2024-05-02T16:12:49.858Z

Allgemeines

Zeckes Trikot, Beule und Schlauchboot

Einmal Fröttmaning reicht im Leben

Verlinkte Inhalte

FC Bayern München - Hertha BSC 4:2

7.Spieltag 1. Bundesliga 2006/2007

Samstag, 14.10.2006 15:30 Uhr

Stadion am Kurt-Landauer-Weg

69.000 Zuschauer

Ich habe eine norwegische App auf dem Handy, mit der man seine besuchten Fußballspiele, Stadien und Sportplätze archivieren kann. Diese virtuelle Sammelmöglichkeit wird gerne und viel von Groundhoppern genutzt. Ich sehe mich absolut nicht als Groundhopper, führe aber gerne eine Statistik über meine besuchten Spiele und die Stadien und Sportplätze, in denen ich sie gesehen habe. Im Laufe der Jahre ist mir auch nur ein Spiel durch die Lappen gegangen und mittlerweile habe ich es aufgegeben, dieses Spiel in den Weiten des Web zu suchen. Aber geschenkt. Auf jeden Fall verfügt die App über eine Erinnerungsfunktion. So wie bei Facebook sagt sie einem, wo man heute vor so und so vielen Jahren war.

Diese Funktion ist Fluch und Segen, denn sie zeigt einem gelegentlich schon auf, dass man kein jünger Hüpfer mehr ist. Aber sie erinnert eben auch an lustige Fahrten, Spiele, Erlebnisse und Begegnungen. So wie am heutigen Tag, Freitag den 14.10.2022. Vor 16 Jahren, also kurz nach dem Sommermärchen 2006, war ich das erste und letzte Mal im Stadion am Kurt-Landauer-Weg in München. Eigentlich trägt das Ding einen Sponsor-Namen und offiziell den Titel „Arena“, aber ich mag weder dieses Wort noch diese Sponsoren-Nummer. Zumal eine Arena laut ursprünglicher Definition was anderes ist, als dieses Ding kurz hinter einer Autobahnausfahrt.

Zu jener Zeit, also im Herbst 2006, war ich viel mit Hertha unterwegs und daher auch auf dem Weg nach München. Ich war todmüde, weil ich mit einer Freundin die ganze Nacht Kurvenvideos im Internet geschaut hatte. Diese nächtliche Odyssey verhalf mir dazu, im Grunde die komplette Fahrt zu verschlafen. Nur zu den Pausen wurde ich wach und stand zitternd vor Müdigkeit und Kälte im Herbstlaub neben dem Bus und klammerte mich an meine Zigarette.

Durch das ständige Wiedereinschlafen, verging die Fahrt - ja im wahrsten Sinne wie im Schlaf.

In Fröttmaningen angekommen war meine Ernüchterung groß. Ich kannte diesen Spielort bisher ja nur aus Film und Fernsehen. Und da leuchtete das Ding immer in Rot, Blau oder Weiß. Das sah natürlich schon interessant aus. Aber heute, an einem grauen Herbsttag, wirkte die ganze Konstruktion ebenfalls einfach nur grau und öde. Der Spitzname “Schlauchboot” für diesen Klotz verankerte sich an diesem Tag in meinem Kopf.

Ein bisschen enttäuscht und mit Kopfschmerzen durch verkrampftes Schlafen im Sitzen machte ich mich mit meinen Freunden auf zur Einlasskontrolle. Wir hatten unsere Fahnen dabei, die wir vor einigen Wochen aus blauen Tischdecken gebastelt hatten. Versehen waren diese, vielleicht 60x60 cm großen, Fahnen mit einem weißen “H”. Der Ordner, der uns und die Fahnen kontrollierte, sah sie sich lange an und fragte dann, für was denn dieses H stehen würde. Ich wollte schon genervt eine Antwort pöbeln, als mein Blick auf sein Namenschild fiel. Sein Vorname war mit “H.” abgekürzt. Also fragte ich ihn, wie er denn mit Vornamen hieße. “Harry”, antwortete er verdutzt. “Dann steht das H wohl ganz klar für Harry”, grinste ich ihn an. Ob nun, weil er es glaubte, oder den Joke so nett fand, lachte er auch und ließ uns ohne weitere Kontrolle durch.

