51 Minuten vorher: Bei Sonnenschein ist gerade die Bezirksliga-Partie der Bayern Kickers gegen den ASV Zirndorf angepfiffen worden. Ein älterer Herr kommt an den Sportplatz in der Neusorgstraße und sagt zu seinem Begleiter: „Wir müssen schon ein bisschen in die Mitte gehen, damit wir sehen, was der Juri Judt zusammenbringt.“ Zu Beginn ist das wenig. Der prominente Winterneuzugang schleicht über den Platz, seine erste Aktion ist ein Foul. Beim Führungstor seines Teams bleibt Juri Judt so, wie man ihn kennt: still und zurückhaltend. So habe er sich auch in seinen ersten Trainingseinheiten gegeben, meint Alexej Braunagel. Der Mann, der Judt zurückholte.
Braunagel kommt erst später in die Partie, jetzt steht er am Spielfeldrand und erzählt: „Als Juri damals in der Jugend zu Fürth ging, haben wir gesagt: Wenn du mal kein Profi mehr bist, kommst du zurück. Ich dachte immer, dass ist nur ein Spaß.“ Braunagel hat sich getäuscht. Schlimm findet er das nicht. „Wir sind froh, dass er da ist“, sagt er. Die Initiative zum Wechsel ging von Judt selbst aus. Der Kontakt zu Braunagel riss nie ab, im Winter schrieb Judt seinen Kumpel an und fragte, ob er nicht Lust hätte, mal wieder zu kicken. Braunagel nahm Judt ins Training mit, dann war die Entscheidung schnell gefallen: „Er wollte einfach wieder kicken und das mit seinen Kumpels“, erklärt Braunagel. In der D-Jugend ging Juri Judt zur Spielvereinigung Greuther Fürth und arbeitete sich gemeinsam mit seinem Entdecker und Förderer Heinz Höher hoch bis in die Bundesliga zum 1. FC Nürnberg. Dort reifte er zum Stammspieler, wechselte aber mehrere Verletzungen später zu RB Leipzig, damals noch ein Regionalligist. Es folgten Stationen in Saarbrücken, Erfurt und Seligenporten.
Und jetzt nach einem halben Jahr Pause: der Heimatverein. Nach einer halben Stunde gibt es Tumulte. Wegen Juri Judt. Mit gestrecktem Bein geht er in den Zweikampf, die Zirndorfer sind erzürnt und fordern mehr als nur eine Gelbe Karte. Ein Anhänger des Gegners beleidigt Judt wegen seiner Herkunft, Judt läuft an den Seitenrand, er sagt nichts, aber sein Blick sagt alles. Mitspieler halten ihn zurück. „In England hätte man weitergespielt, aber es hat schon geklappert“, sagt Achim Mletzko.
Es ist Halbzeit, die Gemüter sind beruhigt, der Sportvorstand sitzt auf einer Bierbank. „Juri hat sein jahrzehntealtes Versprechen eingelöst“, sagt er. Ein Lächeln umspielt seine Lippen. „Der Transfer ist natürlich eine Motivation“, meint Mletzko. Für ihn ist die große Frage: „Gelingt es unserer Mannschaft, Juris Profi-Niveau zu erreichen oder passt er sich unserem an?“
Kurz nach der Pause schreit Trainer Jasmin Halilic: „Juri, dirigier!“. Lange dirigieren wird Juri aber nicht mehr. In der 51. Minute beendet ein Foul seinen ersten Startelf-Einsatz. Ohne große Proteste akzeptiert Judt die Gelb-Rote Karte, zieht auf der Bank seine Jacke an und schaut zu. Geht der Platzverweis in Ordnung? „Ja“, meint Judt. „Wenn es der Schiri sagt, dann ist es immer richtig.“ Judt lächelt süffisant. Den Umgang mit Medien kennt er: Judt ist immer freundlich, viel preis gibt er aber nicht. Die 51 Minuten gegen Zirndorf seien anstrengend gewesen, nach der Pause müsse er sich erst einmal wieder reinkommen. „Ich habe es vermisst, Fußball zu spielen“, erklärt Judt. Das Niveau sei okay. „Ich habe es mir schlimmer vorgestellt“, sagt er. Priorität in Judts Leben genießen jetzt Ausbildung und Familie. Seit sieben Monaten ist er Azubi im Landesamt für Statistik in Fürth.
Fast zeitgleich spielt am Sonntag der Club im Frankenstadion. Juri Judt steht auf dem Sportplatz der Bayern Kickers. Wehmut? „Nein, überhaupt nicht. Es ging einfach vom Körper nicht mehr. Früher dachte ich immer, es sei ein Gerücht, dass im Alter alles weh tut, aber leider ist es wirklich so“, meint Judt. Während seiner Profi-Laufbahn hat er immer die Lage bei den Kickers verfolgt. „Manchmal hat er zu seinen Club-Zeiten zugeschaut. Vermummt, damit ihn niemand erkennt“, sagt Schul- und Fußball-Kumpel Braunagel. Darauf angesprochen schmunzelt Judt und weicht aus: „Na ja, so oft habe ich nicht mehr zugeschaut“.
Sportvorstand Mletzko weicht nicht aus, wenn sich die Frage nach dem Saisonziel stellt: der Relegationsplatz, sagt er. Trainer Jasmin Halilic ist da vorsichtiger: „Uns fehlen einige wichtige Spieler.“ In der Mannschaft sei die Verpflichtung von Judt gar kein so großes Thema gewesen. „Als Juri zurückgekommen ist“, erzählt Halilic, „hatte er seinen Mitgliedsbeitrag bar in der Hand dabei“. Genau wie damals. Star-Allüren waren Juri Judt schon immer fremd, er ist jetzt wieder ein ganz normaler Bezirksliga-Spieler.