßen. Es fehlen uns zwar die Einnahmen der Gastronomie und der Fußballferienschule, die wir nicht in dem Umfang der letzten Jahre veranstalten konnten, doch auf der anderen Seite konnten wir die Kosten auch senken.

Wie sieht es bei den Mitgliedern aus, mussten hier Abgänge verkraftet werden?
Nein, glücklicherweise sind alle unsere Mitglieder geblieben. Auch unsere zumeist kleinen Sponsoren haben sich nicht zurückgezogen. Es ist schön zu wissen, dass in diesen schwierigen Zeiten alle zusammenhalten. Trotzdem bin ich manchmal traurig, wenn ich in Zehlendorf den einen oder anderen Anhänger sehe.

Weil der soziale Kontakt zu ihnen fehlt?
Ja, die soziale Seite ist auch viel wichtiger als die finanzielle. Für mich und viele andere war es immer eine Freude, die Spiele auf unserer Anlage zu beobachten. Mit anderen sprechen, freuen oder auch ärgern, das fehlt uns allen. Einige Mitglieder sind privat alleinstehend, für sie war der Verein eine große Familie. Auch ihnen fehlt die Bratwurst, das Bier und die soziale Nähe. Ich glaube durch die Pandemie ist vielen bewusst geworden, dass wir als Verein viel mehr als nur „Fußball spielen“ sind.

Einige Mitglieder dürfen ja trotz der aktuellen Einschränkungen weiterhin trainieren. Allen Kinder unter 12 Jahren ist es erlaubt auf dem Feld zu stehen. Nehmt ihr diese Möglichkeit noch wahr, oder befindet sich Hertha 03 bereits im Winterschlaf?
Diese Woche wurde noch fleißig trainiert. Kommende Woche werden alle Mannschaften in der Weihnachtspause sein. Bis zum 10. wird dann vermutlich auch erstmal nichts mehr veranstaltet. Für jede einzelne Mannschaft kann ich es nicht genau sagen.

Die unter 12-Jährigen sind zwar noch nicht unmittelbar vom DFB-Masterplan betroffen, jedoch in Zukunft. Es gab darum in den letzten Wochen viel Aufruhr, auch durch den offenen Brief deinerseits. Eventuell kannst du kurz erklären, wie es dazu kam?
Zu dem Zeitpunkt, als erstmals in den Medien berichtet wurde, wussten wir als Verein nichts über diesen möglichen Plan. In der doch eher einseitigen Darstellung war die Rede von der Teilung des Jugendbereiches, die Amateure sollten ausgeschlossen werden. Das war wie ein Schlag ins Gesicht für uns, wir saßen gerade in der Geschäftsstelle, als uns die Nachricht erreichte.

Und den angestauten Ärger wollte man loswerden?
Wir als Hertha 03 Zehlendorf haben in den letzten Jahren so viel für unseren Jugendbereich getan. Viel Zeit, Aufwand und Geld investiert. Es ist ein sehr wichtiger Bereich für unser Vereinsleben. Wir waren einfach enttäuscht. Der Brief war dann eine spontane Reaktion. Es wäre nicht nur für den Verein, sondern auch für die Spieler ein harter Schlag. Wir spielen mit der U17 in der Junioren-Bundesliga. Was das für ein Gefühl für die Jungs ist, wenn der HSV hier mit dem Bus angereist kommt und dann als Verlierer wieder nach Hause fährt. Die Spieler können sich hier erstmal entwickeln und dann ihren Weg gehen. Wir können ihnen eine Perspektive bieten. Der Vorstoß hat etwas von einer Zwei-Klassen-Gesellschaft. Es passt zum arroganten Verhalten der Offiziellen in den vergangenen Wochen und Monaten. Genau wie die Streichung der eher lächerlichen Junioren-Regionalliga Teams, die sich alle Mannschaften in Deutschland teilen mussten. Es spiegelt das Gesamtbild des DFB wider.

