2024-04-25T14:35:39.956Z

Allgemeines
– Foto: Harneit

Ein Tag im Leben eines Kreisliga-Schiedsrichters

„Jede Mannschaft hat eine gute Spielleitung und einen pünktlichen Schiedsrichter verdient“ +++ Fupa begleitete ein Schiedsrichtergespann in der Kreisliga vom Treffen bis zur dritten Halbzeit

Fast 7000 Schiedsrichter pfeifen aktiv im Niedersächsischen Fußballverband (NFV), im Kreis Cuxhaven sind es 210. Drei davon hat FuPa Cuxhaven zu einem Punktspiel in der Kreisliga begleitet und durfte aus der Nähe erleben, dass diese Menschen ihr Hobby mit viel Leidenschaft ausüben, die Schiedsrichterei mehr ist, als nur 90 Minuten ein Spiel zu leiten und ein Spieltag manchmal erst in den frühen Morgenstunden endet.

Hauke Kahrs, der sich selbst als „Laufwunder“ beschreibt, hat in 22 Jahren Schiedsrichterei viel erlebt. Bei einem seiner ersten Spiele verteilte er so viele Verwarnungen, dass er jahrelang als „Der Kartenspieler aus Uthlede“ auf den hiesigen Sportplätzen begrüsst wurde.

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Heute ist er als Schiedsrichter in Sievern angesetzt. Der heimische TSV trifft auf die SG Wittstedt/Driftsethe/Bramstedt und kann mit einem Sieg einen großen Schritt Richtung Meisterschaft machen. Er weiß um die Brisanz des Spiels und hat sich im Vorfeld gut darauf vorbereitet. Die Tabellenkonstellation, die aktuelle Fairnesstabelle und die letzten Spiele hat er genau studiert.

Für den 37-jährigen Unparteiischen ist der Ablauf Routine, allein in dieser Saison hat er schon über 80 Spiele geleitet oder stand als Schiedsrichterassistent an der Seitenlinie. Von Schiffdorf aus fährt er zusammen mit seiner Frau nach Hagen, um seinen ersten Assistenten Christian Bohling abzuholen. Er weiß jetzt schon, dass er den Wagen auf dem Rückweg nicht lenken wird.

In Beverstedt steigt Uwe Louwes zu. Er assistiert Kahrs heute ebenfalls an der Linie. Schon seit 1994 besitzt der 53-Jährige den Schiedsrichterschein, wurde aber viele Jahre nicht vom Verband offiziell angesetzt, sondern sprang ein, wenn wieder mal „Not am Mann“ war. Er war bereits mit anderen ehrenamtlichen Aufgaben zu sehr gebunden.

In der Coronapause 2021 hat er erneut einen Lehrgang besucht und wurde in diesem Jahr bei rund 20 Spielen angesetzt. Der passionierte Ehrenamtler pfeift für den JFV Biber, deren 2. Vorsitzender er ist. Der Jugendförderverein brauchte dringend Schiedsrichter, um keine Strafgelder zu bezahlen. Und Louwes ging mit gutem Beispiel voran.

Kaum ein Tag vergeht, den er nicht auf einem Sportplatz ausklingen lässt. Er trainierte unzählige Jugendmannschaften, war Herrentrainer in der Bezirksliga, ist 1. Vorsitzender der SG Frelsdorf/Appeln/Wollingst und arbeitet ehrenamtlich beim NFV Kreis Cuxhaven im Jugendausschuss. Louwes ist genau wie seine heutigen Kollegen fußballverrückt. Und alle drei sind bekannt auf den Plätzen der Region.

Der angesetzte Schiedsrichter bekommt seine Assistenten entweder angesetzt oder er spricht sich bereits im Vorfeld einer Partie mit ihnen ab. Bohling und Louwes waren Kahrs' `Wunschpartner für dieses Spiel.

