2024-05-02T16:12:49.858Z

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Foto: Andreas Endermann
Foto: Andreas Endermann

"Ich hab schon Spieler von der Polizei abgeholt" - Teil 2

Als Libero stürmte Hans-Günter Bruns in die Jahrhundertelf von Borussia Mönchengladbach, als Trainer ist er eher im Amateurfußball unterwegs. Was will er auch nach vier Jahrzehnten noch in diesem Job?

Hans-Günter Bruns hat schon Schlimmeres überstanden, zum Beispiel einen Herzinfarkt. Im April 2017 teilte der Oberhausener Landesligist Arminia Klosterhardt seinem Trainer mit, dass er von seinen Aufgaben entbunden ist. Deshalb erlebt der frühere Profi von Borussia Mönchengladbach gerade etwas, das er kaum kennt: fußballfreie Zeit. Doch über Fußball reden, geht selbstverständlich immer.

...Fortsetzung:

Eigentlich hatten wir klären wollen, warum Sie in Oberhausen gelandet sind.

Das hat sich einfach so ergeben. Vor 18 Jahren bin ich von Mülheim hingezogen.

Wie haben Sie Rot-Weiß Oberhausen von der vierten in die zweite Liga geführt?

Jedenfalls war es kein Zufall. Das größte Plus: Bis auf zwei, drei Spieler war nichts mehr da. Ich habe nach und nach den Kader aufgefüllt, Spieler geholt, die kaum jemandem was gesagt haben.

Wo hatten Sie die her?

Das ist der große Vorteil, wenn man sich ständig auf dem Fußballplatz bewegt. Ich hatte ein Buch mit hundert Spielern für alle möglichen Ligen. Ein Mike Terranova spielte damals in der Zweiten vom Wuppertaler SV, ein Dimi Pappas in der Zweiten von Rot-Weiss Essen in der Landesliga, aber ich habe den schon in Hagen gesehen. Ich wusste, dass die besser sind als die Liga, in der sie spielen. Innerhalb der Mannschaft war eine ganz besondere Atmosphäre, aber das Umfeld war schwierig. Die Ansprüche waren schon nach kurzer Zeit viel zu hoch für das, was die Mannschaft leisten konnte. Da reichte es nicht, in der Oberliga vorne dabei zu sein, da sollte auch gut gespielt werden.

Später hat der Verein Sie rausgeworfen.

Da fing die Spinnerei an, jeder wusste alles besser. Sobald beim Umfeld die Ansprüche übertrieben steigen, ist der Punkt gekommen, wo du weißt: Jetzt geht es abwärts. Du brauchst Typen, die klar in der Birne sind.

Nach den Stationen in Wuppertal und Velbert wollten Sie eigentlich aufhören. Und haben dann doch bei Arminia Klosterhardt angeheuert.

Ich wollte nur nicht mehr in einer höheren Liga trainieren. Davon war ich geheilt. Es ist immer schlimmer geworden, was die Gremien angeht. Die waren ja früher schon schlimm, aber heute? Unfassbar.

Die lassen einen Trainer nicht in Ruhe arbeiten?

Nein. Wenn ich mir die Trainerentlassungen in den höheren Ligen ansehe, scheinen Leute die Entscheidungen zu treffen, die wirklich gar keine Ahnung haben. Aufsichtsräte sind das schlimmste, was es im Fußball gibt. Die haben in ihrem normalen Leben was erreicht und meinen deshalb mitreden zu können. Oberhausen hat es den Gremien zu verdanken, dass der Verein von der zweiten wieder in die vierte Liga abgestiegen ist.

Was haben die Amateure den Profiligen sonst voraus?

