2024-05-10T08:19:16.237Z

Spielbericht

Muldestädter zehn Sekunden vor der Sensation

Lok ist in allerletzte Sekunde den Kopf aus der Schlinge

Gäste-Keeper Müller öffnet Lok Leipzig doch noch die Tür fürs Pokal-Halbfinale

Wernesgrüner-Sachsenpokal • Viertelfinale

FC Grimma – 1. FC Lokomotive Leipzig 1:3 n.V. (1:0, 1:1, 1:2, 1:3)
Grimma: Birkigt – Bartsch, Mattheus (ab 77. Ronneburg), T. Ziffert, Diermann (ab 69. Markus) – Albert (ab 80. Goldammer), Tröger, Beiersdorf – Jackisch, Brand (ab 21. Bondarenko, ab 108. Walter), Spreitzer – Trainer: St. Ziffert
Lok Leipzig: Müller – Voufack, Urban (ab 62. Grym), Sirch, Zimmer (ab 91. Eglseder) – Piplica (ab 46. Heynke), Abderrahmane – Dombrowa (ab 54. Ogbidi), Pfeffer (ab 62. Rangelov), Atilgan – Ziane – Trainer: Čiva
Schiedsrichter: Werrmann (Plauen) – Schiedsrichter-Assistenten: Leihkauf (Jößnitz), Seib (Holtendorf) – Tore: 1:0 Bondarenko (38.), 1:1 Müller (90.+5), 1:2 Abderrahmane (105.), 1:3 Ogbidi (113.) – Gelbe Karten: Tröger (Grimma) wegen Foulspiels (3.), Birkigt (Grimma) wegen Unsportlichkeit (90.+3), Ronneburg (Grimma) wegen Foulspiels (104.) – Rote Karten: Atilgan (1. FC Lokomotive) wegen einer Notbremse (42.) – Reservebänke: Evers (Tor), Konzok – Dickmann (Tor), Salewski – Zuschauer: 1.200 (ausverkauft) im Husaren-Sportpark zu Grimma