Wie waren denn die Reaktionen auf den Brief? Hast du das Gefühl, dass es etwas gebracht hat?
Es gab im Anschluss, bis jetzt, viel Bewegung in der Angelegenheit. Der Brief wurde häufig gelesen, hunderte Mal im Facebook geteilt – das hat mich schon gefreut. Vom DFB habe ich im Anschluss einige Anrufe erhalten. Die Verantwortlichen wollen mich überzeugen, dass sie das richtige Konzept für die Zukunft vorliegen haben, wir haben viel diskutiert. Vom Verband gab es dann eine Stellungnahme. Es betrifft ja nicht nur die Vereine in Berlin, sondern bundesweit. Da gab es einen großen Aufschrei. Die Entscheidung wurde nun erstmal um ein halbes Jahr vertagt. Die Verantwortlichen werden die Zeit nutzen, einige Beruhigungspillen zu versenden, sie werden ihr Konzept aber weiterhin durchsetzen wollen.

Wie kann man dagegen vorgehen?
Wir müssen eine Extremhaltung einnehmen. Das Konzept hat eigentlich nichts Gutes. Na klar, auf über 180 Seiten und bei dem investierten Geld wird auch etwas Gutes drin stehen, aber insgesamt ist das Konzept im Gedankengang closed. Für mich stellt sich auch die Frage, wer von der Umsetzung profitieren soll? Die Nationalmannschaft? Die Obersten machen den Filter, aus denen sie sich Talente ziehen können, durch die Trennung noch kleiner als er derzeit ohnehin schon ist. Wir als Hertha 03 Zehlendorf stellen derzeit jährlich 10–15 Spieler für Nachwuchsleistungszentren bereit. Die Jungs gehen dort bei Hertha, Leipzig, Wolfsburg oder auch Frankfurt ihren Weg. In diesem Jahr sind viele direkt Stammspieler, Kapitän oder auch Junioren-Nationalspieler geworden. Der Filter ist dann zu.

Die Spieler könnten ja dann bereits früher in ein Nachwuchsleistungszentrum wechseln?
Und würden sich dem Druck noch früher aussetzen. Bei uns können sie sich in Ruhe entwickeln. Für uns würde sich durch die Trennung zwischen Profis und Amateure auch die Frage stellen, ob wir überhaupt noch diesen Aufwand für die Junioren-Regionalliga betreiben wollen. Weiter nach oben kann es ja dann nicht gehen. Es gibt keine Ziele mehr. In meinen Augen geht es nur um einen bestimmten Kreis Spielerberater, die sich dann nicht mehr deutschlandweit die Talente anschauen müssen, sondern sich auf ihre wenigen Nachwuchsleistungszentren konzentrieren können. Wir müssen auf jeden Fall dran bleiben und dagegen angehen. Unser Verbandspräsident, Bernd Schultz, würde sich eine diplomatische Lösung wünschen. Aber wo war die Diplomatie, als wir hätten informiert werden sollen? Ohne andere Leute an der Spitze wird sich der Masterplan nicht mehr ändern. Dann erreichen wir mit Diplomatie auch nicht viel.

Gab es denn schon Gespräche mit den anderen Berliner Vereinen. Wie sind dort die Meinungen?
100% der acht Vereine waren unserer Meinung, 80% haben uns dabei auch gestützt, dass wir härter gegen den Vorstoß vorgehen müssen. Wir müssen die Zeit nutzen und Klartext reden. Die Strukturen müssen sich ändern. Es geht um unsere Jugend, um den Traum Bundesliga, aber auch um die Trainertalente, die wir dann verlieren würden.

Müssen sich die Vereine in Deutschland organisieren, oder wem wird hier die Verantwortung übertragen?
Wir als Vereine müssen unsere Meinung an die Landesverbände weitergeben, diese müssen sich dann zusammenschließen und den Druck ausüben. Als Hertha 03 haben wir auch die Erwartung, dass wir uns dort durch Bernd Schultz und Andreas Kupper, die uns auch beim NOFV präsentieren und vertreten, dementsprechend Gehör verschaffen. Sie müssen uns eine Plattform erwerben.

Aufrufe: 018.12.2020, 12:10 Uhr
Marcel PetersAutor