2024-04-30T13:48:59.170Z

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Oliver Kirch (li.) im großen RP-Interview.
Oliver Kirch (li.) im großen RP-Interview. – Foto: Schneider Torsten

Oliver Kirch: „Da geht dem einen oder anderen ein Licht auf“

Borussias U19-Trainer Oliver Kirch spricht über die gute Entwicklung seiner Mannschaft und die Arbeit mit den Talenten im Klub.

Oliver Kirch, seit Sommer sind Sie Cheftrainer der U19. Zu Beginn der Saison verliefen die Ergebnisse noch in Wellenbewegungen. Mittlerweile ist Ihre Mannschaft seit sechs Spielen ungeschlagen.

Oliver Kirch: "Als ich hier angetreten bin, habe ich angekündigt, dass wir eine Weile brauchen werden, bis wir Stabilität reinbekommen, weil wir eine extrem junge Mannschaft haben. Was die Startaufstellungen betrifft, haben wir sogar den jüngsten Altersdurchschnitt aller Teams in der Bundesliga-West. Ich war mir sicher, dass die Mannschaft Potenzial hat, wir aber unsere Erfahrungen sammeln müssen. Das haben wir am Anfang gemacht, als wir in bestimmten Phasen teilweise noch etwas naiv waren."

Sie haben am dritten und vierten Spieltag jeweils mit 1:2 gegen Fortuna Düsseldorf und den 1. FC Köln verloren, gegen Düsseldorf musste Ihre Mannschaft in der Schlussphase in doppelter Unterzahl agieren. Haben Sie in den Spielen besonders viel gelernt?

Kirch: "Auf jeden Fall. Düsseldorf hat gut verteidigt und sehr einfachen Fußball gespielt, fast schon Herrenfußball mit vielen langen Bällen. Damit haben wir uns schwergetan und keine richtigen Mittel dagegen gefunden. Mittlerweile hat sich das geändert."

Sie sind als Nachfolger von Alexander Ende relativ kurzfristig bei Borussia eingestiegen. Kannten Sie die Mannschaft im Vorfeld?

Kirch: "Ich hatte natürlich mal ein Spiel von der U19 aus der vergangenen Saison gesehen, aber persönlich kennengelernt habe ich die Jungs am ersten Trainingstag. Wenn man mit den Jungs tagtäglich arbeitet, kriegt man erst ein richtiges Gespür für die Mannschaft. Hilfreich war natürlich auch, dass ich in Alessandro Riedle und Maximilian Nadidai zwei Co-Trainer im Team habe, die den Kader sehr gut kennen."

Wie war der erste Eindruck?

Kirch: "Anders, als ich es zuvor kannte. Wir haben einen sehr großen Kader und trainieren regelmäßig mit 23 oder 24 Feldspielern, das ist sehr viel. In diesem Kader sind 18 Spieler des jüngeren Jahrgangs, in Niklas Swider und Kilian Sauck haben wir zudem zwei Spieler dabei, die noch U17 spielen könnten. Das war schon ein wilder Haufen am Anfang. (lacht) Teilweise wirkten die Jungs noch etwas albern,was in dem Alter vollkommen normal ist. Wir mussten dann schauen, dass alle den richtigen Fokus an den Tag legen."

Worum geht es dabei genau?

Kirch: "Dass sie die fußballerische Qualität besitzen, haben sie direkt gezeigt. Aber für die Spieler sind es die letzten Jahre im Jugendfußball, da muss dann mehr Professionalität dazukommen. Die Jungs müssen verstehen, dass sie bewusst trainieren und bewusst leben müssen – auf und neben dem Platz."

Wie lange hat der Entscheidungsprozess gedauert, bis Sie wussten, dass Sie als Trainer zu Borussia zurückkommen möchten?

Kirch: "Nach meinem Vertragsende beim HSV war ich mir ursprünglich nicht sicher, welchen Weg ich gehen möchte und ob ich überhaupt weiter im Jugendbereich arbeiten möchte, auch wenn insbesondere das letzte Jahr dort sehr erfolgreich war und Spaß gemacht hat. Als Borussia dann angerufen hat, hat es aber nicht lange gedauert, bis ich mich für die Aufgabe entschieden habe. Gladbach hat als Klub ein gewisses Standing, ich habe hier selbst noch gespielt und kenne viele Personen noch von früher."

