2024-05-14T11:23:26.213Z

Interview
"Bei uns wird das Glas viel zu oft halbleer gesehen. Das ärgert mich", sagt Rainer Zietsch. F: Zink
"Bei uns wird das Glas viel zu oft halbleer gesehen. Das ärgert mich", sagt Rainer Zietsch. F: Zink

"Man kann Erfolg nicht nur an Zahlen messen"

Rainer Zietsch, Leiter des Nachwuchsleistungszentrums, über andauernde Kritik an der Jugendarbeit des 1. FC Nürnberg

Rainer Zietsch hat als Fußballprofi 140 Einsätze für den 1. FC Nürnberg be­stritten. Dass er seit dem Karriereende noch ein paar graue Haare mehr be­kommen hat, könnte daran liegen, dass er sich seit zehn Jahren um die Nachwuchsarbeit beim Club bemüht, die immer wieder in der Kritik steht. Kritik, die der 49-Jährige nicht nach­vollziehen kann.
Herr Zietsch, Sie feiern bald Zehn­jähriges im Nachwuchsbereich des 1.FC Nürnberg. Erst haben Sie als B-Jugend-Trainer gearbeitet, später dann als sportlicher Leiter des Nachwuchsleistungszentrums (NLZ). Möch­ten Sie ein wenig von früher erzählen?

Rainer Zietsch: Das muss nicht un­bedingt sein; als ich hier als U17- Trai­ner angefangen habe, gab es praktisch kein Nachwuchsleistungszentrum.

Der U17-Trainer, zum Beispiel, machte das damals nebenberuflich.

Zietsch: Ich habe damals als Geschäftsführer der Stiftung Jugend­fußball gearbeitet und bin viermal die Woche nach Büroschluss an den Valz­nerweiher gefahren und habe die B-Jugend trainiert. Nach zwei Jahren habe ich den Entschluss gefasst, dass das vom zeitlichen Aufwand her nicht mehr zu leisten ist. Zu diesem Zeit­punkt hatte Martin Bader begonnen, die Nachwuchsarbeit zu professionali­sieren und mich gefragt, ob ich Interes­se hätte, das mit aufzubauen. Martin Bader und ich kannten uns schon, bevor ich hier angefangen habe.

Und waren sich als Landsmänner...

Zietsch: Nein, nein. Ich bin Bade­ner, Martin Bader ist Schwabe.

„Es geht verstärkt um Persönlichkeitsentwicklung, das macht mir Spaß“

Oh, dann nehme ich das zurück, Sie waren sich also nicht von Beginn an sympathisch, sondern eher spinne­feind?

Zietsch: Das natürlich auch nicht. Wir sind keine Blutsbrüder, aber es war und ist Respekt füreinander da, auch, weil wir hier gemeinsam einiges aufgebaut haben. Ich habe das damals gerne gemacht, als der Verein entschie­den hat, sich in diesem Bereich profes­sioneller aufzustellen. Mir hatte in meinem damaligen Hauptberuf der direkte Kontakt zu den Jugendlichen gefehlt. Ich wollte das, was ich über den Jugendfußball gelernt hatte, direkt an die Spieler weitergeben. Die U17 ist zum Beispiel ein Bereich, in dem es auch verstärkt um Persönlich­keitsentwicklung geht, die Spieler sind in diesem Alter noch formbar, sie suchen noch ihren Platz im Leben. Das macht mir Spaß.

Wenn man aber schon zwei Jahre hier als U 17-Trainer gearbeitet hat, muss es doch auch etwas gegeben haben, das gegen den Job gesprochen hat. Gab es nicht den Gedanken: Pro­fessionelle Nachwuchsarbeit beim Club, das wird sowieso nie was?

Zietsch: Nein, wir hatten die Stif­tung zuvor ja auch vom Nullpunkt auf­gebaut, ich kenne mich mit Aufbau­arbeit aus. Und ich habe schon in den Jahren als B-Jugend-Trainer ge­merkt, dass dieser Verein, den ich ja selbst noch als Spieler kannte, auf jun­ge Spieler setzen muss. Das wurde damals nicht wirklich gelebt. Martin Bader hat versichert, dass er die Zukunft darin sieht, eigene Spieler zu entwickeln.

An was hat es denn damals noch gemangelt?

Zietsch: Fakt ist, dass wir damals noch nicht diese Form der Sichtung hatten, nicht diese inhaltlichen Vorga­ben für die Jugendarbeit, die wir in­zwischen haben. Auch jetzt kann uns natürlich einmal ein Talent durchrut­schen, aber als wir begonnen haben, ging es uns darum, die Wahrschein­lichkeit zu erhöhen, dass Spieler zum einen entdeckt werden und zum ande­ren auch oben bei den Profis ankom­men. Das war das große Ziel.

Wurde das Ziel erreicht?

Zietsch: Es wurde eindeutig er­reicht, auch wenn der ein oder andere nicht dieser Meinung ist.

