2024-05-17T14:19:24.476Z

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Andreas Rössl hat seine Spielerkarriere bei den Amateuren des FC Bayern im Sommer beendet und formt jetzt junge Torhüter-Talente am Campus in der Ingolstädter Straße. Sven Leifer Sven Leifer
Andreas Rössl hat seine Spielerkarriere bei den Amateuren des FC Bayern im Sommer beendet und formt jetzt junge Torhüter-Talente am Campus in der Ingolstädter Straße. Sven Leifer Sven Leifer

Wie Andi Rössl der Kellner von Bastian Schweinsteiger wurde

Das Karriere-Ende des Bayern-Keepers

Andreas Rössl stand bereits mit Anfang 20 vor dem Ende seiner Karriere. Nach dem Bundesliga-Abstieg mit Frankfurt wollte kein Verein den Keeper verpflichten. Rössl ging zum FC Ismaning. Er jobbte als Kellner und hatte mit dem Profifußball abgeschlossen. Bis er die Chance seines Lebens erhielt.

Andreas Rössl brennt immer noch. Auch wenn er nur auf dem Trainingsplatz steht und jungen Keepern bei einer Aufwärmübung zuschaut. „Wenn du den Schritt nach vorne machst, musst du explodieren. Da muss viel mehr Tempo rein“, ruft Rössl. Zwei Talente des FC Bayern schwitzen zwischen Hütchen und Stangen. Rössl ist nicht zufrieden. Er will ihnen zeigen, was es heißt, als Torwart zu explodieren. Aus dem Stand springt er über zwei Querstangen, umkurvt im Kurzsprint vier Hütchen, geht im Bruchteil einer Sekunde zu Boden und begräbt den Ball unter sich. Er kann es immer noch.

Doch auf dem Spielfeld zeigt Rössl das nicht mehr. Bereits mit 30 hat er seine Karriere beendet. Das ist kein Alter für einen Torwart. Rössl hat früh gelernt, wie wichtig es ist, als Fußball-Profi langfristig zu denken. Bis zum Ende der vergangenen Saison stand er bei den Bayern-Amateuren im Kasten. Er war einer der Leitwölfe und sollte als Führungsspieler den Hunger nach Erfolg vermitteln. Und zeigen, wie ein Torwart in jungen Jahren mit Rückschlägen umgehen kann. Er weiß, wovon er spricht. Rössl hatte die Schattenseiten des Profigeschäfts erlebt. „Dass ich noch fünf Jahre für die Amateure des FC Bayern spielen durfte, war wie ein Traum. Ich bin unendlich dankbar für diese Zeit. Es ist aber auch wichtig, zum richtigen Zeitpunkt an die Zukunft zu denken“, sagt Rössl. Am 12. Mai durfte er für 15 Minuten gegen Seligenporten noch einmal auf den Rasen im Grünwalder Stadion. Nach dem Spiel hängt er für ein letztes Foto neben seinen Schuhen auch seine Torwarthandschuhe an einen Haken in der Umkleidekabine.

Torwart-Trainer statt Bayern-Spieler

Unter das Bild schrieb er: „Zwölf Jahre durfte ich meine größte Leidenschaft meinen Beruf nennen. Als aktiver Spieler war ich bei tollen Vereinen und durfte Menschen kennenlernen, die jetzt meine Freunde sind.“ Rössl hätte weitermachen können. Doch er hat eine Aufgabe gefunden, die ihn erfüllt. Er soll die Torwart-Talente von der U12 bis zur U15 entwickeln. Rössl will den Burschen in der entscheidenden Phase ihrer Entwicklung helfen - auf und neben dem Platz. „Das ist eine riesengroße Chance, die ich vom FC Bayern erhalten habe. Ich habe mir die Frage gestellt: Was ist, wenn du dich im Training oder auf dem Platz noch einmal verletzt? Dann hätte ich meine Aufgabe als Torwart-Trainer nicht mehr mit all meiner Energie ausüben können. Dieses Risiko war es mir nicht wert, nur um weiter Spieler zu sein“, sagt Rössl.

Dass der 30-Jährige die Chance erhalten hat, hat er einer Zeit zu verdanken, in der er mit dem Profifußball bereits abgeschlossen hatte. Mit 23 Jahren stand Rössl vor dem Aus. Er war fit. Doch er fand keinen neuen Verein. Nach seiner Ausbildung beim TSV 1860 wechselte Rössl mit Anfang 20 zu Eintracht Frankfurt in die Bundesliga. Er spielte in der U23 und teilte sich im Training den Kasten mit Oka Nikolov. Doch unter Trainer Michael Skibbe lief in der Saison 2010/2011 nach einem Sensationsstart am Ende alles schief. Rössl saß teilweise in der Bundesliga auf der Bank. Von außen musste er miterleben, wie die Eintracht kein Spiel mehr gewann. Und am Ende abstieg. Ein halbes Jahr lang lag ein unterschriftsreifer Vertrag für Rössl in der Schublade des Geschäftsführers. Doch nach dem Abstieg war nichts mehr wie es war. Mit Armin Veh kam ein neuer Trainer. „Ich bin nach der Saison nur mit einer Sporttasche nach München gefahren. Ich hatte gedacht, dass sie nach dem Abstieg auf mich als zweiten Torwart bauen“, erinnert sich Rössl.

