2024-05-02T16:12:49.858Z

Interview
Klartext statt Wischiwaschi: der Stuttgarter Bezirkschef Harald Müller. Foto: Günter Bergmann
Klartext statt Wischiwaschi: der Stuttgarter Bezirkschef Harald Müller. Foto: Günter Bergmann

Harald Müller hält nichts von der Bezirksoberliga

Der Vorsitzende des Fußballbezirks Stuttgart nimmt Stellung zu den brisanten Themen der neuen Saison.

Mehrere bittere Abstiege haben die vergangene Saison für den Stuttgarter Fußball gekennzeichnet. Das ging auch am Bezirksvorsitzenden Harald Müller nicht spurlos vorbei. Doch diesmal werde alles besser, sagt er im Interview. Obendrein verrät er, warum er die heiß diskutierte mögliche Einführung einer Bezirksoberliga für keine gute Idee hält und wie es um sein angeknackst erscheinendes Verhältnis zu einem Amtskollegen steht.

Herr Müller, die neue Saison steht vor der Tür. Da stellt sich die Frage: haben Sie die alte überhaupt schon verdaut?
Schwer. Von oben runter hatten wir noch nie so viele Absteiger, fünf von den acht klassenhöchsten Mannschaften. Vorneweg unsere Aushängeschilder VfB und Kickers und zwei aus der Landesliga (SC Stammheim und SV Bonlanden, Anm. d. Red.). Das war schon heftig. Und beinahe hätte es sogar noch einen dritten in der Landesliga erwischt (TV Echterdingen, Anm. der Red.). Aber jetzt beginnt die neue Saison. Am 1. Juli war Deadline. Wir schauen nach vorn.

Immerhin haben Sie mit Calcio Leinfelden-Echterdingen einen Aufsteiger in die Verbandsliga. Wie wird die Mannschaft in der kommenden Saison auftreten?
Diszipliniert, glaube ich. Wenn die Mannschaft mit ihrem Trainer Cataldo Diletto das umsetzt, wird sie eine gute Rolle spielen. In Anlehnung an Stuttgart 21 habe ich Calcio 'oben bleiben' als Motto mitgegeben. Das Gleiche gilt im Übrigen auch für den TSV Weilimdorf als Aufsteiger in der Landesliga.

Aufstiegsfeier des TSV Weilimdorf in Bildern

Heimat für Vereine und Flüchtlinge

Sie hatten die vergangene Spielzeit zur 'Saison der Integration' erklärt. Da ging es unter anderem darum, dass jeder Verein eine Heimat haben sollte. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Die Wirklichkeit durch die Flüchtlingskrise hat uns eingeholt. Das war, als wir das Motto ausgerufen haben, so gar nicht absehbar gewesen. Aber wir haben einiges getan, unterstützt vom DFB und der Egidius-Braun-Stiftung. Sechs Vereine aus dem Bezirk in direkter Nachbarschaft zu Flüchtlingsunterkünften haben 500-Euro-Gutscheine als Starthilfe für integrative Maßnahmen erhalten. Die anderen Clubs waren genauso gefordert und sind es weiterhin. Was dagegen die Heimstätten anbelangt: Da arbeiten wir noch dran.

Was ist das größere Thema: die Integration der Flüchtlinge oder die Suche nach Heimstätten für Vereine, die keinen eigenen Platz haben?
Bei den Geflüchteten sehe ich für uns überhaupt kein Problem. Fußball ist die internationale Sprache, da klappt die Integration. Das größere Problem ist die Suche nach einer Heimstätte für alle. Ich kann natürlich keinen Verein gründen und dann sagen: so, liebe Stadt oder Gemeinde, jetzt hilf mir mal! Ich muss mir vorher überlegen, wo ich spiele. Auch einige bestehende Vereine werden sich Gedanken machen müssen, wie ihre Zukunft aussieht, bevor sie nicht mehr bestehen können. Da muss die große Familie Fußball zusammenhalten und die Chance für Kooperationen wahrnehmen.