Spielt die eigene Vergangenheit bei so einer Entscheidung tatsächlich eine große Rolle? Sie haben von 2003 bis 2007 in Gladbach gespielt.

Kirch: "Das hat in der Tat eine größere Rolle gespielt. Ich weiß von der Erfahrung beim HSV, dass es nicht leicht ist, wenn man von außen ganz neu in einen Verein kommt. Ich hatte vorher keine Berührungspunkte mit dem Klub und konnte ihn deshalb nicht so leicht einschätzen. Die Position des U19-Cheftrainers ist eine verantwortungsvolle Position. Wenn man als Externer reinkommt, wird man nicht unbedingt von jedem mit offenen Armen empfangen, weil es vielleicht Leute gibt, die sich auch Hoffnung gemacht haben auf den Posten. Das habe ich in Hamburg am Anfang unterschätzt. Bei Borussia wusste ich, wie die Leute ticken und welche Struktur der Verein hat."

In den vergangenen Monaten gab es im Jugendbereich einige Veränderungen. Guido Streichsbier ist als Co-Trainer der Profis für das Talente-Training zuständig, Philipp Schützendorf hat die Rolle als Leiter Entwicklung eingenommen, Sascha Eickel ist Sportlicher Leiter der U19/U23. Wie nehmen Sie diese Strukturen wahr?

Kirch: "Man merkt, dass der Verein in dem Bereich einen Neuanfang gewagt hat. Das Talente-Training sorgt dafür, dass sich noch mehr junge Spieler oben zeigen dürfen. Das ist für alle Spieler auch ein Ansporn, da jeder die Chance hat, sich dafür zu empfehlen. Der nächste Schritt wäre dann, dass sich Spieler aus dem Talente-Training heraus für das Training mit den Profis empfehlen."

Für die Fans ist es immer spannend, welche Talente bei den Profis trainieren dürfen. Wie sehen Sie das als U19-Trainer? Es ist ja immer ein schmaler Grat, dass der Schritt nicht zu früh erfolgt.

Kirch: "Es ist das Beste, was dem Spieler passieren kann, wenn er außergewöhnlich talentiert ist. Da nimmt er am meisten mit. Oben zu sehen, wie es wirklich zugeht und zu merken, wie schnell dort Fußball gespielt wird, ist sehr wertvoll. Da geht dem einen oder anderen auch mal ein Licht auf. Sich dann aber an das Niveau anzupassen und weiterhin in der U19 seine Leistung zu bringen, ist das Schwierigste. Beim HSV haben wir immer wieder U19-Spieler ins Profi-Training integriert und damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Das Talente-Training kann ein guter Zwischenschritt sein."

Winsley Boteli ist ein Spieler, der aus Ihrer Mannschaft heraussticht. Wie sehen Sie seine Entwicklung?

Kirch: "Hinter ihm und seinen Toren steckt ein funktionierendes Mannschaftsgefüge, das gilt es auch zu betonen. Deshalb halte ich nichts davon, einzelne Spieler hervorzuheben. Wir haben gerade einen Weg gefunden, mit dem großen Kader einen Leistungsgedanken zu entwickeln. Es geht darum, Woche für Woche unser Spiel auf den Platz zu bringen – egal unter welchen Bedingungen, egal gegen welchen Gegner. Natürlich werden die Spiele dann auch mal von der Qualität eines Einzelnen entschieden, aber es geht darum, dass wir als Mannschaft so gut funktionieren, dass die Jungs diese Qualität regelmäßig abrufen."

Sind Sie ein strenger Trainer?

Kirch: "In bestimmten Situationen schon. Das muss man sein, wenn sich hin und wieder in einer Mannschaft der Schlendrian einschleicht."

Womit können Sie die Jungs im Training denn nerven?

Kirch: "Vergangene Woche hat eine Mannschaft das Abschlussspiel verloren. Zur Strafe mussten sie eine Woche lang den Materialdienst schieben. Da habe ich an den Reaktionen gemerkt, dass das offenbar eine sehr harte Strafe ist und der Ehrgeiz relativ groß ist (lacht). Aber das gefällt mir."

Welchen Plan geben Sie ihren Spielern an die Hand?

