2024-05-02T16:12:49.858Z

Interview
Der brodelnde Vulkan oder der beruhigende Analytiker? Harald Funsch kann beide Varianten - und setzt sie ganz bewusst ein, wie er betont.
Der brodelnde Vulkan oder der beruhigende Analytiker? Harald Funsch kann beide Varianten - und setzt sie ganz bewusst ein, wie er betont. – Foto: Fotos: HMB Media / Julien Becker, Wolfgang Zink // Montage: FuPa

»Streetworker« Harald Funsch: »Kann mich wandeln wie ein Chamäleon«

Der 57-jährige Trainer von Bayernligist Würzburg spricht im Interview über die positive Entwicklung der Unterfranken - und wirft einen Blick auf seine Außenwirkung sowie auf generelle Veränderungen im Trainerwesen.

Durch die Fusion mit dem Würzburger Fußballförderverein 04 heißt der WFV nun offiziell "FV 04 Würzburg". Der neue Namen, den der Verein bereits von 1904 bis 1980 trug, ist wohl die offensichtlichste Veränderung beim Traditionsclub aus dem Stadtteil Zellerau. Durch die neue Vorstandschaft hat sich aber auch strukturell einiges getan, wie Harald Funsch im FuPa-Interview deutlich macht. Der 57-jährige Trainer, der im August Berthold Göbel ablöste, selbst ist für die sportliche (Weiter-)Entwicklung verantwortlich. Unter ihm holten Drösler & Co. im Schnitt 1,15 Punkte (zuvor: 0,5), arbeiten sich somit nach und nach aus dem Tabellenkeller der Bayernliga Nord. Der Geschäftsführer, der in Würzburg lebt, geht im Interview auf die Gründe dieses Aufschwunges ein, thematisiert brisante Themen wie die "Tumulte" im Spiel gegen Vatan Spor Aschaffenburg - und spricht auch über seine Außenwirkung und seine Sicht auf das Trainerwesen.

Harald, zum Einstieg möchten wir Dir zwei Bilder zeigen. Zum einen das hier (Titelbild, linker Teil - Anm. d. Red.). Was fällt Dir dazu ein?
Es ist wichtig, an der Linie engagiert zu sein und mitunter sehr deutlich zu werden. Gerade wenn man neu ist in einem Verein, ist es so möglich, so die Strukturen zu fördern.

Und zum anderen das hier (Titelbild, rechter Teil - Anm. d. Red.).
Es ist unwahrscheinlich wichtig, den Fokus während des Spiels auf die Mannschaft zu legen, um als zwölfter Mann mithelfen zu können.

Hintergrund dieser Bilderinterpretation: Bist Du als Trainer nun eher der brodelnde Vulkan, der immer wieder mal ausbricht - oder der ruhige, besonnene Analytiker?
Ich glaube, ich kann mich wie ein Chamäleon wandeln. Am liebsten bin ich der Analytiker. Manchmal braucht es, um der Mannschaft während des Spiels Impulse mitgegeben zu können, aber auch einen brodelnden Vulkan. Das Team muss es ja mitbekommen, dass der Trainer unzufrieden ist - und das nicht erst in der Halbzeit, sondern sofort. (schmunzelt) Ich bin insgesamt ruhiger geworden. Früher war das Verhältnis Vulkan zu Analytiker 70:30, jetzt ist es 30:70 (lacht).


»Spieler ist inzwischen Partner des Trainers, nicht mehr Untergebener«

Sind denn Vulkanausbrüche bewusst gesteuert?
Natürlich spielt auch die Emotion eine Rolle, das will ich gar nicht bestreiten. Vulkanausbrüche sind aber bei mir inzwischen größtenteils gesteuert. Schaut ein Spieler zu mir raus, soll er ja sofort mitbekommen, wie seine Leistung und die des Teams allgemein zu bewerten ist. Läuft alles in guten Bahnen, sitze ich mich gerne mal hin. Es gibt aber auch Spiele, da braucht mich die Mannschaft permanent an der Linie.

Wie reflektierst Du mit etwas Abstand Bilder wie das erste?
Das bin einfach ich - als Fußballtrainer mit Leib und Seele. Meine Tochter würde wieder sagen, ich schaue immer böse oder so ernst, wenn es um Fußball geht. Sie kennt mich so nicht als Papa (schmunzelt).

