2024-05-02T16:12:49.858Z

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Da war’s geschafft: Kurz vor dem Ende fällt das 2:0, damit sind die Murnauer durch – und in der Landesliga.
Da war’s geschafft: Kurz vor dem Ende fällt das 2:0, damit sind die Murnauer durch – und in der Landesliga. – Foto: Privat

TSV Murnau: Rückblick auf den Landesliga-Aufstieg vor 40 Jahren

Legendäre Mannschaft von 1981

Nie hatte der TSV Murnau eine bessere Fußball-Mannschaft als im Jahr 1981. Ein Rückblick auf den legendären Aufstieg in die Landesliga, der sich zum 40. Mal jährt.

Die Vorgeschichte

Anfangen muss man bei Gerd Rohrmoser. Niemand weiß mehr über die Zeit, als die Zeitungen noch schwarz-weiß und Fußballfotos verschwommen waren. Rohrmoser kommt ohne Titel aus, auch wenn ihm einer zustehen würde für die Arbeit, die er geleistet hat. Er ist so etwas wie der Archivar, der Wahrer der erfolgreichsten Jahre im Murnauer Fußball. Von denen es – so lange sind sie vergangen – kein Filmmaterial gibt, sondern nur die Lobpreisungen jener, die sie miterlebt haben.

Rohrmoser hat ein Fußballtagebuch geführt, zu jedem Spiel, mit Aufstellung und Torschützen. Arbeit, die heute das Internet verrichtet. Er war nicht der einzige. Andere bewerteten in ihren Büchlein sogar die Mitspieler, erzählt er. Seine fußballerischen Memoiren hat er dem TSV Murnau überlassen und sie auf der Homepage mit reichlich Bildern jener Tage garniert. Dieser Almanach dokumentiert den Aufstieg einer Mannschaft, über den am Fußballplatz an der Poschinger-Allee komischerweise immer noch häufiger gesprochen wird, als über die Monotonie der aktuellen Kreisliga-Jahre.

Als 18-Jähriger rückt Rohrmoser, ein Super-Talent, im Jahr 1973 in die Mannschaft auf. Direkt nach dem Aufstieg in die Bezirksliga, damals fünfte Klasse im Land. In den Jahren danach „sind Kracher gekommen“, sagt der Murnauer: Hans Dietz aus Weilheim, Georg Kutter aus Uffing. „Die ganzen Guten haben sich bei uns gesammelt.“ Verhandelt wird in der Disco zwischen Boney M. und Udo Jürgens. Das Oberland kommt, „weil das die geilste Mannschaft war“, sagt Rohmoser, und nicht weil die Markscheine locken. Der TSV Murnau zahlt keinen Pfennig, nur ab und an ein Mittagessen. Nach jedem Spielen treffen sich Edelfans und Mannschaft im Musi-Stadel in Weindorf, das Stammlokal mit einem Bett über dem Kachelofen, auf dem einmal sogar Peter Ludwig (1978 bis 1980) schläft. Der Trainer, der so gern mitfeiert. „In Murnau waren wir überall eine Familie. Wir waren wie daheim. Wir haben alles gedurft“, erzählt Georg Kutter. Selbst an trainingsfreien Tagen sammeln sie sich an der Murnauer Bucht oder fahren mit ihren Frauen und Freundinnen in den Urlaub. „Das Herberger-Wort von den elf Freunden hat auf uns zugetroffen“, sagt Hans Dietz.

