2024-06-14T14:12:32.331Z

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Dario Cancian (li.) und Simon Sommer stellen sich vor dem Spitzenspiel zum Interview.
Dario Cancian (li.) und Simon Sommer stellen sich vor dem Spitzenspiel zum Interview. – Foto: Theo Titz / Uli Spinrath

Simon Sommer: „Bitter, dass einer am Ende nicht aufsteigt“

Kreisliga A Mönchengladbach-Viersen: Die SpVg Odenkirchen und der SV Lürrip treten am Samstag im Spitzenspiel gegeneinander an.

Am Samstag kommt es in der A-Liga zum direkten Duell der Spitzenteams SpVg Odenkirchen und SV Lürrip, ein Endspiel um den Aufstieg. Im Interview sprechen beide Trainer über die Akzeptanz als junger Coach, eigene Aufstiegs-Erinnerungen und warum früher im Amateurfußball vieles besser war.

Zwei Teams, die im Prinzip alles in dieser Saison gewonnen haben – aber nur ein Team davon kann aufsteigen: So lautet die Ausgangslage für die SpVg Odenkirchen und den SV Lürrip vor dem direkten Duell am Samstag. Aktuell liegt Odenkirchen mit zwei Punkten vorne. Vor dem Topspiel nahmen sich beide Trainer Zeit für ein gemeinsames Interview.

Herr Cancian und Herr Sommer, Sie sind beide Jahrgang 1991. Glaubt man aber den Statistiken, dann gab es als Spieler zwischen Ihnen kaum Berührungspunkte. Stimmt das?

Dario Cancian: "Ich weiß gar nicht, ob wir in der Liga überhaupt mal gegeneinander gespielt haben. Simon war damals ja mehr in der Landesliga unterwegs..."

Simon Sommer: "Ich kann mich allerdings an die Jugendzeiten erinnern. Da haben wir schon das ein oder andere Mal gegeneinander gespielt. Trotzdem kennen wir uns – das macht Gladbach ja irgendwie auch aus, wenn man im gleichen Alter ist (lacht)."

Aus heutiger Trainersicht: Hättet Ihr den jeweils anderen gerne in eurer Mannschaft?

Cancian: "Wir sind beide Linksfüße, die sind ja eh rar. Ich habe Simon zwar nicht so oft spielen sehen, aber seine Landesliga-Zeit spricht ja für sich. Daher denke ich, ja."

Sommer: "Uns verbindet ja, dass wir beide Leader auf dem Platz waren, die vorangegangen sind. Dario hat den Laden immer zusammengehalten. Und das hat uns bestimmt auch in die Position gebracht, irgendwo zu sagen: Wir werden Trainer."

War das denn frühzeitig das Ziel: Trainer werden?

Sommer: "Ich war im Verein schon immer bei vielen Sachen involviert. Es gab dann einmal eine Vorstandssitzung, bei der ich angemerkt habe, dass es nicht sein kann, dass von der Jugend nichts mehr hochkommt. Und dann kam ein Spruch: Mach doch selbst etwas in dem Bereich! Der Satz hat mich im Anschluss nicht mehr losgelassen. Eigentlich hatte ich damals noch nicht mit dem Trainergedanken gespielt. Aber irgendwo hatten sie ja recht: Alle beschweren sich immer, aber keiner macht etwas. Ich habe dann die A-Jugend übernommen. Und dann kam eins zum anderen."

Cancian: "Ich würde tatsächlich gerne noch selbst spielen, kann es aber nicht mehr. Nach der dritten Knie-Operation war Feierabend. Ich bin ehrlicherweise etwas in die Traineraufgabe hineingeraten. Der Verein wollte mich halten und ich bin dann Co-Trainer geworden. Den konkreten Plan, unbedingt Trainer zu werden, hatte ich gar nicht."

Sie beide sind im Winter 2022 Cheftrainer geworden. Hatten Sie gewisse Bedenken? Immerhin waren Sie kurz zuvor jeweils noch Spieler in der Mannschaft, ehe Sie den alten Kollegen plötzlich als Cheftrainer übergeordnet waren.

Cancian: "Ich war zuvor ja als Kapitän schon in einer Führungsrolle. Norbert Müller hatte damals in Lürrip im Winter aufgehört, was schade war, weil Norbert ein feiner Mensch ist – aber es passte einfach nicht mehr. Ich sollte zunächst nur als Übergangslösung einspringen. Aber da wir in der Bezirksliga weit abgeschlagen waren, wurde gesagt: Es bringt nichts, nun einen neuen Trainer für die Rückrunde zu holen. Also habe ich weitergemacht. Und in der Rückrunde lief es deutlich besser. Daher sind wir auch so in die neue Saison gestartet. Der Verein und ich haben uns also etwas herangetastet und gemerkt: Das funktioniert gut, die Jungs ziehen mit und die Vorgaben werden umgesetzt."

