2024-03-28T15:56:44.387Z

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Kai Hofem hatte alle Anlagen, um mal Profi zu werden. Sogar Thomas Tuchel trauerte seinem abruptem Aus im NLZ des FSV Mainz 05 hinterher.
Kai Hofem hatte alle Anlagen, um mal Profi zu werden. Sogar Thomas Tuchel trauerte seinem abruptem Aus im NLZ des FSV Mainz 05 hinterher. – Foto: stock.adobe/FSV Nieder-Olm

"Umso höherklassiger, desto mehr hinterrücks"

Serie, Teil 37: Der 31-Jährige "Sicherheitstyp" warf in der A-Jugend von Mainz 05 einfach hin, was sein ehemaliger Coach Thomas Tuchel bis heute betrauert +++ Tor gegen Müller als Highlight

Mainz. So, wie Christian Lang die Geschichte erzählt, hat man sie sofort vor Augen. Der Trainer des FSV Nieder-Olm ist Trauzeuge seines Stürmers Kai Hofem, kennt ihn also sehr gut. Thomas Tuchel, der mit der U19 des FSV Mainz 05 einst Deutscher Meister wurde, hatte ein Jahr zuvor noch besagten Hofem in seinem A-Jugend-Kader. Oder, genauer gesagt, ein halbes Jahr. Denn dann warf Hofem hin, ging einfach. „Tuchel hat mal ein Interview gegeben“, erzählt Lang, „da meinte er, das Ende der 'Boy Band' (das Trio Lewis Holtby, André Schürrle und Adam Szalai später bei den Profis, d.Red.) hätte weh getan. Aber dass sein Stürmer aus der A-Jugend einfach aufgehört hat, versteht er bis heute nicht.“

„Ich hab mir gesagt, ich muss erst mal klar kommen“, blickt Hofem zurück. Schon als 16-Jähriger war er morgens um halb sechs in den Bus gestiegen, um zu Arbeit und Berufsschule zu fahren. Die Malerlehre brach er kurz vor der Prüfung ab, der Beruf war nichts für ihn. „Ich wollte mich auf Fußball konzentrieren und gucken, was geht“, erzählt Hofem. Doch er merkte auch, dass er nach einem doppelten Meniskusriss nicht mehr derselbe war. „Und ich bin ein Sicherheitstyp.“ Die 05er suchten ihm eine neue Ausbildung, die er auch zu Ende brachte, zur Fachkraft für Lagerlogistik. Doch erneut zeigte sich: Job und NLZ, das ist zu viel.

Ich bin dann mal weg

Also ging Hofem im Winter zu Nachwuchschef Volker Kersting ins Büro und sagte, sinngemäß: Ich bin dann mal weg. „Ich konnte nicht mehr und meine Zeit war mir zu schade, also habe ich mich für das sichere Standbein entschieden. Im Elternhaus habe ich immer gehört, dass ich eine Ausbildung brauche – auch wenn ich Profi werden sollte, für die Zeit danach.“ Die Vernunft war aber nur die eine Seite. „Ich habe mir auch selten und ungern etwas sagen lassen“, lacht der 31-Jährige, „ich habe eher mein Ding durchgezogen, und das kommt in einem Profiverein nicht so gut an.“

In der Jugend von Mainz 05 spielte Hofem eigentlich gut mit - hier vernascht er den damaligen 1860-Spieler und heutigen Nürnberg-Profi Christopher Schindler.
In der Jugend von Mainz 05 spielte Hofem eigentlich gut mit - hier vernascht er den damaligen 1860-Spieler und heutigen Nürnberg-Profi Christopher Schindler. – Foto: hbz/Stefan Sämmer (Archiv)

Das Gerücht, dass man als NLZ-Spieler keinen Spielraum für Blödsinn abseits des Platzes hat, hat Hofem jedenfalls widerlegt. Mit spitzbübischer Freude erzählt er vom Trio hessischer Jungs im 05-Kader, das sich auch mal nachts in München davon stahl („Wir hatten Bettruhe, aber das haben wir nicht so verstanden“), in die Straßenbahn stieg und etwas Quatsch machte. „Wir sind gern auf Feste gegangen und hatten da ein paar Spezialisten in der Gruppe, es ist eigentlich immer ausgeartet.“