Vereine müssen sich Gedanken über Zukunft machen

Beim Gedanken an Kooperationen mit Nachbarvereinen dürfte so mancher Traditionalist reflexartig zusammenzucken.
Die Schwelle ist nach wie vor hoch. Aber der Realität durch den demografischen Wandel müssen wir uns alle stellen. Stillstand ist Rückschritt. Wer sich keine Gedanken darüber macht, wo sein Verein in fünf bis zehn Jahren steht, macht etwas verkehrt.

Wie hat sich die Zahl der gemeldeten Mannschaften entwickelt?
Es ist überall zu spüren, wie sich der Fußball verändert. Wir müssen für unsere Sportart stärker werben, das sage ich seit Jahren. Das ist kein Selbstläufer mehr. In Stuttgart haben wir in dieser Saison fünf aktive Mannschaften weniger im Spielbetrieb. Wenn wir nicht reagieren, bekommen wir irgendwann Probleme mit dem Wettbewerb, den wir nur aufrechterhalten können, wenn wir eine entsprechende Anzahl an Mannschaften haben. Also müssen wir uns irgendwann überlegen, wie wir wieder einen Zuwachs bekommen und ob wir innerhalb des Verbands vielleicht Bezirke verändern müssen. Der eine oder andere Kollege von mir ist da etwas nervöser, ich sehe das relativ gelassen.

Streitthema Struktur- und Spielklassenreform

Eine Lenkungsgruppe im Auftrag des Württembergischen Fußballverbandes macht sich derzeit Gedanken über eine mögliche Strukturreform der Spielklassen. Dabei steht auch die Einführung von Bezirksoberligen im Rahmen des sogenannten 1-3-9-Modells zur Debatte. Das hat für einiges Aufsehen gesorgt. Wie stehen sie zu dem Vorschlag?
Das Modell ist eines von aktuell zwölf, die zur Diskussion stehen. Das zeigt schon, dass sich viele Menschen viele Gedanken zu dem Thema machen. Wenn man sich das 1-3-9-Modell genauer anschaut, kann eigentlich keiner dafür sein. Wir hätten eine Verbandsliga, drei Landesligen und neun Bezirksoberligen. Die beiden momentan größten Bezirke Enz/Murr und Neckar/Fils hätten eine eigene Bezirksoberliga, von den übrigen 14 Bezirken würden jeweils zwei zusammenspielen.

Was spräche dagegen?
Es widerspräche völlig unseren Satzungsgrundsätzen der Integrität, Loyalität, Solidarität und Fairness, wenn zwei bevorzugt werden und der Rest gucken muss, wo er bleibt. Eine weitere Spielklasse, wie auch immer sie heißt, würde außerdem die Basis schwächen. Dann können wir die Kreisliga gleich dicht machen. Die Bayern haben ihre Bezirksoberliga gerade abgeschafft - und wir sollen sie einführen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es dafür eine Mehrheit gibt.

Was schwebt ihnen stattdessen vor?
Unter den gegebenen Umständen haben wir die optimale Spielklassenstruktur. Die Bezirksvorsitzenden müssten nun als Vorreiter auftreten und sich über eine mögliche Reform der Bezirksstruktur austauschen. Das würde voraussetzen, dass wir uns weitestgehend einig sind. Davon sind wir noch weit entfernt, aber das ist nicht schlimm. Wir machen nichts anderes als eine Evaluation. Wichtig ist, dass wir in der Diskussion bleiben und unser System von Zeit zu Zeit hinterfragen.

TSV Sielmingen und TSV Harthausen nach Stuttgart?

Speziell Ihr Verhältnis zu Ihrem Amtskollegen Karl Stradinger aus dem Bezirk Neckar/Fils schien zuletzt ziemlich strapaziert.
Der Kollege Karl Stradinger ist ein lieber, netter Kerl, der nach seinem Bezirk schaut und manchmal ein bisschen zu sehr poltert. Offene Fragen über die Presse auszutragen, ist aber nicht mein Stil.