Grimma. „Die bessere Mannschaft hat heute verloren!“ Sven Birnbaum, ehemaliger Oberliga-Mittelfeldstratege des SV 1919 Grimma und jetziger Co-Trainer des Kreisoberligisten Hohnstädter SV, brachte es nach dem Abpfiff direkt auf den Punkt. „Ihr hattet das heute absolut verdient, von Lok war ich sehr enttäuscht. Schade, das war heute machbar.“ Dabei fasste der ehemalige begnadete Techniker das Sachsenpokal-Viertelfinale des FC Grimma gegen den Regionalligisten 1. FC Lokomotive Leipzig recht treffend zusammen. Bis in die Nachspielzeit hinein waren die Muldestädter gegen den haushohen Favoriten mehr als ebenbürtig und in den ersten 45 Minuten sogar besser, ehe man kurz vor dem Abpfiff schlagartig aus allen Träumen gerissen wurde. Das Kopfballtor von Nikita Bondarenko (38.) transportierte die Mannschaft von Trainer Steffen Ziffert bis in die letzten Sequenzen dieser Pokal-Begegnung – der mit 1.200 Zuschauern erstmals ausverkaufte Husaren-Sportpark stand kurz vor einer riesigen Sensation. Die Probstheidaer fanden keine Lösungen, aufopferungsvoll verteidigten die Grimmaer den knappen Vorsprung und waren kurz vor dem völlig unerwarteten Halbfinal-Einzug. Doch dann geschah das schier Unfassbare, was einmal mehr verdeutlicht, dass der Fußball manchmal auch echt grausam sein kann. Kurz vor Ablauf der fünfminütigen Nachspielzeit bekamen die Platzherren den letzten Eckball von Riccardo Grym nicht verteidigt – der nach vorn geeilte Lok-Torhüter Niclas Müller lief sträflich ungehindert in die Kugel hinein und wuchtete sie per Kopf zum 1:1-Ausgleich in die Maschen (90.+5). Damit sprangen die Probstheidaer in der allerletzten Sekunde dem Tod von der Schippe und retteten sich in die Verlängerung. Dort hatten die Blau-Gelben gegen eine fortan völlig erschöpfte Grimmaer Elf am Ende des Tages die größeren Kraftreserven vorzuweisen – durch Treffer von Farid Abderrahmane (105.) und Theo Ogbidi (113.) sicherte sich der Regionalligist dann doch noch das Halbfinal-Ticket. Dabei stand den Grimmaern letztlich die Enttäuschung arg ins Gesicht geschrieben – nur wenige Sekunden fehlten und man hätte für eine absolute Sensation gesorgt. Nichtsdestotrotz versuchte Steffen Ziffert seine Elf direkt im Anschluss aufzubauen. „Auch wenn jetzt natürlich erst einmal die Enttäuschung überwiegt, bin ich auf meine Mannschaft unheimlich stolz“, so der FC-Trainer. „Die erste Halbzeit war das Beste, was ich seit meiner Amtszeit von meiner Truppe gesehen habe. Wir haben alles das umgesetzt, was wir uns im Vorfeld vorgenommen hatten. Ich habe lange Zeit keinen Klassenunterschied gesehen – daher ist es umso bitterer, dass wir die letzte Aktion nicht verteidigt bekommen. Aber nochmal: Großen Respekt und absolute Hochachtung an meine Mannschaft“, so der ehemalige Grimmaer Libero. Auf der Gegenseite war Almedin Čiva natürlich erleichtert, dass seine Elf diese Partie auf den allerletzten Drücker noch drehen konnte – doch fand er direkt im Anschluss klare Worte. „Was wir in den ersten 45 Minuten angeboten haben, war absolut regionalliga-unwürdig“, so der Lok-Coach. „Dabei hatte ich im Vorfeld ausdrücklich vor dem Gegner gewarnt. In der zweiten Halbzeit wurden wir dann zwar spielbestimmend, doch fehlten uns lange Zeit die zwingenden Tormöglichkeiten. Nichtsdestotrotz hat die Mannschaft bis zum Schluss an den Ausgleich geglaubt, welcher uns glücklicherweise kurz vor dem Abpfiff dann noch gelang. In der Verlängerung konnten wir unsere größeren Kraftreserven dann ausspielen und die Begegnung endgültig in unsere Bahnen lenken. Ich möchte dennoch Grimma ein Kompliment aussprechen, die haben ein richtig gutes Spiel gemacht“, so Čiva. Leider können sich die Muldestädter für die Lobeshymnen am Ende des Tages nichts kaufen – auch wenn die Ziffert-Elf bis in die Nachspielzeit hinein ein Top-Spiel machte, konnte man leider keinen Ertrag einfahren…
