2024-05-29T12:18:09.228Z

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Zu den Spielern führt N‘Diaye ein enges, ehrliches Verhältnis. Hier jubelt er mit Alessandro Ficara nach dem 3:1-Auswärtssieg in Homburg.	Archivfoto: Wieck
Zu den Spielern führt N‘Diaye ein enges, ehrliches Verhältnis. Hier jubelt er mit Alessandro Ficara nach dem 3:1-Auswärtssieg in Homburg. Archivfoto: Wieck

Schuftender Sympathieträger

RL SÜDWEST: +++ Teutonen-Co-Trainer Babacar N‘Diaye hat sich seinen guten Ruf hart erarbeitet +++ Mentalitätswechsel verkraftet +++

Watzenborn-Steinberg. Als der Interview-Termin nach rund eineinhalb Stunden zu Ende geht und es heißt, man könne aus dem Inhalt sicher eine ganze Zeitungsseite bauen, lacht Babacar N’Diaye. Er habe längst nicht alles erzählt, sagt der 43-Jährige. N’Diaye, deutschlandweit gereister Ex-Profi und seit September 2016 als Co-Trainer in Diensten des SC Teutonia Watzenborn-Steinberg, ist ein hochinteressanter Gesprächspartner. Und das nicht nur, weil er mit über 20 Jahren Erfahrung im Geschäft ein Fußballfachmann ist, dem keiner so leicht etwas vormachen kann. Als 20-Jähriger aus dem Senegal nach Deutschland gekommen, lebt der ehemalige Goalgetter nach wie vor seinen Traum. Er hat längst Fuß gefasst in einem anfangs fremden Land mit einer fremden Sprache, einer fremden Kultur. Womöglich verleiht ihm das erarbeitete Vertrauen in die eigene Stärke diese Offenheit, Lockerheit und Zuversicht, die „Baba“, wie er überall genannt wird, kontinuierlich ausstrahlt.

Herr N’Diaye, die Wenigsten werden wissen, dass für Sie Basketball bis zum 18. Lebensjahr die Sportart Nummer eins war. Sie spielten sogar in der Junioren-Nationalmannschaft. Dann gaben Sie dem Fußball den Vorzug und landeten 1994 in Solingen. Wie kam es dazu?

In meinem Verein im Senegal, US Rail Thiès, gab es eine Basketball- und eine Fußballabteilung; jeweils Erste Liga. Fußball habe ich nur nebenher gespielt, als Innenverteidiger in den drei Monaten Regenzeit. Beim Basketball entwickelte sich dann ein Streik, der über ein halbes Jahr ging. In der Zeit habe ich Fußball gespielt, erst in der zweiten Mannschaft, später in der ersten, wobei ich auch zwei Länderspiele für die U 20 bestritten haben. Es existierte eine Städtepartnerschaft zwischen Thiès und Solingen, sodass wir 1992 nach Deutschland eingeladen wurden. Union Solingen wollte mich verpflichten, doch Thiès hat mich erst nicht ziehen lassen. 1994 hat es schließlich geklappt. Am Anfang war es nicht leicht für mich, weil ich die Sprache nicht gesprochen habe. Zudem war ich aus dem Senegal eine ganz andere Mentalität gewöhnt. Dort leben alle wie in einer großen Familie und wenn Probleme da sind, hilft man einander. Aber ich hatte das Ziel, nach Europa zu kommen. Ich dachte: Es wird schwer, aber machbar, zumal als junger Mensch mit 20 Jahren.

Mit 174 Partien und 28 Toren galten Sie lange Zeit als bekanntes Gesicht in der Zweiten Liga. In der Bundesliga kamen Sie 2002 bei Hannover 96 auf fünf Spiele und einen Treffer. Warum hat es da nicht zu mehr gereicht?

