2024-05-10T08:19:16.237Z

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Miriam Grothe im Einsatz   | Foto: Dominik Bloedner
Miriam Grothe im Einsatz | Foto: Dominik Bloedner
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Miriam Grothe: An die 100 Spiele pro Saison

BZ-Interview mit der Freiburger Schiedsrichterin +++ "Zur Not ziehe ich die Tinnitus-Karte"

Frühlingssonne über dem schmucken Sasbacher Waldstadion, das halbe Dorf scheint da zu sein. Es gibt Kuchen, Weinschorle und Bratwurst. Der heimische FV spielt in der Bezirksliga gegen den PTSV Jahn Freiburg, beide Mannschaften stehen im gesicherten Mittelfeld der Tabelle. Doch auf dem Platz muss Schiedsrichterin Miriam Grothe drei Gelbe Karten zeigen, eine kleinere Rudelbildung auflösen und nach dem Spiel den aufgebrachten Gästen, die 3:2 gewinnen, erklären, warum sie kurz nach der Halbzeit keinen Elfmeter gepfiffen hat. Ihre Körpersprache ist ruhig, sie lächelt den Ärger weg. BZ-Redakteur Dominik Bloedner hat den Kick im Kaiserstuhl gesehen.
BZ: Frau Grothe, war das kein Elfer?!
Grothe: Nein, der Stürmer wurde nicht gefoult, sondern hat sich eingefädelt, da bin ich mir sicher.

BZ: Und die Karten?
Grothe: Alle berechtigt. Normalerweise versuche ich, ohne Karten auszukommen. Das gelingt mir oft. Mehr als fünf Gelbe Karten werden es bei mir nie, das hängt vom Spiel ab. In meiner ganzen Karriere musste ich bislang nur zehn Rote Karten aussprechen, und ich pfeife seit der Saison 2007/2008.

BZ: Wie oft und wo sind Sie im Einsatz?
Grothe: Es sind 80 bis 100 Spiele pro Saison, bei den Herren komme ich bis hin zur Landesliga zum Einsatz, bei den Frauen bis hin zur Regionalliga. Samira Bologna aus Lahr ist die einzige Frau in Südbaden, die auch in der Herren-Verbandsliga pfeift.

BZ: Wie verschaffen Sie sich Respekt?
Grothe: Ich versuche vorbeugend zu agieren, indem ich den einen oder anderen Spieler im Vorbeigehen mündlich ermahne - bevor ich die Gelbe Karte ziehe. Es geht darum, die Grenze aufzuzeigen: bis hierher und nicht weiter. Wer zu viele Karten zeigt, erntet keinen Respekt. Ich versuche, zu kommunizieren. Sicher, es mag dann etwas komisch aussehen, wenn ich mit meinen 1,62 Meter an einen Zweimetermann gerate. Zur Not muss ich die Tinnitus-Karte ziehen. Mit einem sehr lauten Pfiff kann man Rudelbildungen auflösen (lacht).

BZ: Und wenn es ein Spieler mit einer Charmeoffensive versucht?
Grothe: Gerne, Freundlichkeit schätze ich sehr. Aber an meinen Entscheidungen ändert dies nichts, die Regeln stehen nun mal an erster Stelle.

BZ: Was ist für Sie Gerechtigkeit?
Grothe: Wenn sich alle Beteiligten neutral verhalten. Das heißt, dass auch Spieler und Zuschauer nicht alles durch die Vereinsbrille sehen.

BZ: Gerade in den unteren Ligen geht es manchmal rüde zur Sache.
Grothe: Ich selbst bin noch nie von einem Spieler angegangen oder beleidigt worden - im Gegensatz zu einigen wenigen männlichen Kollegen. Das mag daran liegen, dass die Spieler eine Hemmschwelle haben, weil ich eine Frau bin. Allerdings gibt es im Bezirk auch eine Handvoll Vereine, zu denen mich mein Einteiler nicht schickt. Denn dort gibt es Spieler, die leider nicht akzeptieren können, dass eine Frau über Abseits und Elfmeter entscheidet.

