2024-05-15T11:26:56.817Z

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Jubel bei den VSV: In Heimspielen ein Standard. Foto: Schmietow
Jubel bei den VSV: In Heimspielen ein Standard. Foto: Schmietow

Sexualhormon: Das macht die VSV-Fußballer so heimstark

„Ein Faktor für den Heimvorteil könnte Territorialverhalten sein“

Mythos Heimspielstärke: Nirgendwo im Kreis hält er sich so stark wie bei den Fußballern der VSV Hedendorf/Neukloster. Warum sammeln sie ihre Punkte lieber zu Hause als auswärts? Das TAGEBLATT hat einen renommierten Sportwissenschaftler gefragt.

„Zu Hause fühlen wir uns am wohlsten!“, schreiben die Fußballerinnen der VSV Hedendorf/Neukloster auf Instagram. Sechs Spiele, sechs Siege - kein Landesligist ist stärker. In der Ferne haben die VSV ihr Glück bisher nicht gefunden. Nur 14,29 Prozent (3 Punkte) ihrer insgesamt 21 Zähler holten sie auswärts.

Auswärts fehlt mentale Stabilität

„Wir sind ein junges Team, das sich zu Hause wohler fühlt“, sagt Trainer Bernd Albers. Die Abläufe würden funktionieren. Warum die VSV auf fremden Plätzen noch sieglos sind, glaubt Albers erklären zu können: „Wir treten genauso mutig auf, verlieren aber schneller unser Selbstvertrauen.“ Die Spielerinnen lassen sich leichter aus der Ruhe bringen und glauben nicht mehr an ihre Stärke. In vier von sechs Spielen gingen die VSV-Frauen in Führung und gaben das Spiel wieder aus der Hand.

VSV als Verein eine Heimmacht

Der zweiten Frauenmannschaft (Kreisliga, 88,89 Prozent), vierten (4. Kreisklasse, 66,67), dritten (1. Kreisklasse, 77,78) und zweiten Herren (Kreisliga, 76,67) geht es ähnlich. Sie sammeln den Großteil ihrer Punkte in Heimspielen. Nur die erste Herren dominiert in der Bezirksliga sowohl auswärts als auch zu Hause. Zum Vergleich: In allen Spielklassen mit Teams aus dem Kreis Stade holen die Gastgeber nur 58 Prozent ihrer Punkte.

Einen Vorteil haben die VSV durch ihren Kunstrasenplatz - insbesondere ab dem Spätherbst, wenn die Teams unter guten Verhältnissen trainieren können, während bei anderen Mannschaften das Training ausfällt. Hedendorf/Neukloster weiß, wie der Ball springt, hat Routine. „Das alleine wäre aber zu einfach“, sagt Torben Hildebrandt, der gemeinsam mit Nihat Sagir die zweite Herren trainiert, die in der vergangenen Saison fast alle Punkte zu Hause holte.

Die VSV-Damen haben zu Hause regelmäßig Grund zur Freude: Mehr als 85 Prozent ihrer Punkte sammeln sie in Heimspielen Foto: Schmietow
Die VSV-Damen haben zu Hause regelmäßig Grund zur Freude: Mehr als 85 Prozent ihrer Punkte sammeln sie in Heimspielen Foto: Schmietow

40.000 Spiele untersucht

Auch Familie und Freunde am Spielfeldrand würden einen Motivationsschub geben, glaubt Frauentrainer Bernd Albers. Die Unterstützung der Zuschauer scheint aber überschätzt zu sein - im Profi- noch mehr als im Amateur-Fußball. Das zeigt die Wissenschaft.

Das Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik an der Deutschen Sporthochschule Köln hat mehr als 40.000 Spiele vor und während der Pandemie (ohne Zuschauer) analysiert, darunter fast 6000 Kreisliga-Partien.

Demnach würden sich Parameter wie Torschüsse, Gelbe und Rote Karten ohne Zuschauer angleichen, sich aber nur begrenzt auf den Heimvorteil auswirken. Mit Fans gewinnt die Heimmannschaft 45 Prozent der Spiele, ohne Zuschauer 43 Prozent. Allgemein sei der Vorteil in den vergangenen Jahren kleiner geworden.

Sexualhormon spielt eine Rolle

Und der tatsächliche Grund für das Phänomen? Der sei wissenschaftlich schwer zu bestimmen, sagt Professor Daniel Memmert, der die Studie durchgeführt hat und das Institut leitet.

„Ein Faktor für den Heimvorteil könnte Territorialverhalten sein“, so Memmert. Sportler scheinen ihren heimischen Platz unbedingt verteidigen zu wollen. Der Testosteronspiegel im Speichel bei Fußballspielern ist vor einem Heimspiel deutlich höher als vor einem Auswärtsspiel, wie Wissenschaftler der Northumbria University herausfanden. Dazu passt Hildebrandts Aussage: „Ich glaube, dass unsere Heimstärke auch mit unserer großen und schönen Sportanlage zu tun hat.“

Auswärtsschwach? Das können Trainer tun

In Auswärtsspielen würde man hingegen unbewusst zögerlicher und unsicherer auftreten, weiß Memmert. „Das ist normal und menschlich.“ Natürlich lässt sich die heimische Routine nicht eins zu eins auf ein Spiel auf fremdem Platz übertragen. Der Experte würde aber dennoch dort ansetzen, um Auswärtsschwächen zu bekämpfen: „Die Teams sollten versuchen, dieses Heimgefühl auch auswärts herzustellen und gleiche Abläufe zu haben.“ Einige Bundesligisten würden etwa die fremde Kabine ähnlich herrichten wie die eigene.

„Das sind nur ein paar Prozent, die aber den Unterschied ausmachen können“, ist sich Memmert sicher. Die VSV-Herren gehen sogar weiter und probieren, die Platzverhältnisse für den kommenden Spieltag zu simulieren. „Wenn wir wissen, dass uns ein kleines Feld erwartet, trainieren wir auf dem kleinen Platz 3“, so Hildebrandt.

Schwäche nicht in den Kopf einpflanzen

„Bei Auswärtsspielen ist Druck ein wichtiger Faktor“, sagt Memmert. Trainer seien gut beraten, Auswärtsschwächen gar nicht groß in der Mannschaft zu thematisieren. Dass Spieler die Reisen ansonsten direkt mit negativen Erfahrungen verknüpfen, dürfte zu groß sein. Albers: „Wir wollen das gar nicht in unsere Köpfe lassen, sondern den Mannschaften, die uns in der Rückrunde empfangen, sagen: Ihr solltet nicht zu sicher sein.“

Aufrufe: 014.2.2024, 06:30 Uhr
Tageblatt/Lars WertgenAutor