2024-04-25T14:35:39.956Z

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Markus Schottes (vorne), hier bei einem Spiel des SV Mehring in der Oberliga gegen den TuS Mechtersheim. Foto: Archiv/Sebastian Schwarz
Markus Schottes (vorne), hier bei einem Spiel des SV Mehring in der Oberliga gegen den TuS Mechtersheim. Foto: Archiv/Sebastian Schwarz

Am Boden: Warum ein Fußballer vor Gericht gezogen ist

Markus Schottes kämpfte nach einem Kreuzbandriss gegen die Berufsgenossenschaft - und gewann

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Es ist ein Spiel in der Fußball-Rheinlandliga, das für Markus Schottes alles verändert: Der 29-Jährige verletzt sich schwer am Knie. Was danach folgt, ist weit mehr als der bloße Schmerz. Es ist eine Odyssee, die rein gar nichts mehr mit Fußball zu tun hat.
Mehring/Trier. Die Erinnerungen sind noch da an jene 79. Spielminute. Ganz frisch, fast so, als wäre es erst wenige Augenblicke her, dass er zu diesem verhängnisvollen Kopfballduell hochgestiegen ist. Markus Schottes vergisst die Szene nicht - wahrscheinlich kann er sie nie mehr vergessen, schließlich hat sie sein Leben verändert. Fußball war immer Schottes’ Leidenschaft. Der Sport gehörte zu ihm, so lange er denken kann. Der 29-Jährige spielte für Eintracht Trier, er spielte für den FSV Salmrohr, zuletzt für den SV Mehring - bis in die Fußball-Regionalliga schaffte er es. Wer weiß, vielleicht hätte er es noch weiter nach oben gebracht, wäre da nicht dieser Sonntag im April 2015 gewesen.

Schottes reist mit seinen Mehringern an diesem verhängnisvollen Tag zum FC Karbach im Hunsrück. Es ist das Topspiel der Rheinlandliga. Mehring ist Erster, Karbach Zweiter. Der Sieger klopft ans Tor zur Oberliga. Das Spiel läuft nicht gut für das Team aus der 2000-Einwohner-Gemeinde an der Mosel. Schon vor der Halbzeit steht es 2:0 für Karbach. Als jene 79. Spielminute anbricht, ist das Spiel längst entschieden. Was dann passiert, beschreibt Schottes so: "Ich springe ab, will den Ball köpfen, lande auf meinem linken Bein, verdrehe mir das Knie und merke sofort: Da ist richtig was kaputtgegangen." Schmerzen donnern durch seinen Körper - es ist ein Kreuzbandriss, eine der wohl schlimmsten Verletzungen, die einen Fußballer erwischen kann.

Schottes haut die Diagnose allerdings nicht sonderlich um, er weiß, wie sich das anfühlt, es ist bereits sein dritter Kreuzbandriss. "Natürlich war es schlimm zu hören, aber ich dachte mir nur: Ich lasse das schnell operieren, dann wird es schon wieder irgendwie." Gesagt getan: Wenige Tage später folgt die Operation am Knie. Danach, so denkt er, geht alles seinen gewohnten Gang, eben so, wie er es schon von seinen früheren Verletzungen kennt.

Schottes ist zu diesem Zeitpunkt als sogenannter Vertragsspieler beim SV Mehring gelistet, verdient offiziell 250 Euro im Monat. Im Gegensatz zum Amateurspieler, so sagt es der Deutsche Fußball-Bund in seiner Spielordnung, "ist ein Vertragsspieler ein Fußballspieler, der neben seiner Vereinsmitgliedschaft auch einen schriftlichen Vertrag mit seinem Verein abgeschlossen hat, und über seine nachgewiesenen Auslagen hinaus eine Vergütung und andere geldwerte Vorteile von mindestens 250 Euro im Monat erhält". Damit führt der Verein als Arbeitgeber die für den Vertragsspieler anfallenden steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Abgaben ab. Außerdem - und das ist im Fall von Markus Schottes von großer Bedeutung - sind die Spieler im Verletzungsfall über die Berufsgenossenschaft abgesichert.

