2024-06-14T14:12:32.331Z

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Emotionaler Tag: Michael Adelwart umarmt Michael Moser, der ihn kurz zuvor noch mit einer Sektflasche attackiert hat und ein guter Freund seines Sohnes ist.
Emotionaler Tag: Michael Adelwart umarmt Michael Moser, der ihn kurz zuvor noch mit einer Sektflasche attackiert hat und ein guter Freund seines Sohnes ist. – Foto: andreas mayr

„Das ist ein Irrsinn“: Adelwart und Murnau in der Landesliga

Murnaus Michael Adelwart und der Aufstieg in die LL

Der TSV 1865 Murnau hat es vollbracht. Die Meisterschfaft in der Bezirksliga, den Aufstieg in die Landesliga und vor allem den „Murnauer Weg“.

Murnau – Michael Adelwart wählte den Platz, den er immer wählt in den großen Momenten. Wer sich die Mühe macht und dieses Wimmelbild absucht, das die Murnauer nach dem Aufstieg mit ihren Anhängern knipsten, entdeckt seine Frau und jedes seiner Kinder. Ihn nicht. Meisterschaften sind für die anderen da. Er zähle sie auch nicht, sagt er am Tag danach.

Der „Adel“ weiß nicht einmal, wie lange genau er im Amt ist als Abteilungsleiter des TSV Murnau. „Wenn mich jemand fragt, kann ich das nicht beantworten.“

In Murnau nennen sie den Abteilungsleiter liebevoll „Präsi“. Aufgekommen ist das unter Phillip Zoepf, der diesem Amt wahrlich präsidialen Charakter verliehen hat. Zu Spielen trug er gerne Hemd und Weste, seine gegelten Haare glänzten. Die Murnauer haben ihm den Kunstrasenplatz zu verdanken. Ein Zoepf weiß, wann er abtrat. Am 28. Mai 2014, ein Dienstagabend, so warm, dass sich der neue Vorstand im Freien ablichten ließ. In diesen Stunden ereignete sich Bemerkenswertes. Adelwart prophezeite die Zukunft. Wenn das wirklich klappen soll mit dem Weg der Jugend, „brauchen wir einen langen Atem“. Niemand der vielen Unterstützter hat abschätzen können, dass ein ganzes Jahrzehnt vergeht, bis die Arbeit sich auszahlt.

„Murnauer Weg“

Adelwart hat diesen TSV umgestaltet. So radikal wie möglich, so sanft wie nötig. Jeder, der den Kurs, den er stets den „Murnauer Weg“ nannte, einschlagen wollte, war willkommen. Die anderen gingen. Oder wurden gegangen. Der TSV investierte in Trainer, in Qualität und am wichtigsten in eine Identität. „Die Vision ist der idealistische Gedanke: Die Spieler spielen für den Verein, nicht für sich.“ Zehn Jahre später sind sie in Murnau zwar noch lange nicht am Ziel, aber auf der Autobahn angekommen. Weg von der Landstraße. Etwa 500 Fußballer kicken im größten Jugendzentrum des Oberlands – auf dem Treppenabsatz zu den Großclubs, Bayern, 1860, Haching. Die Erste nun wieder in der Landesliga. Adelwart geht es nicht um Ligen. Das Projekt Murnau ist eine Idee, kein Plan. „Ich wollte immer was für die Jungs machen, die die Einstellung haben, den Tick mehr zu machen.“

Nicht einmal im Frühjahr 2018 gerieten die Grundfesten ins Wanken. Oft stellen sie in Murnau die Schicksalsfrage, was passiert wäre, wenn der TSV tatsächlich in die Kreisklasse abgestiegen wäre, in diesen epischen Duellen mit Uffing? Nichts, sagt Adelwart. „Wir hätten genauso angeschoben.“ Und doch war der 1:0-Sieg vor 2000 Zuschauern im Relegationsrückspiel der Wendepunkt der Historie. Dieser Samstag im Juni fügte einen fragmentierten Verein wieder zusammen. Seitdem ist es wieder hipp, in Grün und mit Fanschal an der Poschinger-Allee aufzuschlagen. Der Klassenerhalt ist bis heute Adelwarts größter Triumph als Trainer – ein Gruß an alle Zweifler, von denen es im Oberland zuhauf gibt. „Ich bin dankbar, dass sich Vereine die Zeit nehmen, uns zu motivieren.“ Es sind vor allem zwei Dinge, die diesen Mann antreiben. Die Antipathie der anderen und sein „falscher Ehrgeiz“ (sagt er selbst) – irgendwie bedingt beides einander. Adelwart ist ein Getriebener. Sein Trainer Martin Wagner sagt über ihn: „Das ist ein Irrsinn, wie oft der am Platz ist.“ 40 Stunden in der Woche dürften nicht reichen.

