2024-06-04T08:56:08.599Z

Interview
– Foto: Rolf Schmietow

Stefan Gehlhaar über seine Philosophie und die Liebe zu Köln

"Wenn man keine Fehler zulässt, ist es schwer, etwas zu entwickeln" +++ Stinstedts Langzeit-Trainer im Interview

Das Prädikat „Urgestein“ trifft auf kaum jemanden besser zu als auf Stefan Gehlhaar. Der 54-Jährige erlebt mit dem Fußball-Bezirksligisten SG Stinstedt seine 18. Saison als Cheftrainer. Dieses Engagement ist umso bemerkenswerter, als der Betriebsleiter des Cuxhavener Tiergesundheitsunternehmens Elanco auch beruflich stark eingespannt ist. Über seine Treue zur SG, Fußball auf dem Dorf, Abwerbeversuche und seine Liebe zum 1. FC Köln sprach der verheiratete Vater zweier erwachsener Töchter im Interview mit NZ-Redakteur Dietmar Rose.



Herr Gehlhaar, Sie sind seit 2002 Cheftrainer in Stinstedt und damit der mit Abstand dienstälteste Coach bei den höherklassigen Mannschaften in unserer Region. Hätten Sie damals bei der Amtsübernahme von Ihrem Vorgänger Erich Busch gedacht, dass daraus eine Ära werden könnte?

Nein, ganz ehrlich nicht. Das zeigt aber, dass wir in Stinstedt eine vertrauensvolle Zusammenarbeit haben. Ich mache das in Stinstedt sehr gerne und mache es für die Gemeinschaft. Wir setzen uns jedes Jahr im Herbst mit dem Mannschaftsrat zusammen und dann frage ich die Jungs, ob sie mit mir weitermachen möchten oder ob sie jemand anderes wollen. Wir sind da sehr offen und ehrlich zueinander. Das ist sicherlich ein Grund, warum es bei uns klappt. Ich möchte nicht mit einer Mannschaft arbeiten, die mir nicht folgt. Umgekehrt hat aber auch die Mannschaft einen Trainer verdient, der auch alles reinwirft.

Welche Rolle spielt Ihr Trainerteam dabei?

Wir sind da mit Tim Schlepps als Co-Trainer, Erich Busch als Torwarttrainer und Ralf Weber als Teammanager mega gut aufgestellt, wir verstehen uns alle total klasse. Das passt von A bis Z. Ohne so ein menschlich hervorragendes Team könnten wir das in Stinstedt auch so nicht machen. Da gehören auch unsere zweiten Herren dazu, die mit Nico Neese und Andre Hohaus einen tollen Job machen. Nicht zu vergessen Fußball-Fachwart René Rahden, der im Hintergrund immer für uns da ist und wie auch der restliche Vereinsvorstand, ein wichtiger Baustein im Stinstedter Puzzle ist.

Mit vielen Spielern arbeiten Sie ja schon seit vielen Jahren zusammen. Wie schaffen Sie es, Abnutzungserscheinungen zu vermeiden?

Die Mannschaft bekommt ständig neue Impulse. Ich weiß gar nicht, wie viele Systeme wir spielen können. Die können wir auch während eines Spiels wechseln, da reicht manchmal ein Blickkontakt. Ich mag es einfach, wenn man eine Ordnung auf dem Platz erkennen kann. Von der Vorbereitung abgesehen wissen die Jungs nie, was im Training auf sie zukommt. Wichtig ist aber auch, dass die Mannschaft offen ist für diese Art, Fußball zu spielen. Die Jungs ziehen alle super mit und sind sehr ehrgeizig und mannschaftsdienlich.

Worauf legen Sie als Trainer besonders Wert?

Wir nehmen uns vor, dass wir die Spieler nicht nur fußballerisch voranbringen wollen, sondern dass sie sich im sozialen, menschlichen Bereich wohlfühlen und auch gefördert werden. Im Beruf trage ich auch Personalverantwortung und bin auch dafür verantwortlich, dass Leute ihre Karriere entwickeln können. Das machen wir beim Fußball auch so. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass man Menschen dazu bringen kann, aus Eigenantrieb eine gewisse Motivation an den Tag zu legen. Das kann man trainieren und schulen. Deshalb gebe ich auch nicht alles vor. Wenn man keine Fehler zulässt, ist es schwer, eine Mannschaft zu entwickeln. Man muss natürlich auch das Glück haben, dass es funktioniert - dann folgt dir die Mannschaft auch (lacht).

Was können Sie überhaupt nicht leiden, was sind Ihre No-Gos?

Ich versuche immer, die Kontrolle zu behalten. Wenn ich sie mal innerlich verliere, dann hat ein Spieler es geschafft, die Zeit auf dem Sportplatz zu verschenken, weil er keine Lust oder einfach einen schlechten Tag hat. Das kann mal passieren. Aber halbe Sachen kann ich schwer verarbeiten. Wenn jemand keine Lust hat, sage ich: Geh` bitte duschen und höre auf, die anderen vom Training abzuhalten.

Viele Bremerhavener Fußballer schwärmen davon, bei einem Landkreis-Verein zu spielen. Ist bei Dorfvereinen die Welt noch in Ordnung?

