2024-04-30T13:48:59.170Z

Ligabericht
Gießens Offensivhoffnung: Jonas Arcalean. Foto: Vogler
Gießens Offensivhoffnung: Jonas Arcalean. Foto: Vogler

Über Stuttgart und Tennessee an die Lahn

RL SÜDWEST: +++ Jonas Arcalean ist mit seinen noch 23 Jahren schon viel herumgekommen. Seit Januar geht der Offensivallrounder für Fußball-Regionalligist FC Gießen auf Torejagd +++

GIESSEN - Gießen. Gino Parson in Mittelhessen vorzustellen, wäre wie Eulen nach Athen zu tragen. Antonyos Celik ist im heimischen Fußball kein No-Name. Gewissermaßen voll beschriebene Blätter sind Nejmeddin Daghfous und Ali Ibrahimaj mit massig Einsätzen in der Dritten und Zweiten Liga. Getoppt selbstverständlich noch von Michael Fink, dem Bundesliga-Kicker mit Champions League-Erfahrung bei Besiktas Istanbul. Kein Zweifel: Die Winterzugänge von Regionalligist FC Gießen, bedeutsame Puzzleteile für den Aufschwung mit dem Sprung von Rang 21 bis auf Platz 12 in der Tabelle, sind bekannte Gesichter. Mit einer Ausnahme, die aber bislang einen vielversprechenden Eindruck hinterlassen hat.
Die Rede ist von Jonas Arcalean. Erst im Januar nach bereits zwei Partien im neuen Jahr verpflichtet, machte der 23-Jährige sehr schnell auf sich aufmerksam. Seither bestritt er fünf von sechs Matches, vier davon von Beginn an, die 90 Minuten beim FC Homburg verpasste er verletzungsbedingt. Ob er angesichts der vielen Spielzeit überrascht ist? "Einerseits ja, andererseits nein", antwortet Arcalean und ergänzt angenehm selbstbewusst: "In der Offensive war ja Bedarf und ich habe gedacht, dass ich mit meiner Athletik und Schnelligkeit helfen kann. Das Niveau ist ein anderes und die Erfahrungen sind schön. Ich kann auf die Leistungen aufbauen, hätte mich und die Mannschaft allerdings schon gerne mit mehreren Toren belohnt." Immerhin einen Treffer hat er mit dem zwischenzeitlichen 2:0 beim FK Pirmasens (2:1) bereits erzielt.

Stellt sich die Frage, wer genau dieser Jonas Arcalean ist, mit dessen Nachnamen (das "c" als "k" gesprochen, ein bisschen auf die Reihenfolge der Vokale achten, die Betonung ist keine Hürde) die Stadionsprecher offensichtlich ein paar Probleme haben ("Nur in Kassel war es richtig")? Wer nach ihm googelt, findet kaum etwas. Was nicht weiter verwundert, denn Arcalean bewegte sich auf seinen Stationen im Fußball sozusagen außerhalb des Radars. In Heidelberg geboren zog es die Familie später ins Schwäbische und den damals 13-Jährigen 2010 in die Talentschmiede des VfB Stuttgart. Allerdings lediglich für eine Spielzeit, da "das für mich zu früh war. Ich konnte mich nicht komplett durchsetzen, war zu lieb und zurückhaltend", erklärt der Offensivmann. Er heuerte bei den Teams aus Freiberg und Rutesheim an, wo er in der Jugend auf gutem, regionalen Level spielte. Ein zweiter Anlauf in einem Nachwuchsleistungszentrum blieb aus, was der 23-Jährige heute durchaus kritisch betrachtet: "Die Möglichkeiten hätte es gegeben, vielleicht bei Vereinen weiter weg. Aber ich wollte keine Opfer bringen, zum Beispiel die Schule zu wechseln." Rutesheim schoss er in seinem ersten Seniorenjahr in der Relegation in die sechstklassige Verbandsliga, um danach diese "Blase", so bezeichnet er es selbst, mit einem doch klaren Schnitt zu verlassen. Raus aus dem Gewohnten und Vertrauten - raus gleich radikal zum Studium mit Stipendium in die USA. Genauer in den Bundesstaat Tennessee, an das Martin Methodist College. "Schon als ich klein war, hat mich Amerika gereizt", erfüllte sich damit ein lang gehegter Traum. Arcalean studierte zwischen Sommer 2017 und Dezember 2020 Business Management und trat parallel für das College-Team, die Martin Redhawks, gegen den Ball. Sein Fazit fällt durchweg hoch zufrieden aus: "Ich habe keinerlei negative Erfahrungen gesammelt. Es ging dort offener und herzlicher zu als in Deutschland. Ich kann mir vorstellen, irgendwann in die Staaten zurückzukehren. Dieses riesige Land hat so viel zu bieten. Von der Landschaft her - und es gibt so viele Ecken mit unterschiedlichen Kulturen."
Was das Sportliche anbelangt, war der Schritt über den "Großen Teich" auch der Versuch, Versäumtes nachzuholen, um womöglich doch noch in höherklassigen Gefilden anzukommen: "Ich wusste, dass ich die Fähigkeiten habe. Und dass es eventuell zu spät ist. Ich wollte mir aber nichts vorwerfen müssen. Dass ich zweigleisig gefahren bin, mit dem Studium und Fußball auf gutem Niveau, das ist die richtige Entscheidung gewesen. Ich konnte exzessiv trainieren und habe mir körperlich etwas aufgebaut, das hat mir auch für den FC Gießen geholfen."

