2024-05-02T16:12:49.858Z

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Das Sportgeflüster von Dieter Priglmeir
Das Sportgeflüster von Dieter Priglmeir – Foto: hep

Protestbier, Parallelaufstellung und andere Erdinger Kritikformen

DAS SPORTGEFLÜSTER

Heul leise, Thomas Tuchel! Unsere Trainer verstehen den Bayern-Coach, gehen aber mit Kritik viel lässiger um.

Thomas Tuchel fühlt sich ungerecht behandelt von den Chefkritikern von Sky? Na, dann soll er mal froh sein, dass er nicht einen Verein im Landkreis Erding coacht. Bei uns reden nicht nämlich nicht nur Weltmeister (der Lothar) und Champions-League-Sieger (der Didi) mit, sondern wahlweise Altbürgermeister oder Spielerväter. Beides ist Sebastian Held passiert.

„Einmal hat sich der Ex-Bürgermeister beschwert, weil ich Spieler, die für die Zweite eingeplant waren, in der Ersten spielen ließ“, erzählt er. Im anderen Fall habe sich der Abteilungsleiter geärgert, dessen Sohn vor der Mannschaft kritisiert worden sei. „Berechtigterweise“, wie Held noch heute meint, „denn der junge Mann war in einer für uns schwierigen Phase bei einem anderen Verein im Probetraining“. Aber man habe das schnell aus der Welt geschafft. Kein Happy End fand der erste Fall. „Da war ich im nächsten Jahr nicht mehr Trainer.“

Kritik am Coach – nicht nur Held sieht das gelassen. „Mei, du giltst ja schon als schlechter Trainer, wenn du die Frau vom Vorstand nicht grüßt“, meint Hans Bruckmeier und sortiert die Spezies „Homo Kriticus“ ein: Harmlos seien die, die mit der Auswechslung von Sohn, Enkel oder Großgroßcousin nicht einverstanden sind. Hellhörig werde er, „wenn sich Edelfans melden, denn die haben schon ein feineres Gespür für Team und Taktik“. Und da gebe es noch die ewigen Meckerer, „die mich schon seit der Schulzeit nerven, selbst höchstens geradeaus laufen können und schon beim Bremsen Probleme kriegen“. Da helfe nur eins: „Einen blöden Spruch setzen. Meistens lachen Fünf von Sechs, und alles ist wieder gut.“

Auch Matthias Kurz, Spielertrainer in Grüntegernbach, kann mit Kritik leben. „Dass über den Trainer geschimpft wird, ist doch ganz normal. Ob der immer was dafür kann, ist eine andere Frage.“ Eine Frage, die sich jüngst Spieler und Abteilungsleitung in Grüntegernbach gestellt hatten, „als es nicht so ganz so gut gelaufen ist“, wie Kurz die Phase mit drei Niederlagen in Folge beschreibt. Letztlich hätten sich Spielerrat und Abteilungsleiter zusammengesetzt und seien zum Schluss gekommen: „Es liegt nicht am Trainer, also an mir, sondern einfach an den Leuten selber, weil sie teilweise die falsche Einstellung haben.“

Vielleicht liegt es wirklich an den Vorstandsetagen, dass unsere Trainer so ruhig bleiben. Bisher habe er nur Abteilungsleitungen erlebt, mit denen er Probleme sachlich erörtern konnte, meint zum Beispiel Florian Leininger, Spielertrainer beim FC Herzogstadt. „Und wenn so mancher Edelfan andere Ansichten hat, lässt mich das relativ kalt, weil ja keiner unter der Woche beim Training war und weiß, wer angeschlagen oder nicht gut drauf ist.“ Aber er erkläre das den Leuten dann gern, meint Leininger.

Mit einem freundlichen Vorschlag kommt auch Stefan Huber um die Ecke, wenn die Fans des SV Eichenried mal wieder unzufrieden sind. „Dann“, so erzählt der SVE-Vorsitzende, „verweise ich auf die nächste Wahlen und dass wir immer gute Leute suchen, die uns tatkräftig unterstützen“. Schon sei jede Kritik vom Winde verweht.

Eine besonders bajuwarische Form, seine Unzufriedenheit auszudrücken, hat sich vergangene Saison beim Anhang des SV Wörth entwickelt. Die treuesten der Fans verabschiedeten sich ins Vereinsheim zum Vor-Abpfiff-Bier, sobald das Spiel entschieden war. Und weil es in der Gruselsaison (26 Spiele, 6 Punkte, 79 Gegentore) oft schon zur Halbzeit so weit war, wurden es auch zwei oder drei Verdruss-Biere. „Ich habe es ihnen nicht verübelt, sie stehen sonst immer voll hinter uns und unterstützen uns auch jetzt in der SG mit Hörlkofen“, erzählt Trainer Lorenz Becker. Apropos Bier: Das trinkt Florian Leiner inzwischen mit den Berglerner Edelfans, die ihm in den Wochen nach Amtsantritt Parallel-Aufstellungen präsentiert hatten. „Anfangs war das nicht leicht, inzwischen lachen wir drüber.“

Locker ist auch Leo Balderanos, Spielertrainer bei Aspis Taufkirchen: „Die Zuschauer haben Eintritt bezahlt. So lange es im respektvollen Rahmen bleibt, dürfen sie schreien, was sie wollen.“ Und außerdem: „Wenn gar nichts los ist, ist es doch auch nichts. Ist doch Fußball.“ Eine Ausnahme macht er: „Wenn Spielerväter reinbrüllen, werde ich allergisch. Denn das verunsichert die Burschen bloß.“ Hellhörig werde er dagegen, wenn die Reservebank laut wird. Balderanos gesteht: „Wenn ich auf dem Platz stehe, vergesse ich, dass ich als Spielertrainer fürs Wechseln zuständig bin. Und da melden sich die Jungs natürlich zurecht.“ Und dann sagt der Aspis-Coach noch etwas, was sich Trainer Tuchel – für dessen Ärger er und seine Kollegen volles Verständnis haben – hinter die Ohren schreiben sollte: „Ich habe selten ein Lob gehört, bin im vierten Jahr hier Trainer. Aber das ist okay so. Das Lob sollen sich doch die Spieler abholen.“

Unsere Trainer verstehen den Bayern-Coach, gehen aber mit Kritik lässiger um

Aufrufe: 011.11.2023, 05:40 Uhr
Dieter PriglmeirAutor