Es hat ja einige Zeit lang nicht danach ausgesehen, dass es überhaupt weit nach oben gehen würde (lacht). Im Senegal wurde damals die Bundesliga in einer Zusammenfassung übertragen. Bevor ich nach Deutschland gegangen bin, habe ich meinen Freunden gesagt, in ein paar Wochen könnt ihr mich im Fernsehen sehen. Dann habe ich jedoch in der vierten und sogar sechsten Liga gespielt und die Freunde meinten: Wir gucken Fernsehen, wo bist du denn? Ich habe mich danach bis zu Hannover hoch gearbeitet, bin mit dem Verein von der dritten bis in die erste Liga aufgestiegen. In der Bundesliga war ich zu Beginn auch im Kader und habe den Elfmeter gegen Nürnberg verwandelt. Als Aufsteiger waren wir aber unten drin, es wurden deshalb neue Spieler geholt. Darunter Fredi Bobic – und der musste natürlich spielen. Nach einem halben Jahr Ausleihe zum FC St. Pauli meinte Hannovers Trainer Ralf Rangnick, meine Situation habe sich in der Zwischenzeit eher noch verschlechtert. Nicht zu spielen, kam für mich nicht in Frage. Von da an bin ich meinen Weg in der Zweiten Liga gegangen.

Bei Preußen Münster, wo Sie nach dem Ende Ihrer Karriere als Spieler 2012 Co-Trainer wurden, haben viele Fans Ihren Abschied im Sommer 2016 bedauert. Stimmt es, dass Sie ein Fan sogar zu sich nach Hause eingeladen hat?

Ja, das stimmt. Es gab in Münster viele Fans, die mich gemocht haben. Einer davon, Tobias heißt er, hat mich zu sich eingeladen. Er hat sich sogar ein Tattoo mit meinem Namen stechen lassen und mir ein riesiges Bild gebastelt. Da hatte ich richtig Gänsehaut. Nicht jeder Afrikaner erreicht es, dass sich ein Weißer seinen Namen tätowiert.

In Hannover und Münster galten Sie als Publikumsliebling. Können Sie sich erklären, warum?

Es ist nur die Arbeit. Ich wurde nicht deshalb gemocht, weil ich lieb und nett war. Ich wusste, was ich will und habe mein damaliges Versprechen an meine Freunde eingelöst. Ich habe meinen Beitrag dazu geleistet, dass die Vereine dahin gekommen sind, wo sie hin wollten.

Das Leben im Profifußball ist auch ein Vagabundenleben. Ihre Familie lebt in Hannover, folgt Ihnen nicht auf Ihren Stationen. Sie kennen das Gefühl, wie es ist, vereinslos zu sein – wie im Sommer nach dem Abschied in Münster. Würden Sie trotzdem sagen, dass der Profifußball ein Traumjob für Sie ist?

Wenn ich unbedingt in Münster hätte bleiben wollen, hätte ich auch bleiben können. Aber es ging letztlich nicht weiter, das Kapitel war abgeschlossen. Und ich bin jemand, der in so einer Situation nach vorne blickt. Arbeitslos zu sein, ist ja auch keine Straftat. Viele Menschen sind arbeitslos. Ich habe das als neue Herausforderung betrachtet, etwas zu tun, um wieder zu arbeiten.

Wie kam Anfang September der Kontakt zur Teutonia zustande? Mussten Sie lange überlegen, bevor Sie zugesagt haben?

Der Präsident von Preußen Münster ist mit Jörg Fischer, dem Geschäftsführer des SC, befreundet. So kam es schon im Sommer zum Kontakt zu Alexander Schmandt (Erster Rechner bei der Teutonia, Anm. d. Red.), dem ich ein paar Tipps für neue Spieler gegeben habe. Ich kannte die Teutonia also schon. Als dann „Paco“ Copado als Trainer verpflichtet wurde, hat Abdenour „Abdi“ Amachaibou, den ich ebenfalls aus Münster kannte, vermittelt. Er hat mit Copado gesprochen, ob er sich vorstellen könnte, mich als Co-Trainer mitzubringen. Ich habe schnell für mich gedacht, dass das passt, weil ich neben Alex und „Abdi“ auch Copado kannte, weil wir früher gegeneinander gespielt haben.