Diese Absicherung greift auch bei Schottes’ ersten beiden Kreuzbandrissen. "Sechs Wochen lang zahlte der Club mein Gehalt weiter", erinnert sich der Spieler, "dann übernahm die Berufsgenossenschaft mein Gehalt sowie alle Behandlungskosten". Schottes ist auf das monatliche Einkommen durch seine fußballerische Tätigkeit angewiesen, da er sich damit sein Lehramtsstudium (Sport und Geografie) finanziert. Zu den vertraglich festgelegten 250 Euro kommt noch einiges durch Fahrtkosten hinzu, die gesondert gezahlt werden. Wie Schottes berichtet, bestünden viele Spieler in den unteren Klassen darauf, einen Vertrag zu unterzeichnen, der die magische 250-Euro-Grenze überschreitet. Schottes nennt diese Kontrakte "BG-Verträge" - ein Synonym für die Absicherung im Verletzungsfall. "Durch den BG-Vertrag ist man deutlich besser gestellt als bei der gesetzlichen Krankenkasse." Denn: Wird die Verletzung als BG-Fall anerkannt, erhält Schottes nicht nur 200 Euro Verletztengeld - die für ihn als Student enorm wichtig sind - er erhält auch eine deutlich bessere Versorgung als über die gesetzliche Krankenkasse. Außerdem steht ihm gegebenenfalls eine Unfallrente zu.

Im Frühjahr 2015, nach seinem dritten Kreuzbandriss, läuft zunächst tatsächlich alles so wie bei seinen früheren Verletzungen. "Nach der Operation folgte Physiotherapie", erinnert sich Schottes. Doch dann landet plötzlich ein Brief in seinem Briefkasten. Mit Einführung des Mindestlohns, heißt es in dem Dokument der Berufsgenossenschaft, nach dem Arbeitnehmer seit dem 1. Januar 2015 mindestens 8,50 Euro pro Stunde erhalten müssen, habe die BG ihre Richtlinien geändert. Danach liege bei Schottes keine versicherte Tätigkeit vor, er gelte als Freizeitsportler. "Der Aufwand sei bei mir zu groß für den vorliegenden Ertrag."

Schottes ist geschockt, als er das liest. Kein Verletztengeld, kein Anspruch auf Unfallrente, stattdessen hohe Behandlungs- und Folgekosten, für die er zum großen Teil selbst aufkommen muss - das alles sieht er auf sich zukommen.

Nach ein paar Tagen schaltet Markus Schottes seine Rechtsanwältin ein und zieht vor das Trierer Sozialgericht. Er will die Anerkennung seiner Verletzung als Arbeitsunfall erreichen. Mit Erfolg: Noch bevor es zu einem Urteil im Prozess kommt, lenkt die BG ein, und erkennt Schottes’ Verletzung als Arbeitsunfall an, mit allen dazugehörigen Kostenübernahmen. Wäre es zu einem Urteil gekommen, so hätte das Gericht mit ziemlicher Sicherheit für Schottes entschieden, wie Richter Jürgen Olk im FuPa-Interview erklärt. Dabei, so Olk, hätte er sich unter anderem auf Besprechungsergebnisse der GKV-Spitzenverbände berufen (siehe Interview mit Olk »»»).

Ohne schriftliches Urteil kann die BG die Schaffung eines Präzedenzfalls vermeiden, auf den sich dann bundesweit mehrere Vertragsfußballer wie Markus Schottes hätten berufen können. Der 29-Jährige jedenfalls zeigt sich nach der Entscheidung erleichtert. "Wenigstens habe ich nun Klarheit", sagt der Fußballer, "doch es gibt sicher viele ähnliche Fälle, die noch in der Luft hängen, und die sich nicht trauen, gegen die BG vor Gericht zu ziehen". Daher wünsche er sich endlich eine einheitliche gesetzliche Regelung für Vertragsfußballer in Sachen Mindestlohn. "Es kann nicht sein, dass das ungeklärt bleibt - meiner Meinung nach sollte der Mindestlohn nicht im Fußball angewendet werden."

!Schottes spielt heute kein Fußball mehr. "Ich habe mir nach dem erneuten Kreuzbandriss gedacht, dass es wohl nicht sein soll." Viel schlimmer ist für ihn allerdings: Da er noch immer große Probleme mit seinem lädierten Knie hat, kommt er in seinem Studium nicht weiter. "Ich müsste noch einige Sportprüfungen ablegen, das kann ich allerdings nicht, da ich nicht fit bin."

Hintergrund-Artikel: Das ist ein Widerspruch in der Rechtsordnung": Richter Jürgen Olk spricht im FuPa-Interview über ungeklärte Fragen im Unfallversicherungsschutz
Aufrufe: 04.8.2016, 13:20 Uhr
volksfreund.de/Marek FritzenAutor