BZ: Und was hören Sie so von der Tribüne?
Grothe: Von manchen Zuschauern kommen Sprüche wie: "Du gehörst zurück an den Herd." Aber dabei handelt es sich meist um ältere Männer, die nicht damit umgehen können, dass eine Frau pfeift. So richtig derbe Sachen habe ich allerdings noch nicht erlebt.

BZ: Im südbadischen Fußball stehen 31 Schiedsrichterinnen 1462 männlichen Kollegen gegenüber. Warum so wenige?
Grothe: Allgemein klagt unsere Zunft ja über Nachwuchssorgen. Für die meisten Frauen ist es schwer, überhaupt den Mut zu finden anzufangen. Sie sehen, wie die männlichen Kollegen Respektlosigkeiten ausgesetzt sind und denken: "Der wird ja nur angemotzt."

BZ: Wann reifte bei Ihnen der Wunsch, Schiedsrichterin zu werden?
Grothe: Ich komme aus einer Fußballerfamilie, von klein auf war ich immer mit dabei auf den Plätzen in der Region. Selber habe ich lange Zeit als Torfrau bei Alemannia Zähringen gespielt. Meine jüngere Schwester war auch Schiedsrichterin, sie hat mir sehr viele positive Sachen erzählt. Ich wollte also die andere Seite kennenlernen, ich wollte mich in die Regeln vertiefen. Und ich habe meine Entscheidung noch nie bereut.

BZ: Oftmals ist es doch ein undankbarer Job? Wie hoch ist der Spaßfaktor?
Grothe: Zum einen sind wir Schiedsrichter eine tolle, verschworene Gemeinschaft. In der Regel treten wir im Gespann auf, das heißt ein Schiedsrichter mit zwei Assistenten. Die Arbeit im Team macht Spaß. Zum anderen mache ich auch sehr viele positive Erfahrungen: Wenn etwa ein Spieler, der sich über meine Entscheidungen aufgeregt hat, sich nach dem Spiel entschuldigt. Oder wenn ich für meinen Job noch auf dem Platz gelobt werde. Das Lob nehme ich dann gerne mit in die Kabine.

BZ: Was sind Ihre Vorbilder? Die Deutsche Bibiana Steinhaus, die im Profibereich bei den Herren pfeift und sogar bei Olympia und der Frauen-WM zum Einsatz kam?
Grothe: Ehrlich gesagt kenne ich sie gar nicht persönlich und habe sie auch noch nie bei der Arbeit gesehen. Meine Vorbilder sind eher Kollegen wie Matthias Jöllenbeck und Andras Klopfer aus dem Bezirk Freiburg. Sie beide zeigen eine Präsenz auf dem Platz, die ich hoffentlich auch einmal erreichen werde. Auch Gabi Birlin, eine ehemalige Erstligaschiedsrichterin und nun Frauenbeauftragte bei uns im Verband, ist ein Vorbild von mir. Sie kann extrem souverän und unaufgeregt ein Spiel leiten.

BZ: Wohin wollen Sie noch?
Grothe: Mal sehen. Vielleicht schaffe ich es ja einmal, bei den Herren in der Verbands- oder Oberliga zu pfeifen. Wenn es bei den Frauen als Assistentin in der ersten Liga reichen würde, wäre das schon ein Highlight. Das alles hängt von den Beurteilungen durch die Spielbeobachter ab.

Zur Person
Miriam Grothe, 26, pfeift seit der Saison 2007/2008 Fußballspiele. Sie arbeitet als Elektronikerin für Energie- und Gebäudetechnik, lebt in einer Partnerschaft und hat einen sechsjährigen Sohn.
Aufrufe: 026.5.2015, 10:15 Uhr
Dominik Bloedner (BZ)Autor