Es ist Mittwoch, 18.30 Uhr, und brüllend heiß. Auf der Platzanlage des TuS 07 Kranenburg trainiert eine Jugendmannschaft in einer Hälfte des Kunstrasenplatzes. Der hintere Teil des Feldes ist leer. Die Nachwuchsspieler knallen ihrem Keeper beim Schusstraining gerade die Bälle um die Ohren, als Schmitti (40) mit seinem Fahrrad auf die Anlage fährt. Sein Outfit ist vom Feinsten: Alles schwarz und alles von Nike. Der 40-Jährige ist Teil der Handicap-Mannschaft beim TuS. Seit April gibt es das Team, der 40-Jährige hat es mitgegründet.
Trainiert wird immer mittwochs ab 19.15 Uhr. Die Einheit beginnt wie bei jeder Mannschaft in der Umkleide. Laut, mit guten Sprüchen und stickiger Luft. Schmitti erklärt, warum er früher da ist: „Ich bin hier Co-Trainer und muss einiges vorbereiten.“ In den 45 Minuten vor Beginn holt er zwei Säcke mit Derbystar-Bällen, Hütchen für die Markierung von Übungen sowie Leibchen in rot und grün aus dem Platzhaus. Die Utensilien schleppt der 40-Jährige in die hintere Hälfte des Feldes. „Damit will ich den Cheftrainer entlasten, der dann sofort loslegen kann“, erklärt Schmitti. Cheftrainer ist Robert Preuer (53). Selbst einst ein guter Spieler, ist er Sonderschullehrer und unterrichtet zudem auch Sport. Über Jahre hatte Preuer als Coach seinen Sohn durch alle Nachwuchsmannschaften begleitet. Jetzt ist dieser bei den Senioren angekommen. Mit regelmäßigem Training und dem Spiel am Wochenende hatte er abgeschlossen. Bis Schmitti ihm begegnete. „Er fragte, ob der TuS nicht eine Handicap-Mannschaft gründen könne“, erzählt der Pädagoge. Nach einer Woche Bedenkzeit sagte er zu. Schmitti hatte währenddessen weitere Spieler an Land gezogen.
Das Team besteht aus 15 bis 20 Mitgliedern, alle zwischen 30 und fast 70 Jahren alt. Darunter welche im Trikot von Mönchengladbach, Dortmund, Bayern und Kranenburg. Es ist eine besondere Einheit. Und die Zahl steigt. Die Spieler kennen sich vom Arbeitsplatz oder leben zusammen in einem Wohnheim. Noch nie hat die Mannschaft an einem Wettbewerb teilgenommen. Bis jetzt.
Coach Preuer sagt vor der Premiere: „Wir treten da sportlich auf. Wir müssen nicht gewinnen. Die anderen Vereine sollen uns als faires Team in Erinnerung behalten. Grobe Foulspiele will ich nicht sehen.“ Alle nicken. Marco (53), ein großer und kräftiger Mann, merkt an: „Und wenn wir dann doch mal einen umhacken, können wir uns ja immer noch entschuldigen.“ Preuer lacht. Man müsse Menschen mit einem Handicap wie allen begegnen. In dem Fall gibt es für alle nur ein Kriterium: Der Witz muss gut sein. Während Marco sich Gedanken über regelkonformes Verhalten macht, hat sein Nachbar ein anderes Problem. Er sorgt sich um die Spielstärke der Gegner: „Da sind richtige Profis bei. Die trainieren drei- bis viermal die Woche.“
Nach der Ansprache werden Hütchen verteilt. Neben der Kurzpassübung werden zusätzlich Koordination und Konzentration geschult. Uwe (59) dreht sich nicht richtig und trifft den Ball zum falschen Zeitpunkt, seine zwei Partner bleiben gelassen. Sie spielen zusammen, weil sie sich gut verstehen. Es ist ihnen egal, wenn einer einen Fehler macht. „Sie fühlen sich in dem Team wohl, weil es einen aufbaut und unterstützt“, sagt Preuer.
