2024-05-02T16:12:49.858Z

Vereinsnachrichten
Nackig und ohne Dach präsentiert sich das altehrwürdige Ebersberger Stadion, nächste Woche soll bereits der Abrissbagger anrollen. Foto: Stefan Rossmann
Nackig und ohne Dach präsentiert sich das altehrwürdige Ebersberger Stadion, nächste Woche soll bereits der Abrissbagger anrollen. Foto: Stefan Rossmann

Ebersberg verabschiedet sich von Jugendstadion

Nach 60 Jahren wird die Tribüne und der Gebäudetrakt der Ebersberger Traditionsspielstätte abgerissen. Vereinsmitglieder des TSV kramen in ihren Kindheitserinnerungen an einen ganz speziellen Ort, den sie nun für den Bagger entkernen. Dokumentiert von Julian Betzl.

TSV Ebersberg - Der Schweiß rinnt in Strömen, das Holz knarzt, gibt aber nur ungern nach. „Los, beweg dich du Drecksding!“ Gemeinsam reißen und fluchen Thomas Gröninger und Markus Fischer mit vollem Körpereinsatz an einem langen Brecheisen, das sie zwischen die bröckelnde Wand und den grüngestrichenen Türstock gezwängt haben.

Ihr Fluchen wird gelegentlich vom rhythmischen Knall aus der Kabine nebenan übertönt, wenn Zeljko Prelcec mit Schlag- und Spitzhammer unermüdlich auf die grün-weißen Sitzbänke eindrischt, bis sich diese krachend aus ihrem Metallrahmen lösen.
An einem sonnigen Samstagvormittag entkernen 25 Vereinsmitglieder des TSV Ebersberg weitaus mehr als nur muffige Katakomben und eine verwitterte Holztribüne, bevor beides in der kommenden Woche, nach dem verheerenden Wasserschaden Anfang Februar, endgültig dem Erdboden gleich gemacht wird. Beinahe 60 Jahre lang diente das Jugendstadion dem Verein als Trainings- und Wettkampfstätte, als Ort der Zusammenkunft, vor allem aber als monumentales Wahrzeichen des Idealismus.
Im Archiv des TSV gewährt der Abteilungsleiter der Fußballer, Dominic Mayer, Einblick in den Schriftverkehr zwischen Verein und Stadt Mitte der 50er-Jahre. Dokumente, die das jahrzehntelange Ringen um den „Sportplatz an der Volksfestwiese“ belegen. Ihre Anfänge hatte die Suche des TSV Ebersberg nach einer vernünftigen Sportanlage, die dem stetig expandierenden Mitgliederzuwachs gerecht werden sollte, bereits Ende des 19. Jahrhunderts genommen. 1920 wurde die Fußballsparte gegründet, 1921 stellte die Familie Schmederer, der mitunter die Schlossbrauerei sowie das Klostergut in Ebersberg gehörte, den Fußballern des TSV eine Wiese im Laufinger Moos zur Verfügung. Seit der Neugründung des Vereins 1946 wurden die Platzverhältnisse aber zunehmend untragbar.

28 Meter lang, fünf Meter tief – eine der letzten großen Holz-Tribünen im Umland

„Man musste die Wiese ja jährlich für das Volksfest zur Verfügung stellen“, deutet Mayer auf Archivbilder, die mit „Kuhwiese“ oder „Acker“ noch vorsichtig beschrieben sind. Ferdinand Lehnert, zu dieser Zeit 1. Vorsitzender des TSV, musste einiges an Überzeugungsarbeit bei Stadt und Gutsverwaltung leisten, bis dem Verein das Gelände an der heutigen Attenberger-Schillinger-Straße auf lange Sicht mit Vorkaufsrecht und Anlagensicherung zur Verfügung gestellt wurde. Wo sich dieser Tage eine mit 28 Meter Länge und fünf Metern Tiefe letzte größere Holztribüne im Umland in Bauschutt verwandelt, setzten im Sommer 1956 emsige TSVler den ersten Spatenstich für ihr großes Zukunftsprojekt.

Als Baumeister und Finanziers zugleich, machten die Vereinsmitglieder das Großprojekt überhaupt erst möglich. Die Kosten für die Errichtung des Kabinentraktes, der Holztribüne für etwa 500 bis 600 Zuschauer, einer 100-Meter-Aschenbahn, einer Sprunggrube sowie einer Wurfbahn, veranschlagte Lehnert zunächst mit 36 000 DM. Ein Zuschuss über 5000 DM der Stadt und die Spenden der Mitglieder in selber Höhe, bildeten den finanziellen Grundstock der Bauarbeiten, die sich laut Dominic Mayer „durch das abschüssige Gelände und Probleme mit der Erdbewegung“ alsbald zu einer größeren Herausforderung entwickelten, als zunächst vermutet. Im Sommer darauf konnte (pünktlich zum Volksfest) dennoch Richtfest gefeiert werden, auch weil vereinsnahe Unternehmer wie Holzlieferant Kurt Rohde oder die Tuntenhausener Baggerfirma Schmidt nur die Selbstkosten in Rechnung gestellt hatten.

Rekordkulisse 1977: 2000 Fußballfans beim Finale des Kreissportfestes

Der Löwenanteil der Kosten wurde allerdings vereinsintern mit Muskelschmalz und geopferter Freizeit gestemmt. Auf gut 45 000 DM bezifferte Lehnert den Gegenwert der freiwilligen Arbeitsleistungen und Spenden aus der Mitgliederschaft. „Was Idealismus vermag“ titelte die Ebersberger Zeitung bezeichnenderweise am 13. Juni 1957, ehe am Sonntag, den 11. August ein großer Festzug und ein Freundschaftsspiel gegen die Alte Liga des FC Bayern München das Jugendstadion offiziell einweihten.
Bis zur Einweihung des Waldsportstadions im Rahmen der 110-Jahrfeier des Vereins 1987, war die Sportanlage am Volksfestplatz zur ersten richtigen Heimat für Fußballer, Faustballer, Leichtathleten und Handballer des TSV geworden. Anlässlich der großen Hundertjahrfeier 1977 pilgerten 2000 Zuschauer zum Fußball-Endspiel des Kreissportfestes ins Jugendstadion.
Zwar wanderten die meisten Abteilungen mit der Eröffnung des Sportparks und der Dr.-Wintrich-Halle 2004 zunehmend aus dem einstigen Herzstück des Vereins ab; für die Nachwuchsfußballer ist die altehrwürdige Anlage aber bis heute zentrale und wichtige Ausbildungsstätte geblieben. Die glorreichen Zeiten aus den 60ern und 70ern ließen zuletzt die Handballer mit ihrem Rasenturnier „Ebercup 2016“ und 750 Teilnehmern noch einmal aufleben. In der Retrospektive erlebte das Jugendstadion sein finales „Servus“ am 20. August 2016 beim „Volksfestderby“ der Bezirksligakicker gegen den VfB Forstinning, als noch einmal 450 Sportfans die Holztribüne bevölkerten.
Erschaffen aus ehrenamtlicher Hand vor 60 Jahren, sind es nun also wieder die freiwilligen Helfer, die im Jugendstadion anpacken. Diesmal beim Abriss des Tribünentraktes, der geprägt war von viel Geschichte und noch mehr Charakter.

Text: Julian Betzl

Aufrufe: 031.3.2017, 08:34 Uhr
Ebersberger ZeitungAutor