2024-05-10T08:19:16.237Z

Aufreger der Woche
Nicht wenige Bedenkenswertes gab es in den vergangenen Wochen von den Fußballplätzen der Region zu berichten - aber nimmt die Gewalt tatsächlich zu, oder täuscht der Eindruck aufgrund eingehender medialer Berichterstattung? Symbolbild: Rinke
Nicht wenige Bedenkenswertes gab es in den vergangenen Wochen von den Fußballplätzen der Region zu berichten - aber nimmt die Gewalt tatsächlich zu, oder täuscht der Eindruck aufgrund eingehender medialer Berichterstattung? Symbolbild: Rinke

Nimmt die Gewalt im Fußball zu?

Wir haben bei den Amateurkickern im Nürnberger Land nachgefragt

In den vergangenen Wochen standen sie gehäuft in den Schlagzeilen: gewalttätige Auseinandersetzungen bei Amateurspielen in der Region. Als negativer Höhepunkt in einer langen Reihe solcher Vorfälle wurde erst kürzlich bei einer Partie zwischen der DJK Eintracht Süd Nürnberg III SC Italia und der Drittvertretung des VfR Moorenbrunn in Folge einer Massenschlägerei ein bereits am Boden liegender Spieler derart heftig getreten, dass er ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Angesichts dieser Ereignisse, stellt sich natürlich die Frage: Nimmt die Gewalt auf den Sportplätzen zu? Wir haben bei Vereinen im Nürnberger Land nachgefragt und dabei ein recht unterschiedliches Stimmungsbild zur Situation im heimischen Amateurfußball erhalten.
Markus Pirzer ist immer noch völlig fassungslos, als wir ihn einige Tage nach dem schlimmen Vorfall bei Eintracht Süd erreichen. Sein Spieler konnte das Krankenhaus zwar zwischenzeitlich wieder verlassen, aber der Coach der dritten Mannschaft des VfR Moorenbrunn hat diese Jagdszenen noch lange nicht verdaut. „So eine Situation hätte ich niemals für möglich gehalten“, erklärt er sichtlich geschockt. Für ihn steht deshalb eindeutig fest: „Die Gewalt im Fußball nimmt immer mehr zu!“

Natürlich ist Fußball kein Schach und ein gewisses und im wahrsten Sinne des Wortes „gesundes“ Maß an Aggressivität gehören bei einem Kontaktsport einfach dazu. Das weiß auch Pirzer. Dennoch zeichnet sich seiner Meinung nach beim Lieblingssport der Deutschen aktuell eine unschöne Entwicklung ab, die nichts mehr mit normaler sportlicher Rivalität zu tun habe. „Die Hemmschwelle zur Gewalt sinkt immer mehr. Rangeleien sind keine Seltenheit und immer häufiger gleichen Fouls massiven Körperverletzungen“, findet Pirzer. Und der Mann weiß, wovon er spricht, schließlich ist der Moorenbrunner Coach hauptberuflich Polizist, also quasi täglich mit Gewalt konfrontiert.

Ein weiteres Phänomen in diesem Zusammenhang sei laut Pirzer die urplötzliche Eskalation in solchen Fällen: „Anders als früher schlichten die Mitspieler jetzt nicht mehr, sondern mischen munter mit. Und sogar die Zuschauer sind mittendrin!“, betont der Jugendtrainer immer noch hörbar aufgewühlt. So seien bei Eintracht Süd vermeintliche Fans teilweise mit gestreckten Beinen voran in die Rücken seiner Spieler gesprungen.

Psychische Auswirkungen

Als Reaktion auf diesen Vorfall hatte der Bayerische Fußball Verband (BFV) sämtliche Mannschaften beider Vereine zunächst für einen Spieltag vom Spielbetrieb ausgeschlossen und danach alle weiteren Partien bis zum Saisonende unter verschärfte Beobachtung gestellt.

Für Pirzer, der sich und seine Jungs in dieser Angelegenheit ganz klar als Opfer sieht, ist die Verbandsstrafe allerdings nur das kleinere Übel. Viel schlimmer könnten sich die langfristigen Folgen für seine Mannschaft entwickeln: „Wie sich das psychisch auf meine Spieler auswirkt, weiß man ja nicht“, unkt Pirzer. „Ich bin gespannt, ob alle dabei bleiben. Und man muss auch erst mal sehen, was die Eltern machen.“ Klar, denn zum Fußball gehört schon von Grund auf eine erhöhte Verletzungsgefahr, gerade in den unteren Klassen, wo es bekanntlich weniger filigran, sondern meist ziemlich rustikal zur Sache geht. Und welche Mutter und welcher Vater wollen schon das zusätzliche Risiko eingehen, dass ihr Sohn sonntags bei seiner Lieblingsbeschäftigung auch noch verdroschen werden könnte.

