2024-05-02T16:12:49.858Z

Allgemeines
– Foto: Yvonne Gottschlich

Imke Wübbenhorst: Die Wegbereiterin, die keine sein will

Imke Wübbenhorst war die erste Trainerin in der Fußball-Oberliga. Jetzt ist sie die Zweite in der Regionalliga. Über eine Frau, die eigentlich nur über Fußball reden will, und doch immer über sich selbst reden muss.

„Erste“ gab es in den vergangenen Jahren im Sport eine Menge: Bibiana Steinhaus wurde 2017 die erste Schiedsrichterin in der Bundesliga, Claudia Neumann kommentierte als erste Frau bei der Fußball-EM der Männer 2016. Ende des vergangenen Jahres gewann Dartspielerin Fallon Sherrock als erste Frau Spiele bei einer WM.

Auch Imke Wübbenhorst war 2018 die erste Trainerin, die einen Fünftligisten übernahm. Ein Trainerwechsel, der sonst keine Randnotiz wert wäre, löste einen Mediensturm auf die Gymnasiallehrerin aus. Sexistische Fragen konterte die 31-Jährige mit schlagfertigen Antworten, die sie nur noch bekannter machten.

Im Mai 2019 begann sie ihre Ausbildung zum Fußball-Lehrer, gemeinsam mit dem früheren Nationalspieler Tim Borowski und 23 weiteren Männern. In dieser Zeit machte sie Hospitationen bei Julian Nagelsmann in Leipzig, bei Heracles Almelo und beim Londoner Klub West Ham United Women. Doch die Corona-Krise machte auch ihr einen Strich durch die Rechnung, die Abschlussprüfungen müssen warten.

Trotzdem ist die ehemalige Bundesliga-Spielerin des Hamburger SV seit Mitte April Trainerin der Sportfreunde Lotte. Der Regionalligist stattete die frühere U19-Europameisterin mit einem Zweijahresvertrag aus. In der vierten Liga war Wübbenhorst aber „nur“ die Zweite. Ex-Nationalspielerin Inka Grings hatte 2019 den SV Straelen übernommen. Ein Gespräch über Spielphilosophie, Klischees und Grenzen, die sie einreißen will.

Welche Frage können Sie nicht mehr hören?

Imke Wübbenhorst Viele Fragen in Bezug auf Frauen im Fußball und natürlich jene auf diesen mittlerweile überregional bekannten Spruch mit der Sirene auf dem Kopf.

Sie betonen immer wieder, dass sie eigentlich nur über Fußball sprechen wollen. Welchen Fußball möchten Sie spielen?

Wübbenhorst Ich glaube, den, den viele möchten. Hoch und früh attackieren, Balleroberungen im gegnerischen Abwehrdrittel, auch hinten Fußball spielen, wenig über lange Bälle, sondern ein gepflegter Kurzpassfußball. Und natürlich die Umschaltmomente nutzen, dass wir nach Balleroberungen schnell nach vorne spielen, auch da präferiere ich, über kurze Tief-Klatsch-Steil-Aktionen zu kommen und nicht über lange Bälle hinter die Abwehrkette. Und ein sofortiges Gegenpressing, das man natürlich auch gut vorbereiten muss. Ich glaube, das wollen die meisten Trainer. Das ändert sich immer nur im Detail.

Wessen Spielweise eifern Sie nach?

Wübbenhorst Das ist generell – nicht nur durch meine Hospitation – Julian Nagelsmann, weil er neben dieser RB-Philosophie – gegenpressen, früh angreifen – das Spiel noch in der Phase mit dem Ball erweitert hat. Er hat einfach erkannt, dass man lange Ballbesitzphasen realisieren muss, wenn man so intensiv gegen den Ball spielt, und nicht nur nach vorne und auf den zweiten Ball gehen kann. Das hat mich fußballerisch nachhaltig geprägt. Er arbeitet sehr akribisch.

Die Situation ist aktuell besonders schwierig, durch die Corona-Pandemie wissen Sie gar nicht, worauf Sie hinarbeiten. Wie kommunizieren Sie das Ihren Spielern?

Wübbenhorst Ich gehe davon aus, dass die Saison nicht weitergespielt wird. Ich spreche jetzt auch schon mit allen Spielern telefonisch und perspektivisch persönlich, um ihnen zu sagen, mit wem ich in der nächsten Saison plane und mit wem eher nicht, auch wenn das noch sehr früh ist. Wenn wir da etwas angehen wollen, müssen wir uns frühzeitig an die Kaderplanung machen.

