2024-04-25T14:35:39.956Z

Allgemeines
Perfekt aufeinander abgestimmtes Tandem: Manager Michael Wagner (links) und Trainer Horst Hülß.
Perfekt aufeinander abgestimmtes Tandem: Manager Michael Wagner (links) und Trainer Horst Hülß. – Foto: Archivfoto: Kunzendorf

Markklößchensuppe und fliegende Flaschen

Wie vor 20 Jahren zwei besondere Muntermacher den sensationellen Oberliga-Aufstieg der SG Walluf beflügelt haben

Walluf. Die Markklößchensuppe wurde zum Markenzeichen und eine in die Kabine geworfene Wasserkiste setzte ungeahnte positive Emotionen frei. Das sind nur zwei von unzähligen Facetten eines Fußball-Märchens, das die SG Walluf vor genau 20 Jahren mit dem besiegelten Aufstieg in die damalige Oberliga und heutige Hessenliga schrieb. Die Rheingauer Hartplatzhelden waren unter der Regie von Chefcoach Horst Hülß und Manager Michael Wagner tatsächlich in Hessens Beletage angekommen – seinerzeit nach Bundesliga, Zweite Liga und Regionalligen die vierthöchste deutsche Spielklasse.

Der Faktor Michael Wagner: „Die Mischung im Kader war einfach sensationell. Sowohl sportlich als auch charakterlich. Eine Mannschaft, die vieles selbst geregelt hat. So etwas habe ich nie wieder gesehen oder erlebt“, blickt Wagner (63), der mit seinem Gespür und seinen ausgeprägten Kontaktfeldern zum Wegbereiter wurde, zwei Jahrzehnte nach dem denkwürdigen Ereignis zurück. Oft wird beim Blick zurück die Vergangenheit verklärt, im Fall des Wallufer Höhenflugs gilt aber uneingeschränkt das Prädikat „einmalig“.

Der Faktor Horst Hülß: Als Horst Hülß im Verlauf der Spielzeit 1998/99 auf die Hartplatzanlage im Johannisfeld kam, rangierten die Rheingauer auf einem Abstiegsplatz. Doch Fußballlehrer Hülß (81), der bei Mainz 05, beim SV Wiesbaden und beim SV Wehen schon Großes vollbracht und Anfang der 1990er bereits einmal fünf Jahre bei der SGW den Kurs vorgegeben hatte, führte das Team mit einer Serie ungeschlagener Spiele ans rettende Ufer und setzte den Höhenflug mit nahezu unveränderter Formation 1999/2000 nahtlos fort. Als am letzten Spieltag beim FC Eschborn beim 0:2-Pausenrückstand der erste Klecks auf Wallufs blütenweißer Weste mit saisonübergreifend über 40 Partien ohne Niederlage zu geraten drohte, setzte Hülß in der Pause ein Zeichen. Warf ad hoc eine Wasserkiste in die Kabine, ohne sich offenbar bewusst zu sein, dass es sich um Glasflaschen handelte.

„Von euch lasse ich mir meine Serie nicht kaputtmachen“, erinnert sich Wagner noch genau an das Zitat des Coachs, der damit auf dem Absatz kehrt machte und die Kabine verließ. Einen Scherbenhaufen und ein Team unter Starkstrom hinterließ. Miodrag Sakan (2), Toni Miracapillo und Markus Neuser stellten nach der Pause ruckzuck auf 4:2 – Wallufs Wunder mit makelloser Bilanz war perfekt, Hülß‘ Reizpunkt hatte für den gewünschten Effekt gesorgt.