Doch nicht nur im Feiern setzen sie Maßstäbe. Die Bezirksliga und ihr technischer Fußball sind das richtige Terrain für ein Team mit einer durchschnittlichen Größe von nicht einmal 1,80 Metern. „Langsamer, aber technischer“ sei der Stil gewesen, sagt Rohrmoser. „Vom Niveau her wie Garmisch heute in der Landesliga.“ Die Murnauer mögen keine Athletikabteilung gewesen sein, wohl aber riesige Einzelfußballer. Günter Zimmerly, der wilde Torwart, der doch tatsächlich in der Zeitung unter der Rubrik Hobbys „Mädchen“ angab und in der Bräuwastlhalle in Peißenberg zu später Stunde am Kronleuchter hin- und herschwang. Willi Pernsteiner und Rohrmoser im Mittelfeld, die sich manchmal beim Gegner entschuldigten, weil sie zu gut waren und deshalb ständig gefoult wurden. „Das war Gentleman-Fußball“, sagt Rohrmoser. Kutter, der Wadlbeißer, den Unterhaching später unbedingt haben wollte. Hermann Ott, die Tormaschine mit 1,72 Metern, „wie Berwein heute eine Laufmaschine, ein Tank“, beschreibt ihn Rohrmoser.

Drei Vizemeisterschaften in sieben Jahren holen die Murnauer. Für die Saison 1980/81 finden sie dennoch keinen Trainer. Rudi Neudert, der Abteilungsleiter, übernimmt die ersten drei Spiele aushilfsweise, bis er mit Rohrmoser auf die Idee kommt, einfach Franz Bergmeister zu fragen, den ehemaligen Mitspieler. Sein Arzt hat gemeint: Hör’ auf. Wegen der Hüftprobleme. Die Mannschaft will Bergmeister. In dessen Garten wird verhandelt. „Ich hab’ gesagt, ich mach’s. Das läuft schon irgendwie“, erinnert er sich. Von Anfang bis Ende hält er Platz eins – auch dank der guten Zusammenarbeit mit Manfred Aschenbrenner, Kapitän und „Kopf der Mannschaft“, urteilt der Coach. Franz Bergmeister schimpft nicht, er beobachtet auch keine Gegner, und Geld nimmt er erst recht nicht. Zu Weihnachten schenken ihm seine Spieler eine Kreissäge, die noch heute schneidet. Stattdessen fördert er das Mantra vom Mannschaftsgeist. Vor Spielen gehen die Murnauer gemeinsam essen, am Tag danach auf den Berg. „Ein ganz tolles Team“, sagt Bergmeister. Mit 48:12 Punkten holt der TSV den Titel vor dem ESV München, qualifiziert sich für die Aufstiegsspiele. Duell eins verliert Murnau gegen Eching mit Kulttrainer Toni Plattner und dem Leitl-Clan. Mit einem Verlängerungssieg (2:1) über die ambitionierten Kemptener in Marktoberdorf erzwingt die Oberlandauswahl ein Entscheidungsspiel gegen Wacker Burghausen. Am 20. Juni 1981 in Unterhaching.

Der vergessene Fakt

Die Murnauer waren in der Unterzahl. Zumindest neben dem Platz. Burghausen und seine Anhänger reisten im Fanzug nach Unterhaching. „Wir waren überrascht“, sagt Kutter. Sie hatten so etwas zuvor nicht erlebt. Fußballfans mit Fahnen, mit T-Shirts in den Wacker-Farben Schwarz und Weiß, mit Fangesängen. „Richtige Stadionatmosphäre“ machte Kutter aus.

Dazu trugen auch die Murnauer bei. Anders als heute galten die Unterstützer nicht als reiselustiges Grüppchen. Doch für dieses entscheidende Duell mobilisierten die Fußballer den Markt. An eine „große Schar Murnauer“ erinnert sich Trainer Bergmeister. Jugendspieler des TSV, die auch Ministranten waren, schleppten die riesige Karfreitagsratsche ans Sportgelände. „Ein Riesen-Radau“, sagt Bergmeister. „Da hat sich was gerührt.“ 850 Zuschauer notiert der Fußballverband offiziell. Es könnten aber genauso gut an die 1000 gewesen sein.

