2024-04-25T14:35:39.956Z

Vereinsnachrichten
– Foto: Elmar Cüpper
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Doppelaufstieg Raspo. Chronologie eines denkwürdigen Tages

Rückblende: Saisonendspurt 2021/22

Ende Mai 2022. Das Wort von einem „möglichen Doppelaufstieg“ macht flüsternd die Runde. Die Erste spielt eine (fast) perfekte Saison. Der SV Helpenstein aber auch. Brutales Kopf-an-Kopf-Rennen in der Bezirksliga. Die noch so junge Zweite begeistert mit tollem Fußball und liefert sich einen Zweikampf mit dem SV Nordeifel.

29.05.2022. Die Zweite fährt als Tabellenführer nach Walheim. 4 Punkte aus zwei Spielen müssen her. Das Spiel geht 2:1 verloren. Am Rand jubelt der SV Nordeifel und wedelt mit Geldscheinen.

12.06.2022. Die Zweite erfüllt die Pflichtaufgabe in Knolle, aber Nordeifel lässt sich den Aufstieg nicht nehmen. Die Erste hat spielfrei und muss tatenlos zusehen, wie auch Helpenstein nichts anbrennen lässt. Beide Mannschaften gehen punktgleich über die Ziellinie; Helpenstein steigt dank es eines um 6 Tore besseren Torverhältnisses auf. Es ist das erste Jahr seit langen, dass kein Tabellenzweiter aus der Bezirksliga aufsteigt. Leere. Bitterkeit. Trauer.

Saisonvorbereitung 2022/23

Beide Teams zeigen Größe und Zusammenhalt. Obwohl (oder weil?) der Traum geplatzt ist, gibt es praktisch keine Abgänge. Stattdessen: sinnvolle Verstärkungen. Dennoch: die Vorbereitungen verlaufen holpernd. Der Frust über das Saison-Ende steckt in den Knochen. Und schlimmer: in den Köpfen. „Wird ne komplizierte Saison“, wird sich mancher gedacht haben.

Letzter Spieltag 2022/23: Ausgangssituation

In einer Bezirksliga, in der sich viele Mannschaften auf dem Papier brutal verstärkt haben, ging es von Anfang gefühlt um den zweiten Platz hinter dem Ligakrösus aus Weiden. Die Erste spielt keine perfekte Saison wie im Vorjahr. Sehr guten Phasen folgen (unerklärliche) Einbrüche. Ende März ist der zweite Platz 6 Punkte entfernt, die Mannschaft steht auf Platz 4. Aber: es gelingt dem Team in dieser Saison, einmal mehr aufzustehen als zu fallen. Es folgt eine Siegesserie, die nur im „Endspiel“ um den zweiten Platz in Haaren gestoppt wird. Vor dem letzten Spieltag ist Haaren 2 Punkte vor (nachdem man am vorletzten Spiel Weiden mit einem Ergebnis geschlagen hatte, das es sonst (fast) nur beim Tennis gibt); aber Raspo mit dem besseren Torverhältnis. Ein eigener Sieg muss her und Haaren darf beim schon geretteten FC Roetgen nicht gewinnen. Sehr unwahrscheinlich.

Die Zweite startet in die Saison mit einer Heimniederlage gegen den sehr starken Aufsteiger aus Rott. Danach zeigt die Truppe, dass sie gereift ist. Von den folgenden 27 Spielen werden 25 gewonnen und 2 Spiele gehen unentschieden aus. Die immer noch junge Truppe hat erkennbar an Mentalität und Moral gewonnen: in acht (!) Spielen geht die Mannschaft in Rückstand. Sieben dieser acht Spiele werden gewonnen. Ins letzte Spiel geht es mit einem Vorsprung von 3 Punkten. Ein Punkt muss her zum Aufstieg in die Kreisliga B.

