2024-04-25T14:35:39.956Z

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Trainer Stefan von Martinez übernahm die Mannschaft erst kurz vor der Runde. Archivfoto: hbz/Henkel
Trainer Stefan von Martinez übernahm die Mannschaft erst kurz vor der Runde. Archivfoto: hbz/Henkel

"Diese Saison war ein Wellenbad"

Trainer Stefan von Martinez und Teammanager Jens Klee ziehen Bilanz der Spielzeit in der Zweiten Frauen-Bundesliga +++ Verantwortliche weisen Kritik von Meike Weber zurück

Mainz. In einem kleinen Büro auf dem Vereinsgelände des TSV Schott Mainz sitzen Jens Klee, Teammanager der Zweitliga-Fußballerinnen des TSV, und Trainer Stefan von Martinez. Klee hatte zuvor Vertragsgespräche geführt, von Martinez hatte sich auf der Terrasse des Clubgeländes bei einem Kaffee entspannt.

Herr Klee, Herr von Martinez, wenn Sie diese Saison mit einem Wort beschreiben müssten, welches Wort wäre das?

Von Martinez: Wellenbad.

Klee: Komisch.

Ein komisches Auf und Ab also. Gab es etwas in dieser Saison, das so war, wie Sie es sich vorstellen?

Klee: Positiv zu sehen war, dass wir einige Spielerinnen haben, auf die man sich hundert Prozent verlassen kann, sowohl im Training, im Spiel als auch außerhalb des Platzes. Auch wenn die Saison nicht ganz so gelaufen ist, wie wir sie uns vorgestellt haben.

Von Martinez: Für mich ist auffällig gewesen, auch wenn ich immer wieder mal kritisch mit Marleen (Anm. d. Red.: Marleen Schimmer) umgegangen bin, dass sie trotzdem für das erste Mal im Frauenbereich eine hervorragende Leistung gezeigt hat. Und auch andere Spielerinnen haben eine gute Entwicklung gemacht. Jens bezieht das auf die Zuverlässigkeit, ich auf das Sportliche, und beides zusammen ergibt dann halt genau solche Spielerinnen, die wir auch brauchen.

Wer gehört noch zu diesen Spielerinnen?

Von Martinez: Debora Vinci zum Beispiel, die nicht so gut in die Runde gekommen ist und dann irgendwann die Kurve gekriegt hat. Vor wem ich auch einen Hut ziehen muss, ist Judith Bast. Sie war vorher schon sehr solide und hat das dieses Jahr trotz aller Irrungen und Wirrungen durchgezogen. Auf sie war immer Verlass. Und Ebru Uzungüney. Dass man türkische Nationalspielerin wird, da muss man erstmal hinkommen.

Reden wir über die Probleme. Die Saison hat schon kompliziert angefangen. Ronald Boretti hat als Trainer kurzfristig abgesagt. Sie, Herr von Martinez, sind eingesprungen. Wie schwer war es, eine Mannschaft zu übernehmen, die Sie nicht selber zusammengestellt haben?

Von Martinez: Im Nachhinein betrachtet war das schwer. Ich habe eine Mannschaft übernommen, die ich in der Summe nicht kannte, ich habe Spielerinnen übernommen und Spielerinnen wurden verpflichtet, die vielleicht nicht unbedingt hundert Prozent nach meinem Gusto waren. Ich habe die Vorbereitung übernommen, so wie sie war. Und ich habe auch keinen Co-Trainer gehabt. Das waren so Faktoren, die auch dazu geführt haben, dass wir zum Beispiel taktisch nicht sofort nach Beginn der Vorbereitung bei hundert Prozent waren.

Wenn er jetzt nicht neben Ihnen sitzen würde, Herr Klee, würde ich Sie fragen, ob Stefan von Martinez die richtige Wahl war…

Von Martinez (grinst): Können Sie doch trotzdem.

Also, Herr Klee?

Klee (schmunzelt): So eine Frage ist immer schön, wenn der Trainer nebendran sitzt.

Beide lachen.

Klee: Nein ernsthaft: Mit Stefan sind wir absolut zufrieden. Wir hatten überhaupt keine Bauchschmerzen, seinen Vertrag zu verlängern.

Vor der Saison, Herr von Martinez, haben Sie gesagt: „Das Ziel ist eine Mannschaft, die sich nicht auf den Gegner einstellt, sondern auf die sich der Gegner einstellt.“ Wie viel von diesem Ziel haben Sie mit ihrem Team erreicht?