Sommer: "Man ist ja nicht ohne Grund Kapitän. Das Wort hat schon Gewicht. Wenn es angebracht ist, muss man auch auf den Tisch hauen können. Wir kennen uns alle aber schon länger, daher wissen die Jungs, wann es Spaß ist – und wann halt nicht. Ich hatte allerdings auch viele Befürworter aus den eigenen Reihen, beispielsweise meinen Co-Trainer Wolla Brück: Er wollte nur weitermachen, wenn ich übernehme."

Wie weit ärgert es Sie eigentlich, jedes Wochenende sehen müssen: Der andere hat auch wieder gewonnen?

Sommer (lacht): "Da ist schon sehr hart. Egal, wen man aus dem Fußballkreis fragt, alle sagen: Eigentlich müssen beide Vereine aufsteigen. Deswegen ist bei mir auch viel Anerkennung für Dario da. Denn ich bin in derselben Situation und weiß, was alles dazugehört. Viele reden immer davon: Ihr habt ja einen super Kader, das läuft ja von alleine. Aber da gehört eine ganze Menge dazu, damit die Jungs Woche für Woche motiviert und fokussiert sind. Deswegen ist es extrem bitter, dass es am Ende ein Team nicht packen wird."

Cancian: "Natürlich guckt man auf den anderen. Für uns war aber klar, dass Odenkirchen wahrscheinlich nichts mehr liegen lässt. Deswegen war der Druck bei uns schon hoch, weil wir wussten: Wir müssen alles gewinnen, damit wir im direkten Duell noch eine Chance haben. Wir haben daher versucht, uns vor allem auf unsere Spiele zu konzentrieren."

Merkt man eine Anspannung in der Mannschaft vor dem entscheidenden direkten Duell am Samstag?

Sommer: "Es ist Vorfreude. Man konnte in den vergangenen Partien sehen, dass die Mannschaft total fokussiert ist. Wir haben ja das Heimspiel, das ist auch für den Verein cool, unabhängig vom Sportlichen. Es werden einige Zuschauer kommen und es wird ein Erlebnis – man hat es im Vorjahr gesehen (Odenkirchen verpasste im Heimspiel vor großer Kulisse den Aufstieg gegen Türkiyemspor, Anm. d. Red.). Auf dieses Spiel kann sich ganz Gladbach freuen. Es ist irgendwo auch eine Belohnung für die gesamte Saison. Wann kommen die Jungs dazu, vor so einer Kulisse zu spielen?"

Cancian: "Mir geht es genauso. Man hat es bei uns am vergangenen Spieltag gegen den Polizei SV gemerkt, dass da auch eine gewisse Last abgefallen ist (Lürrip gewann 4:0, Anm. d. Red.). Denn wir durften nicht mehr patzen – da war das Odenkirchen-Spiel bereits in den Hinterköpfen. Das Spiel gegen den PSV konnte man daher quasi als Halbfinale sehen. Nun herrscht aber Vorfreude. Man fiebert dem Tag entgegen."

Von welchen Trainern haben Sie sich in Ihrer aktiven Zeit etwas abschauen können?

Cancian: "Bei mir ist es vor allem Norbert Ringels. Ein Ex-Profi, dem du alles abgekauft hast, was er erzählt hat. Wir waren damals eine totale Chaoten-Truppe. Er hat es aber geschafft, diese Mannschaft zusammenzuschweißen. Für mich als junger Spieler war er eine sehr prägende Person. Außerdem noch Markus Lehnen, der mich in Lürrip zum Kapitän gemacht hat und bei dem ich zum Führungsspieler herangereift bin. Mit Klaus Ernst hatte ich ein gutes Jahr mit Blau-Weiss Meer in der Bezirksliga."

Sommer: "Für mich auf jeden Fall Peter Schleuter. Ich bin froh, dass ich ihn noch mitgemacht habe (lacht). Mit ihm sind wir damals in Odenkirchen in die Landesliga aufgestiegen. Er ist ein Trainer vom alten Schlag und konnte streng sein. Aber er war einer der besten Trainer, die ich hatte. Wir hatten viele schwierige Charaktere damals in der Mannschaft. Trotzdem hat er es geschafft, dass wir immer hundert Prozent gegeben haben. Er war so eine autoritäre Person – jeder hat gemacht, was er gesagt hat. Dann natürlich Kemal Kuc. Er lebt den Fußball. Vor allem im taktischen Bereich ist da viel hängen geblieben. Und Marcel Winkens in Jüchen, der ähnlich akribisch ist wie Kemal und menschlich einfach super."

Inwiefern hat sich die Trainerarbeit seitdem verändert?