Sonntag 11.06.2023

10:30. Ich komme zum Platz und bringe knapp 8 Kilo selbst gemachte Gyros-Spieße mit. Mein Sohn Niklas spielt Zweite, ich bin treuer Fan der Mannschaft und habe den Jungs versprochen, nach dem Spiel für sie zu grillen. (Nebenbei habe ich selber von der F-Jugend bis zu den Alten Herren bei Raspo gespielt, ein Sohn spielt Zweite und einer A-Jugend. Na klar: ich bin auch „Vatertrainer“ der A-Jugend. Und wenn ich mich schneide, ist mein Blut gelegentlich grün-weiß)

10:55. Ich komme ein zweites Mal zum Platz. Musste das Auto wegbringen. Kann ja sein, dass ich heute noch ein Bierchen trinken muss.

11:00. Anstoß. Meine Uhr rappelt und meldet: „Zeit für Entspannung“. Der Ruhepuls ist bei knapp 130. Geht doch eigentlich.

11:13. 1:0 Brand. Malte Bartels-Lenting. Auch so ein Ding in diesem Jahr. Die Zusammenarbeit Erste/Zweite ist so gut wie gefühlt noch nie in diesem Verein.

11:38. Schlimme Szene. Ein Breiniger Spieler setzt zum Fallrückzieher an, landet, will aufstehen, bricht zusammen und sechs Mann schreien „Ein Krankwagen. Sofort. Krankenwagen“. An dieser Stelle gute Besserung und alles erdenklich Gute.

11:58. Das Spiel wird fortgesetzt.

12:00. 2:0 Brand. Luca Basner. So geht es auch in die Pause. Meine Uhr meldet sich nicht, der Puls ist ruhig und so langsam bekomme ich Durst.

12:19. 3:0 Brand. Luca Tanetschek. Fupa tickert: „Die Kästen Bier rücken näher.“

12:25. 4:0 Brand. Niklas Karlowitsch – erfüllt sich sein persönliches Ziel von 70 Scorerpunkten. Muss meine Frau mal fragen, welche Qualitäten sie im letzten Drittel hat. Von mir hat der Jung das nicht. Fupa tickert: „Prost Männer“

12:37. 5:0 Brand. Nick Wierts. Trägt nach der Auswechselung die Kapitänsbinde. Was ein schöner „Move“ an diesem emotionalen Tag. Ich nehme an, mittlerweile ist das Ding festgewachsen. Fupa tickert: „Rülps“

12:55. 6.0 Brand. Foulelfmeter. Marcel Hauf. Der „Haufen“, von dem man sagt, dass er sonst doch eigentlich nur Lichtenbusch-Last-Minute kann. Ein Ex-Borusse der nun Raspo durch und durch ist. Er setzt den Schlusspunkt unter eine unfassbare Saison und beendet seine aktive Laufbahn. Doubbele merssi „Haufen“. Ach ja: Der Verein sucht noch Jugendtrainer ;-)

13:00. Extase pur in der Wolferskaul. Aufstieg der Zweiten in die Kreisliga B. Weiße Meistershirts werden verteilt und grüne Hüte. Ein Bild, das den weiteren Tag sehr prägen wird.

13:20. Große Geste. Ganz große Geste. Die Zweite verlässt den Platz und die Erste steht Spalier.

13:23. Die erste grün-weiße Pyro wird gezündelt. Laute „Rasensport Brand“-Gesänge und viel Gehüpfe. Ich trinke mein erstes Bier. Alles drei wird sich an diesem Tag noch endlos oft wiederholen.

13:30. Beate, die gute Seele und 3-Sterne-Köchin der Zweiten, hat die Öcher Stadtmusikanten organisiert. Die Band spielt neben der Hütte und die Zweite eskaliert auf der Asche. Staub wirbelt auf und ich muss mir ein Tränchen verdrücken.

13:35. Gleiches Szenario wie eben. Ich habe aber meinen Standort gewechselt, um Fotos zu machen. Und da sehe ich sie alle. Die Spieler der ersten Mannschaft. Sie stehen da und lassen alles auf sich wirken. Ein Auge lacht. Ein Auge weint. Personifizierte Wehmut. Das Glück so nah und doch sooooooo fern. Ich kann es fühlen und es ist kaum zu ertragen. Also besser noch ein Bier holen.

