Nürnberg ist nicht wie München, Hamburg, Berlin oder Frankfurt. Dabei soll es an dieser Stelle nicht um das Fehlen einer großstädtischen Aura gehen, sondern um etwas viel Handfesteres: Nürnberg hat nur ein Team im Profifußball. Es gibt den FCN — und dann kommt vier Ligen lang nichts.
In der sechstklassigen Landesliga Nordost wird man schließlich fündig: TSV Buch und Dergahspor heißen die beiden Vertreter der Frankenmetropole dort. Als in deren Duell alles vorbei ist, geben sich die Spieler artig die Hand. Man kennt sich, man schätzt sich — und man hat sich gegenseitig nicht allzu sehr wehgetan an diesem Sonntagnachmittag.
Die Gemütslage ist gemischt: Die Grün-Weißen strahlen, während die Mienen der Orangenen verdunkelt sind. Dabei hat keiner verloren, null zu null steht es am Ende. Die Bucher Jungs aber können nicht vom Ausrutscher der Neudrossenfelder Konkurrenz profitieren, verpassen den Sprung an die Tabellenspitze. „Ja, das ist eindeutig der Reiz“, sagt Dieter Rebel, wenn man ihn fragt, ob die vakante Position des Kronprinzen in der Stadt eigentlich der Antrieb seines Schaffens ist.
Rebel ist bekannt bei Amateurfußballfreunden. Zweifellos ist er mit ausgeprägtem Sendungsbewusstsein ausgestattet, vor allem aber — diese Tatsache und seine Methoden kann man mögen oder auch nicht — ist Rebel jemand, der mit seinem jeweiligen Verein nach oben will. Und er sorgt immer für Unterhaltung. Der TSV Buch steht 16 Punkte vor Rebels Elf, die aber hatte das Hinspiel deutlich mit 3:0 gewonnen. Deshalb, so konnte man es von Rebel vor dem Spiel vernehmen, habe Dergahspor die Vorreiterrolle inne, und die gelte es zu manifestieren — eine Aussage, die man auf Bucher Seite als Angriff sah.
Sowohl auf als auch neben dem Platz sei man besser aufgestellt als der Kontrahent, ließ der Konter von Chefcoach Rahner nicht lange auf sich warten. Und: „Wir sind ein Fußballverein. Dergah möchte das erst noch werden.“ Auch dieser Satz sollte, das bewiesen die Aussagen nach dem Spiel, nicht unbeantwortet bleiben.
Das Sportliche an diesem Tag ist schnell erzählt. Keines der beiden Teams brauchte auch nur eine Minute, um sich zu ordnen, von Anfang an dampfte das Spiel unter dem Feuer der Lungen und Muskeln. Pressing gegen den Ballführenden — das hatten beide Trainer ihren Akteuren eingeimpft, und vor allem Dergahspor bekam keine Zeit, keine Räume: Seine Ideen zerbarsten unter der ständigen Bucher Präsenz. Sobald ein Ball erobert wurde, folgte der vertikale Pass in die Spitze. Dieses Tempo ging auf Kosten der Präzision, dennoch stellte es die aufgrund zahlreicher Ausfälle neu formierte Viererkette der Gastgeber wiederholt vor Probleme.
Immer gefährlich waren auch die Bucher Standardsituationen. Aus einer solchen resultierte Mitte der ersten Hälfte auch die beste Chance des Spiels: Michael Hofmann zirkelte einen Freistoß haarscharf am Lattenkreuz vorbei. Dergahspor hingegen spielte seine durchaus vorhandenen Möglichkeiten nicht konsequent genug zu Ende. Die Heimelf kam dann besser aus der Kabine, und Buch brauchte eine Viertelstunde, um sich auf den neuen Schwung einzustellen. Dergahspor hatte in dieser Phase tatsächlich die Möglichkeit, in Führung zu gehen, der Gegner leistete sich teils eklatante Fehler im Spielaufbau, aber auch hier fehlte letztlich der Zug zum Tor. Buch erkämpfte sich die größeren Feldanteile zurück, es ging hin und her, und nicht nur einmal rettete Dergah-Keeper Wihr seine Farben vor dem Rückstand. Nur ein Tor wollte nicht fallen — auch nicht, als der Heimelf eine Viertelstunde vor Schluss die Kräfte zu schwinden begannen, und sie die ein oder andere Möglichkeit nutzte, um Zeit von der Uhr zu nehmen. Die Abwehr, die an diesem Tage von Moungue zusammengehalten wurde, hielt bis zum Ende stand.
Dann war der Sport vorbei, und es begann die Zeit der Stimmen. Turgay Karali: „Ich bin nun schon sehr lange dabei, habe mit der Mannschaft in allen möglichen Klassen gespielt, aber so etwas Arrogantes habe ich bislang noch nicht gehört. Aber wir haben heute gesehen, dass das bestraft wird.“ Ansonsten, so sagt er, war er sehr zufrieden mit dem Auftreten seiner Mannschaft. Wie sie denn nun beantwortet werden darf, die Frage nach der Nummer zwei in der Stadt, ist seinen Worten nicht zu entnehmen. Deutlicher wird hier Buch-Coach Helmut Rahner: „Wir haben gesehen, wer in Nürnberg nach vorne spielt und wer nur Zeit schindet. Wenn sie ein Unentschieden feiern wie einen Sieg, dann sagt das doch alles aus.“
Ohnehin, sagt Rahner, wenn seine Mannschaft so weiter spiele, sei er fest von einem Aufstieg überzeugt — dann habe sich die Frage ohnehin erledigt. Natürlich hat Dieter Rebel auch darauf eine Antwort parat: „Die Nummer zwei in der Stadt steht fest durch die Ergebnisse im direkten Vergleich.“ Und eine letzte Pointe will er sich auch nicht nehmen lassen. Buch, so sinniert er, habe zwar eine sensationell gute Fußballmannschaft da draußen im Vorort zusammen, aber eines wolle er noch sagen: „Buch zählt nicht zu Nürnberg.“