2024-04-29T14:34:45.518Z

Allgemeines
Michael Seidelmann kletterte die typische Wiesbadener Karriereleiter nach oben. Doch den Sprung in den Profibereich packte er aus vielerlei Gründen und unglücklichen Zufällen nicht.
Michael Seidelmann kletterte die typische Wiesbadener Karriereleiter nach oben. Doch den Sprung in den Profibereich packte er aus vielerlei Gründen und unglücklichen Zufällen nicht. – Foto: Udo Parker/stock.adobe

Kein Okay vom Ex-Klub in spe

Serie - Teil 41: Wie die fehlende Freigabe für ein Testspiel im Trikot des 1.FC Nürnberg einen entscheidenden Karriereknick für Michael Seidelmann einleitete +++ Lob von Tuchel

Wiesbaden. Sonntag, 15. Mai, Weserstadion in Bremen: Da hat Michael Seidelmann eine Verabredung. Gemeinsam mit Kindheitsfreund Anthony Jung will er den Aufstieg des SV Werder in die Bundesliga zelebrieren. Wie die beiden das Spiel verfolgen, ist unterschiedlich: Jung wird als Feldspieler auf dem Platz stehen - und Seidelmann seinem besten Kumpel von der Tribüne zujubeln.

Zwei Wiesbadener, zwei Fußballwelten: Jung, der über den Nachwuchs von Wehen und Eintracht Frankfurt zum Profi wurde, mit Leipzig in die Bundesliga aufstieg, mit Bröndby dänischer Meister wurde und nun mit dem SV Werder vor der Rückkehr in die Bundesliga steht. Und Seidelmann, der es zwar schon als 18-Jähriger beim SV Wehen auf Einsätze in der Regionalliga brachte, anschließend jedoch in den entscheidenden Momenten seiner Karriere erst kein Glück hatte - und später auch noch heftiges Verletzungspech.

Die typische Wiesbadener Karriereleiter

Dabei fing alles vielversprechend an: Zehn Jahre spielte Seidelmann in der Jugend beim VfR Wiesbaden.

Mit Papa Dieter als Trainer gewinnt Seidelmann (obere Reihe, 3. von links) in der E-Jugend, links neben ihm steht Shawn Frankholz, der momentan bei Frauenstein spielt.
Mit Papa Dieter als Trainer gewinnt Seidelmann (obere Reihe, 3. von links) in der E-Jugend, links neben ihm steht Shawn Frankholz, der momentan bei Frauenstein spielt. – Foto: VfR

Anschließend ging es die für Wiesbadener Talente typische Karriereleiter nach oben: Kicken in der Wiesbadener Talenteförderung, auf Vereinsebene erst zum FV Biebrich 02, wo Seidelmann in der C-Jugend sowie im ersten B-Jugend-Jahr spielte.

Bei einem Event der Wiesbadener Talentförderung in Biebrich: Kevin Kraus (heute Profi in Kaiserslautern), Michael Seidelmann, Anthony Jung (momentan Profi in Bremen), Niclas Hopsch und Youness Benchallal und Eintracht-Legende Jürgen Grabowski (v.l.).
Bei einem Event der Wiesbadener Talentförderung in Biebrich: Kevin Kraus (heute Profi in Kaiserslautern), Michael Seidelmann, Anthony Jung (momentan Profi in Bremen), Niclas Hopsch und Youness Benchallal und Eintracht-Legende Jürgen Grabowski (v.l.). – Foto: Neumann

Dann der Wechsel zum SV Wehen. Am Halberg verbrachte er dann sechs Jahre: Ein Jahr kickte er in der U17, zwei Jahre in der U19 inklusive Aufstieg in die Bundesliga als ungeschlagener Meister und drei Jahre im Aktivenbereich. Im Unterbau der Profis kam Seidelmann auf insgesamt 21 Regionalliga-Einsätze.

Keine Chance unter Lettieri

Doch wie bei vielen anderen Talenten, die einst bei Wehen in der Zweiten kickten, wie beispielsweise Joshua Iten, Nico Heupt oder Marvin Esser: Der Durchbruch zu den Profis sollte auch Seidelmann nicht gelingen - auch wenn er bereits als A-Jugendlicher regelmäßig bei den Profis mittrainieren durfte und bereits in der Herren-Regionalliga zum Einsatz kam. Doch als der SVWW im Abstiegskampf steckte und Gino Lettieri Anfang 2010 übernahm, war es aus. "Ab dann durften wir nicht mehr mit den Profis trainieren", erinnert sich Seidelmann. Unter Coach Bernhard Raab (heute Co-Trainer in Heidenheim) stieg der SVWW II in die Hessenliga ab, dort übernahm dann Thomas Brendel, der heute Sportdirektor beim FSV Frankfurt ist.