Der Tag gehörte ihnen – Murnaus treue Helfer

Der TSV Murnau ist keine Ein-Mann-Show. Er war es nie. Adelwart hat sich ein Netz aus Helfern und Vertrauten gesponnen. Früh holte er die Alten ins Boot, verdiente Männer wie Wolfgang Walser oder Thomas Sauerhöfer. Sie gehörten kurz vor der Jahrtausend-Wende mit Rainer Lettenbichler, Werner Neuner, Trudi Welker und weiteren zu denjenigen, die das Herz des TSV am schlagen hielten. Einmal, als Murnau in die damalige C-Klasse (letzte Liga) abstürzte, waren sie kurz davor, die Erste abzumelden. „Uns gibt es nur, weil sie da waren. Das vergessen viele.“ In Landsberg, in den goldenen Minuten nach dem Aufstieg, stellte er seine treuen Helfer für ein Foto auf. Imaginär zog er den Hut. Der Tag gehörte ihnen.

Dieser Aufstieg war unvermeidlich. Tief drinnen im Inneren des Vereins ärgerten und lachten sie gleichermaßen über die Mär von der Mannschaft, die zu jung zum Aufsteigen sein soll. Wozu haben sie denn all die Jahre auf hohem Nachwuchs-Niveau trainiert und gekickt? Zu den Geschichten, die man erst danach erzählen darf, gehört jene aus dem Februar 2022. Zum Start der Vorbereitung ließ Tim Schmid, damals der Trainer der Ersten, sein Kreisliga-Team gegen die A-Jugend, die Jahrgänge 2003 und 2004, antreten. Und die Jungen spielten die Alten dermaßen an die Wand, dass man vereinbarte zu schweigen. Insgeheim wussten die Murnauer danach: Die nächste Generation ist bereit. Sie hat alle Zeitpläne gesprengt.

„Ich weiß nicht einmal, was uns in der Landesliga erwartet“ – Murnauer Vorfreude

Manchmal belohnt das Schicksal denjenigen, der nicht nach Erfolg trachtet. Vor ziemlich exakt zwei Jahren, kurz vor der Relegation zur Bezirksliga gegen Peiting, betrat Adelwart die Kabine, verbreitete in seiner monotonen Stimme die Botschaft. „Ich mache es nicht wegen einer Liga, sondern weil ich Jungs wie euch hab’. Die immer da sind, die über das normale Level hinausgehen, die alles zurückstellen. Und das für nichts.“ Deswegen sind sie aufgestiegen. Weil sie alle Murnauer Buam sind. Auch in der Landesliga wird der Klub nichts zahlen. Er wird nur aufnehmen, wer sich mit ihnen identifiziert. Leute wie Josef Niklas oder Roman Trainer. „Wenn man solche Typen nicht nimmt, macht man was verkehrt. Das sind Jungs, die keine Minute für den Verein in der Jugend gespielt haben, aber ab der ersten Minute alles geben.“

Wohin das noch führt, kann keiner sagen. Die meisten im Team sind gute zehn Jahre von der besten Version ihrer selbst entfernt, Saison für Saison schieben neue Top-Talente nach. Die Bayernliga, sagt Adelwart, „ist ganz weit weg von mir. Ich weiß nicht einmal, was uns in der Landesliga erwartet“. Die Verantwortlichen wissen bisher bloß, dass sie den ganzen Platz einzäunen, alle Seiten mit einer Bande versehen müssen. Mittelfristig brauchen sie einen dritten Platz an der Poschinger-Allee. Die Kapazitätsgrenzen für Training und Spiel sind längst erreicht. Der Draht zur Gemeinde, sagt Adelwart, ist gut. Bürgermeister Rolf Beuting schickte persönlich Glückwünsche und eine Bierlieferung nach Landsberg. Nach einer Stunde war alles leer getrunken und gespritzt. Irgendwann erspähte Michael Moser, dass sich der Chef mal wieder im Hintergrund versteckt hatte. Er nahm eine Sektflasche und attackierte. So begann für Adelwart, ein höchst emotionaler Mensch, bei dem auch mal die Tränen fließen, die Party. Am nächsten Tag coachte er bereits wieder die U12 von Phillip Mühlbauer. Das hatte er ihm im Fall der Meisterschaft zugesagt. Und ein Adelwart hält sein Wort. (ANDREAS MAYR)

Aufrufe: 022.5.2024, 07:40 Uhr
Andreas MayrAutor