Dort wird zielgerichtet Fußball gespielt, während die meisten Bundesligavereine auf Ballbesitz aus sind. Die wenigsten wissen, dass man über Ballbesitz auch Tore machen kann. Mittlerweile gucke ich mir keine Bundesligaspiele mehr an, nur Mönchengladbach, aber das hat mit Emotionen zu tun. Dieser Fußball ist mir zu langweilig. Das ist in den unteren Klassen nicht so. Weil sie den Ball nicht halten können, müssen sie Richtung Tor spielen. Da kann die Bundesliga lernen. Wird sie aber nicht. Sie denkt ja, dass dieser Fußball attraktiv ist. Wenn die Zuschauer Fußball sehen wollen, müssten sie eigentlich zu den Amateuren gehen. Aber die wollen keinen Fußball sehen, die wollen an einem Event teilnehmen. Aber Ich schaue mir doch Fußballspiele an, um Tore zu sehen, nicht um mir Mannschaften anzugucken, die eine Dreiviertelstunde am Stück Ballbesitz haben und nichts passiert.

Die Bundesligavereine wollen eben zuerst mal kein Gegentor kassieren.

Entweder man will Fußball spielen oder Fußball verhindern. Ohne die Einzelleistungen wäre die Bundesliga unspektakulär. Das sind top ausgebildete Jungs, viel athletischer als wir früher, aber die nutzen maximal 60 bis 70 Prozent, weil sie ganz bestimmte Aufgaben zu erledigen haben.

Wie unterscheidet sich Ihr Job als Amateurtrainer von dem eines Profitrainers?

Es gibt doch gar keinen Unterschied. Ich sage ja, wer lesen kann, kann auch Trainer sein. Und dann muss der Trainer seine Philosophie einbringen.

Sie könnten also auch eine Bundesligamannschaft trainieren?

Warum nicht?

Aber Sie haben keine Lust mehr?

Nä. Nicht noch mal mit den Leuten rumschlagen.

Müssen Sie auch mal einen Spieler aus dem Bett klingeln, weil der sonntags nicht rechtzeitig auftaucht?

Das nicht, aber ich habe schon mal Spieler morgens bei der Polizei abgeholt, weil sie in eine Saalschlägerei verwickelt waren. Das ist eben der Amateurbereich.

Welche Spielertypen begeistern Sie bis heute?

Ich weiß noch ganz genau, wie Jupp Heynckes zu mir gekommen ist. Damals war ich Mannschaftskapitän, und er sagte: Da kommt morgen jemand zum Probetraining. Guck dir den mal an und sag mir deine Meinung. Das habe ich getan. Der Kerl konnte mit links und mit rechts ein Pferd umschießen. Ich habe nie jemanden gesehen, der so beidfüßig war wie der. Der wusste selbst nicht, was sein starker Fuß ist. Ansonsten war der nur willig. Danach fragte Jupp, was ich von ihm hielt. Ich sagte: Der hat totalen Biss, fußballerisch ist der natürlich sehr limitiert. Jupp stimmte zu und sagte: Aber irgendwas hat der. Tja, Uli Borowka ist dann Nationalspieler geworden. Nur mit seinem Willen. Jupp hat ihn nach dem Training gegen die Mauer hinterm Stadion schießen lassen. Zehn Minuten nur mit dem rechten Fuß, Innenseite. Zehn Minuten nur mit dem linken Fuß, Innenseite. Zehn Minuten rechter Fuß, Außenseite. Und so weiter.

Was lassen Sie Ihren Spielern durchgehen?

Mir ist es egal, ob ein Spieler in der Disco war, solange er vernünftig spielt. Das habe ich nie verstanden, warum da so ein Heckmeck gemacht wird, weil mal jemand in der Diskothek war. Nach Spielen sind wir in Gladbach auch immer feiern gegangen. Das ist ja heute völlig abhandengekommen. Da muss nur ein Spieler vor der Disco stehen, und schon werden schon 26 Handyfotos gemacht und an die Presse geschickt.

Was können Sie Ihren Spielern vermitteln?

Eine riesige Erfahrung. Ich habe alle möglichen Ligen trainiert, ich habe im Fußball alles erlebt. Wobei es trotzdem immer noch Momente gibt, in denen ich sage: Das habe ich ja überhaupt noch nicht erlebt.

Zum Beispiel, seine Spieler bei der Polizei abzuholen.

