2024-05-10T08:19:16.237Z

Der Spieltag
Kollektiver Freudentaumel vor dem Block mit dem Fanklub der ?Kehdinger Löwen? (von links): Sung, Nagel, Kühn, Behrmann, Grahle, Neumann, Mau und Ioannou. Fotos Berlin
Kollektiver Freudentaumel vor dem Block mit dem Fanklub der ?Kehdinger Löwen? (von links): Sung, Nagel, Kühn, Behrmann, Grahle, Neumann, Mau und Ioannou. Fotos Berlin

Ein Spiel als Belohnung für die ganze Quälerei

Überraschender Punktgewinn beim Tabellenführer

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Der Fußball-Regionalligist SV Drochtersen/Assel stand am Sonntag kurz vor der Sensation des 14. Spieltages. Der Aufsteiger brachte den Tabellenführer und Gastgeber VfB Oldenburg vor 2300 Zuschauern an den Rand einer Niederlage.
Nach 90 Minuten und dem Endstand von 1:1 feierten die Drochterser den einen Punkt wie einen Sieg. Wenn ein Spieler bislang noch nach dem Sinn der fast täglichen Quälerei beim Training und bei den Punktspielen fragte, spätestens seit Sonntag weiß er, warum sich der ganze Aufwand lohnt.

Die Oldenburger Ultras auf der Gegentribüne des Marschwegstadions singen 90 Minuten lang. Mit ihren Gegenübern auf der überdachten Haupttribüne stimmen sie einen Kanon an. Die Rufe wabern kreuz und quer über den Rasen, nur gestört von den mehr als 100 Drochterser Fans, die sich gesanglich nicht lumpen lassen. Die Fans huldigen ihren Klubs, nur wenige Schmährufe sind darunter. Man schätzt sich. Die Fans in Oldenburg sind Kult. Vor dem Umzug vom Stadion Donnerschwee an den Marschweg Anfang der 1990er Jahre spielte der VfB vor 32 000 Menschen gegen Gladbach und den HSV. Heute benennen sich die Ultras nach der alten Kultstätte.

Neben der Stimmung ist es die Dramaturgie des Spiels, die das Erlebnis Fußball am Sonntag so nachhaltig prägt. Der Drochterser Stürmer Danny-Torben Kühn bringt die Gäste in der 69. Minute mit 1:0 in Führung. Erst fünf Minuten vor Schluss gelingt dem VfB durch ein Sonntagsschuss von Kamen Hadzhiev aus 20 Metern der verdiente Ausgleich. Der Lärm ist ohrenbetäubend. In die Rufe der Oldenburger Fans mischt sich dabei Erleichterung. Schließlich spielt Oldenburg fast 90 Minuten lang besser, hat mehr Ballbesitz und eine Vielzahl klarster Chancen. Der Spitzenreiter scheitert an den Drochterser Abwehrbeinen und vor allem an Torwart Patrick Siefkes. Der hält wie vom anderen Stern. In der Schlussphase sehen die Zuschauer ein rassiges Spiel, geleitet von dem insgesamt schwachen und überforderten Schiedsrichter Fabian Porsch vom Barsbütteler SV.

Die Partie hat alles. Rassige Zweikämpfe an der Grenze zur Legalität und manchmal weit darüber hinaus. Sieben Gelbe Karten, vier davon für die Kehdinger. Rudelbildung, verbale Attacken und Rempler. Ein Zaubertor von Drochtersen und eines mit Gewalt und Glück vom Gastgeber. Strafraumszenen und Abschlüsse zum Haareraufen. Wirre Schiedsrichterentscheidungen, durch die der Unparteiische Fans und Spieler beider Lager gegen sich aufbringt. Nach seinem letzten Pfiff wird er mit Geleitschutz an den wütenden Zuschauern vorbeigeführt.

