2024-04-25T14:35:39.956Z

Interview
Das Ziel heißt weiter Profifußball – der Weg dahin ist jedoch schwer: Lucas Scholl. Sven Leifer
Das Ziel heißt weiter Profifußball – der Weg dahin ist jedoch schwer: Lucas Scholl. Sven Leifer

Herr Scholl, war's das mit der Karriere?

VfR Garching: Neuzugang Lucas Scholl spricht im Interview über seine Leidenszeit +++ "Ich war komplett aus dem Leben"

Lucas Scholl, ausgebildet beim FC Bayern, ist zurück in die Heimat zum VfR Garching gewechselt. Im großen Interview spricht der 23-Jährige über schwierige Jahre.
  • Lucas Scholl, Sohn von Bayern-Legende Mehmet, durfte mit 17 Jahren bereits bei Pep Guardiola beim Rekordmeister mittrainieren.
  • Nach seinem Abgang aus München wechselte er zum inzwischen insolventen Regionalligist Wacker Nordhausen, ehe er in der Winterpause zurück in die Heimat zum VfR Garching zurückgekehrt ist.
  • Im Interview spricht der 23-Jährige über Zeiten in seiner Karriere und dem Traum vom Profi-Fußball.

München Lucas Scholl trainierte mit 17 unter Pep Guardiola. Danach ging es nur noch bergab. Nach einer Lungenentzündung konnte er nicht mehr Treppen steigen. Sein Club Wacker Nordhausen ging im vergangenen Winter insolvent. Über den VfR Garching wollte Scholl zeigen, dass er mit 23 immer noch das Zeug zum Profi hat. Doch das Coronavirus gefährdet seinen Karriere-Traum.

Sie haben als 17-Jähriger bei den Bayern-Profis unter Pep Guardiola trainiert. Wie schwer war es für Sie, auf dem Boden zu bleiben?

Es kommt auf den Charakter an. Es gibt Spieler wie Sancho, die mit 17 schon brutal weit sind. Emre Mor oder Kai Havertz haben es in diesem Alter gepackt. Aber es gibt auch Fälle, die den Profifußball als 17-Jähriger nicht verkraften. Ich war leider einer dieser Fälle.

„Pep hat mir brutal viel beigebracht“

Was genau haben Sie nicht verkraftet?

Bei den Bayern-Profis musste ich im Grunde eine komplett neue Sportart lernen. Zwischen den Bayern-Profis und der U19 liegen Welten. Pep hat mir brutal viel beigebracht und sich sehr um mich bemüht. Aber das Tempo war brutal. Ich stand mit Ribéry und Robben auf dem Platz und dachte nur: Das werde ich in meinem ganzen Leben niemals lernen.

„Pep hat sich sehr um mich bemüht“: Lucas Scholl 2014 mit dem damaligen Bayern-Coach Guardiola.
„Pep hat sich sehr um mich bemüht“: Lucas Scholl 2014 mit dem damaligen Bayern-Coach Guardiola. – Foto: sampics

Kam der Schritt zu früh, mit 17 Jahren mit den Bayern-Profis zu trainieren?

Es fällt mir sehr schwer, dieses Gefühl zu beschreiben. Klar denkt man: Geil, ich bin bei den Profis. Mir war aber bewusst, wie viel mir als Fußballer fehlt. Ich habe gesehen, wie hart ich noch trainieren muss, um nur ansatzweise bei diesem Tempo mithalten zu können. Ich war bei Bayern nicht der einzige Spieler, der damit Schwierigkeiten hatte. Sinan Kurt ist ein begnadeter Fußballer. Aber ihm hat es auch nicht gutgetan, dass er bei den Profis trainiert hat.

Lucas Scholl: „Ich habe bei Bayern nichts erreicht“

Sie sind trotzdem jeden Tag mit dem Wunsch an die Säbener Straße gefahren, sich bei den Profis durchzusetzen. Gab es Momente, wo Sie dachten, dass es nicht reicht?

Ich habe bei Bayern nichts erreicht. Ich war im Profi-Training dabei und habe ein paar Testspiele mitgemacht. Wer aber einmal bei den Profis dabei war, will nie wieder zurück. Das ist das Schönste, was dir passieren kann. Es ist brutal schwer zu akzeptieren, dass ich mit 17 bei den Profis trainieren durfte, aber in der U19 gespielt habe. Dann wird man von einem Tag auf den anderen in die U17 geschickt und ist am nächsten Tag wieder bei den Profis dabei. Es gab immer eine Erklärung. Aber als junger Spieler willst du die nicht hören.

Gleichzeitig haben Spieler wie Kai Havertz mit 17 ihr Bundesliga-Debüt gefeiert. Wie sind Sie damit umgegangen?

Das hat mich nicht interessiert. Beim FC Bayern ist der Schritt zu den Profis schwerer als bei jedem anderen Bundesligisten. Ich wusste, dass ich Zeit brauche.

„Ich habe die Fehler nie bei mir gesucht“

Sie hatten auch nach dem Sprung zu den Amateuren Probleme, sich durchzusetzen. Warum?

In der Hinrunde hatte ich Patellasehnen-Probleme am Knie. In der Rückrunde stand ich fast immer auf dem Platz. Aber ich habe nicht gut gespielt. In elf Spielen hatte ich gerade mal eine Vorlage. Heiko Vogel hat sehr viel von mir verlangt. Sein Vertrauen habe ich einfach nicht zurückgezahlt. Ich habe die Fehler nie bei mir gesucht. Schuld waren immer die anderen: die Trainer, die Mitspieler, der Ball, der Platz. Wenn ein Pass nicht angekommen ist, ist der Spieler falsch gelaufen.