Nun stand eine Mammutaufgabe an: Ab in den Gästeblock im dritten Oberrang. Einen Fahrstuhl hätte es zwar gegeben aber nicht für Fußvolk wie uns. Also schleppten wir unsere Kadaver nach oben. Auf halbem Weg sprach mich ein Bayernfan an. Stilecht mit Gamsbart am Hut und Rauschebart. Leider verstand ich kein Wort, denn er sprach wirklich einen fiesen Dialekt und obwohl er zehn Minuten auf mich einredete, weiß ich bis heute nicht, was er von mir wollte. Also an dieser Stelle einen schönen Gruß an Harry und den Mann mit dem brutalen Dialekt.

Oben angekommen wurde uns die Dimension dieses Baus hier erst richtig bewusst. Der Gästeblock ist unfassbar hoch und uns wurde klar, dass wir heute kein Trikot von Zecke Neuendorf zugeworfen bekommen werden. Wir hatten mit ihm vor ein paar Wochen einen Werbefilm für die BVG gedreht und in den Drehpausen konnten wir Komparsen mit dem Spieler locker plaudern. Und weil wir uns so gut verstanden, versprach er uns sein Trikot. Aber dieses nun in München zu bekommen war komplett utopisch, also konzentrierten wir uns auf das Spiel.

Natürlich fährt man nie mit hohen Erwartungen nach München. Daher war auch eigentlich niemand von uns wirklich überrascht, dass Roy Makaay, Sagnol und Pizarro uns nach noch nicht mal einer Stunde schon drei Buden reingedonnert hatten. Viel mehr verblüffte uns, dass Malik Fathi und Marko Pantelic und plötzlich wieder ins Spiel brachten. 3:2 und noch knapp 20 Minuten auf der Uhr. Ein bisschen Hoffnung, auf eine kleine Sensation und einen Punktgewinn nach einem 3-Tore-Rückstand machte sich breit. Doch Lukas Podolski nahm uns nur fünf Minuten nach dem Anschluss die Hoffnung wieder und erzielte das 4:2.

Wir hatten allerdings gar keine Zeit, uns großartig über die nun besiegelte Niederlage zu ärgern, weil einer aus unserem Tross plötzlich eine ganz verrückte Idee hatte. Tommy stürmte, der Jubel der Bayern war noch nicht verstummt, in die erste Reihe des Blocks und schlug ein Bein über die Balustrade. Ich weiß nicht, wie es heute dort ist, aber damals hielt einen nur ein hüfthohes Stankett davon ab, in den zweiten Oberrang hinunter zu purzeln. Was auch immer Tommy geritten hatte, wir hielten ihn mit vereinten Kräften davon ab, auch das zweite Bein in den Abgrund zu schicken. Als wir ihn schließlich komplett zurück gezogen hatten, murmelte er kleinlaut, dass er den Bayernfans da unten doch nur gratulieren wollte.

Mit dem Verlassen dieses Ortes war ich mir sicher, dass einmal München-Rot reicht und bis heute habe ich dieses Schlauchboot auch nicht mehr betreten.

Viele warfen mir im Laufe der nächsten Jahre vor, ich würde ja bloß wegen der zu erwartenden hohen Niederlagen nicht mehr dorthin fahren. Aber hey, dann dürfte man mit Hertha ja fast nirgendwo mehr hin.

Die Rückfahrt nach Berlin verschlief ich zu 99 % und wunderte mich, als wir am Zoo in Berlin ausstiegen, woher die dicke Beule an meiner Stirn kam. Bob, der neben mir gesessen hatte, klärte auf: Offenbar hatte ich mit dem Kopf auf der Lehne vom Vordermann geschlafen, war aber immer wieder abgerutscht und mit dem Kopf auf das kleine Tischlein vor mir geschlagen, welches man aus der Rückenlehne vor einem ausklappen kann. Nach Bobs Aussage wiederholte sich das mehrere Male.

Zeckes Trikot habe ich bis heute nicht. Allerdings hat er mir, als wir ihn einmal beim Training darauf ansprachen, auf meine Kutte das schriftliche Versprechen gegeben, dass das Trikot noch kommt. Mal gucken, 16 Jahre warte ich schon. 16 weitere habe ich mindestens noch Zeit.

Aufrufe: 017.10.2022, 20:43 Uhr
Jörn KutschmannAutor