Es scheint sogar, als wären das vie­le, die anderer Meinung sind. Wenn beim Club etwas kritisiert wird, dann ist das erst der Sportvorstand, also Martin Bader, dann aber folgt gleich die Nachwuchsarbeit.

Zietsch: Ich kann diese Kritik nicht nachvollziehen. Wir haben vor kur­zem einmal zusammengetragen, dass ab dem 92er Jahrgang in jedem Jahr­gang zwei, drei, vier Spieler waren, die Jugend-Nationalspieler geworden sind. Das hat kein anderer Verein vor­zuweisen. Im Zweitliga-Spiel gegen Leipzig hatten wir zwei Spieler im Kader, die letztes Jahr noch in der A-Jugend gespielt haben, außerdem mit Manuel Bihr einen 93er Jahrgang, den wir damals für die U 23 geholt haben. Ich bin überzeugt, dass es an diesem Wochenende keinen Erst- oder Zweitligisten gab, in dem zwei 95er im Team standen, darüber hinaus Max Dittgen, der dritte 95er, der auch im Kader war. Es verwundert, dass es Leute gibt, die sagen, die Kollegen in Fürth arbeiten erfolgreicher als wir.

Machen das die Fürther nicht? Die Spielvereinigung steht mit der U 21, der U 17 und mit den Profis in der Tabelle besser da als der Club.

Zietsch: Das soll jetzt aber nicht das Argument sein, oder? Wie viele Für­ther Jugendspieler haben denn in den letzten fünf Jahren den Sprung in die erste oder zweite Liga geschafft?

Johannes Geis und Felix Klaus?

Zietsch: Das ist der Jahrgang, in dem wir Markus Mendler und Sebasti­an Gärtner hatten. Das ist inzwischen ein paar Jahre her.

Also ist das nur ein Missverständnis mit der Fürther Überlegenheit?

Zietsch: Schauen Sie, wir sind ein Traditionsverein, zu dem viele Men­schen eine Meinung haben. Bei uns reden viele Ehemalige mit, die in ihrer Karriere angeblich nie gegen Fürth verloren haben. Sie haben die Einstel­lung, der Club sollte nur mit Spielern aus Franken spielen — überspitzt for­muliert. In den letzten sechs Jahren war der Club in den ausschlaggeben­den Jahrgängen weit häufiger vor Fürth als umgekehrt.

Der 1. FCN ist ja auch der größere Verein.

Zietsch: Warum? Weil man mehr Geld ausgibt?

Man hat mehr Geld, mehr Fans.

Zietsch: Was hat Jugendarbeit mit den Zuschauern zu tun? Was denken Sie, nach welchen Kriterien Eltern heute den Verein für ihr Kind aussu­chen? Infrastruktur ist ein ganz wichti­ges Thema: Wo schläft mein Junge? Da geht es nicht darum, ob das ein Tra­ditionsverein ist. Wie kümmert sich der Verein um das schulische Fortkom­men? Das machen viele Nachwuchs­leistungszentren inzwischen sehr gut. Wir ebenfalls, aber bei uns wird das Glas viel zu oft halb leer gesehen. Das ärgert mich. Wir haben aus dem Jahr­gang 1992 mit Marvin Plattenhardt und Michael Heinloth zwei Bundes­liga- Spieler hervorgebracht. Dazu Julian Wießmeier. Bei den 93ern waren es Markus Mendler, Sebastian Gärtner, Benjamin Uphoff, Sinan Tekerci.

Die nicht so richtig Bundesligaspie­ler geworden sind.

Zietsch: Sinan Tekerci entwickelt sich in Dresden weiter. Benjamin Uphoff kann es auch noch schaffen. Wir haben aus dem Jahrgang 95 Niklas Stark, Tobias Pachonik, Maxi­milian Dittgen, Pascal Köpke, Pascal Itter, den wir nach Schalke abgegeben haben. Und beim 96/97er Jahrgang, die aktuelle A-Jugend, sind einige dabei, die Profi werden können. Ob es am Ende reicht, liegt aber nicht nur an uns.

Sie haben Itter angesprochen, einen Rechtsverteidiger, dem man Martin Angha vorgezogen hat. Das kann doch einem NLZ-Leiter nicht gefallen.

Zietsch: Ich habe damals Pascal Itter empfohlen, in Konkurrenz zu Martin Angha zu treten. Er entschied sich für Schalke, wo er sich bis jetzt nicht durchsetzen konnte. Grundsätz­lich macht man sich bei jeder Ver­pflichtung Gedanken, ob nicht im eige­nen NLZ vergleichbare Spieler mit ähnlichem Entwicklungspotenzial vor­handen sind. Das entscheiden wir ge­meinsam.

An der viel zitierten Durchlässig­keit muss also gearbeitet werden?

