Herr Pels, wie schafft es ein Erstligist, gegen einen Viert- oder sogar Fünftligisten auszuscheiden?
Fabian Pels: Da können viele Faktoren eine Rolle spielen. Der Zufall, weil das entscheidende Tor durch einen Platzfehler fällt. Der Druck, weil jeder das Weiterkommen erwartet und der Favorit zum Siegen verdammt ist. Eine Mannschaft kann zu wenig Spannung aufbauen – oder zu viel.
Was kann der Favorit dagegen tun?
Pels: Er sollte sich höhere Ziele setzen, sich also nicht mit dem Minimalziel zufriedengeben. Es macht Sinn, ein 3:0 anzustreben und nicht nur ein 1:0. Wir unterscheiden da zwischen Minimal-, Normal- und Maximalziel. Der Trainer könnte auch vorgeben, bestimmte taktische Dinge auszuprobieren: über die Flügel angreifen, möglichst direkt spielen, den Gegner schon an dessen Strafraum attackieren. Das Minimalziel sollte jedenfalls ausgeblendet werden.
So einfach ist das?
Pels: Eigentlich ja. Aber wenn der Favorit unerwartet 0:2 hinten liegt, kommt die Angst zu versagen, und unter Angst spielt man gehemmt. Dabei bräuchte der Bundesligist eigentlich keine Angst zu haben. Er ist ja viel besser.
Und was kann der Außenseiter tun, um eine Sensation zu schaffen?
Pels: Er sollte eine Vorstellung davon entwickeln, wie es klappen könnte. Sich fragen, wie würde sich ein Sieg anfühlen? Wenn man sich außerdem Etappenziele setzt – etwa 20 Minuten ohne Gegentor zu bleiben – und die erreicht, gibt das Sicherheit.
Kann man sich das so vorstellen wie bei einem Rodler, der vor dem Rennen im Geiste die Strecke abfährt?
Pels: Bedingt. Beim Rodeln ist die Strecke vorgegeben, der Verlauf eines Fußballspiels ist prinzipiell offen. Doch es stimmt schon, man kann den Erfolg in gewisser Weise vorwegnehmen.
Sensationen haben ja eine gewisse Regelmäßigkeit, eigentlich passieren sie im Pokal jedes Jahr. Darf man deshalb überhaupt noch von Sensationen sprechen?
Pels: Ja, weil die allermeisten Spiele wie erwartet ausgehen. Im Gegensatz zu den Sensationen bleiben sie jedoch nicht im Kopf.
Fabian Pels ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Psychologischen Institut der Deutschen Sporthochschule Köln. Er berät zudem Einzelsportler und Sportmannschaften.
26. Oktober 1974: VfB Eppingen - Hamburger SV 2:1: Die Mutter aller Pokalsensationen – zumindest im kollektiven Fußballgedächtnis. Der HSV kam als Tabellenführer mit Stars wie Rudi Kargus und Manni Kaltz. Eppingen war drittklassig und spielt heute in der sechstklassigen Verbandsliga.
14. August 1994: TSV Vestenbergsgreuth - Bayern München 1:0: Es war das erste Spiel für Trainer Giovanni Trapattoni – und gleich war Flasche leer.
28. Oktober 1997: Eintracht Trier - Borussia Dortmund 2:1: Der Drittligist bezwang den amtierenden Champions-League-Sieger. Und nicht nur das. In der Runde zuvor hatte Trier den BVB-Rivalen Schalke rausgeworfen.
26. August 2000: VfB Stuttgart II - Eintracht Frankfurt 6:1: Der höchste Pokalsieg eines Drittligisten gegen einen Bundesligisten.
26. August 2001: SSV Ulm - 1. FC Nürnberg 2:1: Gegen einen Dritt- oder Viertligisten scheiden Bundesligisten schon mal aus, aber die Nürnberger scheiterten an diesem Tag an einem Fünftligisten.
18. August 2012: Berliner AK - 1899 Hoffenheim 4:0: 0:4 bei einem Viertligisten – kein guter Saisonstart für Hoffenheims Trainer Markus Babbel. Vier Monate später wurde er gefeuert.
25. Oktober 2016: Sportfreunde Lotte - Bayer Leverkusen 4:3 i.E.: Leverkusen spielte ab der 78. Minute in Überzahl, führte zweimal – und musste dennoch ins Elfmeterschießen. Und da war der Drittliga-Aufsteiger nervenstärker.