2024-04-30T13:48:59.170Z

Der Spieltag
Trainer Enrico Maaßen (rechts) hat einen unbefristeten Vertrag. Stürmer Danny-Torben Kühn ist einer seiner Führungsspieler. Foto Berlin
Trainer Enrico Maaßen (rechts) hat einen unbefristeten Vertrag. Stürmer Danny-Torben Kühn ist einer seiner Führungsspieler. Foto Berlin

Interview: Enrico Maaßen ist Mahner und Kumpeltyp

Gedanken über Abnutzung, neue Reize und Taktik

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Der Trainer des Fußball-Regionalligisten SV Drochtersen/Assel, Enrico Maaßen, spricht vor dem Auswärtsspiel in Goslar über Abnutzung, neue Reize und Taktik. Im TAGEBLATT erklärt er, warum es besser ist, dem Gegner das Spiel zu überlassen.

TAGEBLATT: Herr Maaßen, Sie sind jetzt seit fünf Jahren in Drochtersen. Zunächst als Spieler, jetzt als Trainer. Wie lange läuft eigentlich Ihr Vertrag bei der SV Drochtersen/Assel?
Maaßen: Der ist unbefristet.

TAGEBLATT: Haben Sie Angebote von anderen Vereinen? Sie sind derzeit ja nicht gerade erfolglos.
Maaßen: Nein. Damit befasse ich mich auch nicht. D/A allein fordert mich. Ich habe hier gute Bedingungen. Außerdem kommt hinzu, dass wir maximalen Erfolg haben. Aber ich weiß auch, dass sich ein Trainer irgendwann mal abnutzt.

TAGEBLATT: Was tun Sie den gegen Abnutzung?
Maaßen: Wichtig ist, regelmäßig mit den Spielern zu sprechen. Nicht nur mit den Führungsspielern, sondern auch mit Nummer 21 und 22 im Kader. Genauso wichtig ist es, immer wieder neue Reize im Training zu setzen.

TAGEBLATT: Sie sprechen mit Spielern darüber, ob ihnen das Training gefällt?
Maaßen: Nein, da geht es nicht immer nur um fußballerische Belange. Da geht es auch um private Dinge. Ich glaube, es ist wichtig, dass die Jungs hierher kommen, sich wohlfühlen und Spaß haben. Man muss es schaffen, dass die Mannschaft immer hungrig bleibt, dass sie Bock hat zu laufen, dass sie Bock hat, füreinander zu laufen. Das ist elementar. Ich lege großen Wert auf eine gute Atmosphäre in der Mannschaft. Ein entscheidender Punkt für den Erfolg ist, dass sich die Spieler grün sind. Mentalität schlägt Qualität. Ich habe lieber zwei, drei Spieler in der Mannschaft, die weniger Qualität haben, die aber bereit sind, füreinander zu arbeiten und nicht an sich selbst denken.

TAGEBLATT: Projizieren Sie Ihr eigenes Leben in den Alltag als Trainer? Sie arbeiten an ihrer eigenen Karriere ja auch ziemlich zielstrebig, was die Trainerscheine und das Berufsleben angehen.
Maaßen: Prinzipiell finde ich es wichtig, Ziele zu haben. Wenn ich einen neuen Spieler kennenlerne, versuche ich herauszufinden, ob er ehrgeizig oder ambitionslos ist. Wenn man einen Charakterzug wie Fleiß hat, hat man immer Erfolg in dem, was man tut. Das ist eine Eigenschaft, die ich mag an einem Spieler, an einem Menschen. Mir ist wichtig, dass der Junge klar ist und sich voll mit der Aufgabe identifiziert. Ihm muss klar sein, dass er sich dem taktischen Konzept komplett unterordnen muss, dass er sich mit dem Dorf und dem Umfeld identifizieren muss. Und wenn er das kann, ist er hier richtig. Ich mag es halt nicht, wenn Spieler nur zu einem Verein gehen, um sich zu präsentieren und ihn als Sprungbrett benutzen und dann gleich wieder weg sind.

TAGEBLATT: Trainer, die 50 oder 60 Jahre alt sind, könnte man als Vaterfigur bezeichnen. Sie sind 31. Sind Sie daher eher Kumpeltyp oder Bruder? Wie schwer fällt Ihnen ein Donnerwetter in der Kabine nach einer schwachen Leistung?
Maaßen: Man braucht von allem etwas. Ich bin der Kumpeltyp, wenn die Jungs irgendwas haben. Sie müssen jederzeit das Gefühl haben, zu mir kommen zu können. Ehrlichkeit ist wichtig. Ich muss den Jungs klar sagen, woran sie sind. Auch wenn das manchmal schwierig ist. Ich treffe als Trainer nicht nur populäre Entscheidungen, deswegen gibt es sicherlich auch den ein oder anderen Jungen, der mit seiner Rolle nicht vollends zufrieden ist. Ich gebe eine Line vor, an die sich jeder halten muss. Ich versuche, dass wir uns untereinander grün sind. Wichtig sind Führungsspieler in der Mannschaft, die diesen Weg mitgehen.