Entspricht der Charakter des Trainers Harald Funsch also nicht dem des Menschen Harald Funsch?
Als Mensch bin ich noch ein Stück weit ruhiger. So bin ich übrigens auch in der Spielvor- und nachbereitung. (überlegt) Ich sage mal so: Während des Spiels hat man auch nicht die Zeit, sich runterzufahren. Da ist der Wille, etwas zu erreichen, einfach vorrangig. Und dadurch wird das Ganze etwas emotionaler.

Unter dem 57-Jährigen ist ein klarer Aufwärtstrend bei den Unterfranken auszumachen.
Unter dem 57-Jährigen ist ein klarer Aufwärtstrend bei den Unterfranken auszumachen. – Foto: Sportfoto Zink / M.Zink

Wie groß ist die Gefahr, den Bogen zu überspannen?
Früher größer als heute (lacht). Als junger Trainer war ich noch gefährdeter, weil ich gewisse Dinge einfach das erste Mal erlebt habe. Nach knapp 30 Jahren im Geschäft habe ich mittlerweile einiges an Erfahrung. Das lässt einem ruhiger werden.

Früher - also sagen wir mal während Deiner Zeit bei Gerbrunn in der damals eingleisigen Bayernliga Anfang der 2000er - brauchten die Spieler eine härtere Hand, heute muss man eher mit Empathie punkten. Stimmst Du dem zu?
Ja. Absolut. Wenn man dieses konkrete Beispiel nimmt, liegen ja zwei Spielergenerationen dazwischen. Vor gut 20 Jahren war die Fußballersprache noch eindeutiger, direkter. Hinzu kommt die Gegebenheit, dass die Spieler wussten, dass es dazu gehört, sprachlich in einem gewissen Rahmen zu agieren. Heutzutage sind die jungen Burschen aufgeschlossener und selbstbewusster. Der Spieler ist inzwischen mehr der Partner des Trainers, nicht mehr der Untergebene. Dem Trainer in seiner Wertstellung brachte man mehr Respekt gegenüber mit. Es hieß immer: Dem Trainer widerspricht man nicht. Heutzutage muss man viel mehr überzeugen und aufzeigen, dass es richtig ist, was man da macht.


Der große Vorteil der faktischen Sprache

Eine gute oder schlechte Entwicklung insgesamt?
Eine gute. Weil: Die Themen Kommunikation, Einbindung und somit auch Team kommen somit mehr zur Geltung. Und dass man nur als Team was erreicht, ist klar. Nebenbei kann man sich als Trainer auch etwas mehr absichern. Früher gab es als starker Mann an der Linie klare Entscheidungen von einer Person. Heute werden mehr mitgenommen, mehr Meinungen gehört. Somit können mehr Leute mehr Überzeugungsarbeit leisten, die im heutigen Fußballgeschäft fast schon Grundvoraussetzung ist.

Der Trainer ist nicht mehr nur der, der die Hütchen aufstellt, sondern auch Kommunikator, Vermittler, Psychologe...
...der Streetworker, der Seelsorger, der Studiumshelfer, der Gesundheitsmanager. Es ist eine unglaubliche Vielseitigkeit notwendig, will man ein guter Trainer sein. Aber gerade das macht die Aufgabe so spannend.

Die Spielvor - und nachbereitung wird sicher größeren Raum einnehmen als rund um die Jahrtausendwende, oder?
Ganz klar. Es gibt ja auch deutlich mehr Kommunikationsmittel wie WhatsApp. Man ist viel schneller und besser informiert über Vorgänge in der Mannschaft oder den Zustand der Spieler. Gleichzeitig hat man mehr Möglichkeiten, Informationen zur Verfügung zu stellen, die man natürlich auch gerne nutzt. Wir arbeiten - wie selbstverständlich - mit Videoanalyse von uns selber und des Gegners. Gott sei Dank haben wir auch jemanden, der die komplette Datenaufbereitung macht. Ich kann also all meine Gedanken mit Bilder und Zahlen begründen, was aus vorher genannten Gründen sehr wichtig ist - Stichwort: Faktisches Sprechen.

Wie bereitet man eine Partie wie die gegen Vatan Spor Aschaffenburg nach? Einerseits ein wichtiger Sieg. Andererseits die viel zitierten "Tumulte".
In Sachen Tumulte muss ich gar nichts nachbereiten, weil unsere Seite spielerseits da nicht groß beteiligt war. Da hat also kein Spieler einen Fehler gemacht. Dass Fans an die Bande springen, sehe ich jede Woche. Von daher konnte ich nur auf einen wichtigen Sieg zurückblicken.

