2024-04-25T14:35:39.956Z

Interview
Österreicherin des Jahres: Manuela Zinsberger. F: Imago
Österreicherin des Jahres: Manuela Zinsberger. F: Imago

Zinsberger: „Ich konnte mein Puzzle zusammensetzen“

Die Ziele der Bayern-Keeperin

Manuela Zinsberger über den FC Bayern, Elfmeter, Mentaltrainer, störendes Stollengeklapper, Millionen für Neymar und Papas Prüfung.

München – Beim Pokalfinale letzte Woche parierte sie zwei Elfmeter und weinte am Ende dennoch wegen des verpassten Coups. Vor der Neuauflage des Duells mit dem VfL Wolfsburg am Sonntag in der Liga (Anpfiff 14 Uhr auf dem FC Bayern Campus, Eintritt frei, ab 12.30 Uhr Fan-Fest) spricht Manuela Zinsberger über ihre aufregenden letzten zwölf Monate.

-Frau Zinsberger, wie sehr steckt die Pokalfinal-Niederlage nach Elfmeterschießen in den Knochen?

Wir sind heiß, wollen zeigen, dass der Campus unser Zuhause ist. Klar tut die Niederlage im Herzen weh, aber es bringt nichts. So ist Fußball. Wir hatten ein paar Tage frei, um wieder frisch zu sein. Es ist mal cool, auf dem Campus zu spielen, weil es enger ist. Aber ich sage frech: Wir müssen sie fertigmachen, egal wo und ob mit zwei oder 20 000 Besuchern.

-Sie lehnten nach dem Abpfiff an Ihrem Pfosten wie einst Oliver Kahn nach dem WM-Finale 2002. Was geht da durch den Kopf?

Da war pure Leere im Kopf. Die Tränen fließen, weil du deine Emotionen dann nicht mehr unter Kontrolle hast. Almut Schult kam zu mir, das war eine tolle Geste. Aber ehrlich gesagt will man lieber alleine sein. Je mehr kommen, desto mehr Tränen fließen. Naja, dann mussten sie sich halt meine Tränen anschauen. Ich hoffe, das nächste Mal sind es eher wieder mal Freudentränen.

-Sie sagten mal, Sie seien beim Elfmeterschießen wie eine Hexe, weil Sie aus dem Bauchgefühl agieren.

Am Samstag war ich keine Hexe. Sonst hätte ich alle erraten. Aber es stimmt schon, dass ich keinen Zettel dabeihabe und mich lieber auf meine Beobachtungen verlasse.

-Wenn Sie Ihre letzten zwölf Monate analysieren, wie fällt da Ihr Fazit aus?

Ich habe mir die Nummer 1 bei Bayern erkämpft und werde mich auf dieser Position nicht ausruhen, weil ich haargenau weiß, dass ich viel Konkurrenz hinter mir habe. Bei der EM im letzten Jahr mit Österreich darf ich behaupten, dass es mit unserem Platz drei super gelaufen ist. Es war ein unglaubliches Jahr. Nr. 1 in der Nationalelf, bei Bayern, Platz drei in den Niederlanden – wenn wir am Ende den zweiten Platz in der Liga fixieren, der uns in die Champions League bringt, waren es runde zwölf Monate.

-Sie wurden auch noch Österreicherin des Jahres.

Ja, das kommt nicht alle Tage vor. Ich war total perplex. Als Mannschaftssportler rechnet man nicht mit solchen Auszeichnungen. Ich musste das erste Mal eine Rede vorbereiten und wusste erst gar nicht, was ich da jetzt sagen soll . . .

-. . . was haben Sie da letztlich dann gesagt?

Dass diese Ehre das I-Tüpfelchen für harte Arbeit ist. Dass ich sehr viel investiere, um erfolgreich zu sein und mit dieser Einstellung Vorbild sein möchte. So eine Auszeichnung fliegt einem nicht zu, gleichzeitig ist sie nie für einen alleine, denn wir sind immer von unserem Umfeld, dem Team und der Familie abhängig. Bei mir haben alle Puzzleteile zusammengepasst, und so konnte ich mein persönliches Puzzle zusammensetzen. Es war interessant, zu sehen, welche Türen einem der Erfolg öffnet. Aber ich sehe das in erster Linie als Anreiz, erst recht noch eine Spur zuzulegen. Die letzten Jahre haben Spaß gemacht – aber ich werde alles dafür tun, dass der Spaß nicht aufhört. Ich bin noch nicht da, wo ich hinmöchte.