Ein Problem der unteren Klassen?

Diese Gefahr sieht Klaus Mösle zumindest für seine Schützlinge nicht. Für den Trainer des Landesliga Nord Ost-Vertreters SC Feucht ist die Gewalt im Fußball kein Unterschichten- dafür aber ein typisches „Unterklassen-Problem“. „Je höher die Spielklasse, desto elitärer geht es auf dem Fußballplatz zu. Ich kann mir solche Szenen in den höheren Ligen nicht vorstellen, da sind meist vernünftige Leute unterwegs. Da stehen Disziplin und Werte im Vordergrund“, erklärt der SC-Übungsleiter. Bei seinem Team würde er derartige Vorfälle unter keinen Umständen dulden: „Ich bin ein Verfechter von Werten – ohne Werte kann ich mein Leben nicht bestreiten.“

Neben der gesellschaftlichen Komponente („Die Leute nehmen doch heute allgemein überhaupt keine Rücksicht mehr“) sieht Mösle eine der Ursachen für die Häufung von gewalttätigen Auseinandersetzungen auch bei den Unparteiischen: „Die klare Spielführung der Schiedsrichter lässt häufig doch stark zu wünschen übrig.“ So würden laxe und inkonsequente Entscheidungen der Referees erst dazu führen, dass „sich dann eine Partie so hochschaukelt!“

Zunehmende Gewaltbereitschaft auf dem Sportplatz? Perry Gumann, Vorsitzender der SpVgg Hüttenbach-Simmelsdorf, ist vom Gegenteil überzeugt. Früher sei es deutlich häufiger zur Sache gegangen, meint der 50-Jährige, der auch Bürgermeister der Gemeinde Simmelsdorf und ein profunder Kenner der Ortsgeschichte ist. So sei es erst vor wenigen Jahrzehnten noch gang und gäbe gewesen, dass es zu Raufereien kam, wenn bestimmte Vereine aufeinander trafen. Das habe er als Jugendlicher noch selbst miterlebt.

So hätten bei einem Aufstiegsspiel der Hüttenbacher bei einem Verein in der Nähe von Hersbruck gegnerische Fans versucht, den Bus der Gäste umzuwerfen – die Folge sei eine wüste Keilerei gewesen. Die Partie habe trotzdem stattgefunden. Er erinnert sich auch an ein Spiel in Hüttenbach, als nach einem üblen Foul der Vater des betroffenen Spielers aufs Feld stürmte und versuchte, den Übeltäter zu verprügeln. Damals hätten aber Platzordner den aufgebrachten Zuschauer vom Feld gebracht und der Schiedsrichter habe die Partie nach kurzer Unterbrechung zu Ende spielen lassen – „im Spielbericht in der Zeitung war der Vorfall gerade einen Halbsatz am Ende wert“, weiß Gumann.

Genau hier sieht der Vereinsvorsitzende, der auch auf jahrzehntelange Tätigkeit als Jugendleiter zurückblicken kann, die Ursache für die „gefühlt größere“ Gewaltbereitschaft: „Die Medien verbreiten das heute ganz anders“, meint Gumann, der damit explizit keine Medienschelte betreiben will. Es sei heute einfach so, dass solche Vorfälle schneller Kreise zögen und auch anders aufbereitet würden, meint Gumann und zieht als Beispiel den Vorfall mit dem wütendenden Spielervater heran. „Das wäre heute kein Nachsatz im Spielbericht, sondern der Aufhänger“, ist Perry Gumann überzeugt.

Die Rolle der Medien

Dazu gebe es neben den klassischen Medien jetzt in Internetforen und sozialen Netzwerken reichlich Möglichkeiten, solche Vorfälle schnell zu verbreiten und dadurch hochzukochen. Das alles führe dann zu dem Eindruck, dass es auf und neben den Sportplätzen immer schlimmer zugehe – „obwohl genau das Gegenteil der Fall ist“, so Gumann.