TAGEBLATT: Gibt es Spieler in der Mannschaft, die den Trainer kritisieren dürfen?
Maaßen: Klar. Ich erwarte natürlich Kritik in vernünftiger Form. Wenn jemand ein Problem mit der Spielweise oder etwas anderem hat, kann er das jederzeit mit mir unter vier Augen besprechen. Spieler, die Dinge hinterfragen, sind manchmal auch ganz förderlich. Die bringen mich auch ein Stück voran.

TAGEBLATT: Über Enrico Maaßen scheint derzeit nur die Sonne. Kann man das so sagen?
Maaßen: Es ist wichtig, immer positiv zu sein. Es gibt Trainer, die sind erfolgreich, aber immer grimmig. Da ist der Erfolg nicht dauerhaft. Und es gibt Trainer, die sind immer happy. Das ist irgendwann auch zu lachs. Die Mischung macht es. Es gibt Situationen, da bin ich eher der Mahner, da hole ich die Jungs runter. Aber warum soll ich schlechte Laune verbreiten, wenn der Erfolg da ist. Was wir in den letzten anderthalb Jahren geleistet haben, ist kaum mit Worten zu beschreiben. Wir hatten sicherlich immer wieder kurze Phasen, die nicht einfach waren. Aber die Probleme habe nicht ich gelöst, die haben wir gelöst. Es ist elementar wichtig zu erkennen, wann man wieder mehr machen muss.

TAGEBLATT: Lassen Sie uns über die aktuelle sportliche Situation reden. Als Tabellensechster besitzt D/A mittlerweile in einigen Spielen die Favoritenrolle. Das war am Anfang der Saison als Aufsteiger nicht so. Wie gehen Sie damit um? Sicherlich muss die Mannschaft als Favorit anders auftreten.
Maaßen: Am Anfang haben alle gesagt, Drochtersen hat im Rahmen seiner Möglichkeiten gut gespielt, ist viel gelaufen, hat viel gekämpft, hat viel mit langen Bällen gespielt. Das hört sich immer nach Glück an. Aber in welchem Buch steht geschrieben, dass lange Bälle unattraktiv sind? Natürlich nutzen wir dieses Mittel, aber mit Konzept. Wer unsere Spiele verfolgt, kann das sehen. Wir müssen aber variantenreicher werden, weil sich die Gegner auf uns einstellen. Sowohl, wenn wir den Ball haben, als auch, wenn wir gegen den Ball arbeiten. Entsprechend müssen wir flexibler werden im Spielaufbau und gegen den Ball.

TAGEBLATT: Geben Sie uns mehr Einblicke in die Taktik?
Maaßen: Wir sind prinzipiell eine Pressing-Mannschaft. Wir spielen das Pressing aber in einer anderen Zone, als in der Oberligasaison. Zum Anfang der Saison haben wir Pressing gespielt wie in der Oberliga. Das hat nicht funktioniert. Entsprechend legen wir mehr Wert auf Sicherheit, stehen tiefer und kompakter und pressen jetzt hinten. Dadurch ist der Weg zum Tor weiter. Deshalb schießen wir nicht so viele Tore wie im vergangenen Jahr. Deshalb haben wir nicht weniger Qualität. Jetzt heißt es, die Mannschaft weiterzuentwickeln, indem wir dominanter Fußball spielen. Bei einem Haus baust du auch nicht zuerst das Dach. Bei uns steht jetzt das Fundament.

TAGEBLATT: Was heißt das konkret?
Maaßen: Das Spiel mit dem Ball ist viel schwieriger zu erlernen als das Spiel gegen den Ball. Da kommen technische Aspekte und Geschwindigkeit dazu. Beispiel Kurzpassspiel: Der VfL Wolfsburg hat sechs bis acht Trainingseinheiten pro Woche, um das Kurzpassspiel zu verinnerlichen. Wir haben drei bis vier. Kurzpassspiel sieht ästhetischer aus, da gebe ich jedem Recht. Aber es bringt so viele Anforderungen mit sich. Man muss so gut ausgebildete Spieler haben. In dieser Liga spielen viele Teams Angriffspressing. Das birgt für uns eine große Gefahr. Wir versuchen, das erste gefährliche Pressing zu überspielen mit hohen Bällen, um dann auf die zweiten Bälle zu gehen und ganz vorne mit Kurzpassspiel zum Erfolg zu kommen. Das hat Dortmund in seiner ganz erfolgreichen Zeit gemacht. Aber wir sind Aufsteiger, wir brauchen Punkte und spielen in erster Linie ergebnisorientiert. Wenn wir genügend Punkte gesammelt haben, können wir Dinge ausprobieren.

TAGEBLATT: Ist das Verschieben der Taktik auch nötig, weil sich die Liga immer besser kennenlernt? Den Überraschungsmoment gibt es nicht mehr.
Maaßen: Wir haben unser System gefunden. Jeder weiß, dass wir sehr tief stehen und über unser Umkehrspiel kommen. Aber auch, wenn es jeder weiß, ist es schwer zu bespielen. Die Liga ist so ausgeglichen. Wir müssen immer zusehen, einen Schritt weiter zu sein als unser Gegenüber, indem wir taktische Finten einbauen. Das Konzept richtet sich nach dem Gegner und nach dem eigenen Spielermaterial. Wir waren mit unserem Konzept zuletzt sehr erfolgreich. Jetzt spüre ich, dass die Mannschaft einen neuen Reiz braucht. Wir müssen im spielerischen und taktischen Bereich einen Schritt nach vorne machen.

