Fußball-Kinder haben bisweilen einen klischeehaften Blick auf die Welt. Und in dieser ist Fußball nun mal ein Männersport. Das erlebt auch Schwester Bettina gelegentlich bei ihrer Arbeit in der Jugendkooperation Mönchengladbach-Mitte (Jukomm) am Sonnenhausplatz.
So erzählt sie von einem Jungen, der neu in die Gruppe kam, und zunächst nicht mit ihr in einem Fußballteam spielen wollte – schließlich sei sie eine Frau, und eine Nonne, da könne sie doch kein Fußball spielen. Von den anderen Kindern sei jedoch sofort der Einwand gekommen: Mit Schwester Bettina, mit der kannst du spielen. „Nachher meinte der Junge zu mir: Du bist echt gut“, sagt sie mit einem gewissen Vergnügen.
Denn bevor sie Ordensschwester wurde, war Bettina Berens in den 1990er-Jahren Fußballerin in der 1. Bundesliga. Und Deutsche Nationalspielerin. Das zollt auch den Kindern Respekt ab – gerade in Zeiten einer Fußball-Europameisterschaft. „Das spricht sich natürlich herum: Die hat mal in der Nationalmannschaft gespielt“, sagt Schwester Bettina lachend.
Der Weg von einer hochklassigen Fußballerin zur Ordensschwester ist ungewöhnlich. Für Schwester Bettina hat dieser vor allem mit der Suche nach ihrem Platz im Leben zu tun, und mit Halt. Früher gab ihr der Fußball dieses Gefühl, inzwischen ist es Gott. Ihre Mutter lebte streng katholisch, doch sie selbst interessierte sich lange Zeit kaum für die Kirche. Der Glaube an etwas Übernatürliches war allerdings immer vorhanden: Ihr Vater verunglückte vor ihrer Geburt, in imaginären Gesprächen zu ihm fand sie in schwierigen Zeiten stets Zuversicht. „So hatte ich Kontakt zu meinem Vater, auch wenn er nicht da war“, sagt Schwester Bettina.
Jungs mit dem Ball beeindrucken, das lag ihr schon in der Kindheit. „Die Jungs haben schnell gesehen, dass ich eine Bereicherung bin. Bei der Teamauswahl bin ich immer früh ausgewählt worden“, erinnert sich Schwester Bettina. Ihr großes Vorbild: Karl-Heinz Rummenigge. Damals war ein Mädchen im Fußball allerdings nicht selbstverständlich. Ein Sportlehrer sah jedoch ihr Talent, und überzeugte schließlich ihre Mutter und ihren Stiefvater, dass die Tochter im Fußball gut aufgehoben wäre.
Mit 20 Jahren wechselte sie dann zum ambitionierten TuS Ahrbach in den Westerwald. Dort kam sie 1989 ins Finale für die Deutsche Meisterschaft, etablierte sich als Spielführerin und spielte ab 1991 mit dem Verein in der neu eingeführten 1. Bundesliga. Im Hauptberuf arbeitete sie beim Sportbund Rheinland. 1992 nominierte sie Nationaltrainer Gero Bisanz sogar für ein Länderspiel, eine Halbzeit lang spielte sie gegen Italien. An Karsamstag. In Rom. Ausgerechnet. Aus heutiger Sicht muss Schwester Bettina über diese Zufälle lachen.
Mit 28 Jahren streikte jedoch ihr Körper. Probleme mit dem Sprunggelenk hatte sie schon immer, kam nie verletzungsfrei durch eine Saison. Doch nun brauchte es eine Operation. „Der Arzt meinte: Ich hätte das Sprunggelenk einer 80-Jährigen“, sagt Schwester Bettina. Das Leben als Fußballerin war vorbei. Ihr fehlte in erster Linie aber nicht der Sport an sich, sondern das, was er ihrem Leben gab: ein Gemeinschaftsgefühl und einen Lebensmittelpunkt. „Zwei bis dreimal in der Woche gab es Training, dazu die weiten Auswärtsreisen, oft schon am Tag vorher. Wir haben auch Mannschaftsreisen nach Kanada und Neuseeland unternommen. Es war viel mehr, als nur sonntags Fußball spielen“, sagt Schwester Bettina. Es kamen grundsätzliche Fragen auf: Wonach suche ich im Leben? Was macht mich glücklich?
Nach der Fußballkarriere probierte sie sich aus, half ihrer Schwester bei der Verwaltung eines Fitnessstudios und gab dort auch Kurse, half bei der Gründung eines Software-Unternehmens, kaufte sich ein Rennrad und reiste mit dem Wohnmobil durch die Welt. Es waren schnelle, flüchtige Freuden. Es blieb jedoch eine innere Unzufriedenheit.
Anfang 2000 traf sie dann zufällig eine alte Schulfreundin, eine Ordensschwester. Beide tauschten sich aus, sprachen über Probleme und blieben in Kontakt. „Irgendwie hat sie mich berührt. Sie hat mir dann Bibeltexte geschickt, in denen ich mich wiedergefunden habe. Die Dialoge von Jesus mit seinem Vater – da habe ich gemerkt, dass das in mir etwas auslöst, wovon ich mehr möchte“, sagt Schwester Bettina heute. Es erinnerte sie insbesondere an ihren eigenen Vater im Himmel.
Sie besuchte Ordensgemeinschaften und prüfte diesen Weg für sich. Es blieb jedoch das Gefühl: Das ist richtig für mich. Sie wurde in Westfalen bei Missionsschwestern aufgenommen. Und ein Gemeinschaftssinn wie zu ihrer Fußballzeit kehrte zurück, zumindest anfangs.
Einige Jahre später erlitt sie ein Bandscheibenvorfall infolge eines Radunfalls. „Ich habe immer viele Dinge über die Fitness geregelt, auch im Orden, das ging dann auf einmal nicht mehr“, sagt Schwester Bettina rückblickend. Zu den anhaltenden Schmerzen kamen wieder tiefgründige Lebensfragen und Zweifel. Sie verließ den Orden, kehrte später jedoch wieder zurück. Sie diente fortan als Schwester in Kanada, den Niederlanden und Südafrika und kam 2020 schließlich nach Mönchengladbach und wurde Teil des pastoralen Teams der Pfarre St. Vitus. Sie leitet inzwischen Eltern-Kind-Gruppen von Geflüchteten und hilft in der Kinderbetreuung bei der Jukomm, die in Trägerschaft der Stadt und der Kirche ist.
Von ihrer Ordensgemeinschaft hat sie sich jedoch für ein Jahr freistellen lassen, um ihre Berufung zu prüfen. Ihr Glaube an Gott ist jedoch unerschütterlich. Sie zieht die Parallele zum Fußball. „Fußball hat etwas Existenzielles für die Menschen. Es ist etwas Tiefes, wie der Glaube zu Jesus und Gott. Es ist eingefleischt und Teil der Identität“, sagt sie. Dass Fußball für viele Menschen daher etwas Religiöses, kann Schwester Bettina nachvollziehen. „Es ist faszinierend, dass man alles im Leben verändern kann, aber ein Fußballverein bleibt. Die Verbundenheit ist wie in einer Ehe: In guten wie in schlechten Zeiten“, sagt sie. Ihr Verein: Bayern München – was nicht immer ganz einfach in Mönchengladbach ist. Neben dem Glauben ist jedoch der Fußball die Konstante in ihrem Leben.
Ehrgeiz am Ball entwickelte sie derweil auch heute noch beim Spiel mit den Kindern. Deswegen hat man Schwester Bettina gerne in seinem Team.