Nachdem im Auto nur kurz über das heutige Spiel geredet wurde, tauschen sich alle drei über die Neuigkeiten aus der Fußballszene aus. Einer weiß immer eine neue Story, ein Gerücht, einen feststehenden Vereinswechsel. Nach kurzweiliger Fahrt kommt das Gespann in Sievern an und wird freundlich begrüsst. Sie werden nicht enttäuscht: Das Gerücht, dass der TSV Sievern nach dem Spiel zum Saisonabschluss noch das eine oder andere Kaltgetränk ausgibt, bewahrheitet sich.

Zuvor spielte die dritte Mannschaft des TSV Sievern und diese feierte bereits ausgelassen einen überraschenden Pflichtspielsieg gegen den amtierenden Meister der 3. Kreisklasse. Der Schiedsrichter der vorangegangenen Partie begrüßt alle drei und der Sieverner Vereinsverantwortliche weist den Unparteiischen eine Kabine zu.

Willkommen in der Kreisliga

Ein holzvertäfelter kleiner Raum mit drei Stühlen und einem Tisch dient als Umkleidekabine. Es riecht nach Holz, Rasen und getragenen Fußballschuhen. Es riecht nach Amateurfussball. Es ist eigentlich zu eng für alle drei, doch der Schiedsrichter der vorherigen Partie besetzt noch die weitere Kabine. Vor dem Raum wummert der Bass und die Reservemannschaft singt so laut, dass eine normale Unterhaltung kaum möglich ist.

Kahrs und seine zwei Begleiter stellen ihre Sporttaschen ab und schreiten zum Platz. Sie finden auf dem ersten Blick gute Bedingungen vor. Beim näheren Hinsehen haben sie dennoch etwas zu bemängeln: Eine Außenlinie ist zu schwach gekreidet und kann vom Feld aus kaum gesehen werden. Kahrs macht die Heimmannschaft darauf aufmerksam und diese muss nachkreiden. Bei der Überprüfung der Tornetze fällt Uwe Louwes ein Loch auf. Auch hier muss der Heimverein schnell Abhilfe schaffen.

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Jede Mannschaft hat eine gute Spielleitung und einen pünktlichen Schiedsrichter verdient“

Noch auf dem Platz geht das Gespann in die Spielvorbereitung. Heute kommen Funkfahnen zum Einsatz. Kahrs bekommt sofort ein Signal wenn einer seiner Assistenten den Knopf der 650 Euro teuren Fahnen drückt. Nach kurzer Prüfung der Fahnen gibt er noch Anweisungen. Es wird besprochen wie sie auf dem Feld kommunizieren wollen und welchen Bereich des Spielfeldes die Assistenten mit ihren Entscheidungen abdecken. Für Louwes ist es das erste Spiel mit Funkfahnen an der Seitenlinie, dementsprechend genau verfolgt er die Aussagen des Hauptschiedsrichters.

Kurz wird über die heutige Partie gesprochen. Alle drei haben sich vorbereitet, machen aber zwischen einzelnen Mannschaften keine Unterschiede in der Spielvorbereitung. „Jede Mannschaft, auch eine Ü32 oder eine Team aus der 3. Kreisklasse hat eine gute Spielleitung und einen pünktlichen Schiedsrichter verdient“, betont Bohling.

Zurück im kleinen Kabinenraum zieht sich das Gespann um. Heute wird im klassischen Schwarz gepfiffen. Während Louwes die Notizkarten mit Hilfe des Spielberichts beschriftet, schreiten Kahrs und Bohling zur „Passkontrolle“. Das Gespann wirkt harmonisch und eingespielt.

Alle Spieler des TSV Sievern sind in der Kabine versammelt, Bohling ruft eine Rückennummer auf und der Spieler meldet sich mit Namen und Geburtsdatum. Nur ganz selten kommt es vor, dass ein Spieler unbekannt ist. Die Gästemannschaft macht sich noch auf dem Feld warm. Kurzerhand wird die Kontrolle der SG WDB auf den Rasen verlegt.

Ein Schiedsrichter verbeugt sich nicht vor den Spielern“

Zurück in der Kabine werden letzte Spielsituationen durchgespielt und dann geht es mit den Spielbällen in der Hand, vorbei an der weiter feiernden Reservemannschaft, zum Platz. Der Gang zur Mittellinie ersetzte heute auch notgedrungen das Aufwärmen, zu hektisch begann dieser Spieltag.