War Ihr Nachname beim FC Bayern ein Problem für Ihre Entwicklung?

Ich hatte nie ein Problem damit, dass ich Lucas Scholl heiße.

Hätten Sie gerne einen anderen Nachnamen gehabt?

Ich bin mit diesem Namen groß geworden. Wie ich heiße, hat keine Rolle gespielt. Entscheidend ist die fußballerische Qualität. Am Anfang hat natürlich jeder gesagt: Der spielt dort nur, weil er Scholl heißt. Aber ich habe in der Jugend-Bundesliga, in der BFV-Auswahl und in der Junioren-Nationalmannschaft gespielt. Dort zählt Leistung, kein Nachname.

„Ich konnte einfach nicht mehr bei Bayern sein“

Im Winter 2016 haben Sie den FC Bayern verlassen. Warum?

Ich wollte unbedingt weg von Bayern. Es hat für mich keinen Sinn mehr gemacht. Ich habe nie gespielt. Ich konnte einfach nicht mehr. Ich war 19. Ich war ein kleines Kind und wollte endlich wieder zocken. Es war mir egal, ob ich in der 8. Liga oder in der Champions League spiele. Ich wollte endlich wieder ein Pflichtspiel machen. Ich hatte in der Hinrunde nur 70 Minuten gespielt. Klar hätte ich erst mal vor der eigenen Haustüre kehren müssen. Ich hätte noch härter trainieren müssen. Die Flucht war ein großer Fehler. Aber ich konnte einfach nicht mehr bei Bayern sein.

Offene Worte: Lucas Scholl im Gespräch mit Redakteur Christoph Seidl.
Offene Worte: Lucas Scholl im Gespräch mit Redakteur Christoph Seidl. – Foto: Sven Leifer

Mit 23 Jahren sind Sie immer noch Regionalliga-Spieler. Wie gehen Sie damit um, dass Sie die eigenen Ansprüche noch nicht erfüllen können?

Ich weiß, dass ich vom Talent her viel höher spielen muss. Ich kämpfe immer noch für dieses Ziel. Vor allem, weil ich immer noch an meine Qualität glaube. Keiner schießt in der Regionalliga bessere Freistöße als ich. Das können heute nur noch wenige Spieler. Ich hatte in meiner Karriere aber nicht nur Glück.

In Nordhausen lief es zunächst richtig gut. Sie waren Stammspieler.

Ich hatte im Winter 2017 Angebote, wollte aber in Nordhausen bleiben. Das war im Nachhinein richtig. Ich habe aus dem Nichts eine Lungenentzündung bekommen. Ich war abends noch mit dem Hund spazieren und habe meine Frau angerufen und meinte: Mir geht’s nicht so gut. Sie dachte, das ist wieder nur eine Ausrede, um nicht ins Fitnessstudio zu gehen. Innerhalb einer Stunde hatte ich 40 Grad Fieber und bin ins Krankenhaus gefahren.

Lange Leidenszeit nach Lungenentzündung

Der Beginn einer Leidenszeit.

Nach der Diagnose dachte ich: Lungenentzündung? Ist nicht so schlimm. Bis ich gemerkt habe, was mit meinem Körper los ist. Ich war nach einem Zehn-Minuten-Spaziergang tot. Wenn ich eine Treppe nach oben gegangen bin, hat mich das zerstört. Ich musste mittags vier Stunden schlafen, weil ich so kaputt war. Ich habe in drei Monaten zehn Kilo abgenommen. Als ich zurück im Training war, war ich in einem katastrophalen Zustand. Im Training bin ich umgeknickt, es hat geknackt. Der Fuß war nicht geschwollen. Ich hatte Tage, an denen ich keine Schmerzen gespürt habe und dachte: Passt alles. Ich habe weitergespielt. Leider bin ich erst drei Wochen später in München zum Arzt. Ich hatte sechs Wochen Gips. In dieser Zeit ist meine Tochter zur Welt gekommen. Ich lag nur auf der Couch. Ich war komplett aus dem Leben.

Stellt sich ein Sportler die Frage: Warum passiert mir das?

Mit 17 habe ich nicht geschätzt, was ich bei Bayern hatte. Aber das Leben holt einen ein. So tief zu fallen, ist heftig. Im Winter ist auch noch mein Verein Nordhausen insolvent gegangen. Uns wurde monatelang versprochen, dass wir Gehalt bekommen. Aber es kam nichts mehr. Um erwachsen zu werden, haben mich all diese Erfahrungen wach werden lassen. Und ich hatte immer meine Familie an meiner Seite: Papa, Mama und meine Frau.

Der VfR Garching sollte Ihr Sprungbrett nach oben sein. Jetzt kam das Coronavirus dazwischen. War es das jetzt mit der Profi-Karriere?

Peter Wenninger war beim FC Bayern mein Ersatz-Papa. Er hat mir immer gesagt: Alles hat seinen tieferen Sinn. Ich trainiere im Keller mit Andi Walter über Facetime. Er ist Ringer. Dieses Training hält ein Fußballer keine zwei Sekunden durch. Ringer trainieren bei jeder Einheit so, dass sie danach gerade noch halbwegs stehen können. Ich möchte die Quarantäne nutzen. Mich bringt das Training nach vorne: Ich habe fünf Kilo zugenommen.

Aufrufe: 031.3.2020, 10:33 Uhr
Münchner Merkur / tz / Christoph SeidlAutor