Es ist einer dieser Tage, an denen das Packen der Sporttasche deutlich mehr Überwindung kostet als sonst. Das Sofa, die Tüte Chips, ja sogar die Bügelwäsche erscheinen verlockender als das anstehende Fußballtraining. Bis zum Einbruch der Dämmerung hatte es geregnet, der Rasenplatz des Henger SV ist durchgeweicht, an den Schuhsohlen klebt der Matsch.
"Zwei Minuten und 30“, ruft Steffen Herzig und schüttelt den Kopf. "Ihr wart viel zu langsam“, sagt er zu der Gruppe Fußballer, die gerade schnaufend um die Ecke biegt. Steffen Herzig, Trainer der ersten Mannschaft des Henger SV, nennt das Kind beim Namen: "Viele waren faul in der Winterpause“, sagt er, "das rächt sich jetzt.“
Am 23. März startet die Rückrunde in der Kreisklasse Ost, erster Gegner ist der TSV Ochenbruck. Die Henger sind mit Winterspeck in die Pause gegangen: Fünf Punkte Vorsprung haben sie auf Platz zwei, nur einmal in 18 Spielen haben sie verloren. Um seine Jungs fit zu machen, scheucht Steffen Herzig sie durch Postbauer-Heng. Genauer gesagt: Im großen Bogen um Sportplatz, Nettoparkplatz und Kreisverkehr. "600 Meter sind das“, sagt der 39-Jährige nüchtern, so, als wäre es nichts. Zwei Minuten sollen die Sportler dafür höchstens brauchen. Und weil‘s so schön ist: Zehnmal. Nettoparkplatz, Kreisverkehr, Sportplatz.
In der Vorbereitung wird dreimal pro Woche trainiert. Wenn Heng die Form der Vorrunde bestätigen kann, dürfte dem Aufstieg nichts im Wege stehen. Da nickt sogar der Trainer zustimmend, wissend, dass noch lange nichts entschieden ist. Erst recht nicht, wenn man bedenkt, dass es im HSV-Lager Ausfälle gibt. "Jetzt ist Prüfungszeit an den Unis, da fehlen sowieso einige Spieler.“ Ein Aufstieg würde Steffen Herzig und seiner Mannschaft gut stehen. Es wäre das I-Tüpfelchen eines gelungenen Einstandes.
Seit Juli 2013 ist Herzig Trainer in Heng. Damals ging alles ganz schnell: Ein Anruf – "wir wollen dich, kannst du die Vorbereitung machen?“, hatten sie ihn gefragt – und noch am Abend des selben Tages hatte er zugesagt. Die Entscheidung fiel ihm nicht sonderlich schwer. "Gute Mannschaft, gute Perspektive, das hat sich einfach gut angehört“, erinnert sich der Trainer.
Zuvor stand Herzig vier Jahre an der Seitenlinie des TSV Burgthann und ein Jahr bei der JFG Neumarkt. Aus dieser Zeit kennt er einige Spieler, das machte den Einstieg in Postbauer-Heng leichter. Das braucht Zeit, weiß Herzig. Bei einer Tasse Kaffee hat er sich die Spieler zur Seite genommen, sie kennengelernt und Ziele besprochen — "Extra-Arbeit, die ich gerne mache“, sagt er.
Ein weiteres Mal schaut Steffen Herzig auf seine Armbanduhr. "Noch fünf Runden“, ruft er in die Menge. Die Begeisterung hält sich in Grenzen – ein Spieler tritt mit dem Fuß gegen den Mülleimer am Spielfeldrand, dann läuft er los. Hinter der ersten Kurve steht Christian Reichenauer, Co-Trainer. Er hat am Kreisverkehr Stellung bezogen und kontrolliert, dass jeder die vollen 600 Meter läuft und niemand eine Abkürzung nimmt. "Eigentlich“, sagt der 28-Jährige, "trainieren erste und zweite Mannschaft gemeinsam.“
Eigentlich, das bedeutet: Nur wenige Spieler aus der Zweiten tauchen im Training auf. Auch aus der A-Jugend gibt es wenig Interesse, bei den Herren mitzuspielen. Kurzum: Dem Henger SV bricht der Nachwuchs aus den eigenen Reihen weg. "Das ist schade“, sagt Christian Reichenauer. Gelingt dem Henger SV der Aufstieg in die Kreisliga, dann muss sich das Trainergespann außerhalb nach Verstärkung umschauen. "Ich habe da schon Spieler im Blick, die zu uns passen könnten“, sagt Steffen Herzig. Für einen kurzen Moment wagt der sonst so sachliche Coach zu träumen: "Ein Durchmarsch in die Bezirksliga“, schwärmt er, "das wär‘s.“ Denn wenn die Vorrunde eines gezeigt habe, dann, dass die Mannschaft noch Luft nach oben habe. Egal, ob Aufstieg oder nicht: Oben mitspielen, lautet seine Devise. "Mittelfeld is nix“, findet Herzig.
Beruflich ist der 39-jährige Projektleiter bei der Telekom. Er koordiniert ein Team, eigentlich wie beim Fußball. Was er dann sagt, würde auch zu seinem Job als Trainer gut passen: "Du kannst deine Aufgabe locker machen oder dich voll dafür einsetzen.“ Herzig ist Trainer aus Leidenschaft. "Ich kenne es nicht anders, als auf dem Platz zu stehen“, sagt er. Ans Aufhören denkt er noch lange nicht. Zur Trainer-B-Lizenz fehlt ihm noch die Prüfung, den A-Schein wolle er auchmachen, irgendwann, um höherklassig zu trainieren. Wo das sein wird? "Den Henger SV auf Landesliga trainieren, das wäre optimal“, sagt er mit einem Lachen. Der nasskalte Abend auf dem Trainingsgelände des Henger SV neigt sich dem Ende zu. Die letzte von zehn höllischen Runden ist gelaufen, eine kurze Ball-Einheit bildet den Abschluss. Zu Hause warten schon Sofa und Chipstüte. Die Bügelwäsche muss warten.