2024-04-30T08:05:46.171Z

Allgemeines
– Foto: Heiko van der Velden

In Neuss holte Borussia den ersten großen Titel

Vor 12.000 Zuschauern im Stadion an der Hammer Landstraße bezwangen Mönchengladbachs Fußballer 1920 als VfTuR 1889 München-Gladbach den Kölner BC im Endspiel um die Westdeutsche Meisterschaft mit 3:1.

Den verheerenden Winterhochwassern 1920 und 1925/26 zum Trotz, die 2013 in die ewigen Jagdgründe eingegangene Platzanlage an der Hammer Landstraße gehörte nach dem 1. Weltkrieg zur Beletage im Lande. Galt zu dieser Zeit, als die großen Stadien in den Nachbarstädten nur Ideen waren, als mustergültig.

Die Heimat des Vereins der Sportfreunde von 1906 (erst am 23. Juli 1946 wurde daraus durch die Fusion mit dem SC Neuß von 1911 der VfR 06 Neuss) war damit prädestiniert für sportliche Top-Ereignisse. So brachte damals die längst legendäre Rheinstaffel der Sportfreunde und TuRU Düsseldorf nicht nur mehr als 5000 Leichtathleten auf Trab, sondern auch gut 200.000 Zuschauer an die Strecke.

Kein Wunder also, dass der Westdeutsche Spiel-Verband Neuss per Telegramm mit der Austragung des Endspiels um die Westdeutsche Meisterschaft zwischen Borussia Mönchengladbach (bis 1921 noch unter dem Namen VfTuR 1989 München-Gladbach) und dem Kölner Ballspielclub 01, aus dem 1948 durch den Zusammenschluss mit der SpVgg Sülz 07 der 1. FC Köln hervorging, beauftragte. Zur Vorbereitung blieb indes weniger als eine Woche. Eine echte Herausforderung, vor allem so kurz nach dem verlorenen Krieg. „1920 war ein unruhiges Jahr“, bestätigt Jens Metzdorf, Leiter des Neusser Stadtarchivs: Im von belgischen Truppen besetzten Rheinland waren die Lebensmittel rationiert, die Arbeitslosenziffern ebenso auf einem Rekordhoch wie die Zahl der Kriegsinvaliden. Seit Januar galt der von den Deutschen mehrheitlich abgelehnte Friedensvertrag von Versailles, im März fand im Deutschen Reich als Reaktion auf den Kapp-Putsch der bislang größte Generalstreik mit zwölf Millionen Menschen statt. Im Westen brach der Ruhraufstand aus.

Trotzdem war Neuss bereit für das sportliche Großereignis. Und das beeindruckt Jens Metzdorf, der auf das im Rhein-Kreis wohl in Vergessenheit geratene Finale im Zuge seiner beruflichen Beschäftigung mit dem Jahr 1920 gestoßen war, kolossal. Von frühester Kindheit an Anhänger der „Gladbacher Fohlen“, ging das Mitglied des Fanklubs „Novesia Allstars“, dessen Schutzpatron statt des Neusser Stadtwappens die Borussia-Raute trägt, ins Detail: Der 25. April 1920 war ein verregneter Sonntag – oder wie es in der Ausgabe der Neuß-Grevenbroicher Zeitung hieß: „Der Wettergott zeigte sein griesgrämiges Muckergesicht.“ Und weiter: „Aber selbst die Möglichkeit, bis auf die Haut durchnässt zu werden, hatte die Sportfreude einer ungeheuren Zuschauermenge nicht einzudämmen vermocht. Schon seit den späten Vormittagsstunden brachten Eisen- und Straßenbahn Scharen von Fremden in unsere Stadt. Lange vor 2 Uhr umsäumten bereits Tausende das Sportfeld und harrten auf den Beginn des Spiels.“

Mit Blick auf die 12.000 Zuschauer, für die rund um das Spielfeld zusätzliche Bänke und Stühle aufgestellt worden waren, schrieb die Neußer Zeitung: „Mit Extrazügen, Autos und Wagen waren bereits morgens früh auswärtige Besucher hierhergekommen und bevölkerten die Promenade, den Stadtgarten und den Weg zum Sportplatz an der Hammer Landstraße. Neuß befand sich nachmittags gleichsam in einem Ausnahmezustand. Der gestrige Sonntag war neben dem Ehrentag für den Rasensport auch ein solcher für unsere Stadt.“

Das pünktlich um 16 Uhr angepfiffene Match hatte alle Zutaten eines Krimis: „In atemloser Spannung stehen die Zuschauer“, teilte die NGZ ihren Lesern mit. Erst zwei Minuten vor Ende der regulären Spielzeit glich Paul Pohl den Kölner Führungstreffer aus der 15. Minute per Handlelfmeter aus. Weil sich der Kölner Keeper August Göbler jedoch zu früh bewegte, ließ Schiedsrichter Wende aus Meiderich den Mittelstürmer noch drei weitere Male antreten, ehe er dem erfolgreichen Versuch die Anerkennung erteilte. In der Verlängerung machen Willi Jansen (111.) und abermals Pohl (114.) mit ihren Treffern zum 3:1-Sieg den bis dahin größten Erfolg in der Vereinsgeschichte der 1900 gegründeten Borussia perfekt. Den strahlenden Champion, der in der anschließenden DM-Endrunde gegen den späteren Vizemeister Spielvereinigung Fürth mit 0:7 unter die Räder kam, hatten die Neusser Sportfreunde noch kurz zuvor mit 3:0 geschlagen und seien damit „moralischer Westdeutscher Meister geworden“, schloss die Neußer Zeitung.

Für die beteiligten Mannschaften und die Fußballer der Sportfreunde 06 ging es damals am Abend noch zum Festbankett ins Stadtgarten-Restaurant – doch diese Geschichte muss mal an anderer Stelle erzählt werden ...

Aufrufe: 030.6.2020, 18:00 Uhr
RP / Dirk SitterleAutor