Welche sportlichen Ziele haben Sie mit Lotte?

Wübbenhorst Mittelfristig ist es so angelegt, dass wir sportlich erfolgreich und nicht Mittelmaß sein wollen. Aber aufgrund der aktuellen Situation weiß man ja überhaupt nicht, welche Spieler man bekommt und wie sich das alles entwickeln wird. Wenn man nicht weiß, wie der Kader ist, kann man schlecht Ziele vorgeben. Dann kann man planen und sagen, wir möchten sportlich wieder zu den Topklubs der Regionalliga West gehören, aber wie es dann genau aussieht, wenn man nicht weiß, wie sich die Situation auf dem Spielermarkt aufgrund der Pandemie entwickelt, können wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Es kann ja auch sein, dass wir jetzt Spieler fix machen, weil wir gerade denken, wir sind in einer glücklichen Lage, weil wir handlungsfähig sind und Spieler verpflichten können. Dann gehen aber vielleicht viele Drittliga-Vereine übern Deister und diese Jungs spielen in allen anderen Mannschaften, weil wir uns kein Budget mehr offengehalten haben. Das ist immer noch ein Sport, in dem entscheidend ist, welche Qualität du im Kader hast. Aber wir wollen uns gut aufstellen und orientieren uns mittelfristig in Richtung Aufstieg.

Sie haben viel für ihren Traum aufgegeben. Woher rührt diese Leidenschaft?

Wübbenhorst Ich hatte immer schon die Leidenschaft für Fußball. Meine Eltern wollten immer, dass ich reite und habe auch direkt ein Pony zur Geburt geschenkt bekommen, aber mich hat immer nur der Fußball begeistert. Auch weil man ihn als Mannschaftssport betreibt. Das treibt mich immer an, dass man gemeinsam Ziele verfolgt und etwas erreichen möchte.

Sie haben dafür einen sehr sicheren Job als Lehrerin aufgegeben. Können Sie sich eine Rückkehr in den Beruf vorstellen?

Wübbenhorst Es ist ein super schöner Beruf, der mir richtig viel Spaß gemacht hat. Was mit da gefehlt hat, ist die Emotion, die Anspannung vor dem Spiel, der Erfolgsdruck, den hat man als Lehrerin nicht. Wenn man das von klein auf kennt, dann will man das immer haben. Man möchte dann vor Spielen diesen Adrenalinschub und bei Toren die Emotionen spüren. Deswegen hängt meine Leidenschaft einfach so am Fußball. Das heißt nicht, dass ich als Lehrerin nicht auch glücklich war. Ich habe auch kein Problem, mich anders zu orientieren, eine Familie wäre auch nicht das Schlechteste.

Was hat sich durch die Ausbildung zur Fußball-Lehrerin an Ihrer Arbeitsweise verändert?

Wübbenhorst Dass man viel, viel systematischer vorgeht und die Spielphasen in noch viel kleinere Einzelteile zergliedert und dadurch in der Lage ist, zu erkennen, woran es liegt, wenn zum Beispiel das Gegenpressing nicht funktioniert. Bereiten wir es nicht gut vor, führen wir es nicht gut durch? Das war schon sehr beeindruckend.

Sie haben an drei Stationen hospitiert. Was haben Sie mitgenommen?

Wübbenhorst Dass jeder Trainer seine eigene Art hat. Matt Beard bei West Ham war total nah und familiär, Frank Wormuth hat sehr viel Wert daraufgelegt, Sachen einzuschleifen und Julian ist eben sehr akribisch, was das Taktische betrifft. Das waren drei total andere Herangehensweisen und alle drei auf ihre Art total passend und erfolgreich. Es gibt kein Patentrezept für einen Trainer. Deshalb muss jeder für sich herausfinden muss, mit welchem Weg man am authentischsten ist. Ich bin anders als jeder.

Sie wollen keine Pionierin sein, aber Sie sind es dennoch. Für alle Frauen nach Ihnen wird es normaler sein, eine Männer-Mannschaft auf diesem Niveau zu trainieren. Sind Sie nicht doch manchmal froh, dass diese Frauen wahrscheinlich nicht mehr gefragt werden, ob sie eine Sirene auf dem Kopf tragen, um die Spieler nicht in der Kabine ohne Hose zu erwischen?