Beim FCG schlug er über Kontakte seines Beraters zu Innenverteidiger Jure Colak erstmals im Rahmen der Sommervorbereitung zum fünftägigen Probetraining auf. Im Sturmzentrum sowie auf den Außenbahnen zu Hause, ein Mann für die Tiefenläufe mit einem starken Antritt sowie hoher Geschwindigkeit am Ball und im Dribbling versehen, dazu über einen guten Abschluss verfügend und spielstark, überzeugte er Trainer Daniyel Cimen. Ein Wechsel zu den Rot-Weißen scheiterte zu jenem Zeitpunkt daran, dass Arcalean sein Studium nicht wie geplant aus der Ferne online beenden konnte, sondern dafür vor Ort in den USA sein musste. Im Dezember schloss er seinen Bachelor ab und unterschrieb im Januar einen Vertrag bei den Gießenern bis zum Saisonende. Die Schnittstelle zum Profifußball hat er quasi auf dem zweiten Bildungsweg erreicht - und mit 23 in noch jungen Jahren.

Aktuell plant Arcalean eher kurzfristig: "Wie es weiter geht, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Mal schauen, wie die Runde so läuft. Wichtig ist, dass ich mit dem abgeschlossenen Studium etwas in der Hand habe." Der Weg zu den Heimspielen im Waldstadion könnte übrigens kürzer nicht sein. Mit dem Japaner Ryunosuke Takehara lebt Arcalean in einer WG über der Geschäftsstelle. "Es ist schwierig in der neuen Stadt. Tagsüber gibt es nicht so viel zu tun", sagt Arcalean zum Einleben unter den Lockdown-Bedingungen. Wobei er im Negativen das Positive sieht: "Ohne Corona wäre ich in Amerika geblieben und hätte keine Chance zum Vorspielen gehabt. Alles hat seine Vor- und Nachteile." Mit dem FC Gießen soll bis Juni der Klassenerhalt her. "In der Mannschaft stimmt es, ich verstehe mich mit allen. Das Glück, das wir im Moment haben, gehört dazu, ist allerdings hart erarbeitet. Das kommt nicht von ungefähr. Ich hoffe, ich kann meinen Beitrag beisteuern. In manchen Situationen bin ich zu hastig, benötige mehr Ruhe. Die Erfahrung habe ich bis jetzt mitgenommen", meint der 23-Jährige.

Zu 100 Prozent fit ist er wieder für das Auswärtsspiel am Samstag bei Abstiegskandidat RW Koblenz, das Ödem in der Wade ist ausgeheilt. In der Offensive Unruhe stiften, Tore vorbereiten, Treffer markieren und Erfolge mit der Mannschaft feiern, um die Regionalliga zu halten: Wenn das gelingt, wird automatisch mehr über Jonas Arcalean im Netz zu lesen sein.
Aufrufe: 020.2.2021, 07:00 Uhr
Gießener AnzeigerAutor