Von Martinez: Da komme ich zurück auf mein Wort am Anfang: Wellenbad. Anfangs war das so, wenn ich an das Pokalspiel gegen Köln denke. Erst als das mit Larry (Anm. d. Red.: Larissa Gördel) kam, musste ich zwangsläufig abweichen, weil der Kopf einfach nicht mehr dafür da war. Da haben wir uns dann am Gegner orientiert. Und jetzt am Ende der Saison, die letzten drei, vier Spiele, haben wir versucht, unser System zu spielen. In Prozent würde ich sagen, haben wir vielleicht siebzig Prozent von der Aussage bestätigt. Oder sechzig.

Der Tod von Larissa Gördel: Waren das die schwersten Wochen in Ihren Laufbahnen als Trainer beziehungsweise Teammanager?

Von Martinez nickt ruhig.

Klee: Absolut. Larry ist samstags beerdigt worden. Die Mannschaft hat sich damals dazu entschieden, das Spiel in München zu machen. Ich hatte einen riesigen Respekt davor, weil Larry erst einen Tag unter der Erde lag. Ich habe damals das Gefühl gehabt, da wächst was Richtiges zusammen. Persönlich konnte ich das damals nicht. Ich wollte nach der Beerdigung nach Hause und irgendetwas anderes machen, den Kopf frei bekommen. Das war schon eine schwere Sache. Leider haben wir jetzt doch die letzten Wochen an der einen oder anderen Stelle die Charakterfrage gestellt. Es ist für mich die größte Enttäuschung der ganzen Saison, dass ich sehen musste, dass da einige trotzdem nur ihren eigenen Kopf haben und sehr egoistisch sind und nicht an die Mannschaft denken.

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Mannschaft eher auseinander- anstatt zusammengerückt ist?

Von Martinez: Ich habe damals glaube ich schon einmal gesagt, dass es entweder in die eine oder in die andere Richtung geht. Zusammenschweißen ist das eine Extrem und das andere ist, dass die Saison so gelaufen ist, weil alle mit dem Kopf woanders sind. Ich glaube, in die Richtung haben wir uns eher bewegt. Es ging dann nicht darum, dass man als Team auftritt, sondern nur, dass man seine eigenen Interessen vertritt. Woran das schlussendlich gelegen hat, kann ich schlecht beurteilen. Ich habe mich auch öfter hinterfragt, ob ich irgendetwas übersehen habe. Das habe ich mit Sicherheit. Aber ich komme nicht auf den richtigen Faktor, nicht auf den richtigen Moment, das Geschehen. Es war eine brutal schwere Zeit, trotzdem muss ich im Nachhinein sagen: Dass wir in München gespielt haben, war absolut richtig. Weil diese Auswärtsfahrt nach München, so makaber das klingen mag, war für mich ein absolutes Highlight. So wie die Mädels da waren, wird man sie nie wieder erleben. Was auch gut ist. Aber da waren sie wirklich ehrlich, da waren sie offen, da waren sie einmal in der gesamten Saison eine komplette Einheit über ein ganzes Wochenende. Das fing dann mit der Fahrt von der Beerdigung nach München an. Da war die Stimmung nicht so bedrückt, wie man sich das vorstellen mag. Das war dann abends im Hotel auch noch einmal eine andere Stimmung und selbst nach dem Spiel, das wir verloren haben, war das ein ganz anderes Gefühl. Das möchte ich nicht missen. Deshalb glaube ich im Nachhinein, dass das absolut richtig war. Jeder geht damit anders um. Deswegen ist Jens zum Beispiel nicht mitgefahren. Das ist auch okay. Ist ja jedem freigestellt gewesen, auch der Mannschaft. Wenn eine gesagt hätte, sie wolle nicht mitfahren, dann wäre das auch in Ordnung gewesen. Jeder hat da für sich entschieden.

Inwiefern war es möglich, mit der Mannschaft in den Wochen danach normal zu arbeiten?

Von Martinez: Wir haben in den zwei, drei Wochen danach kein zielgerichtetes Training gemacht. Da ging es einfach nur darum, dass wir zusammen waren, dass wir überhaupt trainiert haben, dass wir uns bewegt haben, die Gedanken kreisen lassen, einfach auch mal abgeschaltet haben und ein bisschen Sport betrieben haben. Das war so der Hintergedanken, quasi wie eine Bewegungstherapie. Darum ging’s. Danach habe ich versucht, das wieder peu à peu in die Spur zu bringen, nur wie man dann gesehen hat, war das nicht mehr ganz so einfach möglich.

Die Mannschaft hat in der gesamten Saison nur einen Punkt auswärts geholt. In der Rückrunde waren es insgesamt nur sieben.

Klee: Die extreme Auswärtsschwäche ist mir auch aufgefallen. Ich weiß nicht, ob wir uns vor irgendetwas in die Hosen machen. Keine Ahnung. Vor größeren Kulissen kann ich es ja noch verstehen. Aber selbst das ist ja für Fußballer eigentlich auch eine geile Sache, wenn alle gegen dich sind. Ich kann es nicht so richtig greifen. Dass dieser Teamzusammenhalt, dieser Spirit nicht da war, spielt mit Sicherheit mit rein.

