2024-05-02T16:12:49.858Z

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Sportgeschäftsführer Christian Werner und 1860-Reporter Uli Kellner im Interview.
Sportgeschäftsführer Christian Werner und 1860-Reporter Uli Kellner im Interview. – Foto: Sampics

„Brenne für die Löwen“: 1860-Sportchef Werner exklusiv über die Anfangszeit und seine Transfers

„Das Ganze ist aber kein reines Christian-Werner-Projekt“

Christian Werner ist Sportgeschäftsführer beim TSV 1860. Den Verein will er nachhaltig entwickeln. Im Interview spricht auch über seine Transfers.

München – Als Quereinsteiger auf einen der gefährlichsten Stühle der 3. Liga. Dr. Christian Werner, bekennender Fußballnerd und promovierter Sportwissenschaftler, ist seit dem 5. Januar Sportgeschäftsführer beim TSV 1860. Unsere Zeitung hat mit dem 42-Jährigen gesprochen.

Herr Werner, wie fühlt man sich als alter Hase in der Sportlichen Leitung des TSV 1860?

Alter Hase, der ist gut (lacht).

„In den paar Wochen habe ich mehr erlebt als andere Leute in zwei Jahren.“

Christian Werner, Sportgeschäftsführer des TSV 1860, über seine ersten Wochen in München.

Am 5. Januar sind Sie offiziell angetreten. Nach Ihnen kam der neue Cheftrainer – und zuletzt auch ein neuer kaufmännischer Geschäftsführer…

Es stimmt schon: In den paar Wochen, die ich jetzt hier bin, habe ich mehr erlebt als andere Leute in zwei Jahren. Ich brenne für die Aufgabe – und habe richtig Lust, den Verein zu entwickeln.

Bis klar war, dass Sie den Job auch wirklich bekommen, mussten Sie einen langen Atem beweisen. Seit dem Spätsommer hatten Sie ja schon „pro bono“ mitgearbeitet. Ist diese Beharrlichkeit ein Charaktermerkmal von Ihnen?

Mit Sicherheit. Wir waren ja bereits länger in sehr guten Gesprächen. Der Austausch war sehr zielführend, klar. Und ich fand die Aufgabe vom ersten Tag an extrem reizvoll.

Das Spannungsfeld der Gesellschafter, die erst mal ein halbes Jahr stritten, ob sie einfacher Sportchef oder Geschäftsführer mit weiterreichenden Kompetenzen werden, hat Sie nicht abgeschreckt?

Nein. Weil ich fest davon überzeugt bin, dass man die Löwen mit guter und ruhiger Sacharbeit weiterentwickeln kann. 1860 ist herausfordernd, keine Frage. Es ist mit Sicherheit keine einfache Station, aber das war mir von Beginn an klar.

Obwohl Sie ja noch nicht so viele Stationen im Profifußball vorzuweisen hatten. Eigentlich sind Sie ja Lehrer mit sportwissenschaftlichem Hintergrund.

Korrekt.

Parallel dazu haben Sie Erfahrung im Fußball-Business gesammelt. Als Sportdirektor beim Oberligisten SGV Freiberg, mit dem Sie aufstiegen, bei Lustenau in Österreich – und als Chefscout bei Waldhof Mannheim. Stand über allem immer der Traum, mal in leitender Funktion im Profifußball irgendwo aufzuschlagen?

Ich gehöre noch zu den Leuten, die Fußball wirklich als Passion verstehen. Ich war Torwart in meiner hessischen Heimat (beim FSV Fernwald/Red.), aber in der Oberliga war damals Endstation. Mit 19 habe ich gemerkt, dass ich es als Spieler nicht in den Profibereich schaffen werde. Dementsprechend wusste ich früh, dass ich – wenn ich die Chance bekomme, wieder im Fußball tätig zu sein – sie unbedingt nutzen will.

Klassische kicker-Sonderheft-Sozialisierung?

