2024-04-25T14:35:39.956Z

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Foto: Andreas Endermann
Foto: Andreas Endermann

"Ich habe schon Spieler von der Polizei abgeholt" - Teil 1

Als Libero stürmte Hans-Günter Bruns in die Jahrhundertelf von Borussia Mönchengladbach, als Trainer ist er eher im Amateurfußball unterwegs. Was will er auch nach vier Jahrzehnten noch in diesem Job?

Hans-Günter Bruns hat schon Schlimmeres überstanden, zum Beispiel einen Herzinfarkt. Im April 2017 teilte der Oberhausener Landesligist Arminia Klosterhardt seinem Trainer mit, dass er von seinen Aufgaben entbunden ist. Deshalb erlebt der frühere Profi von Borussia Mönchengladbach gerade etwas, das er kaum kennt: fußballfreie Zeit. Doch über Fußball reden, geht selbstverständlich immer.

War’s das mit dem Trainerdasein, Herr Bruns?

Nein, in der Form möchte ich nicht aufhören. Ich fühle mich auch total fit. Ein paar Jahre will ich schon noch weitermachen.

Es ist nicht Ihre erste Entlassung. Trifft Sie das noch?

Was mich daran stört, ist der pure Aktionismus. In Deutschland herrscht ja die Meinung vor, dass solche Entlassungen etwas bringen. Aber die Statistiken sagen etwas ganz anderes. Der Trainer ist eben das schwächste Glied. Aber ich bin aus dem Alter raus, in dem mich das großartig belastet. Es ist nur schade für meine Mannschaft, die war wirklich nicht schlecht. Das waren nette Jungs.

Wirklich wahr, dass Sie mit 23 Ihren ersten Trainerjob übernommen haben?

Das stimmt. Damals war ich gerade zu Wattenscheid gewechselt und habe Pasqualino Dente kennengelernt, der zu einem sehr guten Freund wurde. Sein erster Sohn war mein Patenkind. Pasqualino spielte beim FC Sardegna Oberhausen in der Kreisliga B und fragte mich eines Tages, ob ich denen nicht einmal in der Woche was zeigen könnte. Daraus wurde gleich zweimal in der Woche. So bin ich in die Sache hineingeraten.

Sie hatten doch gar keine Erfahrung als Trainer.

Ich hatte mal eine E-Jugend in Mülheim trainiert.

Sie waren damals bereits Profi. Wozu haben Sie sich noch den Trainerjob angetan?

Das war für mich nichts Besonderes. Außerdem hat ein Profifußballer eine Menge Zeit, selbst an den Tagen, an denen zweimal trainiert wird.

Kaum vorstellbar, dass heute ein Bundesligaspieler nebenbei noch eine Mannschaft trainiert.

Ich glaube auch nicht, dass die auf so was kommen würden.

Was hat Jupp Heynckes zu Ihrem Nebenjob gesagt?

Als es Richtung Landesliga, Oberliga ging, habe ich das mit ihm abgesprochen. Klar war, dass Borussia immer vorging. Aber die Spiele der Amateure waren sonntags, früher hat die Bundesliga da nicht gespielt. Heynckes hatte nie Vorbehalte. Er wusste, wie ich mit der Geschichte umgehe.

Haben Sie in den vergangenen 40 Jahren auch mal keine Mannschaft trainiert?

Nie länger als zwei Jahre. Bis auf Kreisliga C und 1. Liga habe ich alles trainiert, weil ich die unterschiedlichen Klassen kennenlernen wollte. Ich konnte ja nicht von dem ausgehen, was ich als Fußballer zu leisten imstande war. Da muss man Abstriche machen.

Hat Ihnen das was ausgemacht?

Zu Beginn ja. Ich habe schon von Anfang an berücksichtigt, dass sie nicht so spielen konnten, wie ich gerne spielen würde oder selbst spielen konnte. Aber ich habe mich auch bei dem Gedanken ertappt: Also den hätte er jetzt mal anders machen können. Ich habe dazugelernt. Trotzdem hatte ich schon immer meine Prinzipien, das ist eine meiner Stärken.