Die Einsatzzeiten des linken Außenbahnspielers wurden häufiger. Doch nicht nur weil er zweimal binnen weniger Wochen das Training verpennte, bescheinigte ihm Brendel (Seidelmann: "zwischen uns war es eine Hassliebe") am Ende der Saison sinngemäß: Mit dieser Einstellung habe er einen weiteren Platz im Kader nicht verdient. "Brendel wusste, dass ich eigentlich mehr kann. Aber zu der Zeit habe ich es vielleicht zu sehr raushängen lassen", zeigt sich Seidelmann selbstkritisch.

Ein Ex-Fürth-Profi knüpft Kontakte im Frankenland

Das Aus beim SVWW, dafür immer noch die Ambition, es als Profi zu packen. Das passte irgendwie nicht recht zusammen. Thorsten Burkhardt, ehemaliger Zweitligaprofi bei Greuther Fürth, der ein Jahr zuvor zum SV Wehen gewechselt war, half mit seinen Kontaktfeldern nach. "Er konnte nicht verstehen, dass es bei mir mit dem Durchbruch nicht geklappt hat", erinnert sich Seidelmann. Burkhardt vermittelte Seidelmann ein einwöchiges Probetraining beim 1.FC Nürnberg II, trainiert von Michael Wiesinger.

Eine Woche Ende Juni im Frankenland, Kost und Logis vom FCN bezahlt: Für Seidelmann die Möglichkeit, doch nochmal im Profibereich auf sich aufmerksam zu machen. Doch bei einer Flankenübung im Kopfballduell mit FCN-Idol Marek Mintal zog sich Seidelmann eine Gehirnerschütterung zu, fiel zwei Tage aus. Ausgerechnet gegen den SV Wehen Wiesbaden II hatte der FCN zum Ende der Woche ein Testspiel ausgemacht, Seidelmann sollte für den FCN II auflaufen. Die Chance, sich zu zeigen und für einen Vertrag beim "Club" zu empfehlen.

Keine Gastspielerlaubnis gegen den Noch-Verein

Kurios: Seidelmann, damals vertraglich bis 30. Juni 2012 noch an den SVWW gebunden, hätte eine Gastspielerlaubnis des seines zukünftigen Ex-Vereins gebraucht, um im Dress von Nürnberg gegen seinen noch offiziellen Verein auflaufen zu können. "Drei Stunden vor Anpfiff kam der Anruf: Ich bekam keine Erlaubnis für das Spiel", erinnert sich Seidelmann. Kein Testspiel, keine Chance noch mehr auf sich aufmerksam zu machen - so zerplatzte für Seidelmann der Traum, auch in der Regionalliga durchzustarten.

Denn auch ein Engagement beim FSV Frankfurt II scheiterte im Sommer 2012. Seidelmann habe nach eigener Aussage ein unterschriftsreifer Vertrag beim damaligen Regionalliga-Team vorgelegen. Doch mit den angebotenen 250 Euro Aufwandsentschädigung wäre er nicht über die Runden gekommen.

Wenige Tage vor Ende der Transferfrist stand er also ohne Verein da. Wie gut, dass sich der ehemalige Wehener Teamkollege und Ex-Profi Sascha Amstätter meldete - und ihm ein Engagement beim damaligen, aufstrebenden Verbandsligisten SV Wiesbaden schmackhaft machte. Wobei scheinbar einiges an Überzeugungsarbeit notwendig war. "Sascha hat mich terrorisiert. Ich meinte zu ihm: 'Ich kann das doch nicht machen, das ist Verbandsliga'. Ich wollte ja eigentlich wieder höher spielen. Aber ich hatte zu diesem Zeitpunkt eigentlich keine Wahl mehr", erinnert sich Seidelmann.

