2024-05-08T14:46:11.570Z

Allgemeines
– Foto: Sascha Köppen

Fummeln ist out

Die früheren Gladbach-Profis Winfried Schäfer und Karlheinz Pflipsen monieren, dass es in Deutschland kaum noch Dribbler gebe, weil das in der Ausbildung zu kurz komme. Bayerns Leroy Sané ist einer der Wenigen dieser Zunft.

Als zuletzt Pelé 80 wurde, gab es viele Filmbeiträge, die sein fußballerisches Werk würdigten. Ein Nebendarsteller in diesen Filmen ist stets Mané Garrincha. Dieser kleine Kerl, der ein X- und ein O-Bein hatte, von denen eines auch noch kürzer war, war ein wundervoller Dribbler, er erhob das Eins-gegen-Eins zur Kunstform. Der Soundtrack zu seinem Spiel ist der Samba, in dessen Rhythmus Garrinchas Bewegungen wie ein wilder Tanz mit dem Ball und dem Gegner wirken.
„Wenn er spielte, wurde der Fußballplatz zur Zirkusmanege und der Ball zum gezähmten Tier, das Spiel eine Einladung zum Feiern. Garrincha ließ sich den Ball nicht abnehmen, ein Kind, das sein Spielzeug verteidigt, das Leder und er trieben Schabernack, dass sich die Zuschauer vor Lachen bogen. Er sprang über es hinweg, es hüpfte über ihn, es versteckte sich, er lief ihm weg, es trieb ihn vor sich her“, beschreibt der Fußball-Historiker Eduardo Galeno Garrinchas Spiel.

Wer mit Karlheinz Pflipsen, der unter anderem 222 Spiele für Borussia Mönchengladbach machte, über Garrincha spricht, spürt dessen Bewunderung für den Weltmeister von 1958 und 1962. Zu Pflipsens Spiel gehörte das Dribbling ebenfalls. An seiner Seite spielte in der Gladbacher Mannschaft, die 1995 den DFB-Pokal gewann, in Peter Wynhoff ein zweiter toller Dribbler.

Es gab einige große Spieler dieser Spezies in Deutschland. Willi „Ente“ Lippens, Stan Libuda, Herbert Wimmer, Jürgen Grabowski, Bernd Hölzenbein, Rüdiger Abramczik, Pierre Littbarski oder Thomas Häßler zum Beispiel. Doch seien die Dribbler rar geworden im deutschen Fußball, moniert Pflipsen. „Das ist leider eine Entwicklung der letzten fünf bis zehn Jahre“, sagt er.

Winfried Schäfer, ebenfalls Ex-Borusse und später Trainer-Weltenbummler, sieht diese Spezies fast abgeschafft. „Es gibt kaum noch Mittelstürmer und Dribbler“, sagt er und macht einen Trainer aus, dessen Spiel-Philosophie diese Jobs obsolet gemacht hat: Pep Guardiola. „Wegen Pep gibt es keine Dribbler mehr, in seinem Spiel ist Dribbeln verboten, es zählt nur One-Touch-Fußball“, sagt Schäfer.

„Früher wurde das Dribbling in der DFB-Ausbildung gelehrt, heute in den Akademien ist es nicht mehr so wichtig. Das ist für unseren Fußball eine Katastrophe“, findet Schäfer. Pflipsen geht ins Detail: „Es ist aus meiner Sicht darauf zurückzuführen, dass man in der Jugendausbildung zu lange andere Schwerpunkte gesetzt hat und es den Spielern teilweise abtrainiert wurde, zu dribbeln. Passspiel, schnelles Umschaltspiel mit wenig Kontakten und gruppentaktische Formen standen im Vordergrund. Individualtaktik und Torabschlüsse sind in den Hintergrund getreten. Und wenn du etwas nicht trainierst, wirst du es auch im Spiel nicht anwenden“, sagt er.

Leroy Sané ist einer der wenigen klassischen deutschen Dribbler der Gegenwart, ein Fußball-Tänzer, dem der Ball wie magnetisch an den Füßen klebt, der auf engstem Raum die Richtung wechseln und den Gegenspieler narren kann. Sané wird wegen seiner besonderen Fähigkeit mit absurden Marktwerten belegt: 100 Millionen Euro war der höchste, aktuell sind es 70 Millionen. Weil er lange verletzt war, bekam ihn der FC Bayern im Sommer zum „Schnäppchenpreis“ von 45 Millionen Euro. Nachdem jahrelang in Arjen Robben ein Niederländer der Dribbler beim deutschen Branchenführer war, ist dies nun wieder ein deutscher Nationalspieler.

Schäfer und Pflipsen würden gern wieder mehr Spieler wie Sané sehen, „kick it like Garrincha“ ist das Motto. Pflipsen ordnet dieses Talent als wichtig ein für den Erfolg im extrem athletisch gewordenen modernen Fußball. „Alle Mannschaften können heute sehr gut verteidigen, darum sind die Räume eng. Ich glaube, dass, je höher man kommt und je enger die Spiele sind, die individuelle Qualität eines Spielers Spiele entscheidet“, sagt Pflipsen. Das gilt noch, aber Speed und Wucht sind Faktoren, um am Gegner vorbeizukommen, Fummeln ist eher out.

Immerhin: Der DFB hat in seinem Lehrprogramm das Thema Dribbling auf dem Schirm. „Große Dribbler früh fördern“, ist die Ansage für die Nachwuchsschulung. Die jungen Kicker sollen „auch nach Lust und Laune fummeln. Bleiben sie am Gegner hängen, korrigieren wir natürlich, fordern sie aber direkt zum nächsten Versuch auf. Die Belohnung wird folgen: Selbstbewusste Spieler, die gegen einen oder mehrere Gegner bestehen, den Ball stets fordern und Lösungen finden“, heißt es auf „dfb.de“ in einer Trainingsanleitung.

Das ewige Vorbild aller Dribbler ist und bleibt Garrincha. „Bei der WM 1962 war er der beste Spieler des Turniers. Doch in all den Jahren seiner Laufbahn war Garrincha mehr als das: „Er war der Mann, der am meisten Freude schenkte in der Geschichte des Fußballs“, schreibt Galeano. Wer sich Filmaterial von Garrincha in Aktion anschaut, wird ihm zustimmen.

Aufrufe: 06.11.2020, 22:00 Uhr
RP / Karsten KellermannAutor