Die Übungseinheiten sind für viele ein Höhepunkt der Woche. So auch für Rosi (39). Sie sitzt in einem Trikot von Bayer Leverkusen auf der Auswechselbank und schaut nur zu. „Ich bin noch lange krankgeschrieben. Wegen meiner Schulter. Aber meine Freunde lass‘ ich nicht im Stich. Auch beim Turnier bin ich dabei.“ Rosi wohnt zusammen mit Schmitti und dessen Freundin Bianca in einem Haus. Auf das Bayer-Trikot angesprochen, hebt Rosi den Zeigefinger und wackelt damit in der Luft hin und her. „Ne, ne, wirklich nicht. Ich bin schon lange Fan von Leverkusen. Die werden wieder Meister und Pokalsieger.“
Vom Spielfeld sind nur vereinzelt Rufe zu hören. Coach Preuer hat eine Trillerpfeife, mit der er für Ruhe sorgt, wenn die nächste Übung angesagt wird. Trotz der Hitze ist die Mannschaft anderthalb Stunden auf dem Platz. Vor dem Abschlussspiel muss Keeper Kenny zum Schusstraining noch ins Tor. Jeder darf zweimal von der Strafraumgrenze draufhauen. 20 Bälle fliegen Kenny nacheinander entgegen. Er ist ein Guter zwischen den Pfosten und Sebastian schießt hervorragend. Besser kann es beim TuS niemand. Er versenkt beide Bälle wunderschön unterhalb der Latte. „Dafür bin ich auch der Kapitän. Kannst du ruhig schreiben“, ruft er über den Platz. Wer nicht bis zum Tor kommt, wird vom Nebenmann an die Hand genommen. Der legt den Ball dann vor, sodass zumindest die Chance besteht, die Kugel an Kenny vorbeizuschieben. Preuer erklärt: „Am Ende geht es darum, dass die Leute Spaß haben und sich aufs nächste Mal freuen.“ Das werden wohl auch neue Spieler tun. Denn in der Mannschaft ist Platz für alle.
Vor dem Abschlussspiel kommt Marco auf den Trainer zu. „Ich will beim Turnier vorne spielen“, sagt er. Preuer erklärt: „Ich sehe dich eher hinten, du hast Überblick und kannst die Leute einsetzen.“ Marcos Antwort: „Auch nicht so schlecht.“ Am Ende der Einheit setzt sich Rot mit 4:2 gegen Grün durch. Nur Kenny geht einmal zu Boden. Wälzt sich wie die Stars und schlägt dabei mit der Hand auf das Spielfeld. Er ist im Kunstrasen hängen geblieben.
Zum Abpfiff sorgt Schmitti dafür, dass die Bälle und der Rest wieder mitgenommen werden. Einige Spieler gruppieren sich um die Stehtische vor dem Platzhaus des TuS und rauchen eine. Der Co-Trainer setzt sich auf eine Bank, trinkt den Rest aus seiner Wasserflasche und sagt: „Ich habe jetzt einen Schlüssel vom Platzhaus bekommen. Und damit auch mehr Verantwortung.“ Noch nie hat Schmitti eine Übungseinheit verpasst. Seinen Urlaub richtet er nach den Einheiten aus. „Man merkt, dass wir alle immer besser werden.“ Dann dreht er sich um und guckt, ob der Cheftrainer nicht hinter ihm steht: „Man muss auch sagen, der Robert hat echt was drauf und ist ein super Typ.“
Schmitti arbeitet im Garten von Schloss Moyland. Täglich fährt er mit dem Pedelec von Kranenburg zu dem Wasserschloss. „Bei jedem Wetter. Ob Hitze, Regen, Schnee“, setzt er an, einiges über seinen Job zu erzählen. Freundin Bianca reicht es irgendwann: „Mensch Schmitti, hör‘ auf zu quatschen. Wir gehen jetzt. Sonst kommse morgen wieder nicht aus dem Bett.“ Nicht allein der Ball läuft hier wie überall. Vieles andere auch.
Trainer Robert Preuer.
Co-Trainer und Ansprechpartner Christian Schmidt.
Kontakt preuer@gmx.de
Sportplatz TuS 07 Kranenburg, Curry-Q-Arena, Am Sportzentrum 4, Kranenburg.
Training Mittwochs 19.15 bis 20.30 Uhr (außer in den Schulferien).