Von Martinez: Wir haben einfach in der Rückrunde gemerkt, dass das Team kein Team war. Und wenn ich an die Auswärtsspiele denke: Die waren teilweise auch knapp. In Köln zum Beispiel nur 0:1. Wir hatten einfach nicht das Glück auswärts.

Keiner von Ihnen hat die vielen Verletzungen erwähnt. War das kein Grund?

Klee: Das wäre nur die halbe Wahrheit. Man kann als Team so viel wettmachen. Wetzlar ist das beste Beispiel. Das sind zweiundzwanzig Mädels, die verdienen überhaupt kein Geld, kommen nur dahin, weil sie Bock haben, weil sie wirklich heiß sind. Deswegen haben sie so Erfolg dieses Jahr.

Trotzdem war es so, dass Sie gerade bei einigen Auswärtsspielen wegen diversen Verletzungen einen sehr dünnen Kader hatten. Das Problem hatten Sie in der vergangenen Saison schon. Damals haben Sie gesagt, Herr Klee, sie wollten daraus lernen.

Generell glaube ich, ist das ein hausgemachtes Problem. Es gibt immer wieder Spielerinnen, da ist es auffällig, dass sie weite Fahrten gar nicht mitmachen möchten.

Spielerinnen geben also vor, verletzt zu sein?

Nein, ich glaube schon, dass die Spielerin dann verletzt ist. Aber vielleicht gibt es da eine gewisse Bequemlichkeit. Eine andere Spielerin ist vielleicht trotz leichter Verletzung noch giftig und gallig darauf und fährt trotzdem mit und versucht es. Aber ich glaube, wir haben auch zwei, drei Spielertypen im Team, die sagen: Ne, dann bleibe ich lieber Zuhause. Generell haben wir uns auch über einen größeren Kader Gedanken gemacht, aber es ist auch schwierig, einen Fünfundzwanzig-Mann-Kader bei Laune zu halten.

Von Martinez: Ich muss das auch etwas relativieren, was als leichte Kritik kam, von wegen, wir hätten aus der letzten Saison nichts gelernt. Der Kader war vor der Saison groß genug. Nur wenn dann vier Spielerinnen kurzerhand nicht mehr dabei sind, wird es eben schwer. Wir haben vor der Saison mit Gina Buglisi geplant, die mir dann einen Tag vor dem Trainingsstart abgesagt hat, weil sie doch keine Lust hatte. Dann ist in der Vorbereitung Sarah Blechschmidt abgesprungen, weil sie gesagt hat, das sei ihr zu anstrengend. Dann kam der Tod von Larry, dann der Kreuzbandriss von Deniz Özer und dann sind vier Spielerinnen weg aus dem Kader. Und dann hatten wir auch nicht die Qualitätsbreite. Wenn dann Annika Leber ausfällt oder Marleen Schimmer, ist der Ersatz nicht Eins-zu-Eins da. Aber das haben andere Vereine auch genauso.

Meike Weber hat sich kürzlich zu Wort gemeldet und kritisiert, dass es keinen Arzt gäbe, denn man mal eben so kontaktieren könnte.

Klee: Letztes Jahr wurde Herr Dr. Ingelfinger von Schalke abgeworben, als Christian Heidel dort hingegangen ist. Mit Ingelfinger haben wir davor zwei Jahre zusammengearbeitet. Das ist der beste Knie-Spezialist, den ich mir eigentlich vorstellen kann hier an der Uni. Und Meike ist trotzdem immer nach Frankfurt gegangen, wenn sie was hatte. Also die Aussagen fand ich nicht so toll. Wir haben außerdem nach wie vor Kontakt zur Uni. Wir müssen das jetzt nur wieder schärfen und konkretisieren, dass wir da einen festen Ansprechpartner haben. Das ist ein bisschen verloren gegangen. Das war auch mein Fehler.

Von Martinez: Wir haben zwei Physiotherapeuten, die jedes Mal beim Training sind. Es ist also nicht so, dass die Mädels keine Unterstützung bekommen. In Sachen Arzt ist das halt extrem schwierig. MRT-Termine bekommt man nicht einfach so hinterhergeworfen. Große Vereine wie Bayern oder Wolfsburg haben ihre Ärzte, aber vielen anderen Vereinen geht das wie uns. Das ist eben ein Feld, das für einen Verein wie den TSV Schott Mainz schwer zu beackern ist.

Stichwort Bedingungen beim TSV. Meike Weber hat auch den Rasenplatz als Grund für ihren Abgang genannt. Sie hat sich beschwert, dass der Platz in einem sehr schlechten Zustand sei. Wird sich da in Zukunft etwas ändern?