(lacht) So ungefähr. Wenn ich Auto fahre, höre ich einen Fußball-Podcast. Wenn ich nach Hause komme, läuft Fußball. Und diese tiefe, intrinsische Liebe zum Fußball, die ist die Triebkraft für mein Handeln.

Daher das Image vom Fußball-Nerd, der in jedem Dorfverein jeden kennt – vom Platzwart bis zum inversen Linksaußen?

Ich hoffe mal, dass der Prozess dieser Imagebildung noch nicht abgeschlossen ist. Als Nerd sehe ich mich nicht, eher als nüchternen Sacharbeiter. Dazu gehört es einfach auch, alle Märkte zu kennen, die für meine Aufgabe relevant sind – und dort auch die Spieler.

„Das Ganze ist aber kein reines Christian-Werner-Projekt, sondern eine Teamaufgabe.“

Christian Werner über die Transfers des TSV 1860 München.

Nehmen wir die vier Neuzugänge, die Sie kurz vor dem Deadline-Donnerstag zu den Löwen gelotst haben. Wie haben Sie diese Transfers vorbereitet?

Sehr eingehend. Zum Scouting gehört ja nicht nur, dass man weiß: Wie kann einer kicken? Genauso wichtig ist: Wie tickt er als Mensch? Kann er Führungsaufgaben übernehmen? Ich habe mich da mit jedem Spieler sehr genau auseinandergesetzt. Das Ganze ist aber kein reines Christian-Werner-Projekt, sondern eine Teamaufgabe. Jürgen Jung mit seiner Scoutingabteilung macht einen hervorragenden Job. Und wir haben einen Trainer, der sich hier mit viel Herzblut inhaltlich einbringt.

Und Sie scheinen ein Faible für schnelle Spieler zu haben, wie man aus den Pressemitteilungen zu den 1860-Neuzugängen herauslesen konnte.

Wir haben unseren Kader angeschaut und uns gefragt: Okay, was fehlt uns? Punkt eins: Das Spiel, das wir spielen wollen, benötigt Tempo. Punkt zwei: Wir haben dieses Tempo nicht im Kader gehabt. Geschwindigkeit ist nicht verhandelbar im Profifußball.

Werden die Löwen also künftig jeden Gegner in Grund und Boden rennen?

Ich glaube, dass es langfristig wichtig ist, dass 1860 für sich selbst definiert, welcher Fußball gespielt werden soll. Platt gesagt: ein Löwenfußball mit Wiedererkennungswert. Unsere DNA soll im Spiel klar sichtbar sein. Das ist die Grundlage unserer künftigen Ausrichtung. Dazu passend haben wir dann auch den Trainer und die Spieler ausgewählt.

Sich fußballerisch aus dem Abstiegskampf befreien zu wollen, ist eine mutige Entscheidung. Gibt es prominente Beispiele, an denen Sie sich orientieren?

Die gibt es mit Sicherheit. Aber es ist viel einfacher: nur Bälle rauszukloppen garantiert keinen Erfolg; es geht darum, das auf den Platz zu bringen, was in der Mannschaft an Qualität vorhanden ist. Wir sind nicht kurz vor dem Saisonende – und es macht keinen Sinn, hektisch irgendwas machen. Wir waren in einer Situation, in der wir eine komplette Halbserie vor uns hatten – und damit genug Zeit für einen Entwicklungsprozess. Wir wissen, dass diese Mannschaft sehr viel Qualität hat – und dass deshalb keine Harakiri-Entscheidung nötig war.

„Eliot ist so motiviert, dass er notfalls zu Fuß von Nürnberg an die Grünwalder Straße gelaufen wäre.“

Christian Werner über 1860-Neuzugang Eliot Muteba.

Gehen wir die neuen Spieler mal einzeln durch. Ist Max Reinthaler der neue Jesper Verlaat, falls der Kapitän im Sommer von Bord geht?

Nein, es ist unsere klare Absicht, mit Jesper Verlaat zu verlängern. Wir setzen im Abwehrverbund auf Kontinuität. Wir sind da auch schon in einem guten Austausch. Wir brauchen die hohe Qualität beider Spieler.