Kellner statt Fußball-Profi

Der Keeper versuchte sich über Probetrainings für einen neuen Verein zu empfehlen. Doch kein Klub biss an und er erlebte die schwerste Zeit seiner Karriere. Er hielt sich unter Claus Schromm beim SV Heimstetten fit, um im Winter neu anzugreifen. Doch sein Berater fand erneut keinen neuen Klub. Rössl musste sich Gedanken machen, wie es weitergeht. Auch ohne eine Zukunft als Profi. „Ich bin kein Typ, der sich in solch einer Situation ins Zimmer einschließt. Ich hatte mir nichts vorzuwerfen. Ich habe immer alles gegeben. Aber ich habe mir immer schon die Frage gestellt, was ich mache, wenn es nicht reicht.“ Rössl begann ein Sportstudium und heuerte beim FC Ismaning an. „Meine Brötchen habe ich in dieser Zeit als Kellner im Hungrigen Herz verdient. Mein Kumpel Andi Neumeyer hat mir einen Job angeboten.“

Andere Spieler, für die es nur den Karriere-Fokus gibt, wären am Boden. Doch Rössl erlebte in der schwersten auch die schönste Zeit seiner Karriere. Er fand Freunde. Unter Trainer Frank Schmöller war er einer der Garanten für den Aufstieg in die Bayernliga. „Wir waren so eine geile Truppe. Alle Spieler waren im gleichen Alter. Es hat unendlich viel Spaß gemacht, ein Teil dieser Mannschaft sein zu dürfen“, sagt Rössl. Nach dem Aufstieg konnte er sich in der Regionalliga auszeichnen. Und das öfter, als es einem Torwart lieb ist. Nach der Entlassung von Schmöller folgte eine Spieler-Revolte der Stammkräfte. Unter Trainer Roman Grill kämpft der FC Ismaning in der Rückrunde mit einer überforderten jungen Truppe gegen den Abstieg. Rössl blieb im Kasten. Er hatte erfahren, dass er regelmäßig beobachtet wurde. Er konnte in jedem Spiel etliche Male zeigen, was er kann. „Wir haben in keinem Spiel mehr als drei Gegentore bekommen“, erinnert sich Rössl.

Zusammenarbeit mit großen Trainern macht Rössl stolz

Stolz schwingt bei diesem Satz in seiner Stimme. Seine Mutter fasste die verrückte Zeit in Worte. „Sie meinte mal nach einer Partie zu mir: Mensch Andi, du bist nach jedem Spiel immer so heiser“, lacht Rössl.

Als Torwart holte er in jedem Spiel unhaltbare Bälle aus dem Eck. Das machte Eindruck. Auch beim FC Bayern. Nach dem Abstieg mit Ismaning erhielt er die Chance, ein Führungsspieler bei den Amateuren zu sein. „Für mich war es einfach unglaublich, das erleben zu dürfen“, sagt Rössl. Pep Guardiola holte ihn bereits nach kurzer Zeit zu einer Trainingseinheit zu den Profis. Rössl stand im Tor und gab Weltstars Anweisungen: „Es war schon verrückt, nach der Zeit beim FC Ismaning auf einmal einem Spieler wie Lahm zuzurufen: Philipp, rück ein!“ Unter den Profis war er kein Unbekannter. Bastian Schweinsteiger kannte Rössl. Nicht als Spieler, sondern als Kellner aus dem Hungrigen Herz. „Das war einer der witzigsten Momente beim FC Bayern. In meinem ersten Training unter Guardiola war ich hypernervös. Dann hat Bastian Hermann Gerland zugerufen: Hey Tiger. Vor ein paar Monaten war der Rössl noch mein Kellner. Und jetzt trainiert er mit uns. Hermann Gerland hat den Bastian nicht genau verstanden und hat zurück gerufen: Was? Der ist ein Kölner? Bastian hat gelacht und sagte: Nein Tiger. Der Andi war mein Kellner. Keeellner.“

Rössl erlebte Momente, von denen er nicht mehr zu träumen gewagt hatte. Unter Heiko Vogel war er Stammspieler. Der Trainer wollte aufsteigen. Und stellte dafür den aus seiner Sicht besten Keeper auf den Platz. „Ich habe zuletzt das Spiel zwischen Sturm Graz und Ajax Amsterdam gesehen. Heiko Vogel und Erik ten Hag standen an der Seitenlinie. Ich habe mir gedacht: Wahnsinn, unter diesen Trainern durftest du spielen. Dieser Moment hat mich sehr stolz gemacht.“

Talente sollen von Erfahrung profitieren

Stolz empfand er auch, als bereits während seiner Zeit als Spieler vom FC Bayern das Angebot kam, junge Torwart-Talente zu formen. Er geht auf in seiner neuen Aufgabe. Er will Abwechslung in seine Übungen bringen. „Und der Spaß darf trotz aller Professionalität nie zu kurz kommen“, betont Rössl. Als Trainer hat er sich neue Ziele gesetzt. Seine Keeper müssen Biss haben. Sie sollen aus jeder Übung etwas mitnehmen können. Er lässt Abläufe ständig wiederholen. Immer wieder ruft er seinen beiden Talenten auf dem Platz zu: „Und jetzt Tempo rein. Jetzt musst du explodieren.“ Rössl will seinen Teil zum Erfolg beitragen. Für ihn heißt das konkret: „Wenn ich meine Torhüter in der höheren Jahrgangsstufe an Uwe Gospodarek abgebe, sollen sie die wichtigsten Abläufe aus dem Schlaf können. Und der Uwe soll sehen, dass die Keeper bei mir etwas gelernt haben.“

Aufrufe: 09.8.2018, 12:08 Uhr
Münchner Merkur / tz / Christoph SeidlAutor