Und wie bereitet man ein Spiel wie gegen Vilzing, das sich im Vorfeld über Eure nicht berücksichtige Bitte hinsichtlich einer Spielverlegung ärgerte, vor?
Genauso wie immer. Zum einen was die Hygieneregeln betrifft, die jedem bekannt sind. Zum anderen gibt es auswärts immer wieder Mannschaften, die einem nicht unbedingt mit Freude empfangen. Nochmal zum Thema Spielverlegung...

Nur zu.
Im Verein hatten wir immer - wie so viele andere Mannschaften auch - dazu eine eindeutige Meinung: Wir finden es nicht richtig, dass gesellschaftliche Problematiken wie eine Pandemie für sportliche Diskussionen verwendet werden. Es gibt klare Regelungen, an die man sich zu halten hat. Stehen noch genügend Spieler zur Verfügung, findet das Spiel statt - und alle haben sich danach zu orientieren. Oder: Man äußert sich im Vorfeld der Partie entsprechend offen und ehrlich. Anderweitige Verletzungen einfach aufzuaddieren, finde ich sehr verwerflich.


Ist der WFV noch »groß«?

Das bisherige Interview zusammengefasst: War früher alles besser?
Klares Nein. Wir müssen uns gesellschaftlich anpassen. Wenn trotz der Entwicklung in diesem Bereich der Fußball stehen bleiben würde, wäre das nicht gut. Und es ist nun einmal einfach so, dass die Kinder von uns allen heute anders erzogen werden wie früher. Keiner braucht sich also über eine folgende Generation beschweren, weil er für deren Erziehung selber verantwortlich war.

Kleiner Themawechsel: Der WFV war mal eine ganz große Nummer, gehörte dann vor zwei, drei Jahren „immerhin“ noch zum Spitzenfeld der Bayernliga Nord. Aus hinlänglich bekannten Gründen stecken die Nullvierer aber nun im Abstiegskampf. Wie nimmst Du den Verein wahr?
Nach den Kickers im Profibereich und Schweinfurt, Aschaffenburg sowie Aubstadt in der Regionalliga ist der WFV im unterfränkischen Raum gemeinsam mit Großbardorf nach wie vor allgegenwärtig. Der WFV ist ein Traditionsverein, der gelebt wird. Das spürt man jeden Tag. Deshalb ist es etwas Besonderes, hier Trainer zu sein. Von außen betrachtet habe ich das vor meinem Engagement hier gar nicht so wahrgenommen. Die Wichtigkeit des Fußballs ist in diesem Stadtteil schon enorm. Das macht die Aufgabe brisanter. Einerseits freut mich sich auf große Unterstützung von den Anhängern. Anderseits ist dadurch der Druck natürlich größer.

Der WFV ist also nach wie vor "groß"?
Ja. Alleine, wenn man sich den großartigen Jugendbereich ansieht.

"Der WFV ist ein Traditionsverein, der gelebt wird. Deshalb ist es etwas Besonderes, hier Trainer zu sein."
"Der WFV ist ein Traditionsverein, der gelebt wird. Deshalb ist es etwas Besonderes, hier Trainer zu sein." – Foto: HMB Media/Julien Becker

Und Harald Funsch muss dafür sorgen, dass auch die 1. Mannschaft wieder "groß" wird?
...und vor allem, dass die jungen Leute, die im Jugendbereich spielen, eine Perspektive haben.

Schwelgt man in der Zellerau zu sehr in Erinnerungen - oder hat man die Zeichen der Zeit erkannt und angenommen?
Im Gegenteil. In den knapp 120 Tagen, in denen ich da bin, hat man sehr, sehr viel für die Zukunft getan. Strukturell im Sinne von einer Gesamtrichtung innerhalb des Vereins wurde zuletzt sehr viel verändert und angeschoben. Wir müssen sogar auf eine Priorisierung achten, sonst wird es zu viel.

Es geht also im Großen und Ganzen in die richtige Richtung?
Extrem. Es gibt noch viel Arbeit, nichtsdestotrotz.

Ist auch die kommenden Jahre das einzige Ziel der Klassenerhalt? Oder siehst Du mehr Potenzial im Verein?
Steckt man in einer gefährlichen Situation - wie derzeit -, hat man zunächst Demut zu zeigen. Erst muss die Ist-Situation gelöst werden. Trotzdem ist es ein realistisches Ziel, ein, zwei Schritte zu machen. Und ich habe festgestellt, dass auch ein Trainer, dessen Zeit bekanntlich begrenzt ist, da durchaus Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten hat.

Vielen Dank für das Interview, alles Gute für die Zukunft - und ganz wichtig: Gesund bleiben.

Aufrufe: 019.12.2021, 05:30 Uhr
Helmut WeigerstorferAutor