2024-05-10T08:19:16.237Z

Allgemeines
– Foto: Swaantje Hehmann

Osnabrück: Die Abrechnung eines Schiedsrichters

Lehrwart des Fußball-Stadtkreises hört auf und äußert mehrere schwere Vorwürfe

Tritt der Lehrwart einer lokalen Schiedsrichtergruppe zurück, erregt dies meist keine große Aufmerksamkeit. Bei Jens Pleisters Rückzug von den Osnabrücker Stadtfußball-Referees liegen die Dinge anders. Die lange Erklärung des 26-Jährigen zu den Gründen für den Schritt ist nicht weniger als eine Abrechnung mit den Schattenseiten des Amateurfußballs – mit latenten Gewaltexzessen, fehlendem Respekt vor und Schutz der Unparteiischen sowie Übergriffen selbst im Alltagsleben.

Wie sah Pleisters Schritt genau aus? Der Osnabrücker Lehrer, seit 13 Jahren aktiver Fußball-Schiedsrichter und seit fünfeinhalb Jahren im Ausschuss der Stadtreferees aktiv, legte am Sonntag alle Ämter nieder und seine Pfeife für immer weg. Dazu ließ er über Schiedsrichter-Obmann Torsten Aderhold ein dreiseitiges Statement zu seinem Rücktritt an alle Stadt-Referees verschicken.

Wie lauten Pleisters Hauptvorwürfe? „Ein Schiedsrichter ist heutzutage ein Abfallprodukt von Menschen, die nicht verlieren können oder einfach ihren Frust aus Alltags- und Berufsleben an ihm auslassen“, sagt Pleister im Gespräch mit den NOZ Medien. Pleister blickt hier auch auf bestimmte Gesellschaftsschichten mit gesteigertem Aggressionspotenzial, die man im Fußball eher finde als in anderen Sportarten wie Handball oder Volleyball.

Was war Auslöser für Pleisters Rückzug? Die jüngsten Vorfälle beim Addi-Vetter-Cup: Pleister leitete ein Spiel, das in einer Rudelbildung, wüsten Drohungen sowie im Zeigen eines Hitlergrußes durch einen Fußballer eskalierte und in Tumulten im Kabinengang plus Polizeieinsatz seine Fortsetzung fand. Der 26-Jährige legt aber Wert darauf, dass seiner Entscheidung ein langer Nachdenk-Prozess über Negativerlebnisse vorausging – wie über die ständige verbale Gewalt, der ein Schiedsrichter ausgesetzt ist.

Welche weiteren Vorfälle benennt Pleister? Den Sommertag, als er durch die Fußgängerzone lief und plötzlich mit „Scheiß Schiedsrichter“ angeschrien wurde. Befreundeten Kollegen, die beim Biertrinken in einer Kneipe als Referees erkannt wurden und dann als „Rassisten-Schiris“ beleidigt wurden. Ein D-Jugendturnier in Schledehausen, bei dem ein frustrierter ausgeschiedener Trainer aus Mönchengladbach entgegen der Tatsachen behauptet habe, Pleister habe seine zwölfjährigen Spieler beleidigt. Ein Vorfall, den Pleisters Schüler mitbekommen hatten, sodass sich der damals in Ausbildung befindliche Lehrer tags darauf vor ihnen rechtfertigen musste.

Welche weiteren Vorwürfe erhebt Pleister? Seitens der Organisatoren des Amateurfußballs gebe es viel zu wenig Rückhalt für die Referees. „Von unserem Kreisvorsitzenden heißt es immer, Ausfälle gegen Schiedsrichter gibt es überall, nur nicht in Osnabrück“, so Pleister. Als Beispiel nennt er einen vor einem Jahr nach einem Gewaltausfall lebenslang vom Verband gesperrten Fußballer. „Allein wegen der Erlebnisse, die ich schon zuvor mit ihm hatte, hätte der niemals mehr Fußball spielen dürfen“, so Pleister, der in diesem Zusammenhang auch Vereine kritisiert. „Man zieht sich ja oft auf Einzeltätertheorien zurück. Aber Vereine haben auch Verantwortung, wenn sie trotz Kenntnis solcher Vorgeschichten solche Spieler wieder aufnehmen – und dann wieder etwas passiert.“

Welche Reaktionen gibt es auf Pleisters Rücktritt? „Bei mir herrscht große Enttäuschung – und großes Verständnis“, sagt Stadtschiedsrichter-Obmann Aderhold. Enttäuschung, da man den wichtigsten Mann im Ausschuss verliere, der gerade Jungschiedsrichter vorzüglich aus- und weitergebildet habe, was erhebliche Folgen für die Generierung des für den Fortbestand des Spiels elementaren Schiedsrichter-Nachwuchs haben könnte. „Verständnis, weil sein Frust über einen langen Zeitraum so groß geworden ist, dass er aus seiner Sicht die Reißleine ziehen musste“, so Aderhold, der in vielen Gesprächen noch versucht hatte, Pleister bei der Stange zu halten.
„Das ist höchst bedauerlich: Wieder ein guter Mann, der sagt: Ich pfeife nicht mehr“, sagt Frank Schmidt. Der Vorsitzende des Fußball-Stadtkreises kritisiert aber die Art und Weise der Kommunikation Pleisters: „Es wäre mir lieber gewesen, wir hätten uns mal zusammengesetzt. Die nun geäußerten Vorwürfe sind mir in Teilen zu pauschal.“

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Kommentar von NOZ-Redakteur Benjamin Kraus zum Pleister-Rücktritt: Respekt - es ist eigentlich ganz einfach

Der entscheidende Punkt nach dem Rücktritt von Jens Pleister ist nicht, ob er in allen Details seiner Erklärung recht hat. Liest man die drei Seiten genau, findet man Stellen, die zum Widerspruch anregen – etwa, als er etwas zu pauschal behauptet, Vereine würden die Rechte der Schiedsrichter nicht achten. Klar, dass Pleister angesichts des für ihn persönlich großen Schritts nicht frei von Emotionalität formuliert hat.

Fakt ist: Da wirft ein Referee, der schon als 20-Jähriger im Bezirk pfiff und dann als Lehrwart das verantwortungsvollste Amt im Schiedsrichterkreis übernahm, hin und legt eine Erklärung vor. Mutig. Da setzt einer ein klares Zeichen und stellt sich dennoch einer Debatte.

Und die muss geführt werden angesichts immer wieder neu auftretender Vorfälle von Gewalt und Aggression. Gegen Schiedsrichter, generell auf dem Fußballplatz, aber auch darüber hinaus.

Menschen, die Zeit investieren, damit andere kicken können, werden in ihrer Freizeit wegen der Ausübung ihres Ehrenamtes beleidigt und müssen am Arbeitsplatz Nachteile befürchten. Das ist eine Qualität gesellschaftlicher Verrohung, gegen die alle vorgehen müssen. Ebenso, wenn Kicker Mitspieler dulden, die jenseits des fairen körperbetonten Spiels zu Gewalt aufwiegeln. Oder wenn Spieler mit Migrationshintergrund Deutsche als Nazis beschimpfen sowie umgekehrt rassistische Parolen fallen.

Es ist eigentlich so einfach: 23 Menschen kommen für ein Spiel zusammen. Damit das für alle gut läuft, braucht es vor allem eins: Respekt. Ein Wort, das jeder versteht. Und nicht nur beim Fußball der entscheidende Punkt.

– Foto: imago images/Schroedter

Aufrufe: 025.1.2020, 07:55 Uhr
Benjamin Kraus / NOZAutor