Das Spiel

An viel erinnert sich Stefan Schnürer nicht mehr. Nur an diese Aura der Unbesiegbarkeit, die sich über dieser Mannschaft ausbreitete. „Ich hatte nie das Gefühl, dass wir das Spiel verlieren können.“ Schnürer, damals der Jüngste mit 19 Jahren, hatte zuvor regelmäßig gespielt, oft als Sturm-Joker in der zweiten Hälfte. Seine Teamkollegen waren „für mich Riesen-Fußballidole“. Auf die setzt der Trainer im wichtigsten Spiel der Saison, auch wenn er auf Rohrmoser verzichten muss, der mit der Bundeswehr unterwegs ist. Einen habe man locker ersetzen können, sagt Rohrmoser vier Jahrzehnte später. „Wir waren 16 gute Fußballer.“

Die Geschichte dieses Aufstiegsgipfels erzählen zwei Spieler: Günter Zimmerly, der Murnauer Torwart und Kryptonit der Burghauser Angreifer, sowie Karl Hornsteiner, der Doppeltorschütze. Sein erster Treffer in Minute 27 – auf dem rechten Flügel spielt er einen Gegner aus und schießt aus spitzem Winkel überraschend aufs Tor –- verändert das Spiel. Bis zum Schlusspfiff rennt Wacker an, trifft aber nur Zimmerly und die Latte. Zur Halbzeit befragt man Bürgermeister Werner Frühschütz, was er vom Spiel hält, er sagt: „Wenn’s heute nicht geht! Die sind schon in Marktoberdorf auf meinen Nerven herumgetrampelt.“ Doch der TSV übersteht die Sturm- und Drangphase. Fünf Minuten vor Ende fängt Hornsteiner einen verunglückten Rückpass ab und trifft zum 2:0. Nach dem Schlusspfiff tragen die Murnauer ihren Trainer vom Spielfeld – und die große Feier beginnt.

Der heimliche Held

Die Marktgemeinde Murnau um Bürgermeister Frühschütz. Er fuhr nicht nur nach Unterhaching für das wichtigste Spiel der Vereinshistorie, sondern übernahm hinterher auch die Rechnung für die Malerarbeiten in der Umkleide. „Die Kabine war Rot“, erinnert sich Kutter. Murnaus Spieler duschen im Roten Krimsekt, Fachname Sowjetskoje Schampanskoje, das Szenegetränk dieser Tage. „Aus irgendwelchen dunklen Kanälen hast den immer hergezogen“, scherzt Kutter. Nach dem Sieg habe es kein Halten mehr gegeben. Freud’ und Lust entladen sich in minutenlangen Sektsalven. Hinterher habe es ausgesehen wie in einem „ausgelaufenen Rotweinlager“, beschreibt Kutter. Er sagt: „So einen Glücksmoment hab’ ich noch nie erlebt.“

Das Vermächtnis

Murnau feiert seine Helden. Im Tagblatt erscheinen mehrere Sonderseiten, unter anderem mit Porträtbildern aller Spieler sowie der Vorstellung des neuen Trainers. Reinhold Kögler aus Ohlstadt übernimmt. Vorgänger Franz Bergmeister schenkt die Mannschaft einen Ehrenteller, der heute noch im Arbeitszimmer hängt. Für Bergmeister war klar, dass er die Landesliga-Safari nicht mehr antrete würde. „Ich habe das meiner Familie nicht zumuten können.“ Zu Auswärtsspielen tuckert der TSV im Großbus, für den jeder Spieler pro Fahrt fünf Mark löhnt. Denn in Murnau fehlt es an Geldgebern. Obwohl der Klub an seiner strikten Null-Gehalt-Politik festhält, etabliert er sich flott in der Landesliga. Als Fünfter schließt das Team die erste Saison ab. Höhepunkt des Jahres: der 2:0-Erfolg beim späteren Meister Wacker München. Dort hatten sie vorher schon ausgehandelt, „wie hoch sie gegen uns Bauern gewinnen“, erzählt Rohrmoser. Nach dem Sieg singen die Murnauer in der Dusche so laut und so lange, bis die alten Wacker-Recken anerkennend gratulieren und sagen: „Bei uns ist schon lang nicht mehr so gesungen worden.“