Von Beginn legten die Grimmaer eine ganz andere Körpersprache als bei der letztwöchigen Oberliga-Niederlage in Westerhausen (0:1) an den Tag. Auch wenn Lok Leipzig die Anfangsphase gehörte, agierten die Muldestädter aus einer sehr kompakten Defensive und waren in Sachen Leidenschaft, Hingabe und Aggressivität sofort präsent. Im Endeffekt hatten die Gastgeber sogar die erste Torannäherung zu verzeichnen, als Christoph Jackisch einen Fehlpass von Lok-Keeper Müller um ein Haar profitierte, die Kugel jedoch im Anschluss weit über den Kasten donnerte (18.). Die Probstheidaer wirkten zunächst zwar leicht feldüberlegen, doch waren die Gäste am Grimmaer Strafraum mit ihrem Latein am Ende. Einzig nach einem Konter über den pfeilschnellen Osman Atilgan wurde der Regionalligist gefährlich, doch drückte Torjäger Djamal Ziane die flache Eingabe knapp am Tor vorbei (18.). Doch mit fortlaufender Spielzeit wurden die Einheimischen immer frecher. Immer wieder gelangen zielstrebig vorgetragene Angriffe, auch wenn der letzte Pass oftmals leider nicht ankam. Stattdessen wurden ein ums andere Mal die Grimmaer Qualitäten bei Standardsituationen deutlich. Nach einem langgezogenen Freistoß von Felix Beiersdorf köpfte Toni Ziffert knapp drüber (32.), kurz darauf zischte ein Freistoß von Jackisch hauchzart über den Querbalken (35.). Lok agierte in der Folgezeit im Ballvortrag erstaunlich fehlerhaft und ohne jedes Tempo, die Gastgeber wurden immer selbstbewusster. Als sich die Muldestädter wenig später mit dem Führungstreffer belohnten, fand der Jubel im FC-Lager keine Grenzen mehr. Bondarenko lief perfekt in einen auf den ersten Pfosten getretenen Beiersdorf-Eckball ein, Müller im Lok-Gehäuse hatte gegen den Kopfball-Torpedo nicht die Spur einer Chance – 1:0 (38.). Damit lag der Underdog in Führung, doch es sollte kurz darauf noch besser kommen. Nachdem Lucas Bartsch auf der rechten Seite auf und davon sprintete, brachte ihn Atilgan kurz vor dem eigenen Strafraum mit einer Ringer-Einlage zu Fall mehr als unbeholfen zu Fall. Schiedsrichter Werrmann (Plauen) wertete diese Aktion des Lok-Akteurs als Notbremse und stellte den Flügelflitzer daraufhin mit Rot vom Platz (42.). Beim folgenden Freistoß wurde es vor dem Gäste-Tor abermals gefährlich, doch zog Beiersdorf die Kugel knapp über den Kasten (43.). Fortan sprach vieles für die Muldestädter, auch wenn die Gäste bei einem Versuch von Linus Zimmer die letzte leichte Torannäherung vor dem Wechsel zu verzeichnen hatten (vorbei., 45.). „Wir haben zur Pause absolut verdient geführt“, so FC-Trainer Steffen Ziffert. „Vielleicht haben wir es hier verpasst, aus der Vielzahl von Standardsituationen sogar das zweite Tor zu nachzulegen. Nichtsdestotrotz: Die erste Halbzeit war richtig top.“
Nach dem Wechsel kam der Regionalligist zwar mit etwas mehr Schwung aus der Kabine, doch blieben die Probstheidaer im letzten Drittel weiterhin erschreckend harmlos. Die Grimmaer machten vielleicht den Fehler, sich zu sehr auf die Verteidigung des Vorsprungs zu beschränken, doch blieb man in der Defensive weiterhin äußerst kompakt. „Uns ist es nach der Pause leider nicht mehr gelungen, die Ballbesitz-Phasen höher zu gestalten und diesbezüglich für mehr Entlastung zu sorgen“, so FC-Coach Ziffert. Nichtsdestotrotz hatten die Muldestädter die erste Abschluss-Aktion zu verzeichnen, als Sebastian Albert mit einem Distanzschuss knapp verzog (68.). Gäste-Trainer Almedin Čiva reagierte zwar in der Folgezeit und zog mit den eingewechselten Theo Ogbidi (54.), Bogdan Rangelov und Riccardo Grym (jeweils 62.) jegliche Offensiv-Optionen aus dem Ärmel, doch sollte sich an der Durchschlagskraft im Offensivspiel der Probstheidaer zunächst nichts ändern. Erst in den letzten zehn Minuten, als die Kräfte der Grimmaer spürbar nachließen, wurden die Aktionen der Gäste etwas zielstrebiger. Zunächst scheiterte Ogbidi mit einem Schlenzer am rechtzeitig abtauchenden Pascal Birkigt im FC-Gehäuse (78.), anschließend ließ Rangelov die einzige klare Tormöglichkeit für den Gast sträflich liegen. Nach einem Pass von Ogbidi lief der ehemalige Babelsberger aus halblinker Position allein auf das Tor zu, doch sündigte er im Abschluss sträflich (vorbei, 80.). Lok erhöhte nun deutlich die Schlagzahl, auch, weil die Gastgeber kräftemäßig immer mehr abbauten. Jedoch schafften es die Ziffert-Schützlinge immer wieder, mit absoluter Leidenschaft und Hingabe derart ihr Tor zu verteidigen, dass die Gäste nicht gefährlich wurden. So verrannen die letzten Minuten bis tief in die fünfminütige Nachspielzeit hinein – die Muldestädter standen kurz vor der Sensation. Spätestens nachdem Birkigt nach einem Schuss von Luca Sirch rechtzeitig das kurze Eck dichtmachte (90.