Die beiden Kapitäne stehen bereit zur Seitenwahl, Kahrs schnippt die Wählmarke und Bohling hebt diese wieder auf. „Ein Schiedsrichter verbeugt sich nicht vor den Spielern“, erklärt Kahrs knapp.

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Das Spiel verläuft ruhig. In der ersten Halbzeit gibt es kaum strittige Szenen zu beurteilen. Ein Tor der Hausherren wurde nicht gegeben, weil ein Foulspiel vorausgegangen war und bei einer kniffligen Abseitsszene lag das Gespann richtig.

Angst vor Fehlern haben die Unparteiischen nicht. „Wir sind alles nur Menschen. Schiedsrichter machen Fehler. Die Spieler und die Trainer machen Fehler. Und der Zuschauer macht auch Fehler, wenn er zum Sportplatz kommt, Bundesliga erwartet und sich ein Spiel der 3. Kreisklasse anguckt“, erklärt Kahrs.

Sie gehen die wenigen aufregenden Szenen im Spiel kurz durch, greifen zu den Getränken, die der Heimverein gestellt hat und bereiten sich auf die zweite Hälfte vor. „Die Bewirtung bei den meisten Vereinen ist klasse, das ist auch eine Anerkennung für uns“, bemerkt Bohling und freut sich kurz auf die Bratwurst nach dem Spiel. Bevor es weitergeht, verteilt er noch schnell eine halbe Dose Eisspray auf seine Beine. „Das macht er immer“, sagt Kahrs und ist schon gar nicht mehr irritiert von der kleinen Macke seines Kollegen.

Im zweiten Durchgang wird es etwas hektischer, aber es bleibt fair. Sievern muss gewinnen, schafft es aber an diesem Tag nicht den Ball im Tor unterzubringen. Das Gespann leitet die Partie souverän. Nur einmal muss Louwes einen aufgebrachten Zuschauer etwas in die Schranken weisen. Da hilft ihm seine jahrelange Erfahrung und es ist kurze Zeit später wieder ruhig an der Seitenlinie.

Die Partie endet torlos. Kahrs, Bohling und Louwes erhalten Lob für die unaufgeregte Leitung des Spiels und auch die zunächst enttäuschten Sieverner üben keinerlei Kritik an den Unparteiischen. Der Einsatz der Funkfahnen klappte problemlos.

Nicht immer laufen die Spiele in den unteren Ligen so ruhig ab. Jeder Schiedsrichter hat auch schon unschöne Erfahrungen gemacht, „Mein schlimmstes Erlebnis war in Langendammsmoor, es war erst das zweite oder dritte Seniorenspiel, welches ich vor vielen Jahren als Jugendlicher pfiff und ich wollte damals die gelernten Regeln ganz genau umsetzen. Das führte dann zu drei Platzverweisen. Heute würde ich davon nicht eine geben. Nach dem Spiel musste ich mich in der Kabine einschliessen, da mir ein Spieler Schläge angedroht hatte und wütend versuchte reinzukommen. Zum Glück ist nichts passiert und der Spieler hat sich später auch entschuldigt“, erinnert sich Bohling.

Solche Situationen führen auch dazu, dass Nachwuchsschiedsrichter ihre Pfeife schnell wieder beiseite legen oder erst gar nicht an einem Lehrgang teilnehmen. Im Jahr 2010 waren noch 11624 Schiedsrichter im NFV aktiv, mittlerweile ist die Zahl auf unter 7000 gesunken.

Kahrs hofft, dass sich wieder mehr jüngere Menschen finden, die dieses Hobby ausüben: „Meldet euch für einen Lehrgang an. Die Spieler, Funktionäre und Trainer beißen meistens nicht, auch wenn sie das oft wollen. Ich komme gerne mit und stehe euch mit Rat und Tat zur Seite. Ihr müsst einfach keine Angst haben. Sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit, so bin ich auch durchs Leben gekommen“, schmunzelt der 37-Jährige.

