2024-06-14T14:12:32.331Z

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In Transferfragen sind ihm die Hände gebunden: Jacobacci hätte gerne mehr Spieler aus höheren Ligen verpflichtet – die Etatplanung gab das nicht her.
In Transferfragen sind ihm die Hände gebunden: Jacobacci hätte gerne mehr Spieler aus höheren Ligen verpflichtet – die Etatplanung gab das nicht her. – Foto: sampics/Stefan Matzke

„Ich appelliere an alle Fans“: Jacobacci fordert Unterstützung – und verrät seine Kader-Pläne

Interview vor Löwen-Saisonstart

Am Samstag starten der TSV 1860 München mit einem Heimspiel gegen Waldhof Mannheim in die neue Saison. Das Interview mit Trainer Maurizio Jacobacci.

München – Steakhouse statt Taverne. Uruguayisches Rinderfilet, argentinischer Rotwein. In Kulinarikfragen ist Maurizio Jacobacci ein weltoffener Genießer. Qualität ist sein oberstes Kriterium. Beim Verein, den er aktuell trainiert, muss der Italo-Schweizer qualitativ Abstriche machen, aber wichtiger für ihn ist: Diese Löwen sind garantiert nicht 08/15.

„Es ist kein einfacher Verein“, sagt der 60-Jährige, „genau das macht seinen Reiz aus.“ Was drin ist mit den kultigen Sechzgern, wo er die Hauptprobleme sieht, aber auch Chancen – über all das sprach er mit unserer Zeitung bei einem ausführlichen Interview-Dinner.

Signore Jacobacci, Sie haben für unser Interview ein Steakhouse ausgesucht. Haben Sie noch keinen Lieblings-Italiener in München oder wäre Ihnen das zu klischeebeladen gewesen?

Letzteres. Ich habe natürlich eine kleine Pizzeria, wo ich abends auf dem Heimweg manchmal einkehre. Da gibt es Pinsa, die römische Pizza. Aber ich gehe auch gerne fein essen, wenn es passt.

Gilt für Sie im Leben generell: eher edles Steak als gewöhnliche Pasta? Sprich: Gönnen Sie sich gerne etwas Gutes?

Das ist schon so, ja. Eine Pasta ist Alltag, ein echtes Steak ist immer etwas Besonderes.

Bei 1860 haben Sie sich in diesem Sommer zwölf neue Spieler gegönnt. Wie groß waren die qualitativen Abstriche, die Sie angesichts der finanziellen Lage machen mussten?

Etwas früher über die gegebenen Mittel Bescheid zu wissen, wäre definitiv von Vorteil gewesen. Wir haben versucht, aus den Gegebenheiten das Beste zu machen. Das heißt aber nicht, dass wir jetzt Spieler geholt haben, um einfach Spieler zu haben. Wir haben schon die Spieler geholt, von denen wir denken: Die können effektiv der Mannschaft helfen.

„Wir wissen, was wir an Marco haben, wir wissen aber auch, warum wir David Richter geholt haben.“

Maurizio Jacobacci über das Torhüter-Duell beim TSV 1860.

Sie haben also jeden der zwölf Neuzugänge aus tiefer Überzeugung geholt?

Ja, das ist so. Und wir haben bewusst den Konkurrenzkampf forciert. Rechts hinten mit Kurt/Ludewig, davor mit Bonga/Schröter. Sie haben alle den Anspruch zu spielen.

Im Tor sollte David Richter Druck auf Marco Hiller ausüben. Teilweise wirkten in der Vorbereitung dann beide verunsichert. Müssen Sie die neue Nummer eins auswürfeln?

(lacht) Nein, Würfel brauchen wir nicht dafür. Jeder konnte sich präsentieren. Wir wissen, was wir an Marco haben, wir wissen aber auch, warum wir David Richter geholt haben. Wir können uns glücklich schätzen, zwei solche Torhüter zu haben. Julius Schmid dürfen wir nicht vergessen, auch er hat eine wichtige Rolle.

Niklas Tarnat „eine sehr wichtige Verstärkung“ für den TSV 1860 München

Ein mitspielender Torwart ist Ihnen wichtig, haben Sie des Öfteren betont . . .

Das Ziel ist, dass wir uns antrainieren, sauber hinten rauszuspielen. Wenn vier Gegner angreifen, ist ja irgendwo eine Lücke offen, wenn nicht hinten, dann im Mittelfeld – da kann man den Ball dann hinchippen. Hiller hat es schon am Ende der letzten Saison gut umgesetzt. Ich will einfach kein Risiko in Zone 1 und 2.