"Spiel des Lebens" gegen die Mainz 05

Nach oben ging es dafür mit dem SVW. In der ersten Saison stieg Seidelmann mit dem Traditionsverein gleich auf in die Hessenliga - die für den dank üppiger Sponsorengelder sehr ambitionierten Klub auch nur eine Durchgangsstation sein sollte.

Im Dienst des SV Wiesbaden wetzte Michael Seidelmann vier Jahre lang links die Seitenlinie entlang.
Im Dienst des SV Wiesbaden wetzte Michael Seidelmann vier Jahre lang links die Seitenlinie entlang. – Foto: Tom Klein

Gleich zu Beginn der Vorbereitung auf die Hessenliga-Saison spielte sich Seidelmann plötzlich erneut ins Schaufenster. Im Testspiel gegen Mainz 05 trotzte der SVW dem Bundesligisten ein 0:0 ab. "Da habe ich das Spiel meines Lebens gemacht", sagt Seidelmann. Flankenläufe, ein Pfostenschuss, gut getretene Standards: Der damals 22-Jährige machte fleißig Eigenwerbung. Nach 15 Minuten sei sein Gegenspieler, Zdenek Pospech, auf ihn zugekommen: "Er meinte zu mir, ich solle mal langsam machen", sagt Seidelmann lachend. Nach Abpfiff gab es Lob von Malik Fathi und auch vom damaligen 05-Coach Thomas Tuchel. Seine Worte müssen wie Musik in Seidelmanns Ohren geklungen haben: "Gutes Spiel von dir, mach so weiter und vielleicht ergibt sich ja mal was für die Zukunft".

Schwere Beine gegen die Lilien

Zwei Wochen später, im Test beim SV Darmstadt 98, nahm Seidelmann Späher vom FSV Mainz 05 auf der Tribüne wahr. Sie waren wegen ihm ans Böllenfalltor gekommen. "Doch in dem Spiel hatte ich schwere Beine, da ging nicht viel", sagt Seidelmann. Anschließend kam Volker Kersting, NLZ-Chef der 05er auf ihn zu. Man habe ihn auf dem Schirm, schaue mal was passiert, sagte er. Letztlich wurde es jedoch nichts mit einem möglichen Wechsel an den Bruchweg. Ebenso wenig ließ sich der Regionalliga-Traum des SV Wiesbaden realisieren. Als sich der Großsponsor im Sommer 2016 zurückzog, zerfiel die Mannschaft, der freiwillige Rückzug in die Gruppenliga folgte.

Bedröppelte Mienen: Joshua Iten (links), Michael Seidelmann (Mitte) und Dustin Ernst (rechts) nach dem letzten Heimspiel vom SV Wiesbaden in der Hessenliga.
Bedröppelte Mienen: Joshua Iten (links), Michael Seidelmann (Mitte) und Dustin Ernst (rechts) nach dem letzten Heimspiel vom SV Wiesbaden in der Hessenliga. – Foto: Tom Klein

Erneuter Lockruf von Amstätter

Erneut folgte Seidelmann dem Lockruf von Sascha Amstätter, der beim SV Zeilsheim als Trainer angefangen hatte - wieder in der Verbandsliga. Mit dem erneuten Liga-Rückschritt zeigte sich: Den Profi-Traum hatte Seidelmann da schon abgehakt.

Nach dem Aus des SV Wiesbaden überredet ihn Sascha Amstätter zu einem Engagement beim damals aufstrebenden Verbands- und heutigem Hessenligisten SV Zeilsheim.
Nach dem Aus des SV Wiesbaden überredet ihn Sascha Amstätter zu einem Engagement beim damals aufstrebenden Verbands- und heutigem Hessenligisten SV Zeilsheim. – Foto: Jörg Schulz

Zumal nun immer mehr Verletzungssorgen hinzukamen. 2014 beim SVW die erste Knie-OP, 2017 folgte zu Zeilsheimer Zeiten die Zweite, 2019 dann beim FV Biebrich die dritte. Diagnose: Gelenkwucherung, dazu Schäden an Meniskus und Knorpel. Der körperliche Preis, den Seidelmann für seinen Traum vom Fußballprofi zahlen musste, ist hoch.

Körperliche Probleme in Biebrich

Und so war das Engagement beim FV Biebrich sein letztes, indem er aktiv gegen den Ball trat. "Da habe ich mir körperlich aber schon schwergetan. Ich habe drei Wochen gespielt, dann war ich wieder vier Wochen verletzt", sagt Seidelmann.