Zietsch: Ja, klar. Man darf die Spie­ler nicht zu früh abschreiben. Sie müs­sen aber auch bereit sein, Hindernisse zu überwinden. Aber das heißt nicht, dass wir schlechte Arbeit machen im NLZ. Wir werden bundesweit auch anders wahrgenommen. Wir sind ein Verein, der schon auch schaut, wie das die anderen machen.

Nach Fürth zum Beispiel.

Zietsch: Wir fahren nach Mönchen­gladbach, nach Köln - dort heißt es häufig, dass Mainz und Nürnberg momentan so wahrgenommen wer­den, dass dort bei dem Thema am meis­ten passiert ist.

Noch einmal zurück zu dem Spiel gegen Leipzig mit Pachonik, Dittgen oder Bihr.

Zietsch: Niklas Stark sollten Sie nicht vergessen, der ist derselbe Jahr­gang wie Tobias Pachonik.

Der passt aber nicht zu diesem Gespräch.

Zietsch: Ja genau, der ist zu gut.

Also die anderen, das sind doch eher, nun ja, Ergänzungsspieler.

Zietsch: Zeigen Sie mir einen Ver­ein, der vier Starks produziert.

Ich frage ja den NLZ-Chef.

Zietsch: Ich kenne keinen. Schauen Sie sich die U 19-Europameister an, von denen Niklas Stark der Kapitän ist. Die sind seit Juli Herrenspieler. Da spielen Kempf in Freiburg und teil­weise Selke in Bremen. Die anderen nicht, aber die haben auch noch Zeit, um zum Profi zu werden. Das darf man doch nicht anders erwarten. Die Entwicklung geht ohnehin in die Rich­tung, dass man den Jungen wieder etwas mehr Zeit lässt.

Aber gleichzeitig macht man aus der U 23 eine U 21? Das widerspricht sich doch.

Zietsch: Es ist ein erhöhtes Risiko, das ist uns bewusst. Aber das hängt auch damit zusammen, dass wir wis­sen, dass wir so viele gute, junge Spie­ler haben. Für die muss man auch Platz machen.

Lassen Sie uns mal ein wenig über Geld sprechen: Sie haben 4,1 Millio­nen Euro im Jahr zur Verfügung.

Zietsch: Letztes Jahr waren wir von den Bundesligisten, was die Aufwen­dungen für das NLZ betrifft, unter dem Schnitt. Und natürlich muss man schauen, was diese Summe beinhaltet, zum Beispiel, ob die U 21 eingerechnet ist. Man kann das schwer vergleichen. Bei uns ist die U21 im NLZ, bei ande­ren, wie Werder Bremen, ist das anders.

„Wir haben einiges erreicht, aber wir sind noch lange nicht fertig“

Wie viel Geld bräuchten Sie denn zu Ihrem Glück?

Zietsch: Ich bin glücklich, wie sich das hier verändert hat. Wir haben eini­ges erreicht. Wir sind sehr gut dabei — und werden außerhalb Nürnbergs auch sehr gut wahrgenommen.

Zum Beispiel in Fürth.

Zietsch: Ja, auch in Fürth.

Sie könnten sich das ja alles erspa­ren, Ihr Vertrag läuft im Sommer aus. Oder werden Sie doch verlängern?

Zietsch: Das besprechen wir intern.

Euphorie hört sich anders an.

Zietsch: Gut, ich gehe davon aus, dass wir weiter daran arbeiten, dass wir auch weiterhin Spieler für die ers­te Bundesliga ausbilden. Wir sind hier noch lange nicht fertig.

Es laufen noch ein paar andere Ver­träge aus im NLZ.

Zietsch: Über Vertragsinhalte, wie Laufzeiten, äußern wir uns in der Öffentlichkeit nicht.

Nahezu alle bis auf den des U17-Trainers laufen aus, wenn unsere Informationen stimmen.

Zietsch: Es laufen jedes Jahr Verträ­ge aus. Wir hatten zuletzt eine zu große Fluktuation im Trainerteam und wollen weiterhin Kontinuität. Wir brauchen in jeder Altersstufe Spe­zialisten, um uns weiter zu verbessern.

Das heißt, dass Sie im Moment noch nicht überall die Optimallösung gefun­den haben?

Zietsch: Wir optimieren kontinuier­lich. Aber es wird nach der Saison kei­nen kompletten Austausch geben.

Wenn dann mal alle Verträge verlän­gert sind: Gibt es eine Zielvorgabe für die Zukunft, was die Arbeit des NLZ betrifft?

Zietsch: Was ist denn, wenn ich sage, dass wir jedes Jahr zwei Spieler für die erste Mannschaft herausbrin­gen wollen? Dann habe ich nach vier Jahren schon acht sehr junge Spieler in dieser Mannschaft, vielleicht sogar auf der gleichen Position. Dann stimmt möglicherweise die Balance nicht mehr. Man kann Jugendarbeit nicht nur an einer Zahl festmachen.

Aufrufe: 031.10.2014, 11:37 Uhr
Fadi KeblawiAutor