Er hat Ihnen in der Presse vorgeworfen, Sie würden den TSV Harthausen und den TSV Sielmingen von ihm abwerben wollen.
Das sind tatsächlich zwei Sonderfälle, weil die Jugend bei uns im Bezirk spielt und die Aktiven in Neckar/Fils. Also kann von abwerben überhaupt keine Rede sein. Ich wollte 2015 ergebnisoffen mit den Vereinen und Karl Stradinger darüber diskutieren, wie wir damit umgehen. Es gab vorab ein gutes Gespräch mit Karl Stradinger, ein Gespräch mit den Vereinen kam leider nicht zustande. In diesem Jahr kam der TSV Sielmingen von sich aus mit dem Wunsch auf mich zu, wie alle Filderstädter Clubs in unserem Bezirk zu spielen. Karl Stradinger hat das abgelehnt, weil die Saisonvorbereitung zu weit fortgeschritten sei. Das fand ich nicht so gut. Aber okay, damit war die Sache für mich erledigt. Alle anderen Dinge werden wir intern in einem persönlichen Gespräch miteinander klären, wie es in einer guten Mannschaft üblich ist.

Dann dürfen Sie jetzt abschließend noch einen Wunsch für die neue Saison äußern. Im vergangenen Jahr lautete der: Mehr Mannschaften in höheren Klassen.
Der Wunsch nach möglichst vielen Aufsteigern, damit wir oben wieder besser vertreten sind, besteht natürlich immer. Der Stuttgarter Relegant von der Bezirks- in die Landesliga könnte es zum Beispiel auch mal wieder schaffen (NAFI Stuttgart verpasste den Aufstieg 2016, Anm. der Red.). Und dann ist da noch mein Verein, der TB Untertürkheim. Der hat, solange ich lebe, nie ganz unten gespielt. In meinem Geburtsjahr ist er von dort aufgestiegen. Jetzt hat es ihn auch erwischt. Aber das wird wieder. Ich bin grenzenloser Optimist.

Das Gespräch führte Benjamin Schieler.

Info zu Harald Müller

Fußball Harald Müller ist am 9. November 1959 in Bad Cannstatt geboren. Zu seinem Heimatverein wurde der TB Untertürkheim. An der Württembergstraße lernte er das Kicken, arbeitete als Jugendtrainer und begann 1976 eine Karriere als Schiedsrichter, die ihn bis in die Verbandsliga führte. 'So hoch hätte ich es als Spieler wohl nie geschafft', sagt er. Zwei Jahrzehnte lang war er zudem beim Württembergischen Fußball-Verband als Lehrwart in der Ausbildung der Unparteiischen tätig. Seine Pfeife hängte er 2012 an den Nagel, als ihn der Bezirkstag Stuttgart einstimmig zum neuen Vorsitzenden und Nachfolger von Emil Herre wählte, der dieses Amt über 33 Jahre hinweg innegehabt hatte. Im März 2015 wurde Müller wiedergewählt. Die aktuelle Amtszeit dauert noch bis zum nächsten Verbandstag im Mai 2018. Nach momentanem Stand wird er sich auf dem Bezirkstag rund zwei Monate zuvor erneut zur Wahl stellen. Beruf und Familie Im Beruf ist Harald Müller als Fahrer beim baden-württembergischen Ministerium für Kultus, Jugend und Sport tätig. Das Fachsimpeln während der Arbeitszeit über sein liebstes Hobby, den Fußball, ist dabei ohne Weiteres möglich - auch wenn er es seit der jüngsten Landtagswahl nicht mehr mit dem Heidenheim-Fan Andreas Stoch zu tun hat, sondern mit Susanne Eisenmann. Mit ihr hat Müller bereits im Sportausschuss der Stadt Stuttgart zusammengearbeitet. In seiner Freizeit spielt überhaupt der Sport eine wesentliche Rolle. Müller geht mit seiner Ehefrau gerne ins Fitnessstudio oder Laufen.

Aufrufe: 018.8.2016, 18:00 Uhr
Filder-Zeitung / Benjamin SchleierAutor