Und zwar?

Es ist wichtig, dass eine Mannschaft Disziplin hat. Wer keine Disziplin hat, den sortiere ich aus. Fehlende Disziplin ist eindeutig schlimmer als fehlendes Talent.

Wollten Sie Bundesligatrainer werden?

Weniger. Mein Ziel war es, mit meiner Philosophie von Fußball mal nach oben zu kommen. Das habe ich mit Rot-Weiß Oberhausen geschafft.

Ihr größter Erfolg.

Würde ich nicht mal sagen. Wenn es darum geht, mit welchem Material ich was erreicht habe, war Sardegna Oberhausen eindeutig höher einzuschätzen. Als ich die Mannschaft in den 90ern erneut übernahm, waren die in der Bezirksliga achter oder neunter geworden. In der Sommerpause hat sich die Mannschaft nur auf zwei, drei Positionen verändert – und wir sind in die Landesliga aufgestiegen. Dann sind wieder zwei, drei Spieler dazugekommen – und wir sind in die Verbandsliga aufgestiegen. Die haben wir sogar noch ein Jahr gehalten.

Was haben Sie in diesem Team bewirkt?

Ich habe den Spielern zu verstehen gegeben, dass sie Fehler machen können, aber von ihnen erwarte, dass sie alles, und damit meine ich alles, in einem Spiel geben. Wenn eine Mannschaft bereit ist, alles zu geben, um ein Spiel zu gewinnen, dann ist alles andere zweitrangig.

Das will jeder Trainer erreichen. Wie haben Sie das geschafft?

Vielleicht kann ich den Spielern das so vermitteln, dass sie merken: Er meint das ernst. Training kann man lernen. Jeder, der ein Buch lesen kann, kann Übungen leiten. Der entscheidende Punkt ist, das mit Leben zu füllen. Mannschaftsführung ist meine größte Stärke.

Sind Sie Kumpel oder Autorität?

Sowohl als auch. Ich kann mit den Jungs einen trinken gehen, aber genauso kann ich jemanden, mit dem ich am Tag vorher noch Arm in Arm im Klubhaus gesungen habe, zusammenfalten, wenn der irgendwas macht, mit dem ich nicht einverstanden bin.

War bei den Amateuren früher alles besser?

Eindeutig ja. Heute kommt kein Jugendlicher mehr darauf, sich außerhalb vom Training mit Fußball zu beschäftigen. Es sei denn, Bayern, Dortmund oder Schalke spielen. Wenn bei uns früher die Erste gespielt hat, waren von hundert Jugendspielern siebzig da. Heute stehen da vielleicht noch sieben, weil die das gar nicht interessiert. Die wollen alle Fußballprofi werden, haben aber nicht den Hauch einer Ahnung, was man dafür machen muss. Die glauben: Ich spiele ein bisschen Fußball und dann schaue ich mal, ob mich jemand sichtet.

Wie haben sich denn die erwachsenen Spieler verändert?

Völlig. Früher ging es nach dem Spiel ins Klubhaus und dann holla, die Waldfee. Das hast du heute nicht mehr. 80 Prozent der Spieler sind nach dem Spiel weg. Da spielen auch die Frauen eine ganz große Rolle.

Was haben die damit zu tun?

Heute entscheidet doch häufig die Freundin oder die Frau, was die machen oder nicht machen. Viel Zeit für Fußball ist da nicht vorgesehen. Ich habe viele Spieler erlebt, die an der Freundin fußballerisch gescheitert sind. Das waren talentierte Spieler, die aber auch eine Menge Zeit mit ihrer Freundin verbringen wollten. Wenn man wirklich was erreichen will, braucht man eine Frau, die das mitträgt, oder man muss sich eine andere Freundin suchen.

Oder keine.

Wir wollen mal nicht direkt übertreiben.

Sie können allerdings schlecht von Ihren Spielern verlangen, weniger Zeit mit der Freundin zu verbringen.