Eher schwach sind die neuen Löwen dagegen im defensiven Mittelfeld besetzt. Tim Rieder braucht länger als gedacht, Marlon Frey fehlt zwei Spiele wegen einer Rotsperre. Bleibt Niklas Tarnat, der spät zur Mannschaft gestoßen ist. Lässt Sie dieser Mannschaftsteil gut schlafen?

Ich schlafe immer gut! Tarnat ist ein Spieler, der Dinge umsetzen kann, die ich mir wünsche. Er hält seine Position, geht nicht unnötig nach links oder rechts. Niklas ist nicht nur ein Neuzugang für zwei Spiele, sondern eine sehr wichtige Verstärkung.

„Wir brauchen diesen Neuner, ob er in ein, zwei oder drei Wochen kommt.“

Maurzizio Jacobacci über die Stürmersuche des TSV 1860.

Am meisten drückt der Schuh aber ganz vorne, auf der wichtigsten Position. Was sprach eigentlich dagegen, den Vertrag mit Marcel Bär zu verlängern?

Ich glaube, dass er den Wunsch hatte zu gehen. Ich habe ihn zu meiner Zeit nicht immer glücklich erlebt. Es hat so vieles an ihm genagt: Die Verletzung, zu früh angefangen, er machte keine Tore mehr, alles misslang ihm.

Aber wer soll Bär jetzt ersetzen? Ihre Stürmersuche wirkt zunehmend verzweifelt.

Wir brauchen diesen Neuner, ob er in ein, zwei oder drei Wochen kommt. Auch hier muss die Qualität stimmen. Am Ende profitieren alle von ihm, die Stürmer, das Team, auch ich als Trainer.

Apropos Stürmer. Auch Fynn Lakenmacher wirkt derzeit nicht glücklich.

Er trainiert gut und gibt sich auch viel Mühe.

Trainer Maurizio Jacobacci will die Löwen schnell in die Spur bringen

Bleibt er auf jeden Fall oder steht er zum Verkauf?

Von unserer Seite bleibt er hier, wir wollen auch weiterhin den Vertrag mit ihm verlängern.

Durch die Bank alle Neuzugänge haben von positiven Telefonaten mit Ihnen berichtet. Dass Sie sie schnell mit Ihrer Spielidee überzeugt haben. Können Sie die in aller Kürze für unsere Leser skizzieren?

Mein Wunsch ist: defensiv hohes Anpressen, den Gegner zu Fehlern zwingen – nicht auf Fehler zu warten.

Vermutlich hätten Sie nichts dagegen, jetzt noch vier Wochen Vorbereitung zu haben, mit dem fast kompletten Kader.

(lacht) Das wäre natürlich fantastisch. Trotzdem tun wir alles Mögliche, um schnell in die Spur zu kommen.

„Im Idealfall hast du in jeder Reihe solch einen lauten Spieler.“

Maurizio Jacobacci über Leader.

Die Vorbereitung war unter dem Strich eine Enttäuschung. Sie schienen auch schlechte Ergebnisse und strenge Kritik in Kauf zu nehmen – indem sie teilweise müde Spieler aufs Feld schickten.

Ja, das habe ich bewusst in Kauf genommen. Auftritte wie in Haching haben mich deswegen auch nicht aus der Ruhe gebracht.

Was macht Sie sicher, dass das Team ohne müde Beine besser spielen wird?

Die Qualität unserer Spieler!

In der Startelf am Samstag werden wohl sechs bis sieben Neuzugänge stehen, bei Gegner Waldhof Mannheim nur vier. Ein Nachteil für Ihr Team?

Sicher ist es ein Vorteil, wenn man eingespielt ist. Umso mehr kommt es am Samstag auf Persönlichkeit, Charakter und die Einstellung an.

Vorige Saison wurde intern und extern der Mangel an Typen beklagt. Stehen im neuen Kader genug Profis mit den berühmten Ecken und Kanten?

Ich glaube schon, dass wir Spieler haben, die den Mund aufmachen. Ich erwarte das – auch von den Spielern, die schon da waren. Im Idealfall hast du in jeder Reihe solch einen lauten Spieler.

Maurizio Jacobacci ist „enorm stolz“ auf die Verpflichtung von Marlon Frey

Das spräche für Hiller. Wie ist es mit Jesper Verlaat? Ist er ein Leader?

Klar. Er ist ja unser Kapitän. Er macht das gut, er soll sich nicht selbst unter Druck setzen.

Wie Albion Vrenezi?