In die gleiche Kerbe schlägt auch Marco Schlagbaum, der beim Sportklub Lauf die U19-Bayernligajunioren trainiert. Obwohl der 33-Jährige mit seiner Elf in ganz Bayern unterwegs ist, hat er noch keinen schlimmen Vorfall erlebt. Im Gegenteil; würden in dieser Liga doch die Sportvereine besonders darauf Wert legen, sich auf und abseits des Platzes anständig zu präsentieren. Das sei auch in der Landesliga nicht anders gewesen. Pauschal etwas zum Thema Gewaltbereitschaft zu sagen, hält Schlagbaum, der von Beruf Lehrer ist, ohnehin für problematisch: „Man kann den Pegnitzgrund nicht mit Nürnberg vergleichen und Nürnberg nicht mit Berlin“, meint er.

Trotzdem hält auch der Laufer die „mediale Präsenz“ für entscheidend. Ausschreitungen auf dem Platz „sind Einzelfälle, die es auch früher schon gab“, glaubt Schlagbaum. Nur habe man da vieles eben gar nicht mitbekommen. Das sei heute anders, wenn Informationen zu jedem Spiel aus jeder Liga mehr oder weniger in Echtzeit im Internet verfügbar sind. „Da bekommt jeder Vorfall sofort eine ganz andere Dimension“, ist der Laufer Bayernliga-Coach überzeugt.

Statistik differenziert betrachten

Er bringt dazu noch einen anderen Aspekt ins Spiel: Der Fußball als solcher habe sich verändert; sei schneller und durch neue Spielsysteme anspruchsvoller geworden. Das müsse man berücksichtigen, wenn es beispielsweise um Statistiken gehe. So habe heute ein Innenverteidiger in der Viererkette ein deutlich höheres Risiko, die Rote Karte zu sehen, wenn er bei einem Zweikampf ein Foul begeht und dabei letzter Mann ist, sagt Schlagbaum. Früher sei das ein Fall für den Vorstopper gewesen – und der hätte in der gleichen Situation nur Gelb kassiert, weil hinter ihm noch der Libero war. Deshalb müsse man auch Statistiken, die eine Zunahme von Platzverweisen belegen, differenziert betrachten.

„So etwas wie beim VfR Moorenbrunn ist grundsätzlich überall möglich“, sagt Roland Winkler, "wir können doch keinen Zweimeterzaun ums Spielfeld bauen.“ Mit Sorgen beobachtet der Trainer des SC Rupprechtstegen schon länger, dass Aggressionen und Pöbeleien rund um den Sportplatz – aber nicht nur dort – in den vergangenen Jahren zunehmen. Warum dies so ist, weiß er nicht – hält aber zu viel Druck im Job oder Negativerlebnisse im Alltag für mögliche Auslöser: „Der Fußball ist dann ein beliebtes Ventil, da kannst du von außen Spieler, Schiedsrichter oder auch Zuschauer beleidigen. Das ist in der B-Klasse nicht anders als in der Bundesliga.“

Eine Beobachtung, die Norbert Pfann nicht teilen mag. „Heute ist es eher ruhiger als früher – auch, weil weniger Zuschauer da sind“, sagt der Fußballabteilungsleiter des 1. FC Hersbruck. Gleichwohl legt er als Leiter des Ordnungsdienstes seit 2011 sehr großen Wert darauf, bei Heimspielen mit drei bis vier Ordnern Präsenz zu zeigen.

Damals spielten die (nicht vorhandenen) Platzordner in der Urteilsbegründung der Bezirkssportrichter nach der abgebrochenen BOL-Partie seines „Club“ beim SC 04 Schwabach eine entscheidende Rolle. Mit seinen Helfern (darunter auch welche mit Security-Erfahrung) ist Pfann überzeugt, die meisten heiklen Situationen entschärfen zu können: „Ich will aber nicht behaupten, dass das immer klappt.“

Referee ist die „ärmste Sau“

Gerät die Situation außer Kontrolle, ist der Schiedsrichter die „ärmste Sau“, weiß Winkler als langjähriger Referee nur zu gut. „Sobald Zuschauer auf den Platz kommen, wars das für dich.“ In der Verantwortung sieht er auch den Verband, der schleunigst mit den Vereinen an einer wirksamen Lösung arbeiten sollte. Für einen glatten Fehler des BFV hält er das „Aus“ für den Sportlergruß: „Wenn du deinem Gegenspieler nach dem Abpfiff zu seiner Leistung gratulierst, nimmst du eine ganze Menge Spannung raus.“

K. Kaufmann / P. Baer / K. Porta

Aufrufe: 025.11.2014, 13:05 Uhr
Der Bote / HZ / PZAutor