Kopfballtor gegen Thomas Müller

Aber es fehlte nicht an sportlichen Highlights. Im ersten A-Jugend-Jahr unter Jürgen Kramny hörte Hofem den Trainer des FC Bayern bei einer 05-Ecke rufen: 'Müller, die Neun.' „Da habe ich ein Kopfballtor gegen Thomas Müller gemacht. Das war schon ein Highlight.“

Als „Pampers-Rocker“ mit drei Jahren fing der Kostheimer bei Kastel 46 mit dem Fußball an. „Das ist ja eigentlich ein Ort, auch wenn die Alten mich für den Satz steinigen würden.“ Über Biebrich 02 ging es in der U16 zu den 05ern. Weil Hofem als Spielmacher zugleich bester Torschütze war, kam er auf die Idee, sich dem FSV anzubieten. Zwei, drei Probetrainings später wurde er verpflichtet. „Damals war Winfried Klein mein Trainer. Ein super Typ, der mich extrem gefordert und gefördert hat“, erzählt Hofem, „aber einmal hatte er die Idee, mich ins rechte Mittelfeld zu stellen, bis er gemerkt hat, das Hin- und Zurück-Laufen ist nichts für den Hofem. Im ersten Testspiel im Sturm habe ich direkt in einer Halbzeit vier, fünf Tore geschossen.“ Seitdem ist Hofem Torjäger.

Distanziertes Verhältnis zu Tuchel

Stefan Hofmann, oder Winfried Klein, würde er als seinen besten Trainer zu 05-Zeiten bezeichnen. Auch unter Paul Faß gefiel es ihm, das Verhältnis zu Tuchel beschreibt Hofem als „normal, distanziert“. Es sollte nur ein halbes Jahr Bestand haben. Ein Dreiviertel Jahr später schloss sich Hofem in seiner Heimat Kastel 06 an. „Eine erfolgreiche und durchzechte Zeit“, samt Aufstiegsfeiern.

Im schwarz-gelben Dress von Kastel 06 fand Kai Hofem den Spaß am Fußball wieder.
Im schwarz-gelben Dress von Kastel 06 fand Kai Hofem den Spaß am Fußball wieder. – Foto: Kristina Schäfer/hbz

„Ich hatte noch drei, vier Mal die Chance, beim SV Wehen Wiesbaden unterzukommen. Einmal bin ich ins Training gegangen, aber ich habe gemerkt, dass es nichts mehr für mich ist. Ich habe Magenschmerzen bekommen.“ Auch die Chance auf einen Wechsel nach Thailand ließ der „Sicherheitstyp“ und Familienmensch verstreichen.

Nur noch zu Silveira Kontakt

Profisport und Kai Hofem, das passte nicht. Unter den Mainzer Mannschaftskollegen hat er nur noch zu Fabio Silveira regelmäßigen Kontakt – seinem Mitspieler in Nieder-Olm. Zu unterschiedlich war damals der Lebensalltag des 05-Talents in Lehre zu all den Mitspielern, die noch zur Schule gingen. Und die Kollegen von der Arbeit zogen abends um die Häuser, wenn Hofem sich auf Spiele vorbereitete. „Ich wollte wieder Spaß am Fußball haben“, erzählt er, „im Amateurfußball hat man diese krasse Gemeinschaft, die den Fußball ausmacht, die es aber in den höherklassigen Vereinen nicht gibt. Da guckt jeder darauf, dass er selbst weiterkommt. Umso höher, desto mehr hinterrücks. Das war nie was für mich, ich bin ein ehrlicher Typ, gerade heraus, damit kann ich mich identifizieren. Ich will kein schlechtes Licht auf Mainz 05 werfen, habe aber einfach den Spaß am Fußball verloren, weil es für mich purer Stress war.“

Wie ein Berserker trainiert

Nachdem sich die Mannschaft bei Kastel auflöste, ging es nach Wörsdorf. „Nach eineinhalb Jahren habe ich gedacht, ich hätte die super Idee, mit Fußball aufzuhören und anzufangen, wie ein Berserker zu trainieren. Nach drei Monaten habe ich gemerkt, das erfüllt mich nicht, habe wieder mit Fußball angefangen – und war so schwer, dass ich mir im ersten Spiel den Mittelfuß gebrochen habe. Das war's dann mit Wörsdorf.“ Nach einem Intermezzo in Hünstetten folgten vier Jahre in Nauheim – und 2019 die Rückkehr nach Rheinhessen.