Die 1860-Neuzugänge Abdenego Nankishi, Serhat-Semih Güler und Max Reinthaler.
Die 1860-Neuzugänge Abdenego Nankishi, Serhat-Semih Güler und Max Reinthaler. – Foto: Wagner

Dann die beiden schnellen deutsch-angolanischen Flügelstürmer. These zu Ihren Gedankenspielen: Werder-Leihgabe Abdenego Nankiski wirbelt bis zum Sommer auf der linken Außenbahn – danach übernimmt Eliot Muteba, der praktischerweise direkt eingelernt wird?

Beides sind vielseitig einsetzbare Spieler – man kann sie genauso auch zusammen auf den Platz bringen. Aber grundsätzlich ist es natürlich schon so: Leihspieler mit einer hohen Qualität wie Nankishi wirst du nicht lange in der 3. Liga halten können – für ihn gibt es einen Markt, auch aus anderen Ligen. Muteba wollten wir unbedingt, an ihm waren wir auch am längsten dran. Eliot ist so motiviert für die Löwen, dass er notfalls zu Fuß von Nürnberg an die Grünwalder Straße gelaufen wäre.

Rostock-Stürmer Serhat-Semih Güler dürfte mit der schwierigste Transfer gewesen sein. Alle suchen ja eine Neun.

Wir haben uns mit vielen Stürmern auf dem deutschen und den daran angrenzenden Märkten beschäftigt. Bei Güler war es so, dass wir auch nur durch Zufall die Chance bekommen haben, ihn fest zu verpflichten. Wir waren hartnäckig, und Rostock ist seinem dringenden Wunsch nachgekommen, den Wechsel zu uns zu realisieren. Dafür bedanke ich mich herzlich. Überhaupt waren alle abgebenden Vereine sehr kooperativ. Auch Güler steht für die neue Ausrichtung, kann aggressives Pressing spielen, arbeitet konsequent gegen den Ball. Er ist mit Sicherheit einer der schnellen Neuner der 3. Liga.

Kurzer Schwenk zur leidigen Vereinspolitik: Marc-Nicolai Pfeifer, der Sie bei 1860 vorgeschlagen hatte, wurde am Freitag als kaufmännischer Geschäftsführer entlassen. Sind Sie mit ihm im Reinen?

Ja, das bin ich. Ich habe die Zusammenarbeit mit ihm fachlich und menschlich sehr geschätzt. In die Januar-Transfers hat er sich mit viel Herzblut eingebracht.

„Wir kämpfen mit sechs oder sieben Clubs um den Klassenerhalt in der 3. Liga.“

Christian Werner über die kurzfristigen Ziele beim TSV 1860 München.

Sein Nachfolger ist Oliver Mueller. Wie gut kennen Sie sich bereits?

Wir haben uns am Freitag kennengelernt.

Nicht nur das Beispiel Pfeifer lehrt, dass es bei 1860 gefährlich sein kann, zu viel Nähe zu einer der beiden Gesellschafterseiten zuzulassen. Wie gehen Sie damit um?

Ich habe als Geschäftsführer eine klare Aufgabe, und der komme ich jeden Tag möglichst gut nach. Manches bei 1860 ist mit Sicherheit herausfordernd; andererseits schätze ich das lebendige Umfeld und das starke Interesse, dass so viele unterschiedliche Menschen an dem Club haben.

Was ist kurz- bis mittelfristig drin mit 1860?

Wir kämpfen im Moment mit sechs oder sieben Clubs um den Klassenerhalt in der 3. Liga. Wo die Reise danach hingeht, wenn wir unser Ziel erreicht haben, werden wir dann zusammen mit den Gesellschaftern besprechen. Jetzt gilt es erst einmal, möglichst schnell den Klassenerhalt klarzumachen. (Interview: Uli Kellner)

Aufrufe: 08.2.2024, 08:52 Uhr
Uli KellnerAutor