Ja, im Moment will er ein bisschen zu viel des Guten. Er soll das spielen, was er kann, das ist bereits eine Menge.

Bis auf Julian Guttau und Kaan Kurt sind fast alle Neuzugänge von Absteigern oder Abstiegskandidaten gekommen. Wer soll die von Ihnen gerne zitierte „Winner-Mentalität“ einbringen?

Ich sehe auch die positive Seite: Die Spieler haben gelernt, mit Druck umzugehen. Nehmen wir Manfred Starke: Ich finde, er hat bei Oldenburg eine sehr gute Saison gespielt, ist immer vorneweg gegangen, man hat ihn wahrgenommen. Ich hatte ihn sofort auf dem Zettel, wusste anfangs nicht, dass er schon 32 ist. Am Anfang hat mich das abgeschreckt, aber seine Aggressivität sprach für diesen Transfer. Oder Marlon Frey: Marlon hat nicht nur spielerische Qualität, sondern auch Führungskompetenz. Er ist ein super Typ, sehr positiv, ein echter Teamplayer. Ich bin enorm stolz, dass ich insistiert habe, diesen Spieler zu holen – und mich nicht von der Rotsperre abschrecken ließ. Er kann der Mannschaft viel geben, auch neben dem Platz.

„Nach acht Spielen, denke ich, kann man eine erste Aussage treffen, wozu das Team in der Lage ist.“

Maurizio Jacobacci.

Sie waren ja zuletzt nicht nur Trainer, sondern hatten auch Verantwortung für die Transfers. Man wird Sie künftig doppelt an den Ergebnissen messen. Nach wie vielen Spielen lässt sich ein seriöses Zwischenfazit ziehen?

Wir haben bis Weihnachten 20 Spiele in der Liga. Nach acht Spielen, denke ich, kann man eine erste Aussage treffen, wozu das Team in der Lage ist – und wohin die Reise gehen kann. Ich denke schon, dass man der Mannschaft diese acht Spiele geben sollte, sie ist ja nach wie vor nicht ganz komplett.

Geduld war allerdings noch nie eine Giesinger Grundtugend. Steht das unruhige Umfeld bei 1860 dem Erfolg entgegen?

Erfolgreich zu sein in diesem Umfeld ist eine wirklich große Herausforderung. Das macht das Ganze für mich noch attraktiver. Ich habe die Überzeugung, mit der Mannschaft performen zu können, aber am Anfang müssen wir kratzen, beißen und einfach unangenehm sein, um Siege zu schaffen. Das Spielerische braucht seine Zeit, das müssen die Leute verstehen. Ich kann ihnen nicht versprechen, dass es am Samstag puff macht – und wir spielen super Fußball. Nein, da würde ich lügen.

Maurizio Jacobacci appelliert an Löwen-Fans und hofft auf eine positive Einstellung im Stadion

Was können Sie stattdessen versprechen?

Ich erwarte, dass sie auf den Platz gehen, sich zerreißen, Zweikämpfe suchen und sie auch gewinnen wollen. Dass sie den Löwen, den sie im Herzen tragen, zeigen. Das ist ein Muss für mich, eine absolute Grundvoraussetzung. Ich hoffe, dass die gesamte Fangemeinschaft wie eine Wand hinter uns steht. Darum war es mir so wichtig, dass wir das erste Spiel zu Hause haben. Ich appelliere an alle Fans, dass sie mit einer positiven Einstellung ins Stadion kommen und uns auch positiv auf den Rängen anfeuern, über die ganze Spielzeit.

Sie selbst gelten als ausgesprochen ehrgeizig, haben in der Schweiz auch mit einigen Vereinen Aufstiege gefeiert. Was ist aus Ihrer Erfahrung die wichtigste Zutat für Erfolg?

Die Ruhe! (Kunstpause) Weil in der Ruhe, da liegt die Kraft.

Und wie groß ist Ihre Hoffnung, Ihren bis 2024 laufenden Vertrag nicht nur zu erfüllen, sondern vielleicht sogar länger in München zu bleiben?

Ich wünsche mir schon, länger hier zu sein und etwas aufzubauen. Als ich kam, haben wir das Sportliche stabilisiert, jetzt haben wir eine neue Mannschaft auf die Beine gestellt. Es reizt mich, diese Arbeit fortzuführen, das ganze Konstrukt weiterzuentwickeln, Kontinuität zu schaffen. Ich glaube an das Potenzial dieser Mannschaft. (Interview: Uli Kellner)

Aufrufe: 04.8.2023, 08:44 Uhr
Uli KellnerAutor