Er beobachtet aber auch eine Veränderung zu seiner Anfangszeit: „Ich muss sagen, dass es heute immer spießiger wird. Der Leistungsdruck der jungen Kameraden ist höher. Wenn ich damals eine halbe Stunde vor dem Spiel da war, sind die jungen Schiedsrichter heute meist 1 1/2 Stunden vorher da. Der gute alte Trainingsanzug ist ein No Go. Heute, bevor man mit einem Schiedsrichter zur Bezirksliga losfährt, bekommt man schon bald eine Kleiderordnung mit.“

Dritte Halbzeit

Zufrieden kehrt das Gespann in die Kabine zurück. Vor der Kabine ist es nicht einen Dezibel leiser geworden und der erfahrene Fußballgänger ahnt bereits wie der weitere Abend hier verlaufen wird. Die Spieler der SG WDB belohnen sich für das Remis mit Kaltgetränken am Bierwagen und auch die Sieverner finden dort schnell Trost.

Für Kahrs, Bohling und Louwes ist jedoch noch nicht Feierabend. Während Louwes immer mehr alte Weggefährten aus seiner langen Fußballzeit begrüssen muss, sucht Bohling den Computerraum auf, um den Spielbericht einzutragen. Der Raum wird offensichtlich vor allem als Lagerfläche für alkoholische Getränke genutzt. Bohling stört das nicht. Zwischen Korn- und Bierkisten trägt der 38-Jährige alle Daten ein und schon kurz nach dem Spiel sind die Ein- und Auswechslungen, eventuelle Tore, Verwarnungen und Feldverweise für jeden im Internet abrufbar.

Kahrs wertet dagegen gerade seine Laufdaten auf seiner Uhr aus. „6,5 km bin ich gelaufen. Ich bin eben ein „Laufwunder“, bemerkt er stolz. Wie viele Kilometer wirklich im Trab oder Sprint zurückgelegt wurden, zeigt die Uhr allerdings nicht an.

Bohling steht mittlerweile im „Durstigen Dachs“, der Vereinskneipe an der Pipinsburg. Hier holt er die Spesen für das Gespann ab. Wegen des Geldes übt wohl kaum ein Schiedsrichter dieses Hobby aus. Der Schiedsrichter bekommt für dieses Kreisligaspiel 25 Euro, die beiden Assistenten 15 Euro. Dazu kommen 30 Cent pro Kilometer als Fahrtkostenpauschale.

Das Dreiergespann Kahrs, Bohling und Louwes hat keinen Druck mehr. Sie wollen weder hoch hinaus, noch müssen sie den Schiedsrichterbeobachtern oder Vereinsverantwortlichen etwas beweisen. Es sind andere Dinge, die für sie im Vordergrund stehen: Der Spaß am Fußball, die Kontakte und Freundschaften, die ihnen ihr Hobby gebracht hat und die sportliche Betätigung. Die im Übrigen nicht nur am Wochenende stattfindet. Oft pfeifen sie mehrere Spiele in der Woche.

Nach und nach verabschieden sie sich unter die Dusche. Frisch geduscht mischen sie sich unter die Spieler, Trainer und Anhänger. Man kennt sich, man mag sich und Kontakte werden gepflegt. Auch wenn es im Spiel immer wieder mal knifflige Situationen zu lösen gibt, vereint alle die hier sind die Liebe zum Fußball. Sie dienen oft als Blitzableiter für den Frust der Amateurkicker. Und wer sich für 25 Euro plus Fahrtgeld von 22 Hobbykickern viel anhören und ansehen muss, der darf auch mal im Spiel eine falsche Entscheidung treffen. Ohne Schiedsrichter geht es nicht.

Erst zu weit vorgerückter Stunde fährt Kahrs' Frau an der Pipinsburg vor um drei fröhliche Schiedsrichter und einen angeschlagenen FuPa-Reporter nach Hause zu fahren. Nur wenige Stunden später stehen alle drei schon wieder am Sonntag auf einem Sportplatz im Kreis Cuxhaven und gehen ihrer ehrenamtlichen Leidenschaft nach.

Aufrufe: 016.6.2022, 08:55 Uhr
FuPa Lüneburg/ HarneitAutor