Klee: Den Rasen zu erneuern, würde Kosten im sechsstelligen Bereich bedeuten. Wir sind ein Breitensport-Verein, wir haben mehrere Sportarten und die wollen natürlich auch alle etwas vom Kuchen haben. Das ist ihr gutes Recht. So ein Zweitliga-Team hier zu integrieren oder jetzt auch einen Regionalligisten, das ist ein extrem hoher Aufwand. Wir haben Überlegungen, in eine andere Richtung zu gehen. Wir wollen gucken, dass wir einen Ausweichplatz bekommen. Den würde uns der DFB auch genehmigen. Das Ziel wäre, dass wir dort freitags das Abschlusstraining machen und sonntags dort spielen. Aber da haben wir noch nichts Konkretes.

Von Martinez: Ich bin ganz zufrieden mit den Gegebenheiten hier. Mit Ausnahme des Rasenplatzes, der muss anders werden oder wir müssen auf einem anderen Platz spielen. Weil der ist eine Katastrophe. Das spricht sich auch rum. Aber nochmal: Die Bedingungen sind gar nicht so schlecht, wie man sie jetzt darstellen mag. Wir haben einen Kraftraum, wir haben Hallen, wir haben eine eigene Kabine, wir haben das ganze Material hier. Das haben viele Vereine nicht, mit Ausnahme von den Großen.

Wir bleiben bei der Kritik von Meike Weber. Sie hat erklärt, dass sie zum Zeitpunkt der Gespräche noch nicht wusste, wie der Kader aussieht. Das war Mitte März. Warum haben Sie erst so spät mit den Planungen begonnen?

Klee: Wir hatten im Hauptverein die Frage, wo wir stehen. Finanziell wird es einfach weniger, da müssen wir uns darauf einstellen. Deswegen hat es einfach ein bisschen länger gedauert. Aber es gibt auch Vereine, die machen erst im Mai Gespräche.

Sie wussten also nicht, wie es finanziell aussieht im Gesamtverein und deshalb konnten Sie keine Verträge unterschreiben lassen, von denen Sie nicht wussten, ob Sie finanzierbar sind?

Klee: Ja, so war das eine Zeitlang.

Zu wie viel Prozent steht der Kader für die neue Saison?

Klee: Ich sage mal achtzig Prozent.

Von Martinez nickt.

Was bedeuten die zwanzig übrigen Prozent? Was passiert noch?

Klee: Wir haben noch die eine oder andere potenzielle Neue. Wir sprechen noch mit vier, fünf Spielerinnen aus dem aktuellen Kader. Zwei, drei Spielerinnen werden uns auch verlassen, die nicht mehr so ins Kadergefüge passen.

Von Martinez: Die Schwierigkeit im Frauenfußball, gerade in der Zweiten Liga, ist: Wo findest du Spielerinnen mit Qualität, die hier auch spielen wollen. Wir liegen in einer Region, wo du nicht mal Spielerinnen wie zum Beispiel zwischen Leverkusen und Köln gegenseitig hin- und herschieben kannst, die dann nicht umziehen müssen.

Sie haben vor einigen Wochen gesagt, Sie wollten genauer hinschauen bei der Kaderplanung. Was heißt das?

Klee: Dieses Jahr zählt als aller erstes der Charakter. Da ist es mir auch ganz egal, ob es eine Spielerin ist, die eine gewisse Qualität mitbringt. Wir wollen für die neue Saison ein Team haben, das eine Einheit ist und das zusammen durch die Spiele geht. Keine Egoisten.

In der nächsten Saison geht es um viel. Sie möchten sich unbedingt für die eingleisige Zweite Liga qualifizieren. Wie braucht es dafür?

Klee: Ich glaube, wenn wir es nächstes Jahr schaffen, eine Mannschaft zu sein, wenn wir die eigenen Interessen hintenanstellen und wirklich als Team vorangehen, dann schaffen wir das - ohne Probleme.

Von Martinez: Wenn wir auswärts noch ein paar Punkte mehr holen, drei Siege, vier Siege, dann sind wir tabellarisch auch in der Region, wo wir sicher sind.

Wie kann das gelingen?

Von Martinez: Indem wir eingespielt sind. Indem wir mehr über den Teamgedanken kommen. Es geht nächstes Jahr nicht darum, dass wir schön spielen, dass wir den Ball wunderbar zirkulieren lassen können, dass du die Gegner regelmäßig an die Wand spielst. Es geht nur um die Punkte. Wie wir die holen, ist egal. Danach fragt später keine Sau.

Aufrufe: 01.6.2017, 18:27 Uhr
Johannes HolbeinAutor