Klar, das geht nicht. Die Jungs hier bei Arminia können auch schon feiern und geben nicht nur beim Fußball alles, sondern auch am Glas, wenn Mannschaftsabend ist. Aber das ist bei Weitem nicht so wie früher. Wenn wir uns samstagabends im Klubhaus getroffen haben, saß die Hälfte von denen immer noch da, wenn ich sonntags wieder zum Spiel gekommen bin.

Wurde früher mehr getrunken?

Das auf jeden Fall.

Also nach jedem Spiel ein Kasten?

Den Kasten gibt es heute auch noch, nur sieht der völlig anders aus. Früher bestand der aus Pils, Alt und zwei, drei Cola, heute ist es eine bunte Platte. Sprite, Fanta, Cola, Cola Light – und Alt für Trainer, Co-Trainer und Betreuer.

Ein Trainer sollte doch eigentlich froh sein, wenn die Spieler weniger trinken.

Aber ich vermisse die Geselligkeit. Ich bin ein sehr geselliger Typ. Da wächst auch eine Menge untereinander. Zwei sehr sehr gute Freunde sind frühere Spieler von mir. Wir treffen uns alle fünf, sechs Wochen in unserer Uralt-Kneipe und machen nichts anderes, als zu darten und uns wegzuschießen.

Alle Ihre Trainerstationen lagen in Oberhausen oder in der Nähe von Oberhausen. Zufall?

Nee, ich bin ja damals nie aus Mülheim weggezogen. In Schalke war ich kurz mal in diesem Internat. Aber das war eigentlich keines. Ich glaube, die vom Verein wussten gar nicht, dass wir da wohnten. Sie können sich vorstellen, was da so abläuft, wenn 17-Jährige alleingelassen werden. Im obersten Stock im Casino an der Trapprennbahn in Gelsenkirchen sind wir ein- und ausgegangen, zu jeder Tag- und Nachtzeit. Das wäre heute sofort Titelseite der Bildzeitung. Wenn ich ein Buch über mein Leben schreiben würde, käme zwanzigmal die Aussage: Das wäre heute gar nicht mehr möglich.

Waren Sie immer vollkommen nüchtern auf dem Platz?

Im Grunde genommen ja.

Im Grunde genommen?

Nicht bei Freundschaftsspielen. Da fällt mir meine letzte Abschlussfahrt mit Mönchengladbach ein. Die letzte Station war der Sauerlandstern. Tja.

Haben Sie noch Erinnerungen daran?

Sehr gute.

Die Sie alle nicht erzählen wollen?

Richtig.

Viel Alkohol?

Viel Alkohol und unglaublich viel gelacht. Wenn dann ein Spieler in der Diskothek eine Polonäse anführt, aber auf den Knien, und alle hängen hinten dran, ist das schon eine Sache, die nicht so ganz gewöhnlich ist.

>> Teil 2 des Interviews...

Info:

Hans-Günter Bruns
geboren am 15. November 1954 in Mülheim an der Ruhr

Der Spieler
Hans-Günter Bruns kam als Jugendlicher zu Schalke 04 und bestritt dort seine ersten Bundesligaspiele, bevor er zu Wattenscheid 09 wechselte. Seine erfolgreichste Zeit hatte er als Libero von Borussia Mönchengladbach, für die er 331 Bundesligaspiele bestritt. Mit dem Verein gewann er den Uefa-Pokal, mit Fortuna Düsseldorf den DFB-Pokal. Er spielte viermal für die Nationalmannschaft und nahm ohne Einsatz an der Europameisterschaft 1984 teil. Seine Profikarriere beendete er 1990.

Der Trainer
Bereits 1977 am Anfang seiner Profikarriere übernahm Bruns die Mannschaft von Sardegna Oberhausen. Später trainierte er unter anderem Adler Osterfeld, VfB Speldorf und SSVg Velbert. Rot-Weiß Oberhausen führte er innerhalb von zwei Jahren von der vierten in die Zweite Liga. Bis April 2017 trainierte er den Landesligisten Arminia Klosterhardt.

Aufrufe: 016.5.2017, 10:00 Uhr
Sebastian DalkowskiAutor