Sie haben durch den Fußball quasi schon in ganz Deutschland Halt gemacht. Wie gefällt es Ihnen in Mittelhessen?

Diese Liga ist als Co-Trainer eine neue Herausforderung. Ich mache nichts, was mir keinen Spaß macht. Ich fühle mich wohl und komme mit allen gut zurecht. Ich wohne nicht weit entfernt vom Sportplatzgelände hier in Watzenborn. Es ist ruhig hier, ich bin zufrieden.

Nicht selten wird auch der Assistent entlassen, wenn der Cheftrainer gehen muss. Hatten Sie in dieser Hinsicht Bedenken, als Francisco Copado im Dezember beurlaubt wurde?

Angst und Unsicherheit können nur aufkommen, wenn man das in sich hat. Wenn der Verein der Meinung gewesen wäre, ich muss mitgehen, wäre ich eben mitgegangen. Ich denke so: Wenn es hier nicht reicht, reicht es woanders. Ich bin jemand, der sich immer mit der Herausforderung konfrontiert.

Andererseits kommt es häufiger vor, dass der „Co“ zum Chef befördert wird. Gab es das Gedankenspiel, Copados Nachfolger zu werden, als der Club im Dezember auf der Suche war?

Der Verein entscheidet diese Dinge. Ich kann auch im Hintergrund gut arbeiten und muss nicht im Vordergrund stehen. Ich kann in dieser Rolle auch gute Tipps geben, außerdem sehe ich die Trainer als Team.

Gibt es bei Ihnen so etwas wie einen festen Karriereplan, der einen Cheftrainer-Posten im Profibereich quasi als „Muss“ vorsieht?

Es ist schwer, im Fußballgeschäft zu planen. Ein normaler Arbeitnehmer kann vielleicht sagen, dass er in fünf Jahren etwas anderes macht. Der Fußball aber ist Tagesgeschäft, das sieht man auch an mir. Ich hatte bereits dreimal meine Karriere beendet und dann trotzdem weitergespielt. Natürlich habe ich meine Gedanken, aber ich nehme es, wie es kommt.

Jetzt sind Sie Assistent von zwei gleichberechtigten Trainern – eine nicht ganz alltägliche Situation. Wie sieht Ihre Arbeit unter Stefan Hassler und Gino Parson aus?

Diese Konstellation ist überhaupt kein Problem für mich. Stefan und Gino sind ehrlich und offen, sie haben mich gerne bei sich im Boot. Die Beiden sind die Richtigen für den Verein. Ich bin ein Bindeglied zwischen den Spielern und den Trainern. Spieler heulen sich nie beim Cheftrainer aus. Ich habe ein offenes Ohr und kann gut vermitteln, weil ich auch vieles mitbekomme. Als Co-Trainer ist es so: Gibst du viel Liebe, kriegst du die auch zurück. Gibst du Feuer, kriegst du Feuer zurück. Es gibt natürlich Dinge, die ich verlange. Ich kann nett und lieb sein, ich kann aber auch anders. Inhaltlich kümmere ich mich vor allem um das Aufwärmprogramm und unsere Standards sowie die des Gegners.

Heute beginnt die Restrunde mit der Partie gegen den VfB Stuttgart II. Als Tabellen-17. muss die Teutonia einige Punkte im Abstiegskampf aufholen. Wie sehen Sie die Chancen auf den Klassenerhalt?

Die Liga ist mit vielen Traditionsvereinen sehr interessant. Aber wir können dafür sorgen, dass uns die anderen kennenlernen. Wir können einiges bewegen und die Dinge noch selbst regeln. Ich denke, die Chancen sind sehr gut. Wir wollen den Teamgeist vorantreiben, und ich glaube, dass wir damit vieles erreichen können.



Aufrufe: 018.2.2017, 07:42 Uhr
Thomas Suer (Gießener Anzeiger)Autor