-Der FC Bayern hat Laura Benkarth verpflichtet, die deutsche Nummer 2.

Ich freue mich auf sie. Mit Riikka Korpela hatte ich auch einen Zweikampf auf hohem Niveau, das spornt an. Wir werden voneinander profitieren. Dass sie sich das Kreuzband gerissen hat, hat mich traurig gemacht. Ich sehe uns Torhüter immer als ein kleines Team.

-Sie haben keine Angst um Ihren Nr.1-Status?

Muss ich die haben? Ich habe natürlich den Anspruch, zu spielen. Darum heißt es eben: Bloß nicht ausruhen! Ich werde diesen Kampf annehmen.

-Sie arbeiten viel mit einer Mentaltrainerin. Erzählen Sie doch mal bitte.

Vor der EM begann das über ein halbes Jahr vor dem Turnier: Wie gehst du mit Zuschauern um? Wie mit dem Medieninteresse? Da passiert ja was in dir. Man muss da vorarbeiten. Das geht bis ins Detail, bis hin zu einzelnen Flanken: Wo stehe ich? Höchster Punkt? Beide Hände am Ball? Dresche ich danach den Ball raus? Nein – er soll gezielt bei einer Spielerin XY landen. Die Arbeit der Mentaltrainer, zum Beispiel von Miriam Wolf bei der Nationalelf, wird unterschätzt, sie ist mit Herzblut dabei und es ist nicht leicht: 23 Frauen plus Trainerteam, aber wir hatten zum Beispiel nicht eine Zickerei während der EM. Das ist keine Normalität.

-Kahn lag früher in seinem Hotelzimmer am Boden, um Situationen schon vorher zu visualisieren.

(grinst) Ich sitze lieber. Aber ich gehe beim Aufwärmen extra vor den anderen in die Kabine, um Ruhe für mich zu haben. Da greife ich Situationen vor: Was passiert, wenn du die erste Flanke fallen lässt? Was ist, wenn eine Stürmerin allein auf dich zuläuft? Ich stelle mir das im Kopf vor. Sobald ich das Stollengeklapper der anderen im Gang höre, ist es vorbei. Dann bin ich bereit fürs Spiel.

-Ihr Papa war auch Torwart – Sie mussten ihn aber überzeugen, selbst in den Kasten zu dürfen, heißt es.

Als ich ungefähr neun war, sagte ich, ich möchte ins Tor. Er hatte aber Sorge wegen der Verletzungsgefahr. Als wir mal bei einem Spiel zugeschaut haben, sagte er plötzlich aus dem Nichts zu mir: Lass dich nach links fallen! Und jetzt nach rechts! Ich hatte keine Spielkleidung an, der Boden war blanker Asphalt. Aber ich habe mich hingeworfen. Erst später habe ich realisiert, dass er testen wollte, ob ich ein Gespür dafür habe, wie man sich richtig hinwirft. Das war ihm wichtig. Ab dem Tag ist es okay gewesen, dass ich ins Tor gehe.

-Wie stehen Sie zu der Frage, dass die Männer im Fußball besser entlohnt werden als die Frauen?

Damit können wir alle leben, das ist normal, das akzeptieren wir. Ich habe aber ein Problem damit, wenn für einen Neymar – so gut er auch ist – 222 Millionen Euro bezahlt werden. Da fehlen mir die Relationen. Es gibt so viele Kinder, die krank sind oder Unterstützung brauchen – wenn man da nur ein paar Tausend Euro abzwacken würde wäre ja schon viel getan, geschweige denn ein bis zwei Millionen. Es gibt so viele Baustellen auf der Welt, aber es hilft ja nichts. Man kann sich nur auf Dinge konzentrieren, die man beeinflussen kann.

-Wie sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Ich möchte noch mehr eine Führungsfigur bei Bayern werden. Dazu gehört, sich spielerisch und persönlich immer weiter zu entwickeln. Das Ausland ist immer reizvoll, aber mein Vertrag läuft bis 2019, ich fühle mich hier sehr wohl und kann mir auch sehr gut vorstellen, zu bleiben. Ich bin megazufrieden. Und ich möchte noch Titel feiern – ohne Ende.

Interview: Andreas Werner

Aufrufe: 025.5.2018, 12:24 Uhr
Münchner Merkur / Andreas WernerAutor