Sommer: "Große taktische Anordnungen, beispielsweise beim Anlaufverhalten oder beim Spielaufbau – das gab es früher nicht. Da wurde ein System durchgespielt. Es gab auch keine großen Spielerrollen. Da hat sich der Fußball positiv weiterentwickelt. Heute gibt es in der Masse allerdings nicht mehr so viele gute Spieler in den unterklassigen Ligen, was aber zum Teil taktisch aufgefangen wird. Selbst in der Kreisliga B sieht man bei den guten Teams mittlerweile ein Spielsystem."

Cancian: "Es gibt nun so viele moderne Möglichkeiten mit Videoanalysen, das war vor einigen Jahren noch undenkbar. Die Spielergeneration ist allerdings auch anders, mit Social Media und all dem Kram. In unserer Anfangszeit hatten wir den Fokus voll auf Fußball. Heutzutage ist das bei vielen Spielern nicht mehr so. Darauf muss man als Trainer eingehen – und da kommen viele ältere Kollegen vielleicht nicht mehr so mit zurecht. Es steht zum Beispiel ein wichtiges Spiel an – und freitagabends sagt ein Spieler dann ab. Das hätte es früher nie gegeben. Dieser Wandel ist nicht immer positiv, aber so hat es sich eben entwickelt. Damit muss man versuchen, umzugehen."

Sommer: "Ich erwische mich ja selbst dabei, dass ich immer von den alten Zeiten erzähle: Früher war alles besser (lacht). Aber es stimmt ja teilweise. Es ist natürlich von Mannschaft zu Mannschaft unterschiedlich, aber die Leute haben kein Problem damit, Spiele abzusagen. Früher hast du nur Spiele abgesagt, wenn, ich weiß nicht..."

Cancian: "...dein Bein gebrochen war."

Sommer: "...zum Beispiel (lacht). Aber dann hattest du auch drei Wochen ein schlechtes Gewissen. Heute werden Spiele aber wie Trainingseinheiten abgesagt. Diesen Wandel sehe ich kritisch. Natürlich ist es am Ende ein Hobby, ein Stück weit aber auch eine Verpflichtung: Man spielt als Team. Es ist daher schwieriger geworden, eine Mannschaft zusammenzuhalten und zu motivieren."

Das ist ein Punkt, den ältere Trainer oft monieren: Das Pflichtbewusstsein und die Identifikation mit den Vereinen ist bei vielen Spielern abhandengekommen – zumindest verglichen mit früheren Zeiten.

Sommer: "Es sind generell viele Kleinigkeiten: Ein Spieler spielt zwei Spiele nicht – und sieht das dann als Wechselgrund. Das ist Wahnsinn. Solche Sachen machen es heute so schwierig. Wie packst du die Jungs? Auch die, die gerade nicht so zum Einsatz kommen?"

Cancian: "Was ich so traurig finde: Man sieht es ja an Mannschaften wie Neuwerk, Wickrath oder Mennrath, die über mehrere Jahre zusammenbleiben – die haben damit auch Erfolg. Das dauert aber seine Zeit. Dafür sind die Spieler heutzutage aber zu ungeduldig, gerade die jungen Spieler. Da ist man zum Teil direkt frustriert, da wird direkt ein Gespräch gesucht. Ein Peter Schleuter oder Norbert Ringels hätten diese Gespräche erst gar nicht geführt."

Sommer: "Man hätte sich gar nicht getraut, sie zu fragen. Für uns als junger Spieler war es völlig normal, dass du mal einen Monat nicht gespielt hast. Gleichzeitig war aber klar: Du musst dich reinhängen und Gas gaben. Das hat sich heute geändert: Es sind immer die anderen schuld, die eigene Leistung können viele Spieler nur schwierig reflektieren. Dann ist der Trainer scheiße, die Kameraden scheiße oder der Ball scheiße. Das ist ein Grund, warum ich die Aufgabe in der Jugend angenommen habe. Denn da muss etwas passieren."

Klingt, als sei man vor allem als Pädagoge gefordert.

Sommer: "Das betrifft aber eher die Allgemeinheit. Ich glaube, bei uns beiden läuft es ganz gut, wir sind da etwas außen vor. Ich habe mir als junger Spieler relativ früh einen Stammplatz erarbeitet. Das hatte aber nicht nur etwas mit Leistung zu tun, sondern auch, wie man sich abseits des Platzes präsentiert. Viele sind heute nach Spielschluss nach zehn Minuten geduscht und auf dem Weg nach Hause."

Cancian: "Das ist dieses Vereinsleben. Früher war es selbstverständlich, dass man mit 20 Mann nach dem Spiel noch ein bis zwei Stunden zusammensaß. Man erzählt Blödsinn und lässt den Abend ausklingen. Mittlerweile fahren alle schnell weg. Man gibt damit auch den Leuten, die den ganzen Tag für den Verein arbeiten, wenig Wertschätzung."