13:45. Ich treffe Daniel Formberg. Kurzes Gespräch zwischen Vatertrainer und richtigem Trainer. Daniel: „Letzte Woche, da war ich guter Dinge, dass Haaren was liegen lässt. Aber heute. Schwierig. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen. Aber ehrlich, was soll denn passieren?“. Tja. Was soll man darauf sagen? Mein leicht alkoholisierter Kopf hat es nur dazu gebracht: „Ich drück die Daumen. Und wer weiß? Vielleicht wird Roetgen ja das Mainz der Haarener“.

13:55. Ich mache den Grill an. Wird Zeit, dass die Jungs was zwischen die Kiemen bekommen. Unter den Pyro-, Bier- und Schweiß-Geruch in der Wolferskaul mischt sich ein Hauch von Gyros. Ganz ehrlich: selten so was Schönes gerochen. Müsste man ein Parfum draus machen.

14:12. Ich lerne: Wer am Grill steht, wird regelmäßig, zuverlässig und pünktlich mit Bier beliefert. Ich wende das Fleisch und denke: vielleicht wäre das ja ein Erfolgsrezept für die Deutsche Bahn. Auf so was kann man auch nicht kommen, wenn man nüchtern ist. Muss den Gedanken unbedingt festhalten!

15:30. Der Träcker mit Anhänger für Teil I der Zweiten ist da. Einmal durchs Dorf und die umliegenden Gemeinden fahren und zeigen, wer der Aufsteiger ist. Ich nehme an, in Walheim wird es gleich laut …

15:45. Haaren macht das 1:0. Sommerfußball in Brand.

15:50. Roetgen gleicht aus!! Und in den Geruch von oben mischt sich ein weiteres Element: Hoffnung. Unter den Zuschauern wird getuschelt. Jeder sagt jedem: „Hast Du gesehen? 1:1 in Roetgen“.

16:00. Die Erste kämpft mehr mit sich selbst als mit dem Gegner. Eicherscheid hält dagegen, setzt Nadelstiche. Die Hoffnung von den Rängen ist auf dem Platz nicht angekommen. Sie lähmt. Spreche kurz mit Patric Toussaint: „Wir müssen jetzt ein Tor schießen. Den Druck auf Haaren erhöhen.“

16:13. Von der Straße lautes Gegröle. Der Träcker ist zurück. Weiße T-Shirts und grüne Hüte kommen über den Aschenplatz und singen.

16:15. Haaren macht das 2:1. Pause in Roetgen. Pause in Brand.

16:16. Irgendwer überredet mich, in Runde II mit auf den Träcker zu kommen. Als Dank für die Unterstützung. Mir gelingt es, noch vier trinkfreudige A-Jugendliche mit reinzuschmuggeln und los geht die Fahrt.

16:19. Das erste Bier auf dem Träcker ist schon leer. Ich gröle, wie ich seit meiner Jugend nicht mehr gegrölt habe. Wobei: beim „Hüpfen bis die Achse bricht“ hatte ich schon etwas Angst und versuche – auch ob meines eigenen Gewichts – mich zu kontrollieren.

16:22. Hinter uns wildes Gehupe. Meine Ex-Spieler Anton BV und Daniel O, die gerade mit Alemannia II Meister geworden sind (Gratulation auch an dieser Stelle). Das kann kein Zufall sein. Ist es ein Zeichen des „Fußballgotts“?

16:30. Wir steigen in Walheim aus und Jonas macht die Sektpullen auf, die er für das dann vergeigte Spiel in Walheim in der Vorsaison gekauft hat. Er hat sie „für den richtigen Moment“ aufgehoben und hält eine kurze Rede, bei der ich Gänsehaut bekomme. Im Augenwinkel sehe ich Thoui mit der Schneeschaufel. Surreal. Aber schön.

