2024-05-24T11:28:31.627Z

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Mesut Yenigün (vorne) erklärt die Beweggründe für die Initiative „Lebensrettung beim Sport“. 	Foto: Bär
Mesut Yenigün (vorne) erklärt die Beweggründe für die Initiative „Lebensrettung beim Sport“. Foto: Bär

»Hilfe zur Selbsthilfe«

PILOTPROJEKT: +++ Auftaktveranstaltung „Lebensrettung beim Sport“/ Reanimationsschulungen für Fußballvereine durch Johanniter / Angst vor Stresssituation nehmen +++

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giessen. „Es geht um die wichtigen ersten Sekunden und Minuten. Denn nach fünf bis acht Minuten ist der Sauerstoffgehalt im Körper weg“, erläuterte Mesut Yenigün mit ruhiger Stimme. Der Oberarzt des Universitätsklinikums Gießen/Marburg bezog sich auf die 50. Minute des A-Liga-Spiels zwischen der TSG Wieseck II und dem Kurdischen FC Gießen.

Als Betreuer des KFC wurde er auf das Spielfeld gerufen. „Da standen sechs Spieler um einen ohne Fremdeinwirkung zu Boden gegangen und bewusstlosen Wiesecker Akteur herum“, hat Yenigün die Situation noch genau vor Augen. „Dreh ihn mal um“ oder „der hat die Zunge verschluckt“; es herrschte große Verwirrung um das, was gerade passiert. „Ich habe den Puls gefühlt und dann sofort mit der Herz-Druck-Massage begonnen. Ein anderer hat die Mund-zu-Mund-Beatmung übernommen.“ Mit dem eintreffenden Krankenwagen konnte der Spieler dank eines Defibrillators wieder reanimiert werden. Beides rettete dem Akteur vermutlich das Leben. „So eine Laienreanimation kann jeder Mensch durchführen“, unterstreicht Yenigün. „Auch ein Defibrillator ist leicht zu bedienen. Das Gerät führt eine Herz-Rhythmusanalyse durch und spricht mit einem, erklärt, wann man tiefer drücken muss oder wann man entlasten kann.“ Dennis Walter, besagter TSG-Spieler, saß während dieser Erläuterungen im Aufsichtsratzimmer der Volksbank Mittelhessen neben Yenigün und konnte wieder lachen und auf die lebensbedrohliche Situation zurückblicken. „Mir hat in den Tagen nach der Reanimation alles wehgetan. Aber ich bin froh, dass er mir fast alles hinten rausgedrückt hat“, so Walter, der seit Ende März wieder für Wieseck II auf dem Fußballfeld steht.

Dieses einschneidende Erlebnis war für Yenigün der Grund, ein Projekt ins Leben zu rufen. Unter dem Titel „Lebensrettung beim Sport“ – Reanimationsschulungen im Sportkreis Gießen holte Yenigün nach und nach Kreisfußballwart Henry Mohr, Sportamtsleiter Tobias Erben, Landrätin Anita Schneider, die Gießener Johanniter um Rettungsdienstleiter Dirk Rausch sowie die Volksbank Mittelhessen um Regionaldirektor Alexander Zippel und Florian Hofmann von der Firma Zoll Medical, die Defibrillatoren herstellt, mit ins Boot. „Die Resonanz ist nach wie vor überwältigend“, so Yenigün. Ziel des Bündnisses: Die Fußballvereine in puncto Laienreanimation und den Umgang mit Defibrillatoren schulen.

Oberstes Gebot dabei: Die Angst nehmen, in einer solchen Stresssituation mit einer bewusst- und regungslosen Person zügig einzugreifen. „Sie können nichts falsch machen. Außer, sie machen gar nichts“, bringt es Yenigün auf den Punkt. „Über 90 Prozent der Leute greifen in den ersten 10 Minuten nicht ein“, unterstrich Dirk Rausch von den Johannitern die Dringlichkeit.

„Es geht darum, die Vorbildfunktion und die gesamtgesellschaftliche Aufgabe des Sports wahrzunehmen“, unterstrich Erben. Schneider betonte: „Im Bereich Sport wird damit begonnen. Sollte es Anklang finden, steht einer Weiterentwicklung nichts im Wege. Defibrillatoren sind beispielsweise auch in Einkaufszentren und -straßen denkbar.“ Denn, so sind sich alle Beteiligten einig, solche Maßnahmen sind nicht nur im Sport sinnvoll. Dieser übernimmt nun die Pilotfunktion. Allerdings sind die Defibrillatoren mit 1000 bis 2000 Euro nicht ganz billig.

„Diese Aktion basiert auf dem Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe. Denn es ist unmöglich, dass an jedem Sportplatz ein Arzt steht“, macht Volksbank-Vorstandssprecher Lars Witteck deutlich. Die Volksbank stellt für eine Schulung die Räumlichkeiten und den ersten Defibrillator, der am Kunstrasenplatz an der Miller Hall angebracht wird. Zudem unterstützt die Volksbank die Vereine indirekt finanziell durch die drei Förderwettbewerbe „Sterne des Sports“, „Heimliche Helden“ und „160 Jahre – und alle feiern mit!“. Die Deutsche Herzstiftung, vertreten durch den ehrenamtlichen Beauftragten Wolfgang Klaum, unterstützt die Schulungen mit Infomaterial. Auch Yenigüns Kollege, Kardiologe Pascal Bauer, unterstützt die Initiative mit Infos über Präventionsmaßnahmen und Risiken des Sports bei Krankheit.

Die Johanniter werden die Schulungen mit rund 15 Vereinsvertretern an den Defibrillatoren und zur Herz-Druck-Massage durchführen. Die Fußballvereine wurden bereits angefragt, Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Bislang haben sich der TV Kesselbach und der TSV Lang-Göns bereit erklärt. „Wir brauchen sechs bis sieben Räume, sodass wir die Schulungen in Gießen und Umgebung, beispielsweise im Grünberger und Biebertaler Raum, verteilen“, so Mohr. Die Rundenbesprechungen sollen dazu genutzt werden, weiter für die Schulungen die Werbetrommel zu rühren. Los soll es mit den Schulungen nach Ende der Sommerferien Anfang August gehen. „Womöglich stärkt so eine Schulung Gemeinschaft und Ansehen der Vereine.“



Aufrufe: 08.6.2018, 06:00 Uhr
Tim Georg (Gießener Anzeiger)Autor