„Das sind unsere Belohnungsspiele“, sagt Drochtersens Innenverteidiger Thomas Johrden, der fast minütlich im Zentrum des Geschehens steht und sein ganzes Können aufbieten muss. Das Flair und die mitreißende Atmosphäre in einem Stadion wie diesem sind Entschädigung für den sportlichen Aufwand, den die Spielvereinigung Drochtersen/Assel seit gut eineinhalb Jahren betreibt. „Allein für dieses Spiel und für dieses Tor hat sich der ganze Aufwand schon gelohnt“, sagt Torschütze Danny-Torben Kühn. Wenn die Rufe der Fans von der einen Tribüne zur anderen tönen, bekommt das auch ein Spieler mit. „Und wenn von 2300 Zuschauern 2000 gegen dich sind, stachelt das an“, sagt Kühn. Für Auftritte vor solch einer Kulisse und in solch einer großen Stadt arbeiteten die Drochterser Feierabendkicker Woche für Woche.

„Wir haben wieder ein Ausrufezeichen gesetzt“, sagt D/A-Trainer Enrico Maaßen. Sein taktischer Plan sei aufgegangen. Vereinschef Rigo Gooßen findet es „gewaltig“, wie sich die Mannschaft auswärts vor solch einer Kulisse präsentiert. Gooßen: „Mehr geht nicht.“

Platz sechs in der Tabelle ging zwar an Havelse verloren. Aber gegen den VfB gepunktet haben bislang überhaupt erst vier Teams.

Die Statistik

Tore: 0:1 (69.) Kühn, 1:1 (85.) Hadzhiev.
SV Drochtersen/Assel: Siefkes, Mau, Behrmann, Johrden, Grahle, Ioannou, Wolk, Nagel (70. Klee), Neumann (90+1. Zielke), Sung, Kühn (76. Elfers).
Zuschauer: 2279

Fünf Reflexe und ein Lupfer
D/A-Torwart Patrick Siefkes ist der Mann des Spiels – Kühn intuitiv

Der Torhüter: Der Drochterser Schlussmann Patrick Siefkes hat am Sonntag in Oldenburg ein überragendes Spiel abgeliefert. In Halbzeit eins entschärfte er drei hundertprozentige Torchancen. In der 17. Minute tauchte Dennis Engel frei vor ihm auf, in der 39. Minute Alessandro Ficara. Den Kopfball von Kamen Hadzhiev lenkte Siefkes im letzten Moment über die Latte. Nach der Pause (71.) wehrte der Drochterser einen Freistoß von Franko Uzelac ab, in der 80. Minute einen Knaller von Thorsten Tönnies. Bis auf Hadzhiev dürften alle Oldenburger Schützen eine unruhige Nacht verbracht haben. Gegen dessen zweiten Versuch fünf Minuten vor Schluss war selbst Siefkes machtlos. Der Gegner war voll des Lobes für den Drochterser Torwart.

Eine Bank: Patrick Siefkes.

Der Torjäger:
Danny-Torben Kühn hatte gar keine andere Wahl, als solch ein Traumtor in der 69. Minute zur Drochterser 1:0-Führung zu erzielen. Kühn nahm im Strafraum den Ball an, behauptete ihn gegen die vielen Abwehrspieler und lupfte ihn über Oldenburgs Torwart Dominik Kisiel. „Ich habe nicht gesehen, wo der Torwart stand. Allenfalls erahnt“, sagt Kühn. Wenn er flach geschossen hätte, meint der Stürmer, wäre der Ball abgeblockt worden. Intuitiv hat der Torjäger alles richtig gemacht.
Der Plan: Dass Oldenburg mit Wucht umschaltet und ein gutes Pressing spielt, wusste D/A. Dieses Pressing wollte die Mannschaft aushebeln. 90 Minuten lang sei dies nicht möglich, sagt D/A-Trainer Enrico Maaßen. Zudem sei das Spiel seiner Mannschaft nicht immer ansehnlich gewesen.
Die Ballverluste: D/A leistete sich nach Ballgewinnen zu schnelle Ballverluste. Florian Nagel erwischte nicht seinen besten Tag im Aufbauspiel.
Die Konter: Mit ein wenig mehr Präzision in den Pässen hätte D/A den einen oder anderen Konter besser ausspielen können. Aber am Ende reichte die Kraft nicht mehr. (db)

Aufrufe: 025.10.2015, 21:46 Uhr
Tageblatt/Daniel BerlinAutor