Das hängt sicher auch vom Betrachter ab. Der Zusammenhalt, das gelegentliche Feiern, gehört bei uns sicher mit dazu. Mir ist aber etwas anderes wichtig. Unsere treuesten Anhänger, die immer da sind, haben mir mal gesagt: Stefan, wir sind so dankbar, dass ihr uns hier so tolle Mannschaften präsentiert. Viele sind ja nicht mehr so mobil und können das alles zu Fuß bei einem Stück Kuchen und Kaffee miterleben. Da sind sie megastolz drauf. Das war für mich das schönste Kompliment, dass das wertgeschätzt wird. Die Leute wissen, dass wir nur ca. 800 Einwohner haben in Stinstedt.

Und wo stößt ein kleiner Verein wie die SG an seine Grenzen?

Jeder Fußballer, der uns auf unserer Reise begleiten möchte, muss wissen, dass es bei uns keine Kohle gibt. Das ist einfach so. Da braucht man schon sehr gute Argumente, Spieler davon zu überzeugen, unseren Weg mitzugehen, wenn man nicht in die Tasche greifen möchte. Ab einem gewissen Niveau geht es wahrscheinlich nicht mehr ohne. Aber wir haben es ja damals selbst in der Landesliga geschafft, ohne Geld klarzukommen. Ein anderes Thema sind die Trainingsbedingungen. Das ist echt schade, dass wir das im Landkreis mit den Kunstrasenplätzen nicht auf die Reihe bekommen. Da haben wir einen Riesennachteil gegenüber den Stader Vereinen, die im Winter durchtrainieren können.

Der Landesliga-Aufstieg in der Saison 2015/2016 war sicher Ihr größter Erfolg. Was hat damals gefehlt, um die Klasse zu halten?

Wir haben ein bisschen Pech gehabt. In dem Jahr haben wir mit Thorben Aufderheide und Simon Jacobsen unser beiden Innenverteidiger und einen Torwart verloren. Mit einem frischen Abwehr- und Torhüterteam war es dann halt sehr schwer in dieser Liga. Bis wir uns gefunden hatten, war Winterpause und der Rückstand schon zu groß.

Sie sind so verwurzelt in Stinstedt, dass man sich einen Vereinswechsel kaum vorstellen kann. Heißt es bei Ihnen: Einmal Stinstedt, immer Stinstedt?

Na, bei der Frage kann ich eigentlich nur verlieren - egal, was ich sage. Am Ende der Reise bin ich dem Verein sehr dankbar, dass man mir damals die Verantwortung gegeben hat. Das war eine gute Entscheidung für beide Seiten, obwohl ich eigentlich noch ein bisschen kicken wollte. Solange man selber das findet, was man sucht, stellt sich die Frage gar nicht, ob man sich umorientieren möchte. Und das ist in Stinstedt der Fall. Sollte das, was ich mache, bei der Mannschaft irgenwann mal nicht mehr auf Gegenliebe stoßen, würde ich aber auch was Neues machen.

Wie sieht es mit Abwerbeversuchen der Konkurrenz aus?

Es gab über die Jahre einige Anfragen, auch ein paar sehr interessante. Für mich stand die Verpflichtung den Jungs gegenüber aber immer im Vordergrund. Wenn man relativ früh eine Vereinbarung hat, dass man zusammenbleibt, dann braucht man sich damit nicht zu beschäftigen. Ich bin aber auch keiner, der erwartet, dass er jede Woche angerufen wird. Ich mache das gerne für die Jungs - und gerne da, wo ich jetzt bin.

Sie sind mir als glühender Anhänger des 1. FC Köln geschildert worden. Wie wird ein Nordlicht wie Sie denn Fan der Geißböcke?

Das ist in der Tat meine ganz große Liebe. Ich bin fast öfter am Geißbockheim als zu Hause. Der Grund ist, dass ich damals als Siebenjähriger in meinem Verein als Rechtsaußen gespielt habe. Eigentlich war ich Braunschweig-Fan, aber ich bin unhöflicherweise zum FC gewechselt, weil der Kollege Roger van Gool ...

... der erste Millionentransfer der Bundesliga!

Genau, der kleine Belgier mit den coolen langen Haaren hat beim FC angeheuert. Das war mein absolutes Vorbild als Spieler. Und dann habe ich angefangen, mich mit dem Verein zu beschäftigen. Inzwischen bin ich seit fast 15 Jahren Dauerkarteninhaber. Meine Frau und ich sind jetzt in einem Ur-Kölner Block und haben da unheimlich viele Freunde gefunden.

Und was passiert, wenn es zu Terminkollisionen zwischen Stinstedt und dem „Eff-Zeh“ kommt?

Dann habe ich auch schon mal die Verlegungskosten selber bezahlt. In 80 Prozent der Fällen kriegen wir das immer organisiert. Stinstedt hat hoffentlich nie darunter gelitten. Aber ich habe dem Verein mal gesagt: Bitte, bitte, stellt nie die Frage, ob ich das weiter machen darf. Dann wird es eng für euch (lacht).

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Aufrufe: 07.4.2020, 10:12 Uhr
Nordsee-zeitung/ dirAutor