16:32. Roetgen gleicht aus. Roetgen, für die es um nichts mehr geht, kommen bei Temperaturen von rund 30 Grad zum zweiten Mal an diesem Tag zurück. Was für unfassbare Sportler. Extase in weißen Shirts und grünen Hüten in Walheim.

16:33. Es dauert eine Minute, bis wir realisieren, dass jetzt die Erste wichtiger ist als die eigene Feier. Irgendwer schreit: „Wir brechen die Tour ab. Zurück zum Platz!“

16:34. Noch während wir in den Träcker steigen, schreit mein Sohn Moritz (einer der eingeschmuggelten A-Jugendlichen): „Toooooor in der Wolferskaul! 1:0 Raspo!“

16:44. Gefangen in einer Zeitschleife. Wenn Du mit nem Träcker unterwegs bist, der darauf ausgelegt ist, zu singen und zu feiern, dann ist Geschwindigkeit scheißegal. Wenn Du aber so schnell es geht irgendwohin willst, dann kommst Du Dir vor wie in einer Zeitschleife, wenn Du 10 Minuten nach Abfahrt in Walheim realisierst, dass Du gerade im Niemandsland zwischen Schleckheim und Oberforstbach bist.

16:59. Wir kommen in Brand an. Roetgen führt 3:2 und Dela, Dela, Dela macht gerade das 2:0. Praktisch alle weißen Shirts und grünen Hüte klettern auf den Wall hinter dem Tor und heizen ein (Respekt, dass sich dabei keiner gezerrt hat).

Ich komme mit den Uhr-Zeiten durcheinander. Egal.

Dela macht das 3:0 und alle „Fans“ verlassen den Wall und sammeln sich hinter der Trainerbank. Daniel Formberg wird gefeiert, die Erste wird gefeiert, Raspo feiert sich selbst. Unglaublich, was hier los ist.

Jaaaaaaaa! Roetgen macht das 4:2 und Pascal Schneider das 4:0.

Schluss in Brand. Irgendwer hat die Information: 7 Minuten Nachspielzeit in Roetgen.

Auf einen Schlag: Totenstille in der Wolferskaul. Jeder weiß, wie grausam der Fußball sein kann und was in Nachspielzeiten passieren kann. Die Erste weiß das. Die glückselig angetrunkene Zweite weiß das, die erwachsenen Zuschauer sowie alle grün-weißen Kinder.

Keiner sagt mehr irgendetwas.

Es ist gespenstisch.

Nicht zum aushalten.

90.+5. Haaren macht das 4:3.

Das darf doch nicht wahr sein. Schiri. Pfeif ab.

90.+8. Haaren macht das 4:4.

Leck mich am Arsch.

Es gibt einige, die kennen jemand am Sportplatz in Roetgen. Das Handy-Gespräch wird live kommentiert.

Was? Noch mal Eckball Haaren?

Kommt rein.

Geklärt.

Schiri nimmt die Pfeife in den Mund.

Ende!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

– Foto: Elmar Cüpper

Was sich danach abspielt, ist – bei aller Liebe und allem Spaß am Schreiben – nicht in Worte zu fassen. Daher lasse ich es einfach sein.

Der 11.06.2023 ist ein denkwürdiger, ja ein historischer Tag für unseren Verein. Die Erste steigt erstmals in die Landesliga und die Zweite endlich wieder in die Kreisliga B auf.

Und man nennt es wohl Ironie des Schicksals, dass beim Aufstieg der Ersten erneut das Torverhältnis entscheidend ist ... und wie im Vorjahr nur 6 Tore den Unterschied ausmachen.

In diesem Sinne: ich habe fertig und freue mich auf die Fußball-freie Zeit. Wir sehen uns: wenn Raspo spielt: bei den Spielen der Ersten, der Zweiten und der A-Jugend. Auch darauf freue ich mich.

Aufrufe: 013.6.2023, 14:40 Uhr
Martin KarlowitschAutor