Der Faktor Kenny Achampong: Letztlich verschmolzen glückliche Fügungen und besondere Spielertypen zu einer Einheit. Das beste Beispiel: Kenneth „Kenny“ Achampong (heute 53) war Profi in England, wollte seine Laufbahn eigentlich beenden. Er flog nach Frankfurt, um seine heutige Frau Olive zu besuchen, die in Wiesbaden im Nassauer Hof arbeitete. Wagner, dienstlich am Flughafen unterwegs, bekam mit, wie in Achampongs geöffnetem Koffer Fußball-Aufnahmen zum Vorschein kamen. „Ruf an, falls du Lust hast, in einem kleinen, familiären Verein zu spielen“, weiß Wagner noch um seinen Satz zum Abschied. Ein halbes Jahr später rief Achampong an, avancierte als zentraler Abwehrdirigent zu einer Säule des Wallufer Gefüges. In dem die Rädchen beinahe perfekt ineinandergriffen. Mittelfeld-Filigrantechniker Zoran Krneta kam in den Wirren des Jugoslawien-Kriegs durch die familiäre Bande zum ehemaligen Wallufer Vereinsvorsitzenden Vaso Krnjaic ins Johannisfeld. Durch Krneta wiederum fand der dynamische Miodrag Sakan den Weg zur SGW. Zudem setzte Raymond Agyeman, familiär verbunden mit Ex-Eintracht-Star Anthony Yeboah, als Sturmtank Akzente.

Der Faktor Familie Mohr: Aber auch die Rahmenbedingungen stimmten: Otto Mohr senior war unter den Sponsoren eine zuverlässige feste Größe, sein Sohn Otto junior sorgte auf dem Spielfeld mit seiner linken Klebe und Stärken bei Standards für prägende Momente. Während Mutter Maria vor den Heimspielen beim Besuch der Mannschaft im Hause Mohr Markklößchen-Suppe servierte. Das entwickelte sich im Sog der Serie kurzerhand zum Ritual.

Erst in der Oberliga riss der Faden beim Auftakt-0:1 gegen Lohfelden. Dieses Match wurde in Eltville ausgetragen. Auch Lorch wurde zum Ausweichdomizil. Und als das Rheinhochwasser keine Austragung in Walluf erlaubte, ging es auf den Kunstrasen am Schiersteiner Zehntenhof, wo im April 2001 gegen den KSV Baunatal (6:2 mit vier Toren des aus Worms geholten Mischa Lautenschläger) ein Befreiungsschlag gelang. Und beim 3:2 über den FSV Frankfurt um den Fallrückzieher-Schützen Mo Idrissou mit dem Siegtor von Volker Gebhardt ein zweites denkwürdiges Spiel stattfand.

Klassenerhalt das zweite Wunder: Zuvor hatten die Rheingauer im November 2000 die zweite Garnitur von Eintracht Frankfurt, unter anderem mit Albert Streit, 2:1 geschlagen. „Auch der heutige Bundesliga-Schiedsrichter Tobias Stieler hat damals in dieser Klasse gepfiffen. Wir waren an der Grenze zu den Profiligen“, mag Michael Wagner keine Sekunde dieser Phase missen, in der die Wallufer um Neuzugang Thorsten Becht (heute Coach der Spvgg. Eltville) – obwohl mehrfach bereits abgeschrieben – den Klassenerhalt schafften, ehe im zweiten Jahr der Abstieg nicht mehr zu verhindern war. An der Einmaligkeit der Ereignisse ändert das für den damaligen SC Freiburg des Rheingaus nichts.

Wallufs Meister des Jahres 2000

Die Wallufer Meistermannschaft des Jahres 2000: André Eder (32 Jahre/26 Spiele/0 Tore), Christian Berger (21/0/0), Kenneth Achampong (33/26/8), Raymond Agyeman (/21/8/5), Sascha Brox (25/26/7), Angelo Del Buono (26/12/0), Detlef Dombrowski (29/14/0), Yaw Heiser (21/24/1), Zoran Krneta (27/23/7), Artur Lemm (25/24/1), Frank März (29/26/5), David Meinerz (24/23/0), Antonio Miracapillo (24/22/5), Otto Mohr (34/9/0), Markus Neuser (26/26/4), Miodrag Sakan (38/25/12), Timo Sieben (/21/16/2), Ingo Tepper (22/14/3), Dirk Volland (19/1/0).

Aufrufe: 04.6.2020, 09:00 Uhr
Stephan NeumannAutor