Sommer: "Alles läuft auf dasselbe hinaus: Es geht um Werte. Das hat etwas mit Respekt zu tun. Die Jugendspieler haben oft die einfachsten Sachen nicht verinnerlicht. Zum Beispiel dem Trainer kurz Bescheid geben, wenn ich zu spät bin. Ich bin dann als Pädagoge im Einsatz, dass ich 17- und 18-Jährigen das beibringe. Dabei muss das früher passieren. Und da sind irgendwo alle gefragt: Trainer, Eltern, Vereine."

Sie haben beide als Spieler Aufstiege erlebt, Sommer mit Odenkirchen einst in die Landesliga, Cancian mit Lürrip in die A-Liga und mit Meer in die Bezirksliga. Was verbinden Sie heute noch mit diesen Erfolgen?

Sommer: "Das prägt einen. Wenn man heute die Jungs von damals sieht, da man fällt sich immer noch in die Arme und lacht sich kaputt über die Zeit. Es haben sich auch Freundschaften daraus gebildet. Eyup Tasyapan, der Trainer von Rheindahlen, gehörte damals ebenfalls zur Aufstiegsmannschaft. Wenn wir uns sehen, können wir uns gar nicht ernst nehmen, weil man die Bilder von damals noch im Kopf hat. Es gibt nichts Geileres als einen Aufstieg – das sage ich auch den Jungs. Man nimmt es für das gesamte Leben mit."

Cancian: "Der Aufstieg mit Lürrips Reserve aus der B-Liga war damals reine Formsache. Die Truppe war viel zu gut für die Klasse, vergleichbar mit Odenkirchen aktuell. Trotzdem prägt so etwas. Aber der Aufstieg mit Meer in die Bezirksliga, der war mega. Am letzten Spieltag konnten noch drei Mannschaften aufsteigen, Neuwerk, PSV und Meer. Wir haben uns dann zu Hause zu einem 1:0-Sieg gegen die Red Stars gezittert. Das sind Erlebnisse, die vergisst man sein Leben nicht.Diese Last, die abgefallen ist, als der Schiedsrichter abgepfiffen hat und wir wussten: Wir sind durch. Das war sensationell."

Nun kann wieder einer von Ihnen als Trainer aufsteigen. Wie viele Leute haben Sie für das große Spiel am Samstag schon mobilisiert?

Sommer: "Ich bin gespannt, ob wir die Anzahl an Zuschauern aus dem vergangenen Jahr knacken – da waren es 2500 (Heimspiel am letzten Spieltag gegen Türkiyemspor, bei dem Odenkirchen den Aufstieg verpasste, Anm. d. Red.). Wir haben eine große Anhängerschaft, aber auch Lürrip wird einige Leute mitbringen. An dem Tag ist ja auch keine Bundesliga mehr. Wer etwas mit dem Amateurfußball zu tun hat, wird sich die Zeit nehmen und das Spiel verfolgen."

Cancian: "Man wird bereits tagtäglich darauf angesprochen. Ich habe intern aber gesagt, dass ich gar nicht so viel davon mitbekommen möchte. Allerdings habe ich schon gehört, dass der Verein den einen oder anderen Bus organisiert hat."

Was hat Ihre Mannschaft der jeweils anderen für dieses Spiel voraus?

Sommer: "Wenn man sieht, wie beide Mannschaften über die bisherige Saison performt haben, dann ist am Ende sicherlich auch die Tagesform entscheidend. Wer lässt sich vielleicht von dem ganzen Drumherum etwas aus der Bahn werfen? Wer ist abgezockter? Da haben wir vielleicht den einen oder anderen erfahreneren Spieler mehr in der Truppe. Es ist aber ein Endspiel, da kann einfach alles passieren. Das Niveau wird wenig mit der Kreisliga A zu tun haben."

Cancian: "Wir haben im Hinspiel bewiesen, dass wir Odenkirchen schlagen können – das hat keine andere Mannschaft hinbekommen (Lürrip gewann 1:0, Anm. d. Red.). Das ist bei uns in den Köpfen. Vielleicht spielt bei Odenkirchen auch das Vorjahr noch eine Rolle. Bei ihnen haben einige Jungs schon höher gespielt und wissen, wie man mit Druck umgeht. Das ist bei unserer Mannschaft nicht so der Fall. Wir werden uns aber auf keinen Fall verstecken und haben seit der Hinrunde noch einmal eine tolle Entwicklung genommen. Wir werden einiges auf den Platz bringen."

Aufrufe: 024.5.2024, 23:00 Uhr
Daniel BrickweddeAutor