Wübbenhorst Die Frauen, die Trainerin sind, kennen den Fußball, kennen die Fußballersprache, wir sind halt Fußballer. Wir sind weder Frau oder Mann. Wir leben den Sport genauso. Man kann ja nicht so stereotypes, klischeebehaftetes Denken, dass Frauen keine Entscheidungen treffen können, dass die immer auf Harmonie aus sind, immer weiterführen. Ich kenne ganz viele Frauen, die das nicht sind und ich glaube, dass man dieses Schubladendenken einfach mal aus dem Kopf bekommen muss. Wenn man dann mit Frauen über Fußball spricht, erkennt man, dass sie Ahnung haben. Darum geht es ja einfach nur. Ich glaube schon, dass die es dann einfacher haben werden. Das ist auch schön, weil sie nicht von Normen beschränkt werden, die aufgrund unserer Sozialisation entstehen, sondern dass sich jeder Gedanken macht, warum gibt es diese Grenzen in unserem Kopf? Einfach nur, weil wir sie selbst so leben. Ich würde mir wünschen, dass es diese Grenzen einfach nicht mehr in unseren Köpfen gibt, dass die Gesellschaft offener wird. Das war jetzt sehr philosophisch. Dieses Klischeedenken, dass man jemanden sieht und ihm oder ihr aufgrund des Geschlechts irgendwelche Eigenschaften zuschreibt – was für ein Quatsch. Ja, ich interessiere mich für Sport, obwohl ich eine Frau bin.

Sie gehören zu den wenigen Menschen, die schon Mannschaften beider Geschlechter trainiert haben. Was entgegnen Sie den Leuten, die sagen, Frauenfußball sei ein eigener Sport?

Wübbenhorst Dass das stimmt. Den meisten geht es um Sensation, die wollen extreme Zweikämpfe, Schnelligkeit und harte Grätschen sehen. Viele gucken gar nicht nach Taktik. Ich brauche ja nicht zu erklären, dass die Mädels super sind und viel arbeiten. Oberflächlich betrachtet, ist es etwas ganz Anderes, weil man nur auf die physischen Merkmale achtet. Wenn man auf Details achtet, sieht man, dass es die gleiche Sportart ist. In anderen Sportarten wird der Vergleich zwischen Männern und Frauen auch nicht dauernd gezogen.

Warum reizt Sie ein Männer-Team mehr?

Wübbenhorst Die Wertschätzung ist anders. Beim Frauenfußball musst du alle immer überzeugen, dass es toll ist. Die Professionalität ist natürlich auch eine andere, das bekomme ich jetzt in der Regionalliga schon zu spüren.

Könnten Sie sich auch vorstellen, wieder zu einer Frauen-Mannschaft zu wechseln?

Wübbenhorst Sehr gut, ja! Man kann dort mit den besten Talenten arbeiten. Das ist auch sehr reizvoll.

Haben Sie auch negative Erfahrungen durch den medialen Hype gemacht?

Wübbenhorst Klar, aber ich lese die negativen Kommentare gar nicht. Ich frage mich dann immer, was das für Leute sind, die das bewerten wollen. Wenn die mich kennen würden, würde mich das berühren oder verletzen, aber ohne mich zu kennen, Äußerungen aufgrund meines Geschlechts zu treffen, das kann ich dann nur belächeln. Insgesamt war die Resonanz äußerst positiv.

Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?

Wübbenhorst Der Traum wäre: verheiratet, zwei Kinder und mit Babybauch an der Seitenlinie hauptamtlich als Trainerin bei Lotte und wir spielen um den Aufstieg in die 2. Bundesliga. Was würde mich einschränken, schwanger eine Mannschaft zu trainieren? Eigentlich nichts. Dass ich mich etabliere, wäre mein erster Wunsch. Mit Lotte in die 3. Liga zu gehen, wäre natürlich ein Traum. Ich glaube, das kann man mittelfristig schaffen. Ich glaube immer dran, dass Leute, die wirklich etwas wollen und alles dafür tun, die das in die Köpfe der Menschen bringen und die den Mumm haben, unkonventionelle Wege zu gehen, dass die auch irgendwann dahin kommen, solange sie nie aufhören zu arbeiten.

Aufrufe: 02.5.2020, 12:00 Uhr
RP / Elisabeth HutherAutor