Spezialist für Standards und Einwürfe: Beim FV Biebrich 02 spielte Seidelmann zwei Saisons, hatte aber da schon oft mit Wehwehchen zu kämpfen.
Spezialist für Standards und Einwürfe: Beim FV Biebrich 02 spielte Seidelmann zwei Saisons, hatte aber da schon oft mit Wehwehchen zu kämpfen. – Foto: Udo Parker

Bei Gruppenligist TSG Wörsdorf absolvierte er nicht ein Pflichtspiel mehr. Seitdem ist die Spielerkarriere beendet. Mit 31. "Es tut schon weh", sagt Seidelmann. Der Kopf will, aber der Körper kann nicht. Deswegen sucht er momentan bewusst die Distanz zum Fußball: "Man trifft mich selten auf dem Sportplatz", sagt Seidelmann. Im Weserstadion dafür schon an diesem Wochenende.

Zur Serie: In dieser Reihe porträtieren wir ehemalige NLZ-Spieler, die den Sprung zum Profi nicht gepackt haben und nun bei Amateurteams aus der Region spielen. Sie erzählen uns, wie nah dran sie wirklich am großen Traum Profifußball waren und welche Ambitionen sie jetzt haben - sowohl auf als auch neben dem Platz.

- Teil 1: Linus Wimmer (SV Eintracht Trier)
- Teil 2: Lukas Fischer (TSG Bretzenheim)
- Teil 3: Lars Hermann (TSV Schott Mainz)
- Teil 4: Nik Rosenbaum (SV Alemannia Waldalgesheim)
- Teil 5: Joshua Iten (SG Hüffelsheim)
- Teil 6: Bilal Marzouki (FC Maroc Wiesbaden)
- Teil 7: Kevin Frey (VfB Bodenheim/TSG Mainz Futsal)
- Teil 8: Giorgio del Vecchio (TSV Schott Mainz)
- Teil 9: Marco Waldraff (SV Niedernhausen)
- Teil 10: Manuel Konaté-Lueken (RW Walldorf)
- Teil 11: Sandro Loechelt (Wormatia Worms)
- Teil 12: Marvin Esser (SG Walluf)
- Teil 13: Patrick Huth (TSG Pfeddersheim)
- Teil 14: Ilker Yüksel (Hassia Bingen)
- Teil 15: Tim Burghold (SV Niedernhausen)
- Teil 16: Noel Wembacher (RW Darmstadt)
- Teil 17: Tobias Schneider (RWO Alzey)
- Teil 18: Noah Michel (Türkgücü Friedberg)
- Teil 19: Marleen Schimmer (San Diego Waves)
- Teil 20: Deniz Darcan (SG Eintracht Bad Kreuznach)
- Teil 21: Max Pflücke (FC Basara Mainz)
- Teil 22: Jann Bangert (SV Rot-Weiß Hadamar)
- Teil 23: Aleksandar Biedermann (Wormatia Worms)
- Teil 24: Volkan Tekin (SV Dersim Rüsselsheim)
- Teil 25: Ilias Tzimanis (SV Unter-Flockenbach)
- Teil 26: Lukas Lazar (TSV Gau-Odernheim)
- Teil 27: Dimosthenis Papazois (SG Eintracht Bad Kreuznach)
- Teil 28: Sammy Kittel (SV Rot-Weiß Hadamar)
- Teil 29: Burak Bilgin (VfR Groß-Gerau)
- Teil 30: Luis Majrchzak (Hassia Bingen)
- Teil 31: Noah Schmitt (FC Eddersheim)
- Teil 32: Christian Lang (FSV Nieder-Olm)
- Teil 33: Fabio Moreno Fell (TSV Gau-Odernheim)
- Teil 34: Nico Heupt (SV 07 Geinsheim)
- Teil 35: Benjamin Himmel (TSG Pfeddersheim)
- Teil 36: Daniel Zeaiter (FC Eddersheim)
- Teil 37: Kai Hofem (FSV Nieder-Olm)
- Teil 38: Baris Yakut (Hassia Bingen)
- Teil 39: Daniel Knapschinski (VfB Unterliederbach)
- Teil 40: Dustin Ernst (Karriereende)

Aufrufe: 010.5.2022, 05:00 Uhr
Philipp DurilloAutor