Sieben auf einen Streich: Der SV Nauheim präsentierte Kai Hofem (hintere Reihe, 2. von rechts) als Neuzugang. Vorne rechts sein Trauzeuge und heutiger Trainer in Nieder-Olm, Christian Lang.
Sieben auf einen Streich: Der SV Nauheim präsentierte Kai Hofem (hintere Reihe, 2. von rechts) als Neuzugang. Vorne rechts sein Trauzeuge und heutiger Trainer in Nieder-Olm, Christian Lang. – Foto: Vollformat/André Dziemballa (Archiv)

„Ich habe mir mit Dennis und Christian Lang ein Spiel in Nieder-Olm angeguckt, das grausamste Spiel überhaupt. Hier habe ich unsere Zukunft gesehen, ich weiß auch nicht warum. Es war die richtige Entscheidung.“ Auch wenn, oder womöglich gerade weil Thomas Tuchel sicher so ziemlich alles anders gemacht hätte.

Treffsicher und in bester Balotelli-Manier zelebriert Hofem einen seiner drei Treffer im Trikot des FSV Nieder-Olm beim 6:1-Auswärtssieg in Gundersheim.
Treffsicher und in bester Balotelli-Manier zelebriert Hofem einen seiner drei Treffer im Trikot des FSV Nieder-Olm beim 6:1-Auswärtssieg in Gundersheim. – Foto: Michael Wolff

Zur Serie: In dieser Reihe porträtieren wir ehemalige NLZ-Spieler, die den Sprung zum Profi nicht gepackt haben und nun bei Amateurteams aus der Region spielen. Sie erzählen uns, wie nah dran sie wirklich am großen Traum Profifußball waren und welche Ambitionen sie jetzt haben - sowohl auf als auch neben dem Platz.

- Teil 1: Linus Wimmer (SV Eintracht Trier)
- Teil 2: Lukas Fischer (TSG Bretzenheim)
- Teil 3: Lars Hermann (TSV Schott Mainz)
- Teil 4: Nik Rosenbaum (SV Alemannia Waldalgesheim)
- Teil 5: Joshua Iten (SG Hüffelsheim)
- Teil 6: Bilal Marzouki (FC Maroc Wiesbaden)
- Teil 7: Kevin Frey (VfB Bodenheim/TSG Mainz Futsal)
- Teil 8: Giorgio del Vecchio (TSV Schott Mainz)
- Teil 9: Marco Waldraff (SV Niedernhausen)
- Teil 10: Manuel Konaté-Lueken (RW Walldorf)
- Teil 11: Sandro Loechelt (Wormatia Worms)
- Teil 12: Marvin Esser (SG Walluf)
- Teil 13: Patrick Huth (TSG Pfeddersheim)
- Teil 14: Ilker Yüksel (Hassia Bingen)
- Teil 15: Tim Burghold (SV Niedernhausen)
- Teil 16: Noel Wembacher (RW Darmstadt)
- Teil 17: Tobias Schneider (RWO Alzey)
- Teil 18: Noah Michel (Türkgücü Friedberg)
- Teil 19: Marleen Schimmer (San Diego Waves)
- Teil 20: Deniz Darcan (SG Eintracht Bad Kreuznach)
- Teil 21: Max Pflücke (FC Basara Mainz)
- Teil 22: Jann Bangert (SV Rot-Weiß Hadamar)
- Teil 23: Aleksandar Biedermann (Wormatia Worms)
- Teil 24: Volkan Tekin (SV Dersim Rüsselsheim)
- Teil 25: Ilias Tzimanis (SV Unter-Flockenbach)
- Teil 26: Lukas Lazar (TSV Gau-Odernheim)
- Teil 27: Dimosthenis Papazois (SG Eintracht Bad Kreuznach)
- Teil 28: Sammy Kittel (SV Rot-Weiß Hadamar)
- Teil 29: Burak Bilgin (VfR Groß-Gerau)
- Teil 30: Luis Majrchzak (Hassia Bingen)
- Teil 31: Noah Schmitt (FC Eddersheim)
- Teil 32: Christian Lang (FSV Nieder-Olm)
- Teil 33: Fabio Moreno Fell (TSV Gau-Odernheim)
- Teil 34: Nico Heupt (SV 07 Geinsheim)
- Teil 35: Benjamin Himmel (TSG Pfeddersheim)
- Teil 36: Daniel Zeaiter (FC Eddersheim)

Aufrufe: 026.4.2022, 06:00 Uhr
Torben SchröderAutor