TAGEBLATT: Kurzpassspiel wird es in Drochtersen nicht geben?
Maaßen: Doch. Hinten, im Mittelfeld oder vorne. Aber nicht von hinten nach vorne, wie in Wolfsburg oder Hamburg. Das Wichtigste ist doch, dass man bei uns eine Handschrift sieht. Jeder weiß, was er zu tun hat. Die Mannschaft hat einen roten Faden. Mit den Erfolgserlebnissen wird die Brust breiter. Dann können wir etwas verändern.

TAGEBLATT: Sie planen jetzt schon das nächste Jahr?
Maaßen: Natürlich. Ich habe meine klaren Vorstellungen, wo ich hinkommen möchte.

TAGEBLATT: Was sind das für Vorstellungen?
Maaßen: Ich möchte eine Mannschaft haben, die aktiver ist als der Gegner. Wir wollen immer Pressing spielen, in welcher Zone auch immer. Ich bin kein Trainer, der viel Wert auf das Spiel in der Breite und auf Ballbesitz legt. Wir versuchen, die Bälle zu erobern und so schnell wie möglich auf Torabschluss zu gehen. Das ist meine grundlegende Philosophie. Natürlich gibt es Kritiker. Ich bin aber davon überzeugt, spielen wir aggressiv gegen den Ball, spielen wir auch aggressiver nach vorne.

TAGEBLATT: Sie planen das nächste Jahr? Gibt es Plan A, Plan B, einen Personalplan?
Maaßen: Es gibt vielleicht den ein oder anderen Spieler, der einen anderen Lebensplan hat. Da muss man einfach vorbereitet sein. Ich muss schauen, wie ich die Mannschaft weiterentwickeln kann, auf welcher Position wir vielleicht noch ein wenig mehr Qualität benötigen. Zwei bis drei Spieler in der Leistungsspitze muss man jedes Jahr holen, um einen neuen Reiz zu setzen, um Konkurrenzkampf zu schaffen.

TAGEBLATT: Wird es in der nächsten Saison auch noch so viele Drochterser in der Mannschaft geben? Das hat ja auch mit Identifikation zu tun.
Maaßen: Sören Behrmann und Nico Mau gehören zum Stammpersonal. Mit Jannes Elfers haben wir einen ganz jungen und talentierten Spieler. Jasper Gooßen spielt auch schon eine prägende Rolle. Diese Spieler muss man auf dem Zettel haben. Thilo Gooßen wird ab Winter eine Auslandsreise antreten. Er hat in den letzten Jahren eine Wahnsinnsentwicklung genommen, wurde aber durch Verletzungen zurückgeworfen. Benjamin Zielke ist beruflich sehr eingespannt, deshalb nicht jede Trainingseinheit dabei. Dennoch hat er einen hohen Stellenwert in der Mannschaft und übernimmt bereits Co-Trainer- Aufgaben. Jeder einzelne Drochterser hat sich enorm weiterentwickelt. Es ist außergewöhnlich, so viele Spieler aus solch einem kleinen Ort im Regionalligateam zu haben. Darauf sind wir stolz.

TAGEBLATT: Nächster Gegner ist Goslar. Sie selbst haben zweieinhalb Jahre dort gespielt. Wie besonders ist dieses Spiel für Sie?
Maaßen: Ich freue mich auf Goslar. Ich freue mich auf die Stadt. Ich hatte damals eine erfolgreiche Zeit und verbinde mit Goslar ein tolles Erlebnis (Aufstieg in die Regionalliga, Anm. d. Red.). Aber wir fahren dahin und werden gar nichts verschenken und richtig Gas geben.

Spiel in Goslar

Beim Tabellenelften Goslarer SC tritt der Fußball-Regionalligist SV Drochtersen/Assel am Sonnabend um 14 Uhr an. D/A-Trainer Enrico Maaßen, der zweieinhalb Jahre lang im Harz gespielt und mit Goslar seinerzeit den Aufstieg in die Regionalliga geschafft hatte, setzte in dieser Trainingswoche zunächst auf Regeneration. „Ich merke, dass der ein oder andere müde wird“, sagt Maaßen. Deshalb war am Montag ein Saunagang angesagt. Mittwoch trainierte die Mannschaft wieder intensiver. Am Donnerstag im Abschlusstraining stand die Gegneranalyse auf dem Programm. Florian Nagel und Henry Sung sind angeschlagen. Jasper Gooßen steht nach seinen Achillessehnenproblemen wieder zur Verfügung.

Ein TV-Interview mit Enrico Maaßen bereits jetzt und das Ergebnis mit aktuellen Meldungen am Sonnabend nach dem Spiel gibt es unter

www.tageblatt.de

Aufrufe: 05.11.2015, 19:44 Uhr
Tageblatt / Daniel BerlinAutor