War’s das schon? Das Ende aller Träume, der großen Träume vom Profifußball?
Könnte man schon meinen, sagt Tim. Schließlich ist er wieder in der Liga angekommen, in der er schon vor drei Jahren gespielt hat, keinen Schritt weiter, eher einen zurück: „Nicht so einfach für den Kopf.“
Tim Schels war zarte 16, als er sein Debüt in der Regionalliga gegeben hat. Exakt: 16 Jahre, sieben Monate und acht Tage. Er ist in die Annalen eingegangen als der jüngste Regionalligaspieler aller Zeiten. Einen jüngeren gab es nicht und wird es kaum geben, sollten die Regularien bleiben wie sie sind.
Viel Spielzeit ist seitdem nicht dazugekommen. Zehnmal Regionalliga in zwei Jahren, drei Kurzeinsätze in Liga 3. Nicht das, was man erwarten durfte von einem Talent, das sogar schon drei Länderspiele für die deutsche U18 bestritten hat. „Klar hat man sich mehr erhofft“, sagt Tim Schels. Inzwischen ist er 19. Ein Alter, in dem Träume eigentlich erst reifen. Warum also nicht bei Tim?
Im Sommer ist Schels aus Unterhaching nach Heimstetten gewechselt. „Eine schwierige Entscheidung“, gibt er unumwunden zu. Sechs Jahre war der Erdinger, der beim SE Freising das Fußballspielen lernte, in Haching, „ich habe dem Verein viel zu verdanken, wurde sehr gut ausgebildet und sogar zum Nationalspieler“. Zu gehen, sei aber „richtig“ gewesen, hinter ihm liegen schwere Jahre, immer, als der Durchbruch zu gelingen schien, kam eine Verletzung dazwischen. Knochenödem am Sprunggelenk, Riss des Außenmeniskus, Schulterprellung. Er sagt: „Vielleicht war mein Körper einfach noch nicht so weit.“
Fußballerisch dagegen war Schels „unheimlich weit für sein Alter“. So sah ihn zumindest Manni Schwabl, Hachings Präsident. Früh schon hat er ihn mit einem Fördervertrag ausgestattet. Und wollte ihn eigentlich lieber ausleihen nach Heimstetten, Schels aber schien es sinnvoller, sich jetzt erst einmal „komplett zu lösen“. Um dann zu schauen, „was nach oben noch geht“. Er will viel arbeiten, an der Kraft, der Athletik, an seinem Körper. Ein Jahr, glaubt er, habe er auch verloren, weil er „unbedingt ein gutes Abitur“ machen wollte, wie wichtig ein zweites Standbein ist, hat er am eigenen Leib erfahren müssen. Aber so fehlte er oft in den Vormittagseinheiten, das warf ihn zurück, brachte ihn um mehr Einsätze.
Jetzt will er erst einmal spielen, immer spielen, „möglichst eine Saison verletzungsfrei durchziehen“. Für ein Jahr hat er zunächst in Heimstetten unterschrieben, „dann wird man sehen“. Die Spielidee des Heimstettener Trainerteams um Christoph Schmitt gefällt ihm, hier sucht man Lösungen spielerisch, „nicht mit kick and rush“. Schels, ursprünglich mal Innenverteidiger und defensiver Mittelfeldmann, ist nach vorne auf die Zehn gerückt, er soll das Spiel gestalten, Tore vorbereiten. Das freut ihn. Und das tut er. Auch wenn er wieder in der Liga spielt, in der er vor drei Jahren debütiert hat, er sieht eine klare Weiterentwicklung bei sich: „Damals bin ich mitgeschwommen, jetzt erwartet man von mir, dass ich auch Verantwortung übernehme.“
Natürlich sei es eine Umstellung, statt täglich nur noch dreimal pro Woche zu trainieren. Also schiebt er Zusatzschichten ein, vor allem Lauf- und Krafttraining, allein, mit Kumpels oder mit seinem Vater. Er weiß, dass er sechs bis sieben Trainingseinheiten pro Woche braucht, um weiter von seinem großen Ziel träumen zu dürfen. Und das lautet weiter Profifußball. Aber nicht ohne Wenn und Aber. Ab Oktober wird er, nach einem Jahr, in dem er sich nach bravourös bestandenem Abitur voll auf den Fußball konzentrierte, an der TU in München Sportwissenschaften studieren, für Angebote von oben aber bliebe er offen.
An Selbstbewusstsein fehlt es ihm nicht, er weiß, was er kann. Und wenn er in der letzten Saison Drittligaspiele von außen anschauen musste, hat er schon mal ein bisschen gehadert. Weil er überzeugt war, das, was andere spielten, auch bringen zu können. Im Endeffekt aber entscheidet der Trainer, und dass es nicht unbedingt der beste Weg ist, sich dort zu beklagen, hat auch Tim schnell gemerkt: „Da vermittelt man dem Coach vielleicht den Eindruck, alles besser wissen zu wollen.“ Kommt selten gut an, zumal, wenn man zu den jüngsten Spielern gehört. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz in der Branche, dass erfahrene Haudegen einfach eine größere Lobby haben, auch wenn Tim sagt: „Das Alter ist völlig egal, es zählt allein die Leistung.“
In Heimstetten spürt er, obwohl mit 19 noch immer der Jüngste der Stammbesetzung, mehr Anerkennung, er muss nicht mehr, wie in Unterhaching, Bälle und Tore schleppen, „hier gibt es einen Balldienst, der immer durchwechselt“. Auf dem Platz hören auch die älteren Mitspieler auf ihn, es sind ja nicht allzu viele, die schon 3. Liga gespielt haben oder in einer Jugendnationalmannschaft. Tim überzeugt, mit seiner Spielintelligenz, seiner Leistung, seinem Blick für die Situation.
Hier will er wieder auf sich aufmerksam machen, die Plattform nutzen, die ihm die Regionalliga bietet. Im Sommer hat der FC Augsburg Heimstettens Top-Torjäger Sebastiano Nappo verpflichtet, Simon Seferings hat sich hier für die Münchner Löwen empfohlen. Die Regionalliga ist kein Abstellgleis, nicht, wenn man 19 ist. Da stehen viele Türen offen, aufstoßen aber muss man sie selbst.
„Ich will hier nochmal Schwung holen“, sagt Tim Schels, Schwung, um die Träume zu verwirklichen. Und sollte es doch nichts werden mit dem Profifußball, hat er ja noch sein Studium.
Die Amateurfußballseite erscheint jeden Mittwoch. Autor der heutigen Ausgabe ist Reinhard Hübner, erreichbar unter komsport@t-online.de