+4), schien das Halbfinal-Ticket gebucht. Doch mit dem folgenden Eckball wurden die Ziffert-Schützlinge aus jeglichen Träumen gerissen und erlebten hautnah die bittere Seite des Fußballs. Diesen servierte Grym genau auf den nach vorn geeilten und rechtzeitig einlaufenden Torhüter Müller, der völlig unbedrängt aus Nahdistanz zum 1:1 einköpfte und den Favoriten mit dem folgenden Einzug in die Verlängerung doch noch am Leben hielt (90.+5). Dass Schiedsrichter Werrmann unmittelbar nach dem Torerfolg der Gäste die Partie abpfiff, machte die Sache aus Grimmaer Sicht noch unerträglicher.
„Nach dem späten Gegentor habe ich gewusst, dass es für meine Mannschaft nun sehr schwer wird“, gab Grimmas Trainer Steffen Ziffert unumwunden zu. „Und da spielt es auch keine Rolle mehr, ob wir in Überzahl waren oder nicht. Meine Elf hatte in den 95 Minuten einfach zu viel Kraft gelassen.“ Und genau dieses Szenario sollte in der Verlängerung auch eintreten, von diesem Schock konnte sich der Oberligist nicht mehr erholen. Die Platzherren hingen körperlich nun komplett in den Seilen, beflügelt vom Ausgleich hielt der Regionalligist das Tempo hoch. So fehlten bei einem Schuss von Grym die berühmten Zentimeter (102.), bei einem Versuch von Ogbidi rettete Toni Ziffert auf der Linie (104.). Lok blieb dran und brachte kurz vor dem Seitenwechsel die Überlegenheit auch auf der Anzeigetafel zum Ausdruck. Abderrahmane zog einen Freistoß zum 1:2 über die Grimmaer Abwehrmauer – Birkigt war zwar dran, doch konnte er den Einschlag nicht verhindern (105.). Unter dem frenetischen Jubel der 800 Lok-Fans hatte der Regionalligist die Begegnung nun komplett gedreht, zumal Referee Werrmann nach diesem Treffer die Partie wiederum zur Pause abpfiff. Nach dem Wechsel wollte Lok nun die endgültige Entscheidung – zweimal blieb Birkigt im Duell gegen Rangelov der Sieger (107., 110.). Die Grimmaer waren in der Verlängerung zwar arg gezeichnet, doch eine Chance zum nochmaligen Ausgleich sollte die Ziffert-Elf noch bekommen. In einer langgezogene Flanke von Bartsch lief Stefan Tröger am zweiten Pfosten mustergültig ein, doch unter arger Bedrängnis köpfte er die Kugel hauchzart am Tor vorbei (112.). Quasi im Gegenzug machte den Probstheidaer dann jedoch den Halbfinal-Einzug endgültig perfekt. Sehr gut von Grym eingeleitet, bewies Ogbidi vor dem Grimmaer Gehäuse kühlen Kopf und überlupfte Birkigt zum 1:3 (113.). Rangelov (Birkigt pariert, 117.) und Beiersdorf (vorbei, 118.) hatten in der Schlussphase zwar noch Torannäherungen zu verzeichnen, doch blieb es letztlich bei der mehr als bitteren Grimmaer 1:3-Niederlage.
„Das hat meine Mannschaft heute nicht verdient“, so ein enttäuschter FC-Trainer Steffen Ziffert nach dem Abpfiff. „Die Truppe hat alles investiert, ist körperlich an ihre Grenzen gegangen und hatte Lok am Rande einer Niederlage. Auf diese Art auszuscheiden, ist schon mehr als ungerecht. Nichtsdestotrotz gratuliere ich Lok Leipzig natürlich zum Halbfinal-Einzug und hoffe, dass uns dieser Auftritt vor den folgenden kräftezehrenden Wochen den nötigen Rückenwind geben wird.“ Diese werden die Muldestädter wohl jedoch ohne Routinier Robin Brand bestreiten müssen, der sich frühzeitig nach einem Zweikampf schwer am Knie verletzte (21.) und vom Rettungswagen daraufhin abtransportiert werden musste. „Es sieht nicht gut aus, ich habe das Knacken gehört“, so der tief traurige Blondschopf. „Die endgültige Diagnose kann ich jedoch erst am Montag nach dem MRT mitteilen.“ Bleibt zu hoffen, dass sich die Befürchtungen hinsichtlich eines wochen- oder monatelangen Ausfalls nicht bestätigen. Dann hätte man aus Grimmaer Sicht einen nicht zu kompensierenden Wermutstropfen zu verzeichnen. Als ob der Spielverlauf nicht schon Strafe genug wäre…

Aufrufe: 031.3.2023, 00:27 Uhr
Tom RietzschelAutor