Ja gut, die sind da reingeschlittert, haben dementsprechend agiert, zu gut agiert.

Das heißt, die haben die Schlägerei gewonnen?

Genau so war es. Dann bin ich eben mit jemandem vom Vorstand hingefahren, um die abzuholen. Ich habe nur gefragt: Habt Ihr wenigstens ein bisschen geschlafen? Ja, haben sie gesagt. Vier Stunden später war Anpfiff, sie haben gespielt. Und sie haben gut gespielt.

Im vergangenen September haben Sie einen Herzinfarkt erlitten. Hat der Arzt da gesagt: „Herr Bruns, bitte mal ein bisschen weniger trinken und trainieren“?

Moment mal. Eines möchte ich festhalten: Ich hänge nicht an der Flasche. Bei Feierlichkeiten trinke ich gerne mein Alt. Ansonsten nein. Der Arzt meinte, ich hätte noch mal Glück gehabt. Anfang Februar war ich bei der ersten Kontrolle, und er war sehr zufrieden. Die Pumpleistung ist sehr gut. Ich muss mich wenig einschränken. Seit Dezember mache ich wieder selbst Sport. Ergometer, ein paar Geräte. Man sieht es vielleicht nicht, aber ich habe 15 Kilo abgenommen. Meine Ernährung habe ich auch umgestellt.

Erzählen Sie mir nicht, dass Sie mit Low-Carb angefangen haben.

Nein, das nicht, aber ich esse jetzt viel Obst und Gemüse. Früher war ich eher so der Fleischtyp.

Ich hatte mir die Frage notiert, ob Sie den Bauch noch mal loswerden wollen. Offenbar ist das schon gelungen.

Ich wollte unter 100 Kilo. Das habe ich erreicht.

Und nach wenigen Wochen haben Sie schon wieder das Training geleitet. War das nicht ein bisschen früh?

Wieso? Es war ja alles erledigt. Bei mir kam leider noch dazu, dass mein Vater gestorben ist, als ich im Krankenhaus lag. Einen Tag nach der Beerdigung bin ich in die Reha gegangen. Dann hatte ich mal Zeit, die Dinge zu verarbeiten.

Nun müssen Sie zumindest eine Weile ohne einen Trainerjob auskommen. Würden Sie sich auch noch mal Kreisliga antun?

Fußball ist für mich Fußball. In erster Linie muss da eine Mannschaft sein, die auch etwas erreichen möchte. Ich will nur nicht mehr Regionalliga oder höher trainieren, aber ansonsten ist mir die Liga egal. Aber ich bin auch nicht darauf angewiesen, Trainer machen zu müssen. Ich bewerbe mich auch nirgendwo. Wenn einer meint, dass ich ein ordentlicher Trainer wäre, kann er sich gerne melden.

>> Teil 1

Info:

Hans-Günter Bruns
geboren am 15. November 1954 in Mülheim an der Ruhr

Der Spieler
Hans-Günter Bruns kam als Jugendlicher zu Schalke 04 und bestritt dort seine ersten Bundesligaspiele, bevor er zu Wattenscheid 09 wechselte. Seine erfolgreichste Zeit hatte er als Libero von Borussia Mönchengladbach, für die er 331 Bundesligaspiele bestritt. Mit dem Verein gewann er den Uefa-Pokal, mit Fortuna Düsseldorf den DFB-Pokal. Er spielte viermal für die Nationalmannschaft und nahm ohne Einsatz an der Europameisterschaft 1984 teil. Seine Profikarriere beendete er 1990.

Der Trainer
Bereits 1977 am Anfang seiner Profikarriere übernahm Bruns die Mannschaft von Sardegna Oberhausen. Später trainierte er unter anderem Adler Osterfeld, VfB Speldorf und SSVg Velbert. Rot-Weiß Oberhausen führte er innerhalb von zwei Jahren von der vierten in die Zweite Liga. Bis April 2017 trainierte er den Landesligisten Arminia Klosterhardt.

Aufrufe: 017.5.2017, 10:40 Uhr
Sebastian DalkowskiAutor