Kirch: "Wenn wir den Ball haben, sind die Jungs auf dem Platz sehr frei in ihren Entscheidungen, das finde ich wichtig. Natürlich gibt es ein paar Grundsätze, gerade was die Positionierungen und Abstände untereinander angeht und welche Räume wir bespielen wollen. Ich bin jemand, der auch gerne mal in Daten und Zahlen schaut. Deutschlandweit gehören wir zu den Top-Teams, was Ballbesitz, die wenigsten Ballverluste und das Erspielen von Torchancen angeht. Gleichzeitig sind wir nicht kopflos, wenn wir einen Ball verlieren und lassen die drittwenigsten gegnerischen Torchancen zu. Zu Beginn der Saison sah das anders aus, aber das Verständnis für die Positionierung ist gestiegen, deshalb stehen wir hinten nicht mehr so offen. Unsere defensive Haltung ist einer der größten Schritte, die wir zuletzt gemacht haben."

Aktuell stehen Sie mit der U19 nach 13 Spieltagen auf Platz vier. Wie wichtig ist Ihnen die Platzierung, wenn es im Jugendbereich mehr um das Thema Entwicklung der Spieler geht?

Kirch: "Entwicklung schließt Erfolg nicht aus. Im Endeffekt ist es das Schönste, wenn wir mit so einer jungen Mannschaft Spiele gewinnen. Die Grundlage dafür sind die Parameter, die ich eben genannt habe. Wenn die stimmen, erhöhen wir die Wahrscheinlichkeit, zu gewinnen, und sind in der Tabelle oben dabei – was nicht das Kernziel ist. Deshalb ist der Optimalfall, dass wir als Trainerteam die Spieler und die Mannschaft weiterentwickeln und dadurch Erfolg haben."

Sie haben vorhin gesagt, dass es nicht klar war, dass Sie weiter im Jugendbereich arbeiten werden. Wie sieht Ihr Plan als Trainer aus?

Kirch: "Den gibt es nicht konkret. Ich finde es als Trainer schwierig, zu planen. Ich wusste aber von Anfang an, dass ich den Einstieg über die Jugend brauche, um den Job des Trainers zu erlernen. Ich bin jetzt fünf Jahre im Jugendfußball aktiv, Mitte Dezember steht die Abschlussprüfung der Pro-Lizenz-Ausbildung an."

Sie sind zusammen mit Borussias U23-Trainer Eugen Polanski in einem Lehrgang.

Kirch: "Exakt. Das Lernen geht danach natürlich weiter, aber es hat für mich total Sinn ergeben, jetzt diesen Weg mit Borussia zu gehen. Ich weiß aber, dass der Zeitpunkt kommen wird, an dem ich sage, dass ich den Schritt in den Profifußball gehen möchte."

Wäre es möglicherweise für Sie auch eine Option, irgendwann die U23 von Eugen Polanski zu übernehmen, wenn dieser den Klub verlässt?

Kirch: "Das steht gerade nicht zur Debatte. Man sieht bei Eugen und an anderen Trainern, dass es ein guter Schritt sein kann. Man kommt in Kontakt mit dem Männerfußball, was etwas ganz anderes ist als in der U19. Aber ob das mein nächster Schritt sein wird, kann ich nicht sagen."

Was wünschen Sie sich, wenn Sie 2024 auf Ihr erstes U19-Jahr in Gladbach zurückblicken?

Kirch: "Gerade bin ich echt happy mit der Entwicklung und dem Weg, den wir bestreiten. Am Ende der Saison würde ich gerne sagen, dass wir diesen Weg nicht mehr verlassen haben. Dass es ab und zu auch mal Ausreißer geben kann, ist normal. Der Umgang damit ist entscheidend. Über den Niederrheinpokal wollen wir uns wieder für den DFB-Pokal qualifizieren. Und wenn es irgendwann einer der Spieler aus der U19 dauerhaft zu den Profis schaffen sollte, würde mich das natürlich riesig freuen. Ich erinnere mich, als Tom Sanne, den ich trainiert hatte, als U19-Spieler sein Debüt für den HSV gegeben und gleich getroffen hat – das war auch für mich ein schöner Moment, weil es mein Ansporn als Trainer ist, die Jungs auf dem Weg zu solchen Erlebnissen zu begleiten."

Interview: Hannah Gobrecht und Jannik Sorgatz

Aufrufe: 08.12.2023, 12:00 Uhr
RP / Hannah Gobrecht und Jannik SorgatzAutor