Nach einem Jahr ist die Sause vorbei. Stefan Schnürer geht sogar so weit und sagt: „Der Aufstieg war der Grundstein für den späteren Niedergang. Man hat nur auf die Erste Mannschaft geschaut und den Nachwuchs vernachlässigt.“ 1983 steigt Murnau ab, bis 1994 sogar in die letzte Liga. Die Helden von Haching gehen nacheinander, verlieren sich aber nie aus den Augen. Anfang der 1990er etwa gewinnt ein Teil zweimal die inoffizielle Deutsche Kleinfeldmeisterschaft. Bei der Siegerehrung mit 1000 Zuschauern stecken sie unter anderem Weltklasse-Schiedsrichter Markus Merk in eine Lederhose, wie er sich das gewünscht hatte.

Heute, also vor Corona, treffen sie sich einmal die Woche an einem kleinen Stammtisch an der Poschinger-Allee sowie einmal im Jahr bei Rohrmosers großen Legenden-Tagen. „Wir müssen nicht viel reden“, sagt Dietz, der selbst mit über 60 noch gekickt hat. „Wir sind Freunde, uns verbindet eine Geschichte.“

Die Erfolgsmannschaft

Manfred Aschenbrenner, Hans Dietz, Gottfried Höck, Karl Hornsteiner, Hans Körner, Werner Kruspe, Georg Kutter, Hermann Ott, Richard Pernsteiner, Willi Pernsteiner, Hans Reifenberger, Gerd Rohrmoser, Tommi Schaller, Erhard Tausch, Günter Zimmerly, Ralf Bues, Hans Peter Burger, Hans Neuner, Stefan Schnürer, Helmut Wesinger.

Ein entscheidender Moment: Überraschend zieht Karl Hornsteiner ab – und trifft zum 1:0 für Murnau.
Ein entscheidender Moment: Überraschend zieht Karl Hornsteiner ab – und trifft zum 1:0 für Murnau. – Foto: Privat
Hoch soll er leben! Die Spieler tragen Trainer Franz Bergmeister vom Platz. 
Hoch soll er leben! Die Spieler tragen Trainer Franz Bergmeister vom Platz.  – Foto: Privat
Das Murnauer Erfolgsteam: (h.v.l.) Karl Eibl (Dritter Abteilungsleiter), Rudi Weber (Zweiter Abteilungsleiter, †), Helmut Wesinger (†), Karl Hornsteiner, Ralf Bues, Hans Dietz, Gerd Rohrmoser, Thomas Schaller, Hans-Peter Burger, Erhard Tausch, Masseurin Maria Hoiß, Rudi Neudert (Abteilungsleiter), Trainer Franz Bergmeister, (vv.l.) Richard Pernsteiner, Willi Pernsteiner, Manfred Aschenbrenner, Hermann Ott, Gottfried Höck, Günter Zimmerly, Hans Reifenberger, Werner Kruspe, Stefan Schnürer und Hans Körner.
Das Murnauer Erfolgsteam: (h.v.l.) Karl Eibl (Dritter Abteilungsleiter), Rudi Weber (Zweiter Abteilungsleiter, †), Helmut Wesinger (†), Karl Hornsteiner, Ralf Bues, Hans Dietz, Gerd Rohrmoser, Thomas Schaller, Hans-Peter Burger, Erhard Tausch, Masseurin Maria Hoiß, Rudi Neudert (Abteilungsleiter), Trainer Franz Bergmeister, (vv.l.) Richard Pernsteiner, Willi Pernsteiner, Manfred Aschenbrenner, Hermann Ott, Gottfried Höck, Günter Zimmerly, Hans Reifenberger, Werner Kruspe, Stefan Schnürer und Hans Körner. – Foto: Privat

